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Donnerstag, 24. Juli 2003

 

Vortrag und Diskussion

 

Sex, Drugs and the Jew oder:

Was darf ein Jude in Deutschland

 

An antisemitischen Stereotypen mangelt es ihr nicht, der Debatte um die vermeintlichen Vergehen des Michel Friedmans: Gekokst habe der Mann „vom Stamme der Olivenölgötzen“ (FR) wie so viele der für ihren vermeintlichen Narzißmus bekannten Schnüffler des weißen Pulvers, um seine „Sucht nach Anerkennung“ (Stern) mittels eines künstlich „erhöhte[n] Selbstwertgefühl[s]“ (Tagesspiegel)  zu befriedigen und v.a. um, so die Suggestion der Medien – gedopt –, seiner „unglaubliche[n] sexuellen Gier“ (Tagesspiegel) nachkommen zu können. Beweis: Nicht nur habe der Mann, dessen „Hemden und Krawatten (...) besser als die des Bundeskanzlers“ (Stern) sitzen, „bevorzugt bis zu drei der“ (Spiegel) käuflichen „ukrainischen Nymphen“ (Welt am Sonntag) in seine Suite geladen, nein, es sei gar „mehrmals pro Nacht“ (Focus) geschehen, daß er „Damen in Lack und Leder“ „für eine bizarre Sex- und Drogenorgie“ (Focus) geordert habe. Der Konsum der genannten Droge, so suggerieren die deutschen Blätter weiter, erkläre im übrigen auch, warum er bei den geläuterten Deutschen immer und überall Antisemitismus wittere, denn schließlich fördere der Kokainkonsum „ängstlich paranoide Stimmungen“ (Focus). Und überhaupt: Die ganze Geschichte beweise doch, daß „der Großinquisitor, das Gewissen der Nation, das Vorbild der Jugend“ (FR) über eine perfide „Doppelmoral“ verfüge: Er, der seine Talkshowgäste „belästigt, betatscht“ (FR) und immer wieder zu unzumutbar klaren Aussagen, Bekenntnissen gar, antriebe, verfüge – ganz dem antisemitischen Klischee entsprechend – über ein „verborgenes Doppelleben“ (Standard) als „Paolo Pinkel“, als welcher er bar jeden moralischen Gewissens neben Kokain auch illegal eingeschleuste Huren, „Sexsklavinnen“ (Hans-Ulrich Jörges) sozusagen, konsumiert habe. Zudem verstecke der „Ölprinz“ (Stern) nicht seinen Reichtum, wie es sich für anständige Deutsche gehört, sondern protze mit ihm. Er gebe sich zudem insgesamt ein „bisschen zu laut und zu keck und zu grell“ (Stern), zu extravagant eben, unnatürlich engagiert und befremdlich kosmopolitisch – „Er spricht fünf Sprachen“! (Stern) -, aber: „all das konnte“, so der der Heimatscholle eng verbundenen Stern, „eine gewisse Unbehaustheit nie ganz verdecken“.

Am 8. Juli war es dann endlich soweit, der „Fall Friedman“ schien sich dem Ende zu nähern: Friedman lud zur Pressekonferenz, bekannte sich zum Konsum und Besitz von Kokain, akzeptierte folgerichtig den Strafbefehl gegen ihn, trat von all seinen öffentlichen Ämtern zurück, verzichtete auf die Fortführung seiner Talkshow in der ARD, entschuldigte sich bei den jüdischen Menschen in Deutschland, der ARD, dem HR und seiner Freundin, und bedauerte sein Tun. Ist der Fall Friedman nun endlich einer für die Akten? Mitnichten, denn des ehemaligen Moderatoren, Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden usw. „Bekenntnis“ (FR) erscheint vielen doch als all „zu glatt“ (Berliner Zeitung), denn: „Geht es bei der Affäre Friedman nicht um mehr als um das Kokainschnupfen?“, fragt die Berliner Zeitung und frischt der Leser Erinnerung an das Schicksal der „jungen Frauen“ auf, bei den sich zu entschuldigen Friedman nicht für nötig befunden habe, obwohl er ihre „wirtschaftliche Notlage“ ausgenutzt habe.

Offenbarte die „Causa Friedman“ also nur einmal mehr, daß es sich bei den Deutschen um unverbesserliche Antisemiten handelt, wäre sie bloß ein Fall in einer langen Reihe antisemitischer Vorfälle im postnational­sozia­lis­tischen Deutschland. Doch „[e]s geht um Moral“ (Tagesspiegel), da sind sich alle einig: die öffentlichen Ankläger Friedmans wie auch seine scheinbaren Verteidiger. Tatsächlich geht es jedoch nicht um die Moral Friedmans, sondern um die Moral einer Nation, die nachdem sie sich als Friedensmacht in der westlichen Welt blamiert hat, ihre Attacken nun auf einen richtet, der nicht nur solidarisch zu Israel sich verhält, nicht nur dem islamistischen Terrorismus und dem baathistischen Irak jegliche Legitimation absprach und abspricht und sich daher nicht gegen den Krieg gegen dieses System positionierte, sondern auch die deutsche Friedensbewegung ins kritische Visier nahm und Politiker aller Parteien damit desavouierte, daß er deren Ressentiments offenbar werden ließ. Es geht auch darum, was ein Jude darf im Deutschland des Jahres 2003, einer, der für viele „ein Judentum (verkörpert), das sich wehrt und nicht immer nur in der Opferrolle ist“ (Gabriele Brenner, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Weiden), ein Judentum, was nicht, wie deutsche Antisemiten es sich wünschen, vermeintlich freiwillig zur Schlachtbank ging und geht. Es geht um eine Nation, die sich klammheimlich die Hände reibt darüber, daß einer, der einst an ihre eigenen Untaten sie permanent erinnerte, nun selbst zum „Täter“ geworden ist und tut was sie nie taten aber von ihm immer schon wünschten: weitestgehend schweigt. So schwärmte denn auch die Saarbrücker Zeitung „vom völlig neuen Friedman Gefühl – ihn jetzt sprachlos zu erleben“. Es geht um eine Gemeinschaft, die längst schon beschlossen hat, daß der „Musterjude“ (Auf­bau) seinen Bonus nun verspielt hat, denn einer wie er, so befürchtet Friedrich Merz, könne schließlich den jüdischen Gemeinden in Deutschland nur schaden. Es geht um eine Öffentlichkeit, in der selbst die selbsternannten Verteidiger Friedman nur zu einer Konklusion kommen können und damit in der Konsequenz allen aus der Seele sprechen: „Einer der so zu unrecht beschädigt und durch die Gosse gezogen wurde, muß sich fragen lassen, was mache ich eigentlich in diesem Land?“ (Michael Naumann) Das aber soll mit dieser Veranstaltung nicht so stehen bleiben.

 

Mit:

Jörg Rensmann (gruppe offene rechnungen, Berlin)

Natascha Wilting (Redaktion BAHAMAS, Berlin)

 

Donnerstag, den 24.07.2003, um 19:30 Uhr,

Saal der Jerusalem Gemeinde, Lindenstraße / Markgrafenstraße,

gegenüber dem Jüdischen Museum

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