War was? Anders, als es die aufgeregten ersten Reaktionen vermuten ließen, ging Deutschland nach dem antisemitischen Terroranschlag auf die Synagoge in Halle, bei dem Stephan Balliet zwei Menschen ermordete, schnell zur politischen Tagesordnung über. Bald war allenfalls noch von Interesse, wie sich das Attentat für den Thüringer Landtagswahlkampf gegen die AfD und deren bereits absehbaren Wahlerfolg unter Björn Höcke benutzen ließ — ein Unterfangen, das wenig überraschend keinerlei Erfolg verzeichnete. Der Kampf gegen rechts und der gegen den Antisemitismus sind in Zeiten des Staatsantifaschismus zu einer Werbeveranstaltung verkommen, mit der weder der AfD noch dem weit verbreiteten antisemitischen Ressentiment beizukommen ist. „Es hilft nur emphatische Aufklärung, mit der ganzen Wahrheit, unter striktem Verzicht auf alles Reklameähnliche.“, bemerkte Adorno bereits 1962. „Vergessen Sie nicht, daß die Abwehrmechanismen, mit denen wir zu rechnen haben, außerordentlich fein alles Reklameähnliche registrieren und eliminieren“.
Sehr schnell war die Rede nach den obligatorischen Auftritten, Kranzniederlegungen und Mahnwachen vor Synagogen, die bereits oft genug den Charakter hatten, dass hier etwas für statt mit den Juden getan werde, nur noch allgemein von „Hass“ oder Rechtsradikalismus, um vom Antisemitismus schweigen zu können. Bundeskanzlerin Merkel hatte bereits am Abend des Anschlags in einem bizarren Auftritt vor der Neuen Synagoge in Berlin, bei dem ausgerechnet eine aufgelöste Sawsan Chebli neben ihr stehen musste, „Jüdinnen und Juden“ als Außenstehende bezeichnet, die lediglich unter dem Schutzschirm der Diversität das bunte Deutschland mit Klezmer, koscheren Restaurants und sonstiger Folklore beglücken dürfen: „Ich möchte ihnen versichern, dass wir alles tun, damit sie weiter unser gemeinsames Leben bereichern können“.
Die gewaltige Erleichterung darüber, dass es dem antisemitischen Mordbrenner nicht gelungen war, Juden zu töten, sondern „nur“ zwei Deutsche, ermöglichte es nicht nur einem deutschen Landesinnenminister, den frechen Juden über den Mund zu fahren. Auch in dem gemeinsamen Interview, dass Der Spiegel mit dem ehemaligen Außenminister Gabriel und dem noch amtierenden Ministerpräsidenten Haseloff führte, schwadronierte ersterer vom „Glück im Unglück“, da ein Massaker in der Synagoge „die internationale Sicht auf Deutschland“ verändert hätte. Konkrete Juden, die nur knapp einem antisemitischen Massaker entronnen sind, interessieren Deutsche in ihrem Kampf gegen Antisemitismus herzlich wenig, sondern jüdische Gemeinden sollen als bereicherndes „jüdisches Leben“ die Staffage im Bild des moralisch geläuterten Deutschlands abgeben.
Der Vortrag soll der Frage nachgehen, wie eine Kritik des Antisemitismus jenseits staatsantifaschistischer Propaganda aussehen könnte. Der eliminatorische Hass auf Juden und ihren Staat lässt sich nicht fein säuberlich in linken, rechten und islamischen aufspalten, was immer auch dem Zweck dient, die mörderische Kontinuität jedes Antisemitismus zu verwischen. Entgegen jeder Extremismustheorie liegt der Kern der antisemitischen Kontinuität dort, wo der Nationalsozialismus massenhaft Zuspruch erlangte und wo man vorgibt, Israels Sicherheit zur Staatsräson zu erklären bzw. wegen Auschwitz in die Politik gegangen zu sein: in der Mitte der Gesellschaft.
Veranstaltet von der Lübecker Initiative für Aufklärung & Kritik