Vortrag und Diskussion in Bonn
Am Dienstag, den
22. April, um 20:00 Uhr
Hörsaal 8, Hauptgebäude Uni Bonn
Mit Murat Yörük
Die
türkische Krise
Über Recep
Tayyip Erdoğan, Fethullah Gülen und die Aktualität der Rackettheorie
Stets
dann, wenn es im Staat kriselt, dieser aber noch nicht im Begriff ist zu
zerfallen; immer dann, wenn der Ausnahmezustand noch nicht ausgerufen ist, sehr
wohl aber alle Staatsbesessenen meinen, der Sieg gehöre bereits ihnen; dann
wird gewiss an vorderster Front um die Eroberung des Staates gebuhlt und längst
haben dann Banden – also Rackets – geflissentlich im Staatsapparat und diesem
nahestehenden Institutionen sich eingenistet, um zumindest zu erbeuten, was zu
holen ist, wenn schon die Phantasmagorie eines neo-osmanischen Imperiums nicht
verwirklicht werden kann. So haben die Ungeister der vermeintlich überwundenen
Vergangenheit, die die kemalistische Revolution mit
ihrer schlechten Aufhebung des Osmanischen Reiches in die Türkische Republik
nicht beseitigen konnte, schleichend in den vergangenen zwölf Jahren den Umbau
der laizistisch-kemalistischen Gesellschaft in eine reislamisierte vollziehen können. Allerdings ist die neue
islamisch-kemalistische Elite in eine legitimatorische Krise geraten. Die jüngst zu Tage
getretene Korruptionsaffäre, die die Patronage der AKP-Regierung mit ihren
wohlgesonnenen islamistischen Wirtschaftskreisen offenlegte, zugleich aber die
seit den Gezi-Protesten im letzten Sommer andauernde
Staatskrise, bestätigen zumindest den vor einigen Jahren vom Journalisten Ahmet
Sɪk
geäußerten Verdacht: dass sich Anhänger
des islamistischen Predigers Fethullah Gülen
insbesondere im Polizei- und Justizapparat eingeschleust und wichtige
Schaltstellen im Staatsapparat für sich eingenommen haben. Zwar konnte
Sɪk
diesen Verdacht der islamistischen
Unterwanderung des Staates nie umfänglich belegen, gleichwohl trug er viele
Hinweise in seinem schon vor der Veröffentlichung beschlagnahmten Buch „
İmamɪn
Ordusu“
(dt.: Die Armee des Imam) zusammen, die diesen Verdacht wohl nun erhärten
lassen. Spätestens, nachdem die Zusammenarbeit zwischen den Gülenisten
und Erdogan-Anhängern, nach ihrem zuvor gemeinsam errungenen Triumph über die
alte kemalistisch-laizistische Elite, endgültig aufgegeben
wurde, streiten sich die einst paktierenden Rackets um Erdogan und Gülen offen
um nicht bloß Staatsposten und Petitessen. Worum es in diesem Streit im
türkisch-islamistischen Lager geht, der seit drei Monaten täglich Neues zu Tage
fördert und wie doch das vermeintlich denkbar Unmögliche möglich geworden ist –
nämlich die Gleichzeitigkeit von unmittelbarer und vermittelter Herrschaft in
der Türkischen Republik –, das gilt es im Vortrag nebst den bereits jetzt
folgenreichen Konsequenzen für die türkische Gesellschaft zu klären.
Eine
Veranstaltung des Referats für politische Bildung.
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