Ablauf der Ereignisse ist bekannt: Anfang März gab der Bürgermeister von Tröglitz im südlichen Sachsen-Anhalt, dem wohl unappetitlichsten Bundesland der Republik, seinen Rücktritt bekannt. Er hatte in den Wochen zuvor versucht, einen pragmatischen Umgang mit der Entscheidung des Landesverwaltungsamtes zu finden, 40 Asylbewerber in dem 2.800-Seelen-Kaff unterzubringen. Vor allem hatte der Bürgermeister – ein gelernter Pfarrer – an die Nächstenliebe der Tröglitzer appelliert. Seine Schäfchen wollten jedoch nicht viel davon wissen: Der Bürgermeister, seine Frau und seine Kinder wurden bedroht, die NPD marschierte regelmäßig durch den Ort und meldete auch eine Kundgebung vor seinem Haus an. Aus der Bevölkerung erhielt er nur wenig Beistand. Der Mann legte sein Amt nicht zuletzt deshalb nieder, weil er seine Familie schützen wollte und ihm auch das Landratsamt kaum Unterstützung zukommen ließ. Sein Rücktritt nützte ihm leider wenig: Er und seine Nächsten stehen seitdem rund um die Uhr unter Polizeischutz.
Schon nach diesen Vorfällen wurde bundesweit über Tröglitz berichtet. Anfang April wurde schließlich ein Brandanschlag auf das Haus verübt, in das die 40 Flüchtlinge im Mai ziehen sollten. Zwei Mietern, deren Wohnung sich ebenfalls in diesem Haus befindet, geschah glücklicherweise nichts. Sie konnten das Gebäude rechtzeitig verlassen. Nach dem Anschlag geriet Tröglitz endgültig ins Zentrum des überregionalen Interesses. Fast alle großen Zeitungen berichteten über das Nest im Burgenlandkreis, Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) und sein Mann fürs Grobe, Innenminister Holger Stahlknecht (CDU), gaben in Dauerschleife Kommentare zu Tröglitz ab. Politiker aller Parteien bemühten die Floskel, dass sie „betroffen“, „schockiert“ und „fassungslos“ seien, Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), der sich für keinen Dialog am Trog zu schade ist, fuhr sogar selbst in den Burgenlandkreis.
Die Empörung über die Vorkommnisse von Tröglitz war ebenso gerechtfertigt wie verlogen. Selbstverständlich muss den örtlichen Gegnern der Asylbewerberunterkunft zu verstehen gegeben werden, was in Sachsen-Anhalt noch nicht so recht angekommen zu sein scheint: (1.) Man hat Menschen auch dann nicht zu bedrohen, wenn sie anderer Meinung sind. (2.) Man hat selbst dann keine Häuser anzuzünden, wenn einem die potentiellen Bewohner nicht passen. Darüber hinaus ist es mehr als richtig, die wenigen vernünftigen Menschen vor Ort zu unterstützen: Das ist viel zu wenig geschehen. Auch ist es nicht verkehrt, Tröglitz als das Nazikaff zu denunzieren, das es ist: „Lieber braun als vollkommen farblos“, ist das Motto zahlloser Städte und Dörfer im Osten.
Weil das aber nicht erst seit Tröglitz bekannt ist, muss niemand so tun, als wäre nicht damit zu rechnen gewesen, dass sich eine ausländerfeindliche Meute zusammentut, wenn Asylbewerber in einem x-beliebigen Drecksnest im Osten untergebracht werden sollen. Dorfgemeinschaften sind nirgends Horte der Aufklärung; diesseits der ehemaligen Zonengrenze ist es aber in der Regel noch etwas schlimmer als anderswo. Allein die Penetranz, mit der die sachsen-anhaltische Politprominenz und die professionelle Zivilgesellschaft vortragen, dass es sich beim Fall Tröglitz nicht um ein Ostphänomen handelt, signalisiert, dass sie es insgeheim besser wissen. Keine Frage, selbstverständlich gibt es auch in den alten Bundesländern Fremdenfeindlichkeit. Auch dort gibt es Proteste gegen Asylbewerberunterkünfte. Der Unterschied besteht jedoch sowohl in der Qualität als auch in der Quantität. Um das zu wissen, braucht man keine großen Rechenkünste. Umgerechnet auf die Bevölkerungszahl gibt es im Osten drei Mal so viele fremdenfeindliche Übergriffe wie im Westen. Der Ausländeranteil in den alten Bundesländern ist allerdings mindestens fünf Mal so hoch wie in den neuen. Das bedeutet, dass es für einen Ausländer in Sachsen-Anhalt fünfzehn Mal gefährlicher ist als z.B. in Hessen. Wenn Ministerpräsident Haseloff angesichts solcher Zustände behauptet, dass Fremdenfeindlichkeit ein „bundesweites Problem“ sei, will er somit vor allem Imagepflege für den gespenstischen Landstrich betreiben, dem er seit 2011 vorsteht. Die professionellen Antirassisten, die ihm beipflichten, wollen die eigene Arbeit hingegen bedeutungsvoller erscheinen lassen.
Ein mindestens ebenso großer Skandal wie das Verhalten vieler Tröglitzer ist angesichts der Verhältnisse im Burgenlandkreis, wo sich die Nazis wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser bewegen können, darum der Beschluss, überhaupt Asylbewerber in einer so menschenfeindlichen Gegend unterzubringen. Die Gründe für diese Entscheidung liegen auf der Hand: Im Unterschied zu den Neunzigerjahren werden Ausländer von den Vertretern der etablierten Parteien zwar auch im Osten inzwischen als Bereicherung wahrgenommen – Gyros ist leckerer als Bockwurst, Salsa spannender als Disco-Fox. Außerdem hat man mittlerweile gelernt, dass die deutsche Wirtschaft und das einheimische Sozialsystem auf Zuwanderer angewiesen sind. Wenn sie massenhaft und als arme Schlucker auftreten, werden sie jedoch als Störfaktor empfunden. Aus diesem Grund werden sie mit Vorliebe dort einquartiert, wo es billig ist und wohin sich die politische Klasse und der sie stützende Mittelstand nur ungern verirrt: in den Hartz-IV-Regionen, die nicht nur aufgrund langer Traditionen besonders verroht sind, sondern auch, weil das zwangsweise Leben am Existenzminimum die Menschen nur selten umgänglicher macht.
Eine andere Entscheidung der Landesregierung steht dem Beschluss, Asylbewerber ausgerechnet in den Abbruchgebieten des Landes unterzubringen, in keiner Weise an Perfidie nach. So haben Tröglitz und seine Nazis durch ihre Kampagne gegen den Bürgermeister, Morddrohungen gegen den Landrat und den Brandanschlag auf die geplante Asylbewerberunterkunft mehr als glaubhaft zu verstehen gegeben, dass sie ihren neuen Nachbarn das Leben zur Hölle machen werden. Zwar mag die vor kurzem angekündigte Videoüberwachung des Hauses weitere Brandanschläge verhindern können. Kameras sind aber kaum dazu in der Lage, Flüchtlinge vor Anfeindungen und Bedrohungen auf dem Weg zur Schule oder in die örtliche Konsum-Verkaufsstelle zu schützen.
Dennoch deklamierte Ministerpräsident Haseloff kürzlich in Martin-Luther-Pose, sich nicht von dem Plan abbringen lassen zu wollen, Asylbewerber nach Tröglitz karren zu lassen: „Wir werden keinen Schritt zurückweichen.“ Durch diese „Jetzt-erst-recht“-Haltung versucht die Landesregierung, die antifaschistische und antirassistische Staatsräson der Berliner Republik auch in der ostdeutschen Provinz durchzusetzen. Damit ist im Grunde alles über diesen Antifaschismus gesagt: Seinen Vertretern geht es weniger um die Unversehrtheit der Asylbewerber als um „unsere Demokratie“, von der Haseloff kürzlich in markigen Worten rhabarberte. Die Flüchtlinge sind damit vor allem eins: Manövriermasse bei der Selbstpräsentation eines Bundeslandes, das endlich auch zum neuen Deutschland gehören möchte und sich darum nicht von Nazis erpressen lassen will. Auf Kosten der Asylbewerber soll mit aller Macht gezeigt werden, dass Deutschland insgesamt mit seiner Vergangenheit gebrochen hat.
Um sowohl den Einheimischen als auch der Landesregierung in die Parade zu fahren, werden wir Anfang Mai, zu dem Zeitpunkt, zu dem die Asylbewerber ursprünglich eintreffen sollten, in Tröglitz demonstrieren. Wir solidarisieren uns trotz der politischen Differenzen, die es sicher gibt, nachdrücklich mit dem ehemaligen Bürgermeister des Ortes. Zugleich verzichten wir darauf, dem Tröglitzer „Ausländer raus!“ die beliebte Wohlfühlparole „Refugees welcome!“ entgegenzusetzen. Flüchtlinge sind im Burgenlandkreis ganz offensichtlich nicht willkommen; wer es mithilfe dieser Parole trotzdem suggeriert, der handelt verantwortungslos.
Keine Asylbewerber nach Tröglitz! Dezentrale Unterbringung in einem lebenswerten Viertel der Großstadt ihrer Wahl!
Wir wissen natürlich, dass der Irrsinn auch in den urbanen Mittelstandsregionen keine Seltenheit ist, sondern oft nur eine andere Ausprägung erhalten hat als auf dem platten Land. Aber zumindest in der Öffentlichkeit geht es in der Regel weniger handfest zu als im Burgenlandkreis. Und das ist bereits viel wert. Damit die Tröglitzer Nazis nicht vollkommen als Sieger aus der Sache hervorgehen, schlagen wir zusätzlich vor, dass der Ministerpräsident, dem der einzelne Asylbewerber nichts, die Staatsräson alles ist, für den Rest seiner Tage selbst ins südliche Sachsen-Anhalt zieht. Lebenslang Tröglitz & lebenslang Haseloff – das sollte für beide Seiten Strafe genug sein.
Antifaschistische Gruppen Halle, 4/2015
Demonstration „Raus aus der Scheiße, rein in die Stadt!* -
Tröglitz denen, die’s verdienen!“
Informationen zu Mobilisierungsveranstaltungen, Anreise usw.:
http://rausausderscheisse.tumblr.com/
https://www.facebook.com/raus.aus.der.scheisse
* Zeitz, Merseburg, Weißenfels, Bad Kösen, Querfurt, Naumburg usw. sind trotz ihres Stadtrechts natürlich nicht wirklich Städte – zumindest dann nicht, wenn man von der schönen alten Vorstellung „Stadtluft macht frei“ ausgeht.
Frühere Aktivitäten sind im Aktuell-Archiv aufgeführt. Dort gibt es auch einige Audio-Aufnahmen.
Alle bisher erschienenen Ausgaben der Bahamas finden Sie im Heft-Archiv jeweils mit Inhaltsverzeichnis, Editorial und drei online lesbaren Artikeln.