Hamburger Kiezwarte gegen antideutsche Zumutungen
Am 17.1., drei Stunden vor Beginn einer Diskussionsveranstaltung der Gruppe Revolutionäre Antifaschisten im Hamburger KÖLIBRI, die bereits im Dezember angemeldet und vertraglich zugesichert worden war, teilten die KÖLIBRI-Betreiber den Veranstaltern mit, der Raum werde ihnen nicht zur Verfügung gestellt. Dem waren Beschwerden mehrerer auf Szenehygiene bedachter Hamburger Lokalgruppen vorausgegangen. Das kiezlinke Volksempfinden hatte offenbar schon durch das Flugblatt, mit dem zur Veranstaltung eingeladen wurde, eine heftige Kränkung erfahren. Darin seien, so hieß es, rechte und linke Bewertungen des Afghanistankrieges gleichgesetzt worden. Daß die Bewerter sich in ihren Bewertungen bereits selbst „gleichgesetzt“ hatten, wollte man geflissentlich nicht zur Kenntnis nehmen. Wenn ak- sowie DKP- und NPD-Vertreter unmittelbar nach dem Massaker vom 11. September unisono an die USA gerichtet verkündeten: „Wer Wind säht, wird Sturm ernten“ und damit eine eindeutige „antiimperialistische“ Schuldzuschreibung vornahmen, soll diese Gemeinsamkeit offenbar eine rein zufällige darstellen. Nun kann jeder, der gelegentlich linke Mainstream-Stellungnahmen mit denen von Nazis und anderen Rechten vergleicht (nicht „gleichsetzt“) leicht feststellen, daß deren Gemeinsamkeiten sich nicht auf plakative Sätze beschränken. Nur zur Sprache bringen sollte man eine solche Feststellung – will man keinen Ärger haben – im linken Kiezmief nicht. Dort sorgte schon ein im Flugblatt angeführtes Zitat aus der jungen Welt, die meinte, vor einer geplanten „Endlösung“ im Bezug auf sog. „Muslime“ warnen zu müssen, für helle Empörung – nicht über die junge Welt, sondern über das Flugblatt. Was aber wohl das Schlimmste für den Hamburger Kiezfrieden war: Auf der verhinderten Veranstaltung sollte auch ein BAHAMAS-Redakteur die Ursachen dieser sich verfestigenden „antiimperialistischen“ Gemeinsamkeit von Nazis und Linken untersuchen.
Wer wollte sich unter einem Ort namens KÖLIBRI etwas anderes als einen Stadtteilladen vorstellen, in dem Uschi und Sascha ihren Dienst an der Kiezgemeinschaft tun und zu dem hin und wieder auch Aysche und Ali Zutritt haben? Ein Ort, mit dem man die anheimelnde Bestuhlung evangelischer Gemeindezentren verbindet, wo das Bier, wenn es überhaupt welches gibt, ganz von selber schal wird und die Apfelsaftschorle naturtrüb gereicht wird. KÖLIBRI – schon der Name verspricht die ganze fabelhafte Phantasie von Leuten, die irgendwo im mysteriösen Dreieck zwischen GAL, KB und Autonomen sozialisiert wurden und heute Hausaufgabenhilfe anbieten und diverse Kiez-AGs anleiten, in denen die Eltern von Anna und Sebastian sich über Probleme mit Aysche und Ali austauschen, die man bei aller Toleranz irgendwie doch hat. Dieses Refugium unzähliger Ausstellungen und Konzerte verkannter Künstler mit Kiezanbindung mochte man bislang vieles unterstellen, aber nicht Verbot und Zensur. Doch in Deutschland ist dort, wo man am gemütlichsten zusammenhockt, der Volkssturm zu Hause; und wo Toleranz groß geschrieben wird, hat das Verbot seine angestammte Heimat. Gerade in jenen dunklen Ecken, wo man stolz darauf ist, alternativ zu sein und gerade deswegen ganz unverblümt sagt, was der Normalo nur hinter vorgehaltener Hand sich zu sagen traut, wird stets von neuem unter Beweis gestellt, warum ein Kritiker dieses Landes immer einen gepackten Koffer und ein gültiges Reisedokument bereit halten sollte.
Jedem seinen eigenen Barnabas Schill. Wo das Original mit den Sorgen der Eltern von Anna und Sebastian längst handfeste Realpolitik macht, hält es auch Uschi und Sascha nicht mehr in der Kuschelecke. Ihnen haben die Altvorderen aus dem Schanzenviertel bereits mitgeteilt, daß dank ihres unermüdlichen Agierens in der Schanze inzwischen nirgends mehr die BAHAMAS zu kaufen sei. Sie wissen vom guten palästinensischen Genossen mit PFLP-Parteibuch, daß die BAHAMAS die „Endlösung des palästinensischen Volkes“ propagiere und der zuständige Frauen- und Lesben-Stammtisch hat es ihnen längst geflüstert: Dieses Blatt ist sexistisch. Wenn also all die Untoten, aus denen Hamburgs Linke seit mehr als 10 Jahren besteht, Sauberfrauen und -männer, die ihren ArtgenossenInnen im Berliner Bezirk Friedrichshain nicht nachstehen, zum Boykott blasen, Prügel androhen, die Saalschlacht ankündigen, dann weiß man im KÖLIBRI, was die Stunde geschlagen hat: Raumverbot und zwar so elegant terminiert, daß für die 50 Besucher kein Ersatzraum mehr gefunden werden konnte. Was man in Deutschland anpackt, das packt man gründlich an. Die Volkspädagogik macht keineswegs vor der eigenen Schwelle halt. Wein aus dem Golan und den besetzten Gebieten soll es nicht nur in Sandros Bodega im Karolinenviertel nicht geben, was für Sandro gilt, muß für den ganzen Kiez gelten. BAHAMAS-clean ist Hamburg erst dann, wenn die 50 Unbelehrten, die an der Veranstaltung dennoch teilnehmen wollten, definitiv keine Gelegenheit dazu haben.
Veranstaltungen mit oder von der BAHAMAS wird es in Hamburg in den nächsten Wochen natürlich trotzdem geben. Soviel geistige Kontaminierung muß schon sein – und noch ist es nicht so weit, daß der starke Arm des gleichermaßen altlinken wie neudeutschen Volkssturms aus St. Pauli und anderswo die ganze Stadt erreichen würde.
Frühere Aktivitäten sind im Aktuell-Archiv aufgeführt. Dort gibt es auch einige Audio-Aufnahmen.
Alle bisher erschienenen Ausgaben der Bahamas finden Sie im Heft-Archiv jeweils mit Inhaltsverzeichnis, Editorial und drei online lesbaren Artikeln.