„Ich würde mir sehr wünschen, daß des Holocaust wesenhaft gedacht würde.“Moshe Zuckermann, 2002
Verehrter Leser!
Sie befinden sich einen Steinwurf weit entfernt vom Heinrichplatz und nur 200 Meter in der anderen Richtung liegt das Jugendzentrum TEK. Sie wollen sich differenziert informieren, ohne ideologische Scheuklappen, Auschwitzkeulen und allem, was der antideutsche Ungeist sonst noch im Angebot hat und stoßen dabei auf ein Problem: Ihnen werden „zweierlei Israel“ zur Diskussion gestellt, aber für diese Differenzierung will sich so recht keiner interessieren. Zumindest jene nicht, die eines sommerlichen Freitag Abends Mitte Juni mit Pali-Tüchern vermummt auf den Heinrichplatz gezogen sind, um dort „Tod dem Zionismus“ und „Nieder mit Israel!“ zu skandieren und eine Israelfahne zu verbrennen; aber auch jene gut 200 Zuschauer dieses Events, die vor den Heinrichplatzkneipen ihr Bier tranken und belustigt zuguckten, scheinen keinen allzu ausgeprägten Differenzierungsbedarf gehabt zu haben. Es scheint in Kreuzberg nur ein Israel zu geben, jenes, dessen Symbole man verbrennt und dessen Unterstützter man zusammenzuschlagen gewillt ist. Das sind zum Beispiel jene jungen Männer, die sich im TEK seit Jahren regelmäßig treffen und vorzugsweise Kettchen in der Form des britischen Mandatsgebiets Palästina in den Grenzen von 1948 tragen, ganz in den palästinensischen Farben. Die wissen, daß es nur ein Israel gibt: ein Gebilde nämlich, das von der Landkarte zu verschwinden hat.
Sie zucken mit den Schultern und fragen sich, was um alles in der Welt das mit Ihnen zu tun haben soll. Schließlich ist das Existenzrecht Israels für Sie eine Selbstverständlichkeit. Wo aber sind Sie, wenn die regelmäßigen Besucher der TEK, einer deutsch-arabischen Freundschaftsgesellschaft mit dem Namen Revolutionäre Kommunisten (RK) mit Knüppeln und Messern bewaffnet sich als Kiezmiliz aufführen? Ist Ihnen der Umstand, daß eine ordinäre Schlägertruppe damit befaßt ist, den Kiez zionistenfrei zu halten, irgend ein Nachdenken wert? Gewiß, solches Agieren lehnen auch Sie ab. Allerdings, so werden Sie einwenden: Von ungefähr kommt es ja nicht. Wie der ganze Kiez, der den Antizionisten Ströbele direkt in den Bundestag gewählt hat, glauben auch Sie, daß die RK-Jugendlichen erst zur Waffe griffen, seit auch in Kreuzberg politische Manifestationen für „einseitige“ Pro-Israel-Solidaritätskundgebungen „instrumentalisiert“ werden. Natürlich, so werden Sie einräumen, war das aggressive Verhalten der RK-Leute unverhältnismäßig, als sie die Freunde Israels, die auf dem CSD-Umzug Israelfahnen schwenkten, angriffen, beschimpften und bedrohten. Aber was hat diese Fahne denn auch auf einer Schwulendemo zu suchen, fragen Sie sich empört und haben auch schon die Antwort parat: Nichts. Was die Gruppe queer.for.israel dazu zu sagen hat, das haben Sie noch nicht einmal gelesen.
Einerlei Israel, da sind Sie sich sicher, gibt es eben hüben wie drüben. Die einen übertreiben es mit den „an sich“ berechtigen Forderungen der Palästinenser nach einem eigenen Staat maßlos und wollen den israelischen nicht anerkennen, die anderen dagegen mißachten die Rechte des palästinensischen Volkes und machen sich gemein mit den Regierungen Scharon und Bush. Da machen Sie, die Sie es sich zwischen allen Stühlen gemütlich eingerichtet haben, nicht mit: Da halten sie es mit Hermann Gremliza und Thomas Ebermann; die sind mit Israel solidarisch, aber mit dem besseren, dem friedlichen und versöhnlichen, und nicht mit der Regierung. Das andere, das nicht-zionistische Israel soll es sein, die Kriegsdienstverweigerer, Friedensinitiativen und eben Moshe Zuckermann. Mit denen wollen Sie ins Gespräch kommen und nicht mit dem offiziellen Israel, das von „Bulldozer“ Scharon, der US-Presse und hierzulande vom öffentlich-rechtlichen „Großinquisitor“ Michel Friedmann repräsentiert und von antideutschen Trittbrettfahren auch noch unterstützt wird.
Zweierlei Anständigkeit
Wer aber wie Hermann Gremliza mit der Beschwörung eines „anderen Israel“ den rettenden Kniff gefunden zu haben glaubt, um einer klaren Parteinahme für den Staat Israel aus dem Weg zu gehen, der irrt sich. Es gibt nicht zweierlei Israel, sondern nur den einen jüdischen Staat, wie er in all seinen Widersprüchlichkeiten vor uns steht. Möge sich ein schöneres Israel wünschen, wer will – an der Tatsache, daß die Mehrheit der Bewohner dieser Welt von allen Staaten nächst den USA immer Israel als den Feind des Friedens sieht und dort ein Apartheidssystem und institutionalisierten Rassismus auszumachen glaubt, daran kommt keiner vorbei. Ebensowenig läßt sich der Umstand leugnen, daß die Bedrohung dieses Staates aktuell weniger militärisch durch seine Nachbarn als ideologisch durch eine feindselig zusammenrückende Weltgesellschaft herrührt, daß die UNO und die NGOs, die islamischen Staaten und die Mehrheit der Staaten der „Dritten Welt“ zusammen mit old Europe immer offener daran arbeiten, Israel die Souveränität zu nehmen. Ein wenig seltsam ist es darüberhinaus schon, daß die neuen Verhandlungen, die das Ende der Selbstmordattentate, die Installierung eines brüchigen Friedens und vielleicht sogar die Begründung palästinensischer Teilsouveränität zum Ergebnis haben könnten, nicht nur der Regierung Scharon, sondern zu einem erheblichen Teil der Politik der USA nach dem 11.09.2001 zu danken ist. Erst die militärischen Niederlagen, des Islam-Faschismus in Afghanistan 2002, und des panarabischen Nationalchauvinismus im Irak 2003 haben das Selbstmörderkollektiv Palästina so sehr ernüchtert, daß politische Bewegung entstehen kann und eine road map zwar nicht zum ewigen Frieden, aber möglicherweise zu halbwegs erträglichen Zuständen im Nahen Osten führen kann. Man darf davon ausgehen, daß alle auf dieser Veranstaltung Versammelten dies wissen und sich dergleichen pragmatische Fortschritte auch wünschen – auch Hermann Gremliza, der zwar den Präsidenten der USA nach dem 11.09.2001 als „Barbaren in Zivil“ und Schlimmeres tituliert und dessen Vorhaben, eines der übelsten Regime im Nahen Osten zu beseitigen, nicht begrüßt hat, nach dem erfolgreichem Waffengang gegen den Irak aber plötzlich so tönt: „Nie war die Chance eines für beide Seiten erträglichen Arrangements zwischen Israel und Palästinensern größer.“ (konkret 07/03)
Zweierlei Berufene
Auch kann man davon ausgehen, daß jeder, der heute zu dieser Veranstaltung geht, weiß, daß der Star des heutigen Abends eine öffentliche Funktion in Deutschland hat. Moshe Zuckermann taucht mit Sicherheit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, auf dem offen antizionistischen BUKO oder als Gewährsmann irgendwelcher Jungle-World-Autoren immer dann auf, wenn man sich einer klaren Parteinahme für Israel entziehen will. Zuckermann, bis vor wenigen Jahren noch eine eher randständige Erscheinung in der Welt des postmodernen Diskurses, war eine steile Karriere in den deutschen Medien beschieden – und zwar pikanterweise seit der Ausrufung der zweiten Intifada, als der palästinensische Antisemitismus das Fanal zum Endkampf setzte. Als die menschlichen Bomben in Serienproduktion gingen und alles, was jüdisch ist, mit in den Tod zu reißen begannen, als mitten in der Intifada und unmittelbar vor dem 11.09.2001 die Weltgemeinschaft (ohne die USA) in Durban den Bannfluch über Israel sprach, wg. Rassismus und Apartheid, saß der Experte Zuckermann neben anderen deutschen und palästinensischen Experten auf den Fernseh-Sofas und sprach ganz ausgewogen gegen Israel. Diesmal war es die bürgerliche Öffentlichkeit, die mit schlechtem Beispiel voranging, während die Linken noch etwas zögerten, bis auch sie beherzt zugriffen; bis es allerdings zum Einzug Zuckermanns in die Hamburger Ruhrstraße kommen konnte, bedurfte es noch vierer zu Bomben umfunktionierten Flugzeugen, 3000 Toten in Manhattan und Washington und einer klaren Reaktion der amerikanischen Regierung.
Die intellektuelle Unredlichkeit von Hermann Gremliza, die ihn auf den Zuckermann kommen ließ, und aus einem verläßlichen Freund Israels einen der vielen halbherzigen Bekräftiger des Existenzrechts des jüdischen Staates machte, setzte genau dann ein, als das Agieren der USA und das Überleben Israels nicht mehr voneinander zu trennen war; als sich erwies, daß die Feinde Israels von denen der USA nicht mehr zu unterscheiden waren. An jenem Punkt, an dem man zwei Kriege der USA hätte befürworten müssen, um der Hoffnung auf Besserung der Verhältnisse im Nahen Osten und um des Schutzes Israels willen, und zwar aus dem Wissen heraus, daß gegen die islamische Internationale und ihre europäischen Freunde ein Antifaschismus geboten ist, den wirkungsvoll derzeit nur die USA und Großbritannien garantieren können – an genau jenem Punkt schreit Hermann Gremliza und schreien mit ihm viele bis dahin proisraelisch eingestellte Linke: Hilfe! Und wer kann schon helfen als einer, der sich dafür hergibt, den besseren Möllemann zu machen, und von dem zum Beispiel folgende Sätze stammen: „Der Antisemitismus muß bekämpft werden, ohne dabei aber von der Kritik an Israel, wo immer sie real berechtigt ist, abzulassen.“ (Zuckermann in Berliner Zeitung 31.5.02) und: „Israel betreibt seit Jahrzehnten ein brutales Okkupationsregime, unterdrückt die Palästinenser und verhindert ihre nationale Selbstbestimmung. Jeder anständige Mensch muß diese historisch unabweisbare Realität verurteilen.“ (ebd.)
Diese von Zuckermann so inständig bemühte „Anständigkeit“, die es gebiete, Israel zu kritisieren, hat bekanntlich auch den verewigten Möllemann dauernd umgetrieben. Zu klären bleibt freilich, warum so viele selbsterklärte Israelfreunde sich den Spruch lieber von Zuckermann oder Gremliza aufsagen lassen und die Pali-Freunde den gleichen Satz lieber aus dem Munde Möllemanns oder Karslis hören wollen. Der Unterschied ist etwa so groß wie der zwischen einem Leser der Jungen Welt und einem der Jungle World. Beide sprechen einander Radikalität und Kritikfähigkeit ab und denunzieren sich gegenseitig. Sie tun es wie Platzhirsche allein um den Gewinn der Hegemonie über die deutsche Linke willen. Die ist inzwischen aber so sehr verstaatlicht, daß einer vom Staatspersonal genauso wie die linke „Opposition“ pace schreit, wenn der Irak befreit wird und beide deuten zusammen vorwurfsvoll auf den eigentlichen Konfliktherd in der Region: Israel, das Land, das ein „Okkupationsregime“ aufrecht erhält und das „Selbstbestimmungsrecht“ des palästinensischen Volkes mißachte. Das einigt alle Deutschen und in dieses Kollektiv der Israel-Kritiker aus Anständigkeit reihen sich nun auch, bestens verproviantiert mit den Worten des Nicht-Zionisten Zuckermann, die letzten Israelfreunde von Gewicht in der deutschen Linken mit ein: Herausgeber und Autoren der Zeitschrift konkret. Ihr Recht auf Kritik, da sind sie sich als gestandene Antiimperialisten sicher, lassen sie sich von niemanden nehmen, seien es nun alliierte Besatzer, die Springer-Presse oder antideutsche Kommunisten. Insofern ist der Veranstaltungsort zwischen TEK und Heinrichplatz mit Bedacht gewählt worden.
Und sie wissen, mit wem sie da reden. Mitdiskutant Thomas Ebermann etwa schrieb, daß man in Deutschland „nicht gegen die je konkrete Regierungspolitik (Israels) demonstrieren“ könne, ohne „der in Deutschland überaus beliebten These, daß die Welt schlecht und die Juden kaum besser als die Nazis seien, Zucker zu geben.“ (konkret 5/02) Sprach’s und entschied sich, nicht den Nazis Zucker, sondern der deutschen Linken den Zuckermann zu verabreichen. Der hat als israelischer Jude für deutsche Ebermänner die gleiche Funktion wie Martin Walser für Gerhard Schröder, der schon vor zwei Jahren wußte, daß ein deutscher Schriftsteller etwas gegen die Instrumentalisierung von Auschwitz sagen könne, ein deutscher Bundeskanzler aber nicht. Ebermann: „Man kann, wenn man kritisch über die Politik Israels diskutieren will, das nur in einer seminaristischen Atmosphäre tun. Ich kann zum Beispiel Moshe Zuckermanns Aufsätze der jüngsten Zeit studieren. In ihnen kommt ein Verständnis für palästinensisches Leid, auch für Zorn, zum Ausdruck, das ich teile. Und er und seine Weggefährten (...) verfechten eine Option, die das sicherste Leben für Juden in Israel ermöglichen könnte.“ (ebd.)
Die Transformation des Judenmordes
Es ist immer dasselbe: ist die Linke bankrott, liquidiert sie nicht ihr Geschäft, sondern investiert in Theorie und Seminarismus, um sich über die Runden zu retten. Anleihe nimmt dabei gerne an Koryphäen, denen das Zertifikat für Seriosität schon erteilt wurde; wie gut, daß es im Falle Israels einen gibt, dem der Ruf vorauseilt, Marxist, ja sogar ein Vertreter der kritischen Theorie zu sein. Ein Streifzug durch zwei Bücher Moshe Zuckermanns, die anscheinend nur von Leuten gelesen werden, die schon vorab wissen, daß die Welt schlecht und die Juden kaum besser als die Nazis seien, möge zum Beleg dafür dienen, daß Zuckermanns Theorie nicht kritisch und sein Marxismus offensichtlich ohne Kenntnis des Klassikers auskommt. Bereits 1999 hat Zuckermann einem entscheidungsschwachen Ich, das sich vier Jahre später gegen die deutsche Friedensbewegung und gegen den amerikanischen Krieg ausgesprochen hat, einige schöne Vorschläge gegen allzu bedrängende Beschäftigung mit der Vernichtung der europäischen Juden gemacht: „Die nur schwer zu fassende ,Vergangenheit‘ (...) öffnet sich (...) immer konträren Interpretationen. Im Gegensatz zu seinem fundamentalen Streben nach klarer Entscheidung sieht sich (...) das gequälte Gedächtnis des Kollektivs dem Bann der Ambivalenz ausgesetzt.“ („Zweierlei Holocaust“ 1999, nachfolgend ZH, S. 9) Ist der Zwang zur Entscheidung für oder gegen Israel wegen Auschwitz einmal erschüttert, öffnet sich die Welt der großen Erzählungen, die, im kollektiven Gedächtnis verankert, keine Wahrheit, sondern nur Auskunft über den Sprechort geben können. Vor diesem Hintergrund erscheint die bekannte Formel plausibel: Was den Juden ihr Holocaust ist, ist für die Palästinenser ihre Flucht und Vertreibungsgeschichte, die sie als Naqba überhöhen und der Judenvernichtung gleichberechtigt an die Seite stellen. „Da die akkumulative Kristallisierung des Kollektivgedächtnisses (...) als Erzeugnis, zugleich aber auch als wirkender Bestandteil einer historisch gewachsenen gesellschaftlichen Praxis fungiert, sortiert, wählt und verdrängt das Gedächtnis ,unliebsame‘ – zuweilen höchst bedeutsame – Teile des Vergangenen aus dem vorherrschenden Bewußtsein des Kollektivs.“ (ebd) Die Vernichtung der Juden wird folgerichtig zum intellektuellen wie sprachlichen Unort in einem postmodernen Geschwätz zurechtgemacht, in dem es letztlich nur noch darum geht, daß Gewalt von Menschen über Menschen immer irgendwie ungut sei. „Den Holocaust – gerade in seiner historischen Einmaligkeit und Unvergleichbarkeit – kann man einzig als ein dichotomes Paradigma menschlicher Existenz, als eine die Symbolisierung der permanenten Bedrohung dieser Existenz widerspiegelnde Matrix und als eine sittliche Entscheidung erinnern. (...) Der Holocaust ist die objektivierte Essenz des Grundverhältnisses zwischen Mördern und Gemordeten, zwischen Verbrechern und ihren Opfern, er symbolisiert den Höhepunkt der von Menschen über Menschen in Gang gesetzten Repression (...).“ (S. 34) „Gemeint ist nicht eine in politische Handlung umgesetzte Erinnerung, die das Verhältnis von ,Gewalt‘ und ,Opfer‘ durch Gewaltzunahme der (potentiellen) Opfer, sondern gerade durch die Abschaffung von Gewalt auszugleichen bestrebt ist, und zwar durch die Herstellung von Verhältnissen, die ihrem Wesen nach sich der Gewalt entledigten.“ (S. 74) Mancher erinnert sich, daß ein gewisser Norman Finkelstein mit seinem Buch „Holocaustindustrie“ vor drei Jahren einen deutschen Bestseller gelandet hat, der ein wenig anrüchig war. Wenn man heute sagen will, daß die Israelis die deutsche Vernichtungstat für ihr brutales und völkerrechtswidriges Vorgehen gegen die Palästinenser instrumentalisieren, dann geschieht das zur Vorsicht in Form eines ausgewachsenen Hirnschwurbels. Etwa so: „Das Bedürfnis nach einer Definition, wo aus historisch-soziologisch realen Gründen keine Definition möglich ist, bricht an Stellen durch, wo ,das andere‘ in die eigene Lebenswelt eindringt. Das Ressentiment ist eine real dokumentierte Empfindung (...). Das Problem der heteronomen Bestimmung ist, daß sie das Negative so sehr braucht, daß sie dazu neigt, daraus einen Fetisch zu machen.“ („Zweierlei Israel“, 2003 nachfolgend ZI, S. 74) Soll ungefähr heißen: „Ob (...) eine echte Umwälzung der ideologischen Fundamentalmatrix der israelischen Holocaust-Erinnerung stattfindet, eine Umwälzung im Sinne einer universal ausgerichteten und eben nicht partikularistisch verengten, heteronom vereinnahmten Erinnerung, womit endlich an einer wahrhaften jüdischen Tradition des Gedenkens der Opfer um ihrer selbst willen (...) angeknüpft werden könnte, (...) muß vorerst dahingestellt bleiben.“ (ZH, S. 116) Gegenüber Gremliza und Ebermann wird er noch deutlicher: „Ich will die Shoa von der Instrumentalisierung bereinigen, indem ich die Shoa aus der partikular zionistischen Rezeption in ihre universelle Bedeutung hebe.“ (ZI, S. 31) Und schließlich: „Ich würde mir sehr wünschen, daß des Holocausts wesenhaft gedacht würde (...).“ (ZI, S. 79)
Und so geht das – getreu der Bemerkung von Karl Kraus, daß man nicht nur keine Gedanken haben dürfe, sondern auch unfähig sein müsse, sie auszudrücken – ewig weiter: gespreizte Trivialitäten, Gemeinplätze, die sich im akademischen Jargon aufplustern und dabei den typischen Hautgout aufkommen lassen, der signalisiert, daß hier Leute ins Gespräch vertieft sind, die sich die höheren und erlesenen Gedanken machen. Aber gerade in seiner Schwurbeligkeit ist das Gephrasel eindeutig: Nach allgemeinen Bemerkungen über Gewalt, Moral und das Ende der Gewalt, bestückt mit einigen Zutaten aus dem Schatzkästlein der Utopie, wird den Juden, Scheibchen für Scheibchen, die deutsche Vernichtungstat als ihre bestimmte nationale Erinnerung enteignet und so weit verallgemeinert, daß nicht etwa vor der nicht gebannten Gefahr einer neuen Vernichtung gewarnt, sondern die nun schon buchstäblich Heideggersche Ontologisierung einer sowohl historisch als auch bezüglich Tätern und Opfern äußerst konkreten Tat vorgenommen wird. Wer des „Holocausts“ „wesenhaft“ gedenkt, ist mit Fug und Recht in Deutschland angekommen, wer diesen Schmonzes aber auch noch druckt, für den gilt das gleiche. Noch vor nicht allzulanger Zeit hätte man angesichts des wahrhaft unanständigen Stils dieses Anständigsten der Anständigen den Stoßseufzer getan: Gremliza, übernehmen Sie! Aber diese Zeiten sind wohl vorbei. Warum Gremliza Dummschwätzer wie Slavoj Zizek und Katja Diefenbach im „Express“ abfertigt und einen, der nicht nur so schreibt wie die beiden, sondern auch das gleiche vorhat, meint, auf Händen tragen zu müssen wie einen Weltweisen; warum, statt wie angekündigt, keine „Dokumentation kontroverser Ansichten“ aus der Talkrunde wurde, sondern eine linksdeutsche Selbstfindung mit einem Alibijuden, teilt Gremliza im Vorwort des besagten Buches mit: „Zuviel hatte Zuckermann zu sagen, zu viel hatten Ebermann, Weiß und Gremliza nur zu fragen.“ Am Anfang des Philosophierens steht das Staunen. Wenn der Philosoph aber gar nicht philosophiert, sondern im ordinären Diskurs radebrecht wie sonst nur Diefenbachs Katja, dann wird aus dem nach Erkenntnis heischenden Staunen jenes schafsäugige Glotzen, das man vom maulfaulen Schwarzwaldbauern kennt, mit dem Heidegger bekanntlich auf die allertiefste nur mögliche Art philosophierte: indem er ebenfalls schwieg. Und so liests sich dann auch.
Wie es in einem gewöhnlichen Antizionisten denkt, darüber gibt der selbsternannte Nicht-Zionist viel besser Auskunft als z. B. weiland Möllemann. Denn im Gegensatz zu jenem redet Zuckermann wirklich Klartext: „Ein Nicht-Zionist ist einer, der den Zionismus a posteriori, heute, nicht mehr akzeptieren kann“. Der Zionismus sei „zu einer radikal rechten Bewegung geworden, die kein Angebot für einen wirklichen Frieden mehr enthält.“ (ZI, S. 42 u. 43) Woraus folgt, was deutsche Antisemiten immer schon wußten: „Es sind nicht mehr die Juden, die sich gegen eine Bedrohung wehren müssen, sondern Juden bedrohen andere.“ (ZI, S. 13)
Da will es von sich aus hin, das Gerede von zweierlei Israel, dazu braucht man mehrere Bücher, tausend Interviews und einen jeder sprachlichen und damit intellektuellen Redlichkeit ins Gesicht schlagenden Jargon. Die süßeste Versuchung der Postmoderne, die große Erzählung, die vorab vorhandenes Ressentiment in theoretisch versierte Evidenz überführt und das Bündnis mit den linken Feinden Israels erneuert, stammt von Moshe Zuckermann.
Was Zuckermann zum Kronzeugen aller Feinde Israels macht, ist seine gewollte Ignoranz gegenüber dem Fundament des jüdischen Staates, jederzeit Fluchtburg für alle Juden weltweit sein zu können. Damit unterläuft der Marxist Zuckermann absichtsvoll die Objektivität der durch Auschwitz besiegelten Verhältnisse, daß es für Juden kein Leben nach dem Zionismus geben kann, solange der Gegenstand der Kritik der politischen Ökonomie nicht abgeschafft ist. Zwar ist das zionistische Pathos der Gründerjahre abgelöst von pragmatischen und durchaus hedonistischen Bedürfnissen, wofür symbolträchtig der Niedergang der Kibbuzbewegung stehen mag; in dem Maße aber, wie der historische Zionismus als Staatsgründungs- und Aufbauideologie sich erledigt hat, ist „Zionismus“ zur ideologischen Chiffre für etwas ganz anderes geworden. Wer heute vorgibt, den Zionismus als beherrschende Staatsmythologie zu kritisieren, verfehlt seinen Gegenstand und zielt dafür – oft unfreiwillig – auf die Fundamente des jüdischen Staates: Ein Staatsbürgerrecht, das allen Juden weltweit erlaubt, Israelis zu werden, wenn sie es wollen und eine starke, in der israelischen Gesellschaft verankerte, Armee als den einzigen Garanten für jüdischen Selbstschutz gegen die antisemitische Internationale. Den Hohn und Spott, den man allerseits für die Grundlage jeder vernünftigen Israel-Solidarität übrig hat, die Forderung nach effektiver Bewaffnung Israels, legt beredt Zeugnis darüber ab, wes’ Geistes Kind all jene sind, die wie die ehemalige Antifaschistische Aktion Berlin dauernd verkünden, daß Antifa doch Angriff hieße. Deren Nachfolgeorganisation, Kritik & Praxis Berlin, die zum heutigen gemütlichen Beisammensein eingeladen hat, beschleicht regelmäßig „ein gewisses Unbehagen gegenüber israelischen (...) Nationalflaggen“ (Jungle World, 14.5.03) – ein Unwohlsein, gegen das Dr. Zuckermanns nichtzionistischer Entsolidarisierungsextrakt Wunder tut.
Aber vergessen wir Zuckermann. Gremliza und Ebermann müssen gewußt haben, was ihr Kronzeuge schon vor der gemeinsamen Talkrunde veröffentlicht hat – sie haben sich aber der Einsicht verweigert, daß ihr Gewährsmann aus Jerusalem einfach nur deutsch spricht. Wenn einer schreibt, Israel sei „selbst ein Land der Okkupation und Repression geworden (...), das sich durch ein beschämendes Maß an ethnischen Vorurteilen und rassistischem Dünkel auszeichnet“ und daraus folgert, daß „die in Israel einen Staat errichtenden Juden (...) gleichsam zu Tätern“ geworden seien (ZH, S. 75 u. 178), dann bedient er das deutsche Gespräch, das mit einer „israel-kritischen“ Hauswurfsendung im Herbst 2002 seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. Gremliza und Ebermann scheinen noch nicht einmal erahnt zu haben, was ihnen ihr Gesprächspartner in jenen „drei intellektuellen Sternstunden“ (Ebermann) mitgeteilt hat: Die Universalisierung des Selbstmordattentats als letzte Handlungsmöglichkeit der „Opfer“ schlechthin und damit die poststrukturalistische Gleichsetzung jener Frauen, die 1943 im Warschauer Ghetto den SS-Schergen sich ergeben mußten, aber nur, um ihnen um den Hals zu fallen, bis die Handgranate, die sie unter dem Kleid trugen, detonierte, mit palästinensischen Djihadisten, die sich in israelischen Bussen oder Cafés in die Luft sprengen. „Es geht um eine Situation, in der das Opfer nicht mehr fähig ist, etwas gegen seinen Schlächter auszurichten – ob dessen Ziel, wie im Warschauer Ghetto, der Völkermord ist oder nicht. Das Opfer will in beiden Fällen erstens ehrenvoll sterben und zweitens dem Schlächter dabei so viel Schaden zufügen wie möglich (...). Wenn im jüdischen Ghetto der Widerstand aussichtslos war, galt es – und gilt es noch im Nachhinein – als große Heldentat, so viele Deutsche wie möglich in den Tod mitzunehmen. Es kommt ganz darauf an, wer der Redner ist. (ZI, S. 61 u. S. 62)
Kein Widerspruch, keine Entgegnung findet sich darauf im konkret-Buch „Zweierlei Israel“ – nichts! Möge Hermann Gremliza bei Gelegenheit erklären, warum man in seiner Zeitschrift gegen den Historiker Udo Steinbach mobil gemacht hat (siehe Juli-Ausgabe), obwohl der doch nichts anderes gesagt hat als Moshe Zuckermann im Gespräch mit dem Herausgeber. Zum Vergleich Steinbachs Worte: „Wir müssen (...) auch einmal darüber nachdenken, was wir als Terrorismus bezeichnen wollen. Wenn wir sehen, wie israelische Panzer durch palästinensische Dörfer fahren und sich die verzweifelten Menschen mit Steinen wehren, dann müssen wir im Blick auf Warschau und im Blick auf den Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto auch fragen dürfen, war das dann nicht auch Terror?“
Vielleicht, geneigter Leser, ist es uns gelungen, Ihnen verständlich zu machen, warum wir und unsere Freunde und Genossen vorzugsweise mit der Israelfahne demonstrieren und die bedingungslose Solidarität mit Israel einfordern. Es gibt kein Recht, Israel zu kritisieren, es gibt im Gegenteil die Pflicht, den jüdischen Staat und darüberhinaus die Juden weltweit zu verteidigen gegen den immer maßloseren Haß von europäischen und islamischen Globalisierungsgegnern und anderen Linken. Und vor allem: In dieser Frage gibt es keinen Mittelweg. Wer versucht, ihn zu beschreiten, der landet wie Gremliza, Ebermann und die Gruppe K.P. mitten im postmodern gewandeten Antizionismus. Vielleicht ist Ihnen der Weg vom Heinrichplatz via SO 36 zum TEK ein bißchen klarer geworden: Der Antisemitismus in Deutschland ist keine exklusive Domäne von Stiefelnazis oder Salonfaschisten, er hat seinen Ursprung und Nährboden dort, wo Deutsche ihr Recht, Israel kritisieren zu dürfen, einfordern. Das wird heute Abend im SO 36 zelebriert, und sie können später wie ein ehemaliger Fernsehmoderator sagen: Ich war dabei!
Redaktion BAHAMAS (Berlin, 08. Juli 2003)
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