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Die Sehnsucht nach dem Ausnahmezustand

Einladung zu einer ideologiekritischen Konferenz

am Samstag, den 28. Februar 2009

im Kinosaal der Humboldt-Universität Berlin

 

Nehmen wir an, dass eintritt, was zunehmend wahrscheinlich wird, und die sich anbahnende Krise größer wird als ihre Vorgängerinnen in den letzten fünfzig Jahren. Dann bedeutet das: Verarmung, Verelendung, Tod vor der Zeit. Aber auch Persönlichkeitsstörungen, Selbstmorde und scheinbar völlig unmotivierte individuelle Gewaltausbrüche. Dort, wo es noch Arbeit gibt, steigen Kontrolle und Misstrauen, eine als Überlebenskampf ausagierte Konkurrenz macht Lohnarbeit endgültig zur Schinderei und Nachbarschaft zum Alptraum. Wer könnte wollen, dass das Schlimme noch schlimmer wird, wer könnte wollen, dass sein ganzes Sinnen und Trachten dem Überlebenskampf gilt und er annehmen muss, dass alle anderen ihm nur noch feindlich gegenübertreten. Wer möchte in einer Gesellschaft leben, die Anfälle von Massenpanik überkommt?

 

Hass aufs Weltproletariat

 

Sich an der Welt einmal rächen zu dürfen und eine Woge aus Enttäuschung, Zurücksetzung und Hass über die Mitmenschen hereinbrechen zu lassen, solche Allmachtsphantasien des gescheiterten bürgerlichen Subjekts sind häufig, aber nicht zwangsläufig von Vereinsamung, Drogenmissbrauch und Ticks begleitet und nur ausnahmsweise ein Fall für die Psychiatrie. Zumeist wird dieses asoziale Bedürfnis vom Meinungsbetrieb ausreichend befriedigt, die Berichterstattung über Katastrophen bietet genug Gelegenheit, sich auf Seiten der Vorsehung gegen eine verdorbene, mit der Natur zerfallenen Menschheit aufzustellen. Mal ist die Naturkatastrophe Menetekel für mehr Demut gegenüber der Schöpfung, dann ist ein Krieg Reinigungsbad für eine endlich sittlich geläuterte Gemeinschaft und so weiter.

Diese Misanthropie des spätbürgerlichen Individuums wird besonders von einer Spezies, mit der es die Zeitläufe nicht gut gemeint haben, richtiggehend kultiviert; einer Spezies, deren Angehörige nach einer Kette von verpassten oder verpennten Chancen sich darauf verließen und verlassen mit aus der Boheme entlehntem Dünkel oder Auserwähltseinsglauben, dass auf sie zurückgegriffen werde, ihre besonderen Qualitäten noch der Entdeckung harrten. Diese Spezies bringt es fertig, nicht nur die Zukunft der Krise lustvoll in schwärzesten Farben zu malen und mit einem „Ätsch, das haben wir doch immer schon gesagt!“ über die persönlichen Schrecken von Millionen hinwegzusehen, sie erklärt sich allen Ernstes für berufen, den Weg aus Nacht zum Licht zu weisen. Die Zeitschrift, deren Anzeigenkunden gerade einem Wink ihres Herausgebers folgend, einen Verlag deshalb von der linken Buchmesse ausschlossen, weil er neben der eigenen, von linken Bücherfreunden wenig geliebten Produktion die Bahamas auf dem Büchertisch vorhält, ließ auf dem Titelbild ihrer November-Ausgabe einen infantilisierten Karl Marx dem Weltproletariat angesichts der ihm bevorstehenden Schrecken die Zunge herausstrecken: Das habt ihr jetzt davon, dass ihr Autos und Eigenheime angezahlt habt, oder es doch endlich tun wollt, wenn es ein paar Rupien mehr gäbe.

 

Tribunen und Pöbel

 

In Schlachten zu bestehen – auf dem sicheren Feldherrnhügel versteht sich – und den Elementen zu trotzen, solche pubertären Allmachtsphantasien beschränken sich keineswegs auf Leute, die sich politisch als links verstehen. Über den deutschen Kaiser Wilhelm I wird berichtet, dass er schon bald nach seiner triumphalen Inthronisierung in Versailles als über den Erzfeind siegreichen Reichseiner in eine Depression verfallen sei, weil ihm während des normalen politischen Geschäftsgangs die Hände gebunden waren und einfach keine Entscheidungen von historischen Ausmaßen mehr anstanden. Von Helmut Kohl weiß man, dass die Tuchfühlung mit dem Mantel der Geschichte in den Jahren 1989 und 1990 ihn mehr beschwingt hat als jedes andere Ereignis in seiner politischen Karriere. Und seinen Vorgänger treiben während seiner nicht enden wollenden Karriere als Talkrunden besuchender Elder Statesman zwei Ereignisse um, in denen er wirklich die ganze Last der Verantwortung auf seinen Schultern verspürte: Die Hamburger Hochwasserkatastrophe 1962, als er Innensenator war, und die Tage von Stammheim/Mogadischu, die er als Bundeskanzler moderierte. Die Sehnsucht des bürgerlichen Politikers, eine Rolle, in die schon der alte Kaiser gepresst war, ist die nach dem Ausnahmezustand. Einmal von den Zwängen der Kabinettsdisziplin, den Budgetengpässen und einem parlamentarischen und fiskalischen Getriebe, das wie von selber funktioniert, befreit zu sein und als Retter von Volk und Nation in schicksalsschwerer Zeit dem Rad der Geschichte in die Speichen zu greifen – diesen Traum des Politikers träumen mit ihm seine Anhänger und seine Kritiker. Wird er wahr, bricht die Stunde der Tribunen an, die mit dem Schicksal im Bunde nur noch sich und dem Volk verantwortlich sind, das als plebiszitärer Pöbel organisiert für die Legitimation sorgt, und zum Befreiungsschlag ausholen möchte. Derzeit äußert sich solche Sehnsucht, wenn sie praktisch werden will, im Westen eher lächerlich, etwa als Helmut Kohl 1990 im Alleingang einen Eierwerfer dingfest machen wollte. Der nahe Osten führt längst vor Augen, wozu die Herren von der Gazprom als Resteverwalter eines Imperiums der genauso bürokratisch wie terroristisch betriebenen Willkür, das von Iwan dem Schrecklichen bis Wladimir Putin reicht, in der Lage sind. Das Schicksal Georgiens, dem keiner beistehen wollte, als es fast ausgelöscht und um ein Drittel seines Territoriums beraubt wurde, bestätigt die Faszination, die der Ausnahmezustand - hier im internationalen Maßstab – jederzeit ausüben kann.

 

Apokalypse statt Befreiung

 

Aus dem klugen Gleichnis vom gordischen Knoten, wurde in der Sprache der gefährlichsten Meute, den Journalisten, eine beispielgebende Befreiungstat. Dabei steht es doch für die Zerstörung einer von den Göttern gestifteten Verbindung, die es klug aufzulösen gegolten hätte, statt sie, wie durch Alexander den Großen geschehen, zu zerschlagen und damit einem Eroberungskrieg, der keinen Segen bringen konnte, letzte Weihen zu verleihen. Das ist das Schicksal Georgiens 2008, das dem der Tschechoslowakei 1938 und 1939 so unheimlich ähnelt. Dort, wo es keinen Knoten gibt, weil nicht die Götter ein lösbares Rätsel gestiftet, sondern Ressentiment und Brutalität sich gegen jede Lösung verbunden haben, dort wo der Ausnahmezustand verewigt werden soll und also nur das Schwert hilft, im Vorderen Orient also, will man eine Alexandertat ausdrücklich nicht. Der Gaza-Konflikt ist einfach, der Georgienkonflikt primitiv. Im einen Fall geht es um militärischen Selbstschutz, im anderen um die Arrondierung eines Imperiums. Doch im Fall Gaza handelt ein Land, dessen Bevölkerung, obwohl in vielen Ländern der Welt beheimatet, nur den einen jüdischen Staat mit seinen leicht verhandelbaren Grenzen für sich beansprucht, im Fall Georgien macht sich eine Despotie daran, ethnische Destabilisierung zu betreiben, Schutzbefohlene unter ihre Fittiche zu nehmen und, weil es keine Auslandsrussen gab, diese durch Einbürgerung massenweise zu produzieren. Israel wehrt sich gegen den durch die antisemitische Internationale über Land und Leute verhängten Ausnahmezustand, Russland macht mit stärkeren Bataillonen, als sie der Hamas zur Verfügung stehen, schon einmal vor, dass sein Griff nach georgischem Territorium, der im übrigen nur nachvollzieht, was die Sowjetunion in den Jahren 1922ff. gegen georgische Unabhängigkeitsbestrebungen schon brutal durchgesetzt hatte, höchster Ausdruck der Staatsraison in der Krise ist. Hamas und das Putinsche Russland stehen für den apokalyptischen Widergänger eines Menschheitstraums: der Vereinigung der Welt jenseits staatlicher Grenzen, nationaler Mythologien oder völkischer Gemeinschaften. Der sowjetische Traum von der Weltrepublik, der in Wirklichkeit kaum mehr als ein großrussischer war, entspricht dem islamischen: Angestrebt ist eine Weltherrschaft, die ihre Legitimation allein aus der Behauptung vom Imperium zu schützender Glaubensanhänger bezieht. Und in beiden Fällen ist der Weg das Ziel: Russland wird, solange es als orientalische Despotie auftritt, nie zum Ende kommen. Stets werden der Staatsraison neue Opfer gebracht werden und neue Landmassen in die Hegemonialsphäre einbezogen werden, ohne dass es zur Befriedung kommen wird. Die Islamisten wiederum wollen ihren Djihad auf jeden Flecken ausweiten, auf dem Anhänger des Islam leben. Beide werden in ihren Territorien endlose Bürgerkriege führen und anders als im Falle Israels wird der Westen, vertreten durch seine Meinungsmacher und Politiker, mit Verständnis für die „irregeleiteten“ Sucher nach einer gerechten Welt reagieren.

Die Freunde des Ausnahmezustandes, die an seiner kriegerischen Gestalt ihre Freude haben, weil sie in Putins Russland die Potentiale der Weltrevolution genauso entdecken wie im frommen Volkswiderstand der Anhänger des Islam, wollen es immer schon gewusst haben. Sie präsentieren sich als Revolutionsarmee im Wartestand, und spenden nicht nur der Hamas als Volksbefreiungsarmee ihren Beifall, sie erkennen auch in den zunehmend panischen Kriseninterventionen der kapitalistischen Staaten auf ökonomischem Gebiet den Beginn von etwas ganz Neuem. Den einen würde es vorerst genügen, wenn Post, Banken und Schwerindustrie staatlich würden, andere – und keineswegs nur der unselige Jürgen Elsässer – prophezeien längst die antikapitalistische Volksfront.

 

Praktische Politik versus Ideologiekritik

 

Es nützt die Einsicht nichts, dass der Kapitalismus die Krise aus sich heraus produzieren muss, wenn die Krise da ist. Denn wie sie auf systemimmanenten Weg zu beenden sei, weiß der Kommunist genauso wenig wie der normale Krisenpolitiker. Dass es Kommunisten gibt, die allen Ernstes im Herbst 2008 die Revolution als Krisenlösung empfehlen, stellt nachhaltig unter Beweis, dass hier lediglich am eigenen Leben verzweifelnde Menschenhasser den westlichen Gesellschaften ein Ende mit Schrecken herbeiwünschen, und sei es nur, um das Gros ihrer Bürger in eine materiell ähnlich prekäre Situation zu werfen, wie der, in der sie selber sich befinden – mit dem dann für Kommunisten schmeichelhaften persönlichen Vorteil, als Propheten und Wanderprediger unter den Elenden endlich etwas zu gelten.

Der böse Vorwurf gegen die kritische Theorie, sie hätte in der Weltwirtschaftskrise 1929ff. versagt, als sie statt praktische Politik gegen den Faschismus auf den Weg zu bringen, „nur“ Ideologiekritik im Angebot gehabt hätte, dieser ewige Vorwurf der Mittäterschaft, der von Alarmisten der Tat bis heute gegen Ideologiekritik, also der Form der Kritik auf der Höhe der nachbürgerlichen Zeit, erhoben wird, ist sicheres Indiz dafür, wie abgedichtet gegen jede Realität die Gemeinschaft derer, die sich heute Kommunisten nennen, in Wirklichkeit ist. Es will ihren Mitgliedern nicht einleuchten, dass Kritik, die zur Aufhebung kapitalistischer Vergesellschaftung führen soll, in den etwas ruhigeren Zeiten vor der Krise nur als Ideologiekritik erfolgreich zu leisten gewesen wäre, damit etwas Besseres als die panischen Massenstimmungen in der Krise und die Restauration des oder gar der Rückfall hinter den Kapitalismus gelingen könne. Stattdessen halten sie es mit der „Kritik“ der Massen am Kapitalismus und nicht der gebotenen Kritik an den antikapitalistischen Massen. Weil die Massen nämlich nicht den Kommunismus, sondern die Staatsökonomie wollen, weil sie sich im besten Falle nach geordneter Gemeinschaft in provinzieller Enge sehnen, in der die Helden Postbeamte sind, wie kürzlich in Frankreichs erfolgreichstem Film „Willkommen bei den Sch`tis“ vorgestellt, kann die Kritik nicht anders, als die scheinbar utopische, in Wirklichkeit noch nicht einmal nostalgische Friedlichkeit zu entzaubern und die darin liegende autoritäre Sehnsucht anzuprangern.

 

Der Verrat der Intelligenz

 

Wie der Traum der Massen, so die Utopie der in Konkret inserierenden Buchverlage und Zeitschriften. Mit dem Unterschied, dass in den Kreisen der Kommunisten scharf darüber gewacht wird, dass Dissidenz in den eigenen Reihen unterbleibt. Denn sosehr man einander Feind ist, so unhintergehbar bleibt die Solidarität beim Ausschluss dessen, der von der Psychopathologie des Revolutionarismus redet. Das ist übrigens nichts Neues und verweist in den fratzenhaften Volkstribunalen, wie dem in Nürnberg gegen den ça ira-Verlag, auf eine Tradition, die spätestens seit der Ausschaltung der linken Opposition in der Sowjetunion 1926 bis heute ungebrochen weiterwirkt. Der Verrat der Intelligenz war bezogen auf die Linke immer der Ausschluss, die Verleumdung, der Rufmord und manchmal auch der buchstäbliche Mord am Dissidenten. Diese Tradition des Stalinismus, dem der Nationalsozialismus gelegen kam, seine eigenen Verbrechen, deren schrecklichste bezeichnenderweise nach 1933 verübt wurden, zu verschweigen und jedem, der darüber reden wollte, einen Maulkorb zu verpassen. Dieser im Namen der Volksfront und des Antifaschismus im Westen populäre Ausschluss der Kritik reichte über das offizielle Ende des Stalinismus hinaus. Die Begeisterung für den Maoismus bis in die 70er Jahre hinein stellte das genauso unter Beweis wie die intellektuellen Kotaus vor Che Guevara oder die blutrünstige Begeisterung für Fanon. Und selbst als hochkorrupte und völlig paranoide Satrapen und Landsknechtsführer diese Lichtgestalten längst verdunkelten, riss die Dritt-Weltbegeisterung nicht ab, zu sehr fühlt man doch das Herz der Finsternis in der eigenen Brust schlagen. Das musste Dissidenten produzieren, von denen nicht wenige in nachvollziehbarer Verbitterung wirklich ihren Frieden mit Verhältnissen gemacht haben, die trotz einer blutrünstigen Linken, die häufig Schlimmeres vorhatte als die „Bewahrer“, immer noch keine waren, unter denen man in Frieden hätte leben können.

Der Misserfolg von Kritik in kommunistischer Absicht ist gar nicht so sehr den unwilligen, von der Kulturindustrie vernebelten Massen zuzuschreiben. Das groteske Angebot, das ihnen im Namen der Revolution zumeist gemacht wurde und wird, diese Mischung aus Verachtung ihres kärglichen Wohlstands und privatem Vergnügen einerseits und Heilsversprechen andererseits, die in Sprache und Inhalt weit hinter einen gewöhnlichen Segen am Ende des katholischen Gottesdienstes zurückfallen, hat dazu geführt, dass eine fast unüberwindliche Hürde den einzelnen Unzufriedenen – sowohl mit seinen persönlichen Verhältnissen wie auch den allgemeinen Aussichten – von den Quellen der Kritik trennt.

Noch über der kritischen Theorie liegt der Fluch des Kommunismus der Gulags und Killing Fields, weil die Erinnerung an die im Namen des Kommunismus verübten Verbrechen auch jene mit einbezieht, denen heute unterstellt wird, sie verrieten die Chance des revolutionären Neuanfangs in Zeiten der Krise wegen ihres Zuviel an Ideologiekritik. Denn auch wo die bürgerliche Vergesellschaftung und mit ihr auch die realsozialistischen Gesellschaften nur negativ verhandelt und verworfen werden, klingt die so schwer diskreditierte Forderung nach der selbstbewusst organisierten Produktion und Verteilung notwendig nach: Nicht als Revolutionsprogramm und schon gar nicht als Handlungsanweisung für Überzeugungsarbeit bei den Massen, wohl aber im beständigen, durchaus negativen Beharren darauf, dass die Verhältnisse nicht mehr bereithalten als bestenfalls ihre Fortschreibung unter beständig unerfreulicheren Bedingungen. Das gilt noch für den Nachweis, dass der globalisierungskritische oder sonstwie autoritäre Ideologe der Revolution und die Apologeten der bestehenden Verhältnisse sich Zukunftsprogramme zurechtlegen, in denen der drohend fordernde Ruf nach Gemeinschaft und Zusammenhalt mit entsprechender Feinderklärung jeweils auf den Ausschluss unsolidarischer Elemente zielen, die bezeichnenderweise immer Ackermann und Zumwinkel heißen. Gegen solche Feinderklärungen wären die Gemeinten schon deshalb zu verteidigen, weil sie offen legen, warum man überhaupt arbeiten geht: nämlich, um möglichst reich zu werden und nicht um der Gemeinschaft zu dienen. Das schwebt nämlich den scheinbaren Kritikern, die längst wieder beim Sozialismus der Deutschen Post (wie er vor der Ägide Zumwinkel sich darstellte und die einst Lenin beflügelte) angekommen sind, wenn nicht gar schon bei Kim Il Sungs Juche-Ideologie.

Noch im peinlichen Versuch Hans Werner Sinns (IFO-Institut) im November 2008, einmal als Ideologiekritiker zu glänzen, als er eine Analogie von den deutschen Judenverfolgungen der 30er Jahre zu den heute so beliebten Verunglimpfungen von Bankern und Managern zog, liegt ein Restbestand von Wahrheit, bedenkt man, dass der Revolutionarismus von Nazis und KPD vor 1933 sich sehr wohl in aggressiver Weise gegen die Bosse wandte und der Antisemitismus der Nazis nicht etwa deshalb so populär wurde, weil er sich zuerst an verarmten jüdischen Flüchtlingen aus Polen entzündete, sondern weil er die von ihren revolutionären Konkurrenten ebenfalls herausgestrichenen schlechten Eigenschaften der Kapitalisten als jüdische „erkannte“.

 

Kritik als Beruf

 

In den zwanzig Jahren nach 1990 sind die für die Kommentierung der nächsten großen Krise und die Kritik an den Krisenbewältigern notwendigen kritischen Potentiale nicht herangereift. Was einmal antideutsch geheißen hat, taucht heute als Apologie für das irgendwie widerständige Tun migrantischer Schlägerbanden, als Angriff auf den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr oder als vom Sozialneid erfülltes Ressentiment gegen deutsche Frührentner, die sich auf Mallorca niedergelassen haben, wieder auf. Und noch die Israelsolidarität ist inzwischen edles Anliegen von Freunden des palästinensischen Volkes wie Gregor Gysi und Petra Pau, die sich vom Antizionismus emanzipieren, aber ihre proisraelische Kampfreserve der Partei AK Schalom nach vorne schicken, wenn es gilt, einen Antrag der CDU zu delegitimieren, der regierungsamtliche Israelsolidarität immerhin mit einer Absage an den Antizionismus verbinden wollte. In Anlehnung an den Titel von Max Webers berühmten Vortrag von 1919 ist die Kritik, die bekanntlich autonom zu sein hat, wenn sie nicht zur Ideologie verkommen will, unter Leuten, die von sich behaupten, mit Israel solidarisch oder Gegner des linken Revolutionarismus zu sein, auf die perverse Devise „Kritik als Beruf“ gebracht worden. Diese Vermischung von Kritik und Geschäft führt zum prickelnden Spannungsverhältnis von Seminar und Karriere und schließlich Propaganda und Verbandstätigkeit. Wenn dann Professor Wolfgang Benz, der größte Antisemitismusspezialist im Land, der in Wirklichkeit Vorurteilforscher ist, sogenannte Islamophobie als neue Form des Antisemitismus entlarvt, dann ist das israelsolidarischen Ideologen nicht Grund zur Scham und schleunigster Umkehr, sondern Anlass, ein spannendes neues Diskursfeld aufzumachen.

Die Konferenz „Die Sehnsucht nach dem Ausnahmezustand“ nennt sich deshalb anders als ihre ganz oder maßgeblich von der Bahamas veranstalteten Vorgängerinnen ausdrücklich nicht antideutsch und ihre Veranstalter verzichten darauf, Bestandteil einer praktischen Israelsolidarität zu sein. Zugleich kann vom Kommunismus zunächst nur insoweit die Rede sein, als die Verheerungen, die in seinem Namen veranstaltet wurden, Gegenstand sind. Und noch der positive Rekurs auf die Zivilisation und den Westen will zunächst nicht mehr leisten, als den Abfall von der einzigen neuzeitlichen Idee zu kritisieren, die eine bessere Einrichtung der Welt versprochen hat, ohne es einhalten zu können. Im Appell allerdings, das Versprechen des Westens zu verteidigen, liegt nicht trotziges Beharren, vielmehr der Trotz der Kritik, die den praktischen Kommunismus nicht deshalb verwirft, weil sie das verlorene Ideal plötzlich in der bürgerlichen Republik erkennt, sondern den Kommunismus dort wieder aufgreift, wo Kritik und bürgerliche Ideologie sich endgültig trennten.

Eine Konferenz kann nicht einfach nachholen, was in den Jahren 1990 ff. aus Traditionalismus, Bequemlichkeit, Angst vor der Isolation und nicht zuletzt wegen des Elite-Dünkels der Produzenten reiner Theorie versäumt wurde. Und doch nehmen sich die Veranstalter vor, einige der Voraussetzungen zu benennen, ohne die jede Intervention in krisengeschüttelter Zeit zu bloßem Mitmachen verkommt: Mitmachen entweder bei den „Revolutionären“ oder auf Seiten der scheinbar konservativen Bewahrer, die sich bei den anstehenden Zurüstungen der Bevölkerung mit Gemeinsinn von ihren scheinbaren Widersachern nicht mehr unterscheiden werden.

 

Redaktion Bahamas, 26.1.09

 

Beginn: Samstag, 28. Februar 2009, 10:00 Uhr

Eintritt: 10 Euro, ermäßigt 8 Euro

Ort: Kinosaal der Humboldt-Universität Berlin, Unter den Linden 6

Für Getränke und Verpflegung wird gesorgt.



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