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Vortrag & Diskussion in Köln

mit Clemens Nachtmann
Montag, 8. Dezember, 19:30 Uhr.
Fachhochschule Köln

Mevissensaal, Claudiusstraße 1, 50678 Köln.

 

Autonomie als Programm

Über die Anfänge der neuen Musik

bei Beethoven und Berlioz

Musikwissenschaftler denken einen ihrer bevorzugten Gegenstände, die Musik in der Epoche der harmonischen Tonalität, ebenso wie die Ökonomen den ihren, die Wirtschaft: nämlich als ein „an sich“ harmonisches Ganzes, in dem alle Widersprüche sich am Ende gegenseitig ausgleichen und der deswegen nur durch äußerliche, „hinzutretende“, Faktoren in die Krise geraten kann. Die harmonische Tonalität jedoch ist gerade kein mit sich identisches, in Selbstbestätigung verharrendes, sondern ein nicht-identisches, seine eigene Auflösung vorantreibendes System musikalischer Beziehungen: eben ein fundmentaler Krisenzusammenhang. Wenn Ludwig van Beethoven in seiner Musik nach einer zentralen Beobachtung Adornos „Tonalität aus subjektiver Freiheit reproduziert“, dann führt dieses reine musikalische Auskonstruieren elementarer tonaler Grundbestimmungen deshalb virtuell und doch bereits hörbar bereits an die Grenzen jener Tonalität, die als solche dann am Ende des 19.Jahrhunderts tatsächlich außer Kraft gesetzt wird.
Auf der Musik Beethovens liegt der erste Schwerpunkt des Vortrages, weil sie einen musikgeschichtlichen „point of no return“ und virtuell bereits den Umschlagspunkt zur musikalischen Moderne markiert. In der 3.Symphonie, der sogenannten „Eroica“, namentlich im ersten Satz, gelingt es der Kunstform Musik, am Beginn des bürgerlichen Zeitalters zum ersten Mal in der Geschichte das ungeschmälert einzulösen, was doch seit jeher eine ihrer Grundbestimmungen ist, „weiterzugehen, ein Neues zu werden, sich zu entwickeln… Seit Musik existiert, war sie der wie immer auch ohnmächtige Einspruch gegen Mythos und immergleiches Schicksal, gegen den Tod selber.“ (1) In Beethoven etabliert sich ein neues emanzipatorisches Zeitgefühl und Zeitbewußtsein, das nichts Gesetztes – kein Motiv, kein Thema, keinen Klang – unbefragt stehen und sich ausbreiten läßt, sondern es durch „Arbeit“ zur fortwährenden Entäußerung, zum permanenten Gestaltwandel anstachelt; was der Musik qua Existenzform als Zeit-Kunst ohnehin zukommt, wird hier auskomponiert: ihr Prozeßcharakter, der nur deswegen an ein Ende kommt, weil die Musik nun einmal auch aufhören muß, „an sich“ jedoch auch weitergehen könnte. Musik wird hier aus ihrer materialen Beschaffenheit heraus, nicht durch Parolen, Programme oder ihr äußerliche weltanschauliche Behauptungen zu einer Spiegelung gesellschaftlicher Vorgänge, indem sie diese überschreitet: einem Spiegel der bürgerlichen Gesellschaft, die nach Marx nur existieren kann, indem sie ihre eigenen Produktionsbedingungen fortwährend umwälzt.
Radikal prozeßhafte Musik, wie sie in Beethovens „Eroica“ auf unwiderstehlichste Weise realisiert ist, befreit die Musik von dem ihr konstitutiv fremden Zwang zum Verharren und bringt das musikalische Material zum ersten Mal „zu sich selbst“ – und kann doch ihr Versprechen auf Befreiung nicht wirklich halten, da der Prozeßcharakter letzten Endes nicht vom musikalisch Einzelnen ausgeht und dieses nicht wirklich vermittelt, sondern ihm äußerlich angetan wird. Prozeßhafte Musik bedarf daher der immanenten Selbstkritik dort, wo sie entgegen dem eigenen Versprechen, den Zwangscharakter musikalischer Statik nicht überwindet, sondern ihn bloß dynamisiert und so zu einer Art „rasendem Stillstand“ gerät. Als solche Selbstkritik, die bereits in bestimmten Werken Beethovens laut wird, kann die Musik Franz Schuberts und Hector Berlioz´ gehört und gelesen werden: sie beide bewahren den von Beethoven etablierten Stand der Musik gerade dadurch, daß sie ihn nicht konservieren, sondern ihn eingreifend verändern. In Berlioz´ Musik, deren Reflexion den zweiten Schwerpunkt des Vortrages bildet, explodiert die musikalische Moderne „im Nu“ noch auf dem Boden der Tonalität. In seiner Musik wird die prozeßhafte Entäußerung des Transzendentalsubjekts in der Zeit, dessen Apologie Beethoven betreibt, durchsichtig aufs empirische Subjekt, wie die literarischen „Programme“ zur seiner Musik bezeugen – ein Subjekt, das die Zeit nicht mehr als linear fortschreitende und sinnerfüllte, sondern als eine Folge von Schocks und disparaten Ereignissen erlebt, die Berlioz etwa mit höchst avancierten musikalischen Schnittechniken und kühnen Überblendungen verschiedener Zeitmaße auskomponiert. Insbesondere in seiner Stellung zur Zeit ist Berlioz seiner Zeit weit voraus und deshalb so gut wie Beethoven, den er beerbt, ein Zeitgenosse. Die Musik beider ist, wie darzustellen sein wird, eine „mit Jetztzeit erfüllte“.

(1) T.W.Adorno, Strawinsky. Ein dialektisches Bild, in: ders. Gesammelte Schriften 16, Frankfurt a.M. 1997, S.387.

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