Extraausgabe Nr.3
"Das serbische Volk muß entscheiden, ob es mit Milosevic untergehen will, oder ob es das Angebot annimmt, eine europäische Zukunft zu gewinnen." Ludger Volmer (Grüne), Staatssekretär
Ob Genschers "mit jedem Schuß kommt Kroatien seiner Unabhängigkeit näher" vom Juni 1991 oder Kinkels unmittelbar nach dem Abkommen von Dayton erhobene Forderung "Jetzt müssen wir das Schweinwerferlicht auf den Kosovo richten": Immer hat Deutschland die ökonomischen und gesellschaftlichen Erosionen in Jugoslawien sowie die daraus resultierenden und von den jeweiligen Nationalisten und künftigen Herrschern aufgepeitschte Ethnisierung sozialer und politischer Konflikte zum Anlaß genommen, jede andere Lösung als die einer ethnisch-staatlichen Sezession zu torpedieren und das dem völkischen Denken als "widernatürlicher Kunststaat" erscheinende Haßbild des Jugoslawismus von der Landkarte verschwinden zu lassen.
Der Wahnsinn nennt sich Durchsetzung der Menschenrechte mit militärischen Mitteln. In Deutschland heißt er: Wir bomben unsere eigene Vergangenheit weg. Die Schröder/Fischer/Scharping begründen ihren Angriffskrieg mit der Verantwortung aus der deutschen Geschichte. Wenn sie von Vernichtungspolitik sprechen und von Völkermord, Konzentrationslagern und Deportationen reden und den von ihren Bomben eskalierten Krieg um die jugoslawische Region Kosovo meinen, dann gehen ihnen Auschwitz-Vergleiche, die Gleichstellung der serbischen Sondereinheiten mit der SS, der Kosovo-Albaner mit den Juden, leicht von den Lippen. Wir können es nicht dulden, so Scharping, "in die Fratze unserer eigenen Vergangenheit zu blicken". Milosevic ist Hitler, die Serben sind die deutschen Mörder des Zweiten Weltkriegs. Die selben Leute, die bislang asylsuchende Albaner für schmutzige "Zigeuner" und Drogendealer hielten, zeigen stolz ihre Hilfsbereitschaft. Dabei hat sich nichts an ihrem Rassismus geändert - dafür wird immer häufiger daran erinnert, daß ja auch "wir" Opfer von Krieg und Luftangriffen waren. Flucht und Vertreibung als deutsches Schicksal, das ist von den deutschen Verbrechen der Vergangenheit in Erinnerung geblieben: die Opfer, das waren wir. Diese Identifikation mit den Opfern bestimmt für den Augenblick die "Solidarität". Und unsere im Oderbruch bewährten Jungs dürfen oben bomben und unten helfen.
Der Angriff auf Jugoslawien ist Höhepunkt und Fortsetzung einer seit der deutschen Wiedervereinigung unablässig propagierten völkischen Zerschlagungspolitik von Staaten, die deutschen Interessen im Wege stehen. Sie steht in der Tradition jener deutschnationalen und NS-Geopolitiker, die bei der Ordnung Europas nach deutschen Vorstellungen die "überlegene Kenntnis der Volksdruckverhältnisse" in anderen Ländern zur Voraussetzung der geographischen und politischen Neuordnung machten. Frühzeitig hatte man analysiert, daß die wirtschaftliche und soziale Krise in Jugoslawien seit Mitte der achtziger Jahre die Nachkriegsordnung des Jugoslawismus, d. h. der Unterordnung ethnischer Trennungen unter das Dach einer gemeinsamen multinationalen Staats- und Gesellschaftsform, sprengen und zu einem Neuaufflammen von nationalistischen Separationsbewegungen führen könnte. Unter den Parolen "Selbstbestimmung" und "Menschenrechte" ist Jugoslawien mit maßgeblicher deutscher Unterstützung für die verschiedenen Nationalismen (mit Ausnahme des verhaßten serbischen) Stück für Stück entlang seiner ethnischen "Grenzen" parzelliert worden. Daß in den entscheidenden Momenten (Dayton, Rambouillet, Führung des NATO-Kriegs) den deutschen Vorstößen von der zur Zeit noch stärkeren Ordnungsmacht USA der Rang abgelaufen wurde, ist zwar richtig, hierzulande aber nur Ansporn für noch mehr "deutsche Verantwortung in der Welt".
In diesem Krieg darf man nicht "Partei" sein; man würde unweigerlich auf Seiten eines ethnischen Nationalismus stehen. Die entlang der Kriterien von "Völkern" erfolgte Staatsgründung bestimmte die Konflikte zwischen Kroaten und Serben, zwischen Muslimen, Serben und Kroaten in Bosnien, zwischen Albanern und Serben im Kosovo von Anfang an. So richtig der Einsatz für den Erhalt Jugoslawiens als Staat gegen deutsche Interventionen ist, so wenig können wir übersehen, daß die Ethnisierung nahezu flächendeckend gelungen und für die Herrschenden in Jugoslawien wie vermutlich auch für die Mehrheit der dortigen Bevölkerung "Yugoslavia" identisch mit "Serbia" geworden ist. Die UCK ist dabei mindestens so mörderisch wie ihre Gegner. Daß sie Kriegspartei ist, daß sie serbische Zivilisten und "Abtrünnige" umbringt, wird hier ebenso verschwiegen wie die Tatsache, daß die UCK maßgeblich über deutsche Kontakte und für deutsche Interessen gepäppelt wurde und wird. Das Ziel ist nicht der Schutz von Menschen vor Repression, sondern ihre Zurichtung für den völkisch einwandfreien eigenen Staat, am liebsten ein ethnisch reines Großalbanien.
Unsere Parteilichkeit in diesem Krieg ist die einerAnti-Partei. Das heißt: parteiisch sind wir nur gegen die völkisch-deutsche Osteuropapolitik und gegen den Menschenrechtsimperialismus der NATO. Für das derzeitige Agieren einer Antikriegslinken ergeben sich einige fundamentale Schlußfolgerungen daraus:
1. Nicht Friedenssehnsucht, nicht allgemeiner Pazifismus, sondern intransingente Opposition gegen den deutschen Krieg muß unser Handeln bestimmen. Es kann und darf keine Zugeständnisse an die halbherzigen Kriegsgegner geben, die nur deswegen gegen den Krieg sind, weil er nicht zum vermeintlichen Ziel, Milosevic zur Vernunft zu bomben und Kriegselend zu verhindern, geführt hat. Diese "Pazifisten" würden bei der nächstbesten Gelegenheit weiterbomben.
2. Dieser Krieg ist ein deutscher völkischer Krieg. Er ist den Deutschen nicht aufgezwungen worden oder ein Werk Washingtons, auch wenn die USA im Augenblick noch die einzige Militärmacht sind, die ihn in der derzeitigen Konsequenz durchführen können. Auffällig in der deutschen Diskussion ist, daß nie von Deutschland und dessen Interessen, immer aber von denen der NATO oder der USA die Rede ist. Auch dies ist Ausdruck der eigenen nationalen Haltung, die das Böse ausschließlich in den anderen, meistens den USA zu sehen vermag. Gerade die Kriegsgegnerschaft des PDS-Spektrums ist Ausdruck eines tief verwurzelten Antiamerikanismus und des Vorsatzes, über die maßgebliche Rolle Deutschlands in diesem Krieg nicht sprechen zu wollen. Der Krieg liegt in der Logik deutsch-völkischen Agierens, einer Logik, mit der die rot-grüne Koalition nicht nur nicht gebrochen hat, sondern die sie mit dem Pochen auf "Menschenrechte" und "Minderheitenschutz" eskalieren läßt. Was als Liebe für die verschiedenen "Kulturen" daherkommt, will weder menschliche Emanzipation noch den Ausbruch aus der Enge sozial unerträglicher Verhältnisse, sondern kultiviert die Ethnie, das Stammeswesen, die Familienclans, patriarchale Herrschaftsverhältnisse und hat eine vor allem deutsche Tradition.
3. Solidarität mit Jugoslawien als Staat, der zum Spielball imperialer Interessen auf dem Balkan wird,ist unerläßlich. Nicht weil wir diesen oder irgend einen anderen Staat lieben. Sondern weil sich Deutschland am antifaschistischen Jugoslawien, und zwar unabhängig von dessen Verfaßtheit, rächt. Diesem "künstlichen Staatsgebilde" will man hierzulande nicht einmal eine demokratisch-föderale Verfaßtheit zugestehen; als später Triumph über die antifaschistische Siegermacht geht der Krieg gegen Jugoslawien mit Vernichtungswünschen einher. Wer aus der Linken jetzt auf einmal den "jugoslawischen Faschismus" entdeckt, wer sich jetzt plötzlich eine antinationale Haltung zulegt, um auf Demos "Serben" auszugrenzen, die heute Angegriffene eines deutsch-völkischen Krieges sind, steht unter dem Verdacht, die kriegsstaatlichen Ausgrenzungsvorgaben von links, "antinational" zu reproduzieren. Daran zeigt sich, daß ein erheblicher Teil der Linken sich weigert, antideutsch und vaterlandslos zu agieren.
Man muß in diesem Krieg kein Bündnis mit dem Nationalismus, sondern eines gegen Deutschland schließen.
05.05.1999, Redaktion BAHAMAS
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