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Vortrag & Diskussion in Frankfurt

Mittwoch, den 11. April 2018, 19:00 Uhr
Norbert-Wollheim-Platz 1, 60323 Frankfurt
IG Farben Haus, Raum IG 411

Täter „aus verlorener Ehre“

Die tschetschenischen Sitten und ihre Vollstrecker in Deutschland

mit Nicole Jesen

November 2016, Senftenberg im Süden Brandenburgs. Rashid D. sticht 19 mal auf seine 25-jährige Ehefrau ein, wirft sie anschließend aus dem Fenster der gemeinsamen Wohnung im zweiten Stock, folgt ihr noch auf die Straße, um der Schwerverletzten dort vor den Augen der Nachbarn die Kehle durchzuschneiden. Polizisten gegenüber sagt der Tschetschene später aus, der Koran habe ihm das Recht gegeben, seine Frau, die er des Ehebruchs bezichtigte, zu töten. Im Juni 2017 wird sich der zuständige Richter am Cottbusser Landesgericht gegenüber der ideologischen Deformation des Täters empathisch zeigen und den angeklagten Rashid D. lediglich wegen Totschlags und nicht wegen Mordes verurteilen. Als Begründung gibt der Richter an, Eifersucht stelle für den Angeklagten keinen „niedrigen Beweggrund“ (ein notwendiges Mordmerkmal) dar und schafft mit dieser kulturrelativistischen Subjektivierung rechtlicher Normen einen Präzedenzfall.

April 2017, Tschetschenien im Südwesten der Russischen Föderation. Im Zuge einer staatlich organisierten Verfolgungswelle werden Hunderte (vermeintlich) homosexuelle Männer gefangen genommen, zum Teil über Wochen in ehemaligen Militärlagern festgehalten und gefoltert, mehrere erliegen noch vor Ort ihren Verletzungen. Die Homosexuellenverfolgung ist in der islamischen Republik kein neues Phänomen. Doch diese Verfolgungswelle unterschied sich von den vorangegangenen darin, dass es den Tätern nicht wie sonst um die Erpressung der Opfer ging, sondern um die „Säuberung des tschetschenischen Blutes“, wie der tschetschenische Präsident Ramzan Kadyrow in einem Interview mit HBO sagte. Bis heute dauern die Verhaftungen und Folterungen an, auch wenn sich das Regime seit Mitte vergangenen Jahres bemüht, zumindest einen rechtsstaatlichen Schein zu wahren, indem es den Opfern inszenierte Verbrechen anlastet.

Der Vortrag wird der Frage nachgehen, wie es dem Kadyrow-Klan in der ehemaligen sowjetischen, bis heute unter russischer Hoheit stehenden Republik möglich war, ein islamistisches Gewaltregime zu errichten, in dem von staatlicher Seite „Ehrenmorde“ propagiert, Zwangsverheiratungen unterstützt und Gewaltexzesse gegen Homosexuelle organisiert werden. Zudem soll vor dem Hintergrund des religiös-konservativen Backlashs seit dem Ende der Sowjetunion nach einer Erklärung für das stillschweigende Tolerieren dieser Zustände durch die russische Öffentlichkeit und Politik gesucht werden. Am deutschen Umgang mit den geistigen Brüdern Kadyrows, die die tschetschenischen Sitten auch nach Deutschland tragen, wird exemplarisch dargestellt, wie sich eine pazifistisch begründete Kultursensibilität notwendigerweise immer auf die Seite der Täter „aus verlorener Ehre“ schlägt.

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