Reprint Band 4

 

Vorwort

 

In den Jahren 2006 bis 2009, in denen die nachgedruckten Ausgaben erschienen sind, stand für die Bahamas das Bedürfnis nach dem autoritären Staat und mehr noch nach dem terroristischen Gegenstaat der Warlords im Zentrum der Kritik. Und dies nicht nur weil von der mitfühlenden Begleitung der Gewaltorgien moslemischer Jungmänner 2006 in Frankreich, die auf dem Cover der Nr. 49 als Krieg gegen die Bürger bezeichnet wurden, bis zu einer Weltwirtschaftskrise 2008 ff. sich Die Sehnsucht nach dem Ausnahmezustand (Cover der Nr. 57) immer deutlicher manifestierte. Nicht die Frage nach dem revolutionären Subjekt drängte sich der Redaktion angesichts solcher Tendenzen auf, wohl aber die nach einer Subjektivität, die den Einzelnen jenseits ideologischer Kumpanei in Form von wissenschaftlicher oder feuilletonistischer Begleitmusik zur herrschenden auf Verzicht und Gemeinschaft ausgehenden Untergangsrhetorik ermächtigen könnte, als kompromissloser Gegner des Bestehenden sich selbst zu konstituieren: „Kein Licht ist auf den Menschen und Dingen, in dem nicht Transzendenz widerschiene. Untilgbar am Widerstand gegen die fungible Welt des Tauschs ist der des Auges, das nicht will, dass die Farben der Welt zunichte werden. Im Schein verspricht sich das Scheinlose.“ Diese zarte und poetische Formulierung ist zugleich die prosaischste und gröbste Polemik gegen das Denkbeamtentum, wie es gerade in der Linken seit jeher praktiziert wurde. Wer am schönen Schein nicht hängt, sich nicht von ihm überwältigen lässt, der ist auch für die Kritik verloren, denn Kritik im wirklich emanzipatorischen Verstande kann nur aus einer Erfahrung erwachsen, die aus der idiosynkratischen Kränkung, die es bedeutet, dass die kapitalisierte Welt den schönen Schein, den sie selbst produziert, zunichte zu machen droht. Zentrum aller kritischen Anstrengung und einer ihr ebenbürtigen Praxis ist also etwas, das nicht „politisch“ ist, das nicht auf Bestätigung und Identität, sondern auf die Infragestellung des erkennenden Subjekts zielt und das nicht lern-, vermittel- oder organisierbar wäre. Bedürfnisse in dieser Richtung muss und wird materialistische Kritik verweigern oder sie gibt sich selbst auf. Auf unreglementierte Erfahrung, auf ihre Unabdingbarkeit lässt sich nur hinweisen – machen muss sie jeder Einzelne. (Nr. 49, 49)

In der gleichen Ausgabe wurde – ebenfalls verblüffend aktuell – die sogenannte Hochkultur gegen betroffen machendes Kunstgewerbe nicht nur verteidigt, sondern sogar Respekt ausdrücklich vor dem Kunstwerk eingefordert und nicht vor identitären und damit autoritären Kollektiven.

Das Zauberwort, auf das die endgültig apokalyptische Bewegung zur Herstellung einer welthistorisch verbürgten Endzeit verfallen ist, heißt schon lange nicht mehr Fortschritt. Die Liquidierung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und damit die Überantwortung der Einzelnen an die natürlichen Gesetze von Rasse, Religion und Kultur erfolgt im Zeichen von Respekt. Respekt kann man jemandem eigentlich nur in Hochachtung bestimmter Leistungen, die er hervorgebracht hat, erweisen. Diese Haltung ist, so sehr sie auch demütiger Ausdruck gegenüber einem Überlegenen ist, doch zugleich das Eingeständnis der eigenen Beschränktheit und damit durchaus zivilisatorische Erscheinung der gelungenen Bemeisterung infantiler Allmachtsphantasien, die sich allzu leicht in bilderstürmender Maßlosigkeit äußern. [...] Jemanden dagegen deswegen zu respektieren, weil seine Haut schwarz ist, sein Alter hoch, seine Nachkommenschaft zahlreich oder seine Bewegungsmöglichkeiten krankheitsbedingt eingeschränkt sind, ist dagegen völliger Unsinn, der keineswegs nur auf die missbräuchliche Verwendung des Wortes zurückgeht. Mehr als Vertretern der genannten Personengruppen zu attestieren, dass man sie auch mit ihren Besonderheiten als Gleiche in einer Assoziation der Gleichen anerkenne, ist eigentlich gar nicht möglich und schon gar nicht nötig, denn einen individuellen Verdienst, eine persönliche Leistung, die Bewunderung auslösen könnte, haben sie genausowenig vorzuweisen, wie die junge, weiße, deutsche, männliche, nichtbehinderte Mehrheit. Wer irgendwelchen autoritären Kollektiven zugunsten des immer utopischer anmutenden Anspruchs auf Gleichheit der Einzelnen in ihrer Differenz den drohend eingeforderten Respekt verweigern will, setzt sich notwendig der Frage nach den Voraussetzungen solcher Gleichheit aus. Darüber aber wird nicht verhandelt, im Gegenteil: wenn konservative Ideologen mit völlig unzureichenden Mitteln auch nur versuchen, das Problem auf die Tagesordnung zu setzen, indem sie etwa eine Leitkultur einfordern, geraten sie unter Faschismusverdacht. Statt ihnen nachzuweisen, dass sie irren, wenn sie unreflektiert irgendetwas vom christlichen Abendland und europäischer Gemeinschaft daherfaseln, dass sie die Idee des Weltbürgertums so gerade verraten, werden sie zu Tätern abgestempelt und den wirklichen Faschisten aus kollektiver Identität die Referenz erwiesen. (Nr. 49, 61 f.)

Mit linker oder sonstiger Politik war es vorbei und noch die öffentliche Intervention für Israel erwies sich als so prekär, dass die Bahamas sich 2007 veranlasst sah von einer als Großdemonstration angekündigten Mogelpackung ausdrücklich abzuraten, die sich allen Ernstes scheinbar nur gegen den damaligen iranischen Präsidenten Ahmadinedschad richtete, der als „der gefährlichste Politiker“ apostrophiert wurde. Diese „Nichtaufruf“ genannte Warnung vor einem gefährlichen Projekt hat der Bahamas, die auf den Zentralrat der Juden und die jüdischen Gemeinden bezogen den Begriff „organisiertes Judentum“ gebrauchte, zünftige Antisemitismusvorwürfe eingetragen. Identitär wurde es dort, wo man um der Solidarität mit Israel willen den Namen des jüdischen Staates wegen Vermittlungsproblemen zu meiden begann, um die Mitte der Gesellschaft, in Wirklichkeit aber die Juden in Deutschland, in eine brandgefährliche Konfrontation mit der herrschenden Politik zu zwingen, statt ohne jüdische Schutzschilder radikal gegen die deutsche Iran-Politik gerichtet, die eine israelfeindliche war und ist, eine dann notwendig kleine Demonstration zu veranstalten. Auf sich selbst und ihren gewähnten moderaten Anhang waren jene gar nicht jüdischen Betroffenheitspolitiker so sehr bezogen, dass sie scheinbar sich, in Wirklichkeit die irgendwie unwilligen deutschen Juden, mit dem Schopf aus dem Sumpf ziehen wollten. (Nr. 52, 41 bis 59)

Die Texte wurden länger und grundsätzlicher, ins Zentrum gerieten jene Radikalen, die bald wirklich die Mitte der Gesellschaft ausmachten, die damals schon mit Rasse, Klima und scheinbarer Staatskritik sich anschickten die Meinungsführerschaft zu übernehmen und 14 Jahre später die Macht im Volksstaat.

Über den Staat hingegen, wie ihn sich die Deutschen wünschen, bietet die Geschichte der RAF keine weiteren Erkenntnisse als die, die einem schon der Nationalsozialismus hätte nahelegen müssen. Darauf zu spekulieren, dass die Volksmassen kritisches Bewusstsein aus einer Demaskierung des Staates als mörderischer Repressionsmaschine schöpfen würden, war ohnehin illusorisch: hätte die BRD die Gefangenen tatsächlich liquidiert, was sie jedoch klugerweise dem zirkulären Wahn der Gefangenen selber überließ, hätte sie damit der Mehrheit ihres Volkes nur einen sehnlich gehegten Wunsch erfüllt. Wie überhaupt die Rede von der „Faschisierung des Staates“ unter Deutschen kein Argument gegen, sondern nur eines für den Staat sein kann. Auch den Resten der Protestbewegung verrieten die Maschinenpistolen, die rasterfahndende Polizisten verdutzten Autofahrern unter die Nase hielten, nichts, was man nicht längst bei all der in Gebrauch stehenden marxistischen und anarchistischen Phraseologien hätte wissen müssen: „Es ist das Paradox des deutschen Herbstes, dass nichts die Linke mehr um den Verstand brachte als die simple Tatsache, in Punkto Staat wieder einmal Recht gehabt zu haben. Zehn Jahre hatte sie gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung polemisiert und dabei vom Staat jede Gemeinheit erwartet, aber keine einzige befürchtet“ (Joachim Bruhn). Dass das Gewaltmonopol eben nicht nur der Pazifizierung der Gesellschaft dient, sondern zugleich den Ausnahmezustand sich vorbehält; dass der Ausnahmezustand mittlerweile die friedliche Öffentlichkeit gar nicht mehr suspendieren muss, sondern ganz flexibel mit ihr koexistiert, das wurde 1977 ganz offen bekräftigt. Genau vor dieser Einsicht sind allerdings alle davongelaufen. Heute noch fliehen gerade diejenigen panisch solcher Erkenntnis, die sich ansonsten am positivsten zur Neuen Linken und der RAF stellen: Es sind dies einerseits die grünen Demokratie- und Kommunikationstheoretiker, die am Mythos von der Demokratisierung qua Protestbewegung stricken und die die RAF als eine Irrung vom ansonsten richtigen Weg mit einbeziehen. In diesem Milieu wird seit 1977 mit Sankt Habermas Gewalt nicht nur zum Unwort erklärt, sondern noch die Existenz der Gewalt überhaupt geleugnet – sogar in den internationalen Beziehungen. So wurde 1977 auch zur Geburtsstunde der Friedensbewegung – nicht nur wegen der Aktualisierung der deutschen Grundbefindlichkeiten Nationalismus, Ökologismus und Antisemitismus, sondern auch aus purer Angst der linken Protagonisten, die Wahrheit über die Gewaltförmigkeit des Staates und die Gewaltförmigkeit des Verhältnisses von Staaten zueinander weiterhin zur Kenntnis nehmen zu müssen. Das kann im Ernstfall soweit gehen, dass die ehemalige Schleyer-Mitentführerin Silke Meyer-Witt heute als diplomierte Psychologin „Trainings for Peace“ im Kosovo anbietet. (Nr. 54, 54)

Mit dem bürgerlichen Staat hatte man weiterhin nichts am Hut, mit jenen aber, die ihn zugunsten einer dezidiert nicht-bürgerlichen Notstandsgemeinschaft überwinden wollten und wollen – und sei es wie jüngst im Zeichen von Zero-Covid – noch viel weniger.

Denn auch wo die bürgerliche Vergesellschaftung und mit ihr die realsozialistischen Gesellschaften nur negativ verhandelt und verworfen werden, klingt die so schwer diskreditierte Forderung nach der selbstbewusst organisierten Produktion und Verteilung notwendig nach: Nicht als Revolutionsprogramm und schon gar nicht als Handlungsanweisung für Überzeugungsarbeit bei den Massen, wohl aber im beständigen, durchaus negativen Beharren darauf, dass die Verhältnisse nicht mehr bereithalten als bestenfalls ihre Fortschreibung unter beständig unerfreulicheren Bedingungen. Das gilt noch für den Nachweis, dass der globalisierungskritische oder sonstwie autoritäre Ideologe der Revolution und die Apologeten der bestehenden Verhältnisse sich Zukunftsprogramme zurechtlegen, in denen der drohend fordernde Ruf nach Gemeinschaft und Zusammenhalt mit entsprechenden Feinderklärungen auf den Ausschluss unsolidarischer Elemente zielen, die bezeichnenderweise immer Ackermann und Zumwinkel heißen. Gegen solche Feinderklärungen wären die Gemeinten schon deshalb zu verteidigen, weil sie offen legen, warum man überhaupt arbeiten geht: nämlich um möglichst reich zu werden und nicht um der Gemeinschaft zu dienen. Das schwebt nämlich den scheinbaren Kritikern, die längst wieder beim Sozialismus der Deutschen Post (wie er vor der Ära Zumwinkel sich darstellte und die einst Lenin beflügelte) angekommen sind, wenn nicht gar bei Kim Il Sungs Juche-Ideologie. (Nr. 57, 28)