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Vortrag und Disskussion

 

MIttwoch, 22. September 2004

19:30 Uhr, Max & Moritz, Oranienstraße 162, Berlin

 

„Hartz IV gibt Rechtsradikalen Auftrieb“ (attac)

 

Blickt man in regierungsnahe Zeitungen, dann könnte einem der deutschen Verhältnisse Unkundigen Hartz IV auf den ersten Blick als Anlaß antifaschistischer Läuterung erscheinen: Wovon man sich die Friedensdemonstrationen gegen die Befreiung des Irak noch vor eineinhalb Jahren in gar keiner Weise vermiesen lassen wollte, nämlich von neonazistischen Parolen inklusive der folgerichtigen Anwesenheit ihrer Urheber und überhaupt vom antiwestlichen Ressentiment der Deutschen, insbesondere jener aus der ehemaligen DDR – genau dieselben Tatbestände werden in der Kommentierung der Anti-Hartz-Demos plötzlich zu einem regelrechten Skandal.

Dabei haben diese Demos im Gegensatz zur antiamerikanischen Friedenshysterie wenigstens einen triftigen Anlaß, ein Gutteil der Demonstranten ist tatsächlich „betroffen“ von dem, wogegen er sich wendet: Die Alimente von Millionen langfristig aus der korporatistischen Sozialpartnerschaft Ausgeschlossener wird drastisch gekürzt, während zugleich die staatliche Zugriffsbefugnis auf die Lebensumstände dieser Ausgeschlossenen sich ebenso drastisch ausdehnt. In einem lichten Moment entfuhr einem mittleren Gewerkschaftsfunktionär in Ostdeutschland gar die zutreffende Bezeichnung für das Hartz IV zugrundeliegende Modell der staatlichen Arbeitslosenbewirtschaftung: Reichsarbeitsdienst.

Doch nicht dagegen wenden sich die Proteste, sondern gegen die allseits gefürchteten „amerikanischen Verhältnisse“, wo doch Hartz IV den krassesten Gegensatz, den etatistischen Gegenentwurf zu solchen Verhältnissen darstellt. Ein deutsches Paradoxon, Spar-Etatismus versus Defizit-Etatismus: Steht Hartz IV einerseits offenkundig in der Kontinuität deutscher, d.h. administrativer Krisenverwaltung, so richtet sich der ebenso deutsche Protest nicht etwa gegen diese Kontinuität, sondern fordert sie geradezu ein (was wiederum jener regierungsnahen Presse das Futter gibt, das sie zur Denunziation braucht), aber in der „klassischen“ Form: Nicht der Staat, sondern der raffgierige Kapitalist steht im Visier, nicht die prinzipielle Abschaffung staatlicher Arbeitsdienste fordern die Arbeitslosen, sondern deren illusorische Ausdehnung nach dem hergekommenen Muster des Öffentlichen Dienstes, als ob dessen arbeitsrechtliche Abschottung nicht eine der Ursachen für die Langzeitarbeitslosigkeit bzw. unterqualifizierte Beschäftigung von Unter-40-Jährigen wäre. Interessenrational ist jedenfalls nicht zu erklären, warum sich Arbeitslosenprotest ausgerechnet von Verdi anführen läßt, Lafontaine beklatscht und sich vor den USA fürchtet. Wäre es aber anders, der Protest der Arbeitslosen eben interessenrational, die BAHAMAS demonstrierte gewiß mit.

 

MIttwoch, 22. September 2004

19:30 Uhr, Max & Moritz, Oranienstraße 162, Berlin

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