SPALTE1-HEFT-BILD-TITLE
SPALTE1-HEFT-TITEL
Heft SPALTE1-HEFT-NUMMER / SPALTE1-HEFT-JAHRESZEIT
Abonnieren / Bestellen

Linke Realitätsflucht

Nachfolgend das Eröffnungsstatement von Sören Pünjer zur Podiumsdiskussion „Linke Perspektiven auf die AFD“, die am 26. Juli 2024 in Leipzig stattfand.

Werte Zuhörer,

bevor man, wie der Titel dieser Podiumsdiskussion lautet, linke Perspektiven in Bezug auf die AfD umreißt, sollte man klären, aus welchen Perspektiven heraus die reale Linke sich mit dieser Partei beschäftigt. Es geht um das ideologische Sehvermögen einer Linken, die sich seit der Jahrtausendwende dramatisch transformiert, besser: post-modernisiert hat – nicht zuletzt ablesbar an der Selbstzerstörung der Linkspartei, die auf Bundesebene stark mit dem Namen der langjährigen Vorsitzenden Katja Kipping verbunden ist und lokal in Leipzig mit dem Namen der Szene- und Subkulturpolitikerin Juliane Nagel, nicht aber mit dem Namen der langjährigen Chefin der Linken-Bundestagsfraktion, Sahra Wagenknecht. Um es mit Springers Welt zu sagen: „Die alte Linke schaffte sich ab. Die extreme Rechte versucht, das ideologische Vakuum zu erobern. Die soziale Frage wird zum Schlachtfeld mit Feindkontakt, wer sich dorthin wagt, muss wie Wagenknecht damit rechnen, als `rechtsoffen´ gebrandmarkt zu werden.“ (10.3.2023)

Diese neulinke respektive postmoderne Verdächtigung, die jedem, der die soziale Frage zum Gegenstand von Politik machen will, eine offene Frage nach rechts unterstellt, erfolgt nicht etwa aus dem nach wie vor richtigen Grund, der immer noch eine antideutsche Basisbanalität zu sein hätte, dass seit dem 25-Punkte-Programm der NSDAP von 1920 die Nazis sich nicht zufällig Sozialisten nannten und der NS-Staat ein Sozialstaat war; dass also, wie man an den hässlichen Ressentiments des Bündnisses Sarah Wagenknecht (BSW) gegen reiche und in der Zirkulationssphäre tätige Volksschädlinge idealtypisch ersehen kann, in Deutschland die soziale Frage stets zugleich genauso rechts- wie linksoffen war und ist. Der neulinke Verzicht darauf, die soziale Frage auch nur zu stellen, drückt sich in letzter Zeit in der vorherrschenden Ideologie des sogenannten Intersektionalismus aus, die aus dem einst das Subjekt immerhin selbstermächtigenden Klassenkampf eine entmündigende Jammerveranstaltung aus der reinen Opferperspektive namens „Klassismus“ gemacht hat. Dieser neulinke Verzicht auf die soziale Frage kennt statt der guten alten Marxschen Kritik im Handgemenge nur noch das moralisierend-identitäre obsessiv minderheitenfixierte Rumjammern, das sich Empowerment nennt und das an finstere Stalinzeiten gemahnende sich mit ihm verbindende denunziatorische Prinzip der Kontaktschuld. Dem postmodernen Denunzieren und Diffamieren als rechtsoffen liegt ein linker Elite- und Herrschaftsdünkel zugrunde, der nichts mehr mit altem linken Avantgardedenken tun hat, sondern sich in der Hauptsache nicht mehr vom Staatsantifaschismus unterscheidet und deshalb jede Antifa-Demo, ob gewollt oder ungewollt, zur Drecks- und Zuarbeit für Haldenwangs Verfassungsschutz und Faesers Innenministerium macht. Das sage ich hier im Wissen davon, dass der Osten insbesondere in der Provinz die Sonderbewusstseinszone geblieben ist, deren an ihrer Scholle selbstbewusst klebenden Bewohner sich kollektiv als Deutsche zweiter Klasse halluzinieren, was die Linkspartei, als sie noch PDS hieß, unter Gregor Gysi so sehr gehegt und gepflegt hat, dass die AfD, zugespitzt gesagt, die linke Saat der 1990er Jahre heute nur noch als ihre Ernte einzufahren braucht, die ihr als ärgster Konkurrent mit Anspruch auf linkes Copyright gegenwärtig nur das BSW streitig macht.

So wie die Antifa heute nur noch Vorfeldorganisation des Verfassungsschutzes und des Bundesinnenministeriums ist und zuweilen auch noch stolz darauf ist, ereilte die Antifas ein substantieller Verlust an linker historischer Urteilskraft über das Phänomen AfD und die gesellschaftlichen Bedingungen, die sie hervorgebracht haben. Bei den Genossen von der Leipziger Interventionistischen Linken, kurz IL, führt das dann in einem Redebetrag vom 8. Juni dazu, dass man in Deutschland allen Ernstes einen „grassierenden Faschismus“ ausmacht und die AfD im verräterischen Jargon des Verfassungsschutzes zur „gesichert rechtsextremen Neonazipartei“ erklärt. (interlinkeleipzig.noblogs.org)

Solch infantil-dümmliche und deshalb gefährliche Verharmlosung des Nationalsozialismus, die den der Höckes und Gaulands noch übertrifft, steht für eine linke Begriffslosigkeit, in der jedwede Faschismustheorie durch reine Moral ersetzt wurde. Das Deutschland des Jahres 2024 faschistisch zu nennen und die AfD eine Nazipartei zeugt nicht nur von Realitätsverlust – das ist linke Realitätsflucht. Zum Selbstverständnis der IL Leipzig heißt es auf deren Seite: „Wir wollen […] den revolutionären Bruch mit dem Bestehenden“. (ebd.) Wenn man aber offensichtlich nicht einmal bestrebt ist, dieses Bestehende verstehen zu wollen und an die Stelle des Strebens nach der gesellschaftlichen Wahrheit zum Zwecke ihrer Kritik nur noch NS-Verharmlosung betreibt, dann ist, um auf den Titel dieser Veranstaltung zurückzukommen, eine solche linke Perspektive auf die AfD Teil des Problems und nicht der Lösung.

SPALTE3-AKTUELL-RUBRIK

SPALTE3-AKTUELL-DATUM


SPALTE3-AKTUELL-TITEL


SPALTE3-AKTUELL-TEXT

Frühere Aktivitäten sind im Aktuell-Archiv aufgeführt. Dort gibt es auch einige Audio-Aufnahmen.


Zum Aktuell-Archiv

Alle bisher erschienenen Ausgaben der Bahamas finden Sie im Heft-Archiv jeweils mit Inhaltsverzeichnis, Editorial und drei online lesbaren Artikeln.


Zum Heft-Archiv

Reprint Band 2

A1 Plakat

Für Israel

gegen die postkoloniale

Konterrevolution

Zum Shop

Reprint Bände

Reprint Bände

Nachdruck von

jeweils 10 Heften

Zum Shop

Buch von Justus Wertmüller

Verschwörungen

gegen das

Türkentum

218 Seiten, 15 €

Zum Shop

Bahamas Stofftasche 38 x 40 cm

Stofftasche

38 x 40 cm

Zum Shop

Ansteckbutton 25 mm

Ansteckbutton

25 mm

Zum Shop