Anfang Mai 2019 wurde eine ältere Dame öffentlich homophob durchs Dorf getrieben, weil sie am Rande einer Konferenz über das islamische Kopftuch an der Frankfurter Universität eine streitbare, mithin Hidjab tragende muslimische Feministin „angefasst“ habe. Niemandem wollte auffallen, dass dieses Anfassen, das ja unter muslimischen Frauen dauernd stattfindet, nicht irgendeiner westlich orientierten Journalistin und Buchautorin zum Vorwurf gemacht wurde, sondern einer islamkritischen Frauenrechtlerin, die nie einen Hehl daraus gemacht hat, dass sie lesbisch ist. Dass die homophob aufgeladenen Unterstellungen einiger Front-Musliminnen überhaupt Gegenstand einer Debatte, z. B. in der Zeit und im Tagesspiegel wurden, und dass man deren Ressentiment als berechtigten Einspruch gegen die verbalen „Übergriffigkeiten“ Alice Schwarzers wertschätzt, ist nicht Ausdruck des Denkens, sondern einer entfernt an Geschichtsphilosophie gemahnenden Übereinkunft, die das Denken schon liquidiert hat.
Das kommt nicht von ungefähr und ist keinem bestimmten politischen Lager zuzuordnen. Revolutionäre und konservative Fatalisten halten es mit Wolfgang Schäubles Diktum: „Wir liegen immer falsch, wenn wir die Veränderungen, die stattfinden, nicht akzeptieren wollen. Wir müssen mit den Veränderungen leben und versuchen, sie zu gestalten. Wir können nicht den Gang der Geschichte aufhalten. Alle müssen sich damit auseinandersetzen, dass der Islam ein Teil unseres Landes geworden ist.“ (WAZ, 31.3.18). Die Islamisierung als notwendige und unbedingt zu akzeptierende Folge des Weltlaufs ist deshalb die Pointe der Aussage, weil im gegenwärtigen Islam wie nirgends sonst statthat, was das globalistische Bedürfnis sich herbeiwünscht: die Konvergenz von Transnationalisierung und Retribalisierung, Entgrenzung des Nationalstaats und Grenzenlosigkeit autoritärer Fürsorge.
Gegenstand des Vortrags ist die Frage, warum der Weltgeist von Hegel und Marx auf den Koran und die Globalisierung verfallen ist und die Folgen solcher Neuorientierung als unabwendbares Schicksal von „uns allen“ verhandelt werden. Hatten die Alten noch von der Vervollkommnung des Menschengeschlechts geträumt und dafür zur Revolution aufgerufen, so geht es den Jungen schon nicht mehr um die Menschheit, geschweige denn ihre bislang höchste Erscheinungsform in der bürgerlichen Nation, sondern um die Rücknahme des Begriffs des Allgemeinen, zugunsten einer fortschreitenden Partikularisierung von Gesellschaft in immer kleinere Identitäten. Das lässt sich am Zerfall der Schwulen- und Lesbenbewegung in ein dauernd sich vermehrendes Konglomerat einander sich wüst befehdender sexueller Kollektiv-Identitäten beobachten.
Hinter einem notwendig autoritären identitären Weltbild, deren Träger nicht Gegenstand der Diskussion, sondern des unhinterfragbaren Respekts sein wollen, lauert eine grenzen- und schrankenlose Gewalt, vorgestellt in einem menschenfeindlichem Etwas, das nicht mehr als Schöpfung gedacht und mit humanem Sinn ausgestattet wird, sondern als feindliche Natur, die mit ihrem drohenden Klimawandel ihren Tribut angeblich von uns allen einfordert. Gemeint ist eine noch einzurichtende gnadenlose Welt, die ganz unsentimental dem Survival of the Fittest huldigt.
Es wird also nur am Rande um den Islam gehen, dafür umso mehr um eine Lust am Untergang, die sich gegen Abweichler richtet, die als rückwärtsgewandte Bremser denunziert werden, weil sie dem Rad der Geschichte in die Speichen greifen wollen.
Eine Veranstaltung der Initiative Kritik und Intervention