Vortrag und Diskussion mit Birgit Schmidt, Mittwoch, 19. Februar 2003, 19:00 Uhr
In Zeiten in denen das linke Deutschland einem regierungsoffiziellen „deutschen Weg“ zum Frieden folgt, der Kanzler und sein Widersacher Lafontaine genauso wie die Grünen und die Autonomen, die trotzkistische Gazette und die Süddeutsche Zeitung, der Vorsitzende der islamischen Gemeinde und der Präses der evangelischen Kirche, der Buchenwald-Überlebende und der frühere RAF-Anwalt, in solch schweren Zeiten, in denen es die Deutschen in die Volksfront treibt, die dem imperialistischen Aggressor USA einmal so richtig den Frieden erklärt, ist es durchaus angebracht, nach den antifaschistischen Wurzeln dieses national-pazifistischen Furors zu fragen. Schon einmal haben radikale Linke aus Deutschland ausgerechnet zur Zeit ihrer schlimmsten Niederlage versucht, dem Feind seine Parolen abspenstig zu machen, statt sich über die Mitschuld am nationalrevolutionären Durchmarsch (denn genau das war der Nationalsozialismus) zu befragen und den deutschen Verhältnissen kompromißlos den Kampf anzusagen. Wenn sich heute Antifa-Gruppen und Globalisierungsgegner darum bemühen, die Friedensparolen und den Antiamerikanismus als originär linkes Gut von der NPD zurückzuerobern, dann liest sich das wie ein gespenstisches Nachspiel auf die finale Niederlage des deutschen Linksradikalismus 1933ff, als die Exil-KPD mit der NSDAP in einen genauso grotesken wie für ihre eigene Zukunft katastrophalen Wettbewerb darüber eintrat, wer das Alleinvertretungsrecht für das „anständige Deutschland“ habe.
Wenn die BAHAMAS also mitten in einer Zeit der nationalen Sammlung, in der sich Amerikahaß und Israelfeindschaft im Zeichen des Friedens brüderlich die Hände reichen, sich einem weit zurückliegenden Kapitel der Literaturgeschichte widmet, dann geschieht das nicht, um sich dem Vorwurf, Bellizist und Scharon-Linke zu sein, zu entziehen, sondern um den völkischen und nationalrevolutionären Wurzeln solcher Denunziation auf den Grund zu gehen; und die sind so alt wie die Sehnsucht nach deutscher Volksfront, führen also direkten Weges zum 30.01.1933. Weil mit dem 08.05.1945 dieser Spuk nicht aufhören wollte und sich insbesondere in der abgefeimten Sprache der linken Volksfreunde bis heute ungebrochen ein Friedens- und Versöhnungssprech erhalten hat, der als nationalchauvinistische hate speach die aktuelle Friedensbewegung mit dem german sound versorgt, ist es nur konsequent, einmal bei Anna Seghers, Ludwig Renn und Bodo Uhse nachzuschlagen, die – wenigstens ideologisch und sprachlich – dem Goebbels und dem Rosenberg durchaus ernst zu nehmende nationale Konkurrenz gemacht haben.
Nach ihrer Niederlage gegenüber dem Nationalsozialismus knüpfte die KPD weder an die Tradition inhaltlicher Auseinandersetzung und Diskussion noch an die der Arbeiterkultur an. Im Gegenteil: Mit der 1935 offiziell propagierten Volksfrontideologie entledigte sie sich jedes emanzipatorischen und kontroversen „Ballastes“ und suchte sich an die nationalistische Ideologie der Massenbasis des Nationalsozialismus anzunähern und mit ihr zu konkurrieren. Die deutsche Volksfrontideologie rückte von klassenkämpferischen und emanzipatorischen Forderungen ab und betonte statt dessen, daß die „Liebe zum deutschen Vaterland und seiner Kulturtradition“ alle deutschen Bevölkerungsgruppen und -schichten mit Ausnahme des Monopolkapitals miteinander in ihrer Ablehnung des Faschismus verbinde. Die KPD forderte nun von ihren Schriftstellern und Intellektuellen, sich dezidiert um jene Landsleute zu bemühen, die in die NS-Massenorganisationen eingebunden waren. Und es entstand eine neue Disziplin in der Parteidichtung, die brav dieser Direktive folgte: die Volksfrontliteratur. Ausgehend von der jeder Wahrheit Hohn sprechenden Prämisse vom „besseren Deutschland“, an die die exilierten KPD-Schriftstellerinnen allzu gerne selbst glaubten, fabulierten sie auch dann noch über den täglichen Kampf gegen die Hitler-Schmach, als die Rote Armee vor Berlin und die US-Army im Rheinland stand. Statt mit zunehmend kritischem, ja unduldsamen Blick die Wehrwolfgemeinschaft in die sich das deutsche Volk fast über Nacht verwandelt hatte, anzugreifen, setzte der literarische Widerstand zunehmend auf Vaterlandsliebe und einen sogenannten wahren Patriotismus, von dem geglaubt wurde, daß er geeignet sei, dem NS-Regime den ideologischen Boden zu entziehen. Der Adressat dieser Romane mußte genauso unbestimmt bleiben wie die halluzinierte antifaschistische Volksfront. In den Romanen tritt dabei durchaus konsequent der „im Grunde anständige Nazi“ auf, der sich in die Reihen der Hitler-Gefolgschaft nur verlaufen hätte.
Von daher verwundern die zusehends rechten bürgerlichen Implikationen der Volksfrontliteratur – Frauen- und Homosexuellenfeindlichkeit, völkischer Rassismus, offener Antisemitismus – wenig. Doch es hat auch Brüche gegeben: Die vorwiegend jüdischen Kommunisten, die ab 1944 im KP-Exilzentrum Mexiko vom Holocaust erfahren mussten, stellten sich gegen Ende ihres Exils offen gegen die deutsch-nationalistische Ideologie des in Moskau exilierten Ulbricht-Flügels ihrer Partei. Nach ihrer Rückkehr in die SBZ/frühe DDR (und in andere Staaten des Stalinschen Einflussbereiches) musste dies zu Kollisionen führen, für die viele dieser sogenannten ehemaligen Westemigranten dann teuer bezahlten.
Birgit Schmidts Buch zum Thema: „Wenn die Partei das Volk entdeckt. Anna Seghers, Bodo Uhse, Ludwig Renn und andere. Ein kritischer Beitrag zur Volksfrontideologie und ihrer Literatur“, Unrast Verlag Münster
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