Dienstag, 14. Februar 2006, 19:00 Uhr
Über die Unruhen in den französischen Vorstädten und die „Ideale der Republik“
Was war eigentlich im Oktober und November 2005 in den französischen Trabantenstädten los? Alle glauben, die Antwort zu kennen: Ausgegrenzte Jugendliche, die arm und arbeitslos in heruntergekommenen Vorstädten ein Leben bar jeder Perspektive fristeten, hätten ihrem Frust endlich einmal Luft gemacht. Im Grunde seien die brennenden Autos, Schulen, Busse und Kitas sowohl Ausdruck des Protests gegen eine interesselose und häufig rassistische Mehrheitsgesellschaft wie auch ein Schrei nach Hilfe gewesen.
Schuld an der Gewalt habe der Staat, der bekommen habe, was er verdiene, läßt die Jungle World im November eine Bewohnerin der Banlieues in einem Interview sagen. Eine merkwürdige Sichtweise: Bekommen hat schließlich weder der Staat noch sonstwer etwas. Den Nachbarn der Randalierer wurde vielmehr etwas genommen: ihre Autos verbrannt, ihre Arbeitsplätze z. T. ebenfalls durch Feuer vernichtet, und die Schulen, in die sie bisher ihre Kinder geschickt hatten, wegen Brandschäden auf unbestimmte Zeit geschlossen. Und verdient haben sie alle, die sie selber arm und migrantischen Hintergrundes sind, das doch sicher nicht. Genausowenig verdient haben immer mehr Frauen und Mädchen aus den Vorstädten, daß ihre Brüder und Nachbarn sie unter handfester Anwendung islamischen Tugendterrors aus der Öffentlichkeit und unters Kopftuch zwingen. Eher unverdient erscheint auch, daß die letzten weißen Einzelhändler aus den Vierteln rausgemobbt oder Bewohner der Cités am hellichten Tag in ihren Wohnungen überfallen und ausgeraubt werden. Ganz und gar unverdient ist das Los Hundertausender, die unter der Willkür krimineller Banden leben müssen, denen es gelungen ist, die Gesetze der Republik und die öffentliche Ordnung in ihren Vierteln ganz oder weitgehend außer Kraft zu setzen.
Zu berichten, was wirklich los ist in den sogenannten Problemvierteln, in denen im letzten Herbst die Gewalttätigkeiten ausbrachen, wird zentraler Gegenstand des Vortrags sein. Beantwortet werden sollen Fragen wie: Wer wohnt dort eigentlich? Was hat sich in den 15 Jahren seit der ersten größeren Randale bei Lyon verändert? Wie funktionieren Ökonomie und Gesellschaft in weitgehend „befreiten“ Zonen? Welche Rolle spielt das organisierte Verbrechen und welche der Islam? Und vor allem: Wer sind die eigentlichen Opfer?
Zwei Kritiker, die vorgestellt werden sollen, seien schon einmal genannt: Das sind einerseits die „ersten Generalstände der Frauen und Mädchen aus den Vorstädten“, die an die französische Republik unter anderem diese Forderung gerichtet haben: „Schluß mit der Rechtfertigung unserer Unterdrückung im Namen eines Rechts auf Differenz und des Respekts für jene, die uns zwingen, uns zu unterwerfen“, also die Frauenorganisation Ni putes ni soumises. Und da ist Alain Finckielkraut, der für seine Aussage, die Randale in den Banlieues sei „ein einziges Pogrom gegen die Republik“ gewesen, vom umtriebigen Frankreichkorrespondenten der Jungle World und Konkret schleunigst als mit Israel solidarischer Rechtszionist entlarvt wurde.
Vortrag von Justus Wertmüller mit anschließender Gelegenheit zur Diskussion
Dienstag, 14. Februar 2006, 19:00 Uhr
Marx & Moritz, Oranienstraße 162, 10999 Berlin
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