„Die Versuche, Souveränität zu gestalten, blieben vielfältig, und sie waren unterschiedlich erfolgreich. Dies lädt dazu ein, die gegenwärtigen Verhältnisse in Europa nicht einfach als Abweichung von der nationalstaatlichen Norm zu betrachten, sondern als Ergebnis einer dynamischen Weiterentwicklung, für die eine angemessene Begrifflichkeit erst noch gefunden werden muss. […] Die EU ist weder ein Bundesstaat im Werden noch ein Imperium und schon gar nicht ein Großraum, der von einem Zentrum dominiert wird. Sie bildet eigene Formen von Staatlichkeit aus – und zwar in einem dynamischen Transformationsprozess, der noch nicht an seinen Endpunkt gelangt ist“ – so denkt es in der Zeitung für Deutschland. (FAZ, 18.08.15) Allerdings, so ließe sich ergänzen, ist der gesuchte Begriff historisch längst gefunden: Im Begriff des Nationalsozialismus als der negativen Aufhebung bürgerlicher Nationalstaatlichkeit und dem Versuch, im Ausnahmezustand die „Aufweichung von Erstarrungen und Verkrustungen“ zum Zwecke der „Bildung neuer nationalpolitischer Gemeinschaften“ (Joseph Goebbels) zu erlangen.
Im habermasianisch beseelten akademischen Ideologensprech jener Pro-Europäer, die zwar ständig von einer anzustrebenden „politischen Union“ daherreden, deren postnationale Vorstellungen aber kein europäisches Gewaltmonopol kennen können und wollen, äußert sich die für jede europapolitische Debatte typische Verdrängung von Souveränität. In dieser wirkt nach, dass Europa durch einen gewaltsamen Eingriff von außen von der deutschen Vorstellung einer Einigung Europas befreit werden musste. So verlängert dieser Irrsinn den des institutionellen Gefüges der EU noch und landet nicht zufällig stets beim kommunikativen Appeasement gegenüber islamischer Gegenaufklärung und der Anklage eines „anachronistischen“ bürgerlichen Nationalismus amerikanischer oder israelischer Prägung, der eine strukturell doch der Befreiung harrende Welt in ihrem Fortschritt hindere.
Weiter links zeigt man sich unterdessen um radikal klingende Staatskritik bemüht, unterscheidet sich jedoch beispielsweise in Frankfurt von dem offiziellen Motto des Landes Hessen für die Jubiläumsfeierlichkeiten zur Deutschen Einheit – „Grenzen überwinden“ – im Slogan „Grenzen abschaffen – Deutschland überwinden!“ nur noch graduell in der Bewertung deutscher Staatlichkeit. So hat es dort zuweilen den Anschein, als missbrauche man die nach Europa Geflüchteten als vermeintliche Avantgarde einer postnationalen Ordnung, während die eigene Rolle bei der Modernisierung deutscher Ideologie gar nicht mehr in den Blick gerät.
Warum es den Vorstellungen eines „transnationalen“ Europas ohne einigenden Souverän, der Forderung nach der sofortigen Abschaffung aller Grenzen unter den fortdauernden Bedingungen von Staat und Kapital oder der Sehnsucht nach dem autarken Volksstaat gegenüber darauf ankäme, die europäische Krise mit den Augen des Westens zu sehen, wie sich nicht zuletzt an der Debatte um die sog. „Griechenlandkrise“ im vergangenen Jahr zeigen lässt, soll Gegenstand des Vortrags sein.
Frühere Aktivitäten sind im Aktuell-Archiv aufgeführt. Dort gibt es auch einige Audio-Aufnahmen.
Alle bisher erschienenen Ausgaben der Bahamas finden Sie im Heft-Archiv jeweils mit Inhaltsverzeichnis, Editorial und drei online lesbaren Artikeln.