Reprint Band 2

Vorwort

Fast alle Bahamas-Ausgaben sind vergriffen, Kopienkonvolute von alten Ausgaben verschicken wir demnächst nicht mehr. Damit ist mit Ausnahme der online gestellten Artikel der Zugriff auf die Hefte nur Sammlern vorbehalten. Die Redaktion hat sich deshalb entschlossen, in Sammelbänden, die jeweils acht bis zehn Hefte umfassen, nach und nach die gesamte Bahamas in Buchform zugänglich zu machen. In welcher Reihenfolge die Bände erscheinen werden, ist noch nicht entschieden. Dieses erste Buch mit den Ausgaben 29 bis 38 ist in Wirklichkeit der zweite Band, denn unser Kind ist die Bahamas seit der Nummer 18, der ersten ganz in Berlin erstellten Ausgabe, die irgendwann zusammen mit den Heften 19 bis 28 als erster Band erscheinen wird.

Dass wir die Produktion aus 25 Jahren nicht online stellen, sollte sich von selbst verstehen. Wer Artikel oder gar Bücher nur online liest, ist häufig im Diagonallesen geübt und fahndet per Suchbegriff lediglich nach Belegstellen, deren Kontext ihn wenig interessiert, für seinen jeweiligen Zweck. Auch im besseren Fall, in dem wirkliches Interesse vorhanden ist, kommt es, offenbar dem Medium geschuldet, zu unkonzentrierter Lektüre. Bis auf weiteres gilt, dass erst die Printversion eines Textes, wenn kein Scrawlen das Zurückblättern ersetzt, die Bereitschaft zur sorgfältigen Lektüre weckt. Damit ist die Frage, warum alles, vom Titelbild bis zur Rückseite inklusive der früher zahlreichen Austauschanzeigen diverser linker Projekte auf den Umschlaginnenseiten, jetzt egalweg nachgedruckt wird, noch nicht ausreichend beantwortet. In der Bahamas sind Texte unterschiedlichen Sprach- und Reflexionsniveaus erschienen, manche würden wir heute nicht mehr in dieser und einige auch nicht in überarbeiteter Form akzeptieren. Dennoch haben wir die Idee, einige Bücher mit einer womöglich nach Themengebieten sortierten Auswahl der besten Texte zu machen, verworfen. Schon die Suche nach den Sparten erwies sich zumeist als unhaltbar. Aber auch die Frage nach dem besten Text lässt sich schwer beantworten, wenn man nachschlägt, in welchem Heft er „imbedded“ war. Herausragende Leistungen gab es gewiss, aber je intensiver die Zusammenarbeit zwischen Redakteuren und anderen Autoren wurde, desto offensichtlicher wurde auch, dass die Bahamas auf regelmäßigen Diskussionen aufruht, denen irgendwann durchaus auch inhaltliche Entscheidungen folgten. Manches wurde uns von den aktuellen politischen Ereignissen diktiert, manches erwies sich irgendwann als notwendige Beschäftigung mit einem Thema, das einer grundsätzlichen Behandlung harrte. Deshalb erscheint alles, inklusive zahlreicher ärgerlicher bis peinlicher Lektoratsversäumnisse, die wir allesamt nicht korrigiert haben.

Wir wollen das Konzept Bahamas am hier vorgelegten Band kurz darstellen: Die nachgedruckten Hefte sind zwischen dem Sommer 1999 und dem Frühjahr 2002 erschienen. Realpolitische Eckpunkte waren der Kosovokrieg, der Triumph Jörg Haiders sowie die Anschläge vom 11.9.2001 und deren Folgen. Sozusagen flankierend radikalisierte sich die Kritik am insbesondere islamischen Antisemitismus, die auch schon vor 9/11 zur kompromisslosen Solidarität mit Israel geführt hatte. Ebenfalls in diesen Zeitraum fallen die endgültige Abkehr vom nicht nur linken Antiamerikanismus und die sogenannte Vergewaltigungsdebatte, die in Wirklichkeit eine Sexualitätsdebatte war, die manche als Machtkampf um die Veranstaltungsräume und schließlich als Versuche, öffentliche Auftritte von Bahamas-Leuten zu verunmöglichen, gegen uns geführt haben. Wer nur den schönen Umschlag der Nummer 35 mit dem blauweißen Schiff und der Losung Für Israel, gegen die palästinensische Konterrevolution und die Erklärung der Redaktion gleichen Titels kennt, vermag nicht nachzuvollziehen, wie die radikale Einsicht erworben wurde, die uns befähigt hat, adäquat auf die Taten von Mohammed Atta und die Folgen zu reagieren. Und wer nur den Text Infantile Inquisition (Nr. 32) oberflächlich auf mögliche Grenzüberschreitungen hin gelesen hat und die ein halbes Jahr später Hauptsache Sexualität betitelte Ausgabe Nummer 34 nicht kennt, wird nicht verstehen, dass die Befassung mit diesem Thema kein zufälliger Ausflug in ein abgelegenes Gebiet war, das allein der Provokation einer bestimmten Szene gedient hätte.

Das Konzept Bahamas wurde und wird uns zu guten Teilen diktiert, es gab und gibt keine Liste abzuarbeitender Themen und abzufertigender Haltungen. Und auch wenn wir hinter fast alle in z.B. diesem Band erreichten Einsichten nicht zurückfallen werden, bezweifeln wir sehr, ob das Gebäude je einen Schlussstein bekommen wird. Die Redaktion Bahamas legt großen Wert darauf, eine Zeitschrift zu machen und keine periodisch erscheinenden Sammelbände zur Verwaltung wertkritischer Einsichten, die von wenigen Abstrichen abgesehen, 2015 genauso erscheinen könnten wie 2020. Aus der Beschäftigung mit dem politischen Geschehen und seiner ideologischen Verarbeitung, also im Umgang mit empirischem Material, ergibt sich die kritische Intervention genauso wie der eben nur scheinbar zeitlose theoretische Essay. In diesem Band manifestiert sich in der Form vieler Artikel und im sehr starken Bezug auf die 1999 bis 2002 noch weit aktivere radikale Linke durchaus auch ein prekärer Zeitbezug, den wir weitgehend aufgegeben haben. Der Vorwurf, die Bahamas hätte sich sukzessive von der radikalen Linken verabschiedet, ist gewiss berechtigt, auch wenn wir lieber von einer Emanzipation sprechen. Die Redakteure und die meisten Autoren der hier nachgedruckten Hefte waren selber noch teilweise befangen, sind manchmal erschrocken vor den sich abzeichnenden Konsequenzen der eigenen Produktion und haben manche überfällige Kritik verschoben oder auf eine anvisierte Klientel und damit auch deren Empfindlichkeiten hin geschrieben. Die nicht nur politischen Biografien der Autorinnen und Autoren verweisen auf lange Jahre der Zugehörigkeit zu einem Biotop, das sich stets aufs Neue auf eine Solidarität geheißene Toleranz von sich ausschließenden Positionen und Theorieversatzstücken einigt: Solange der Feind rechts steht, hält man zusammen, das war 1999 so und ist zwanzig Jahre später nicht anders. Diese Position war zwar auch in den frühen Ausgaben nie die der Bahamas, doch in der auch von uns lange gepflegten Zuversicht, man könnte gerade in dieses Biotop hinein am sinnvollsten die eigene Kritik unter die Leute bringen, schwang eher unfreiwillig die Hoffnung mit, es gebe da doch noch etwas Gemeinsames. Insofern halten wir es, auch für uns selber, die wir selten in alte Nummern hineinschauen, für instruktiv, den Weg zur endgültigen Trennung von der Linken, wie sie in den Nummern 36 bis 38 vorgenommen wurde, nachzuverfolgen.