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Die Kunst der Freiheit.

Autonomie und Engagement nach Sartre und Adorno

 

Konferenz vom 30. September bis 2. Oktober in Wien

Programm und weitere Informationen unter:

www.sonntagsgesellschaft.org

 

Einladung

In Deutschland, so Adorno, laufe das Engagement vielfach auf „Geblök“ hinaus, auf das, was ohnehin alle sagen, oder wenigstens latent alle gern hören möchten. Im Gestus des Anredens stecke schon „heimliches Einverständnis“ mit den Angeredeten, die doch allein dadurch noch aus der „Verblendung“ zu reißen wären, dass man dieses Einverständnis aufsagt.

Dass es sich in Frankreich anders verhält, dafür stand einmal Jean-Paul Sartres Philosophie. Jenes Einverständnis zu kündigen, war ihr Engagement: Indem dieses Denken zunächst postulierte, der Mensch sei „nichts anderes als das, wozu er sich macht“ und die erste Absicht des Existenzialismus bestehe darin, „ihm die totale Verantwortung für seine Existenz aufzubürden“, stieß es all jene vor den Kopf, die sich auf „Ursachen“ für politische Verfolgung und Massenmord hinausreden wollten: Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit etc. Das heißt, Sartres Engagement suchte zu verhindern, dass der Nationalsozialismus nach seiner Niederlage endgültig triumphiert: im fanatischen Glauben an die Determiniertheit des Menschen. Dagegen wandte Adorno ein, solcherart Existenzialismus unterschlage die existierende Unfreiheit der Individuen in der modernen „Tauschgesellschaft“ – und die einzige Forderung, die ohne Unverschämtheit erhoben werden dürfe, „wäre die, daß der ohnmächtige Einzelne durchs Bewußtsein seiner Ohnmacht doch seiner selbst mächtig bleibe“.

Was Sartre und Adorno sich jeweils erwarteten von Literatur und Kunst, Film und Musik, war von diesem Gegensatz in der Auffassung der Freiheit bestimmt. Adorno verlangte eine ästhetische Autonomie, in der die Ohnmacht des Einzelnen radikal zum Ausdruck kommen könnte, Sartre eine engagierte Literatur, die das Individuum jederzeit als das zeigt, wozu es sich macht, und damit verantwortlich für diese Gesellschaft. Durch die Fronten des Kalten Kriegs und die politischen Auseinandersetzungen um 1968, die auch Sartres Blick in vieler Hinsicht trübten, sind diese Fragen eigenartig verstellt worden: die Autonomie einer modernen, abstrakten, avantgardistischen Ästhetik des Westens wurde dem Engagement einer an politische Parteien und soziale Bewegungen gebundenen, realistischen Gebrauchskunst entgegensetzt. So hatten Strukturalismus und Poststrukturalismus leichtes Spiel, die Frage von Freiheit und Unfreiheit als Scheinfrage des Subjekts mit diesem selber zu entsorgen. Wird aber heute Engagement und Autonomie in der Kunst zum Thema, so entsteht der Eindruck, es handle sich um Spielereien, die der Kulturindustrie um nichts nachstehen. Autonomie wird nicht mehr als Form begriffen, in der allein die Unfreiheit des heteronomen Individuums erscheinen kann; und Engagement stößt niemanden mehr vor den Kopf, sondern hämmert meist den Köpfen ein, was ohnehin die Mehrheit denkt: dass die „Globalisierung“, die von den USA und vom Westen betrieben werde, alles determiniere und die eigentliche Ursache des Terrorismus sei; der „Staatsterrorismus“, den Israel ausübe, der Kern des Problems sei.

Einst brachte Kafka die Staatsräson des „Realen Sozialismus“ in Bedrängnis, und Brecht wurde im Westen verhindert. Nun fährt Peymann mit der Mutter Courage zu einem Gastspiel des Berliner Ensembles nach Teheran, wo die Auslöschung Israels beschlossene Sache ist, und Robert Redeker, Redaktionsmitglied von Sartres Temps Modernes, muss mitten in Europa wie im Untergrund leben, weil er den Islam kritisiert hat. War es für Sartre noch Gewissheit, dass man keinen guten Roman zum Lob des Antisemitismus schreiben könne, versuchte es dreißig Jahre später Martin Walser, und das zustimmende „Geblök“ ließ nicht auf sich warten. Und wenn eine aufgebrachte Menge von Antizionisten die Vorführung des Films Pourquoi Israël von Claude Lanzmann verhindern will, nimmt es wie von allein gewaltsame Formen an – so geschehen in Hamburg im November 2009.

Der Antisemitismus entspricht, wie Sartre und Adorno wussten, dem Hass auf alles Individuierte, den beide zu spüren bekamen; im Antisemitismus offenbart sich, was man vom Individuum hält und dass man jederzeit bereit ist, es der „Meute“ (Deleuze) auszuliefern, die als Abstammungs- und Glaubensgemeinschaft auftritt. Für diesen „Tod des Subjekts“ findet man dann in der Ideologie der multikulturellen Gesellschaft den geeigneten Ansprechpartner. Dem falschen Universalismus heutiger „Wutbürger“ aber, der sich durch Bestseller wie Der kommende Aufstand und Empört Euch! anheizen lässt, wird die Konferenz einen Begriff von Weltliteratur entgegensetzen, der dem einzelnen Individuum nicht bloß als abstrakt Gleichem, vielmehr in der Evokation seiner Leiblichkeit – und das heißt: Verletzbarkeit wie Lust – zum Ausdruck verhilft. Nur durch diese im Ausdruck, in der ästhetischen Form festgehaltene Erfahrung lässt sich überhaupt verhindern, dass Versöhnung, Freiheit, das uneingelöste Glücksversprechen der bürgerlichen Gesellschaft … zu Phrasen werden. „Wie kann ein Ganzes sein, ohne dass dem einzelnen Gewalt angetan wird“ – so formulierte Adorno einmal die Frage „aller Musik“: es ist auch die Frage allen Engagements.

Die Konferenz will die Fragen, die Adorno und Sartre stellten, wieder freilegen, und dabei zugleich an ihre Auffassung und Analyse von Literatur, Kunst und Musik anknüpfen. Kontroversen und Werkbetrachtungen sollen klären, ob heutige ästhetische und politische Differenzen mit Sartres und Adornos Kategorien aufgeschlüsselt werden können.

Sonntagsgesellschaft

Wien, im Juni 2011

 

 

 

Programm:

Freitag, 30. September 2011
Studio Molière, Liechtensteinstraße 37, 1090 Wien

18:00 Uhr
Die Kunst der Freiheit

Begrüßung: Jean-Claude Crespy, Kulturattaché, Institut Français de Vienne

Einleitung und Moderation:
Renate Göllner, Joel Naber

Ein Abend mit
Chahdortt Djavann
Autorin, Paris, Frankreich
Boualem Sansal
Autor, Bourmedès, Algerien

Samstag, 1. Oktober
VOLKSHOCHSCHULE HIETZING (Hofwiesengasse 48)

10:00 – 12:30 Uhr

Begrüßung: Robert Streibel, Direktor der VHS Hietzing

1. Podium: Flaubert, Sartre, Adorno: Begriffsbestimmungen
Tjark Kunstreich (Moderation): Gegenwart, Epoche und Neurosenwahl bei Flaubert und Sartre
Vincent von Wroblewsky (Berlin): Situation und Subjekt
Manfred Dahlmann (Freiburg/Brsg.): Ästhetik, wozu? Adornos "Vorrang des Objekts" als notwendige Basis vernünftigen Engagements

14:00 – 15:30 Uhr
2. Podium: Kunst vs. Engagement?
Jan-Georg Gerber (Leipzig): Mit Benjamin gegen Adorno - Kunst, Recycling, Entsorgung
Magnus Klaue (Berlin): Désengagement. Vom Veralten eines Begriffs
mit Rücksicht auf Celan, Enzensberger und Adorno
Moderation: Gerhard Scheit

16:00 – 17:30 Uhr
3. Podium: Das Ressentiment gegen das Kunstwerk
Till Gathmann (Leipzig): Hot shit. Bildende Kunst heute.
Joel Naber (Berlin/Wien): Das Subjektive als schmutzige Phantasie. Zur Tabuisierung der individuellen Erfahrung in der Kunst
Moderation: Justus Wertmüller

18:00 – 19:30 Uhr
4. Podium: Ästhetische Erfahrung im Krisenzusammenhang
Irene Lehmann (Berlin): Das Engagement der Form. Unverständlichkeit als politisch-ästhetische Kategorie in den Kompositionen Luigi Nonos
Clemens Nachtmann (Graz): Autonomie als Programm. Über die Anfänge der neuen Musik bei Beethoven und Berlioz
Moderation: Gerhard Scheit

Sonntag, 2. Oktober
INSTITUT FRANÇAIS DE VIENNE ( Währinger Straße 30)

10:00 – 12:30 Uhr
5. Podium: Der Kitsch, die Kunst, das Grauen. In Erinnerung an Esther Marian
Lesung Esther Marian (1977–2011): Das Pfeifen im Walde. Über Kracauer und Adorno
Niklaas Machunsky (Köln): Utopie oder Dystopie. Zeit und Raum der Gesellschaftskritik
Philipp Lenhard (München): Liebe als Einspruch. Über Nadeem Aslams Portraits islamischer Gesellschaften
Moderation: Ljiljana Radonic

14:00 – 16:30 Uhr
6. Podium: Lanzmann vs. Godard
Christoph Hesse (Berlin): Lanzmann içi et Godard ailleurs
Gerhard Scheit (Wien): „... ihr habt den Tod gehasst.“ Claude Lanzmann und die Darstellung politischer Gewalt
Alex Gruber (Wien): „Palästina strebt nach Unabhängigkeit, wie das Kino.“ Jean-Luc Godards Engagement gegen die Filmindustrie
Moderation: Elisabeth Uebelmann

17:00 – 18:30 Uhr
7. Podium: Der (anti)autoritäre Charakter in der Literatur
Florian Ruttner (Wien): „Schlafwandler“ und „gebrochener Zombie“. Autoritärer Charakter und bürgerliche Subjektivität bei Hermann Broch und Boualem Sansal
Karl Weidenau (Gießen): „Der Name der neuen Religion ist UNTERWERFUNG.“ Ideologiekritik und Ethnopluralismus im Werk Salman Rushdies
Moderation: Manfred Dahlmann

19:00 – 20:30 Uhr
8. Podium: Das Individuum und die Weltliteratur
Robert Redeker: Das Verschwinden der Innerlichkeit des Subjekts: Das Ende der Literatur?
Justus Wertmüller (Berlin): Die Weltliteratur und ihre Feinde
Moderation: Renate Göllner und Joel Naber

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