Erklärung zum Verbot der Demonstration in Sebnitz
"Der Sebnitzer Selbstinszenierung haftet etwas unverkennbar Ostzonales an, und dennoch kann man das, was sich da in ostdeutschen Browntowns zusammenschließt, nicht einfach nur als `dumpf´, `provinziell´ oder `zurückgeblieben´ verharmlosen. Sebnitz steht auch für das auftrumpfende Wissen der Zonis, der ganzen Nation etwas mitzuteilen zu haben, für den Anspruch, die eigentliche zivilgesellschaftliche Avantgarde im vereinten Deutschland zu sein." Festgemacht am besonders aggressiven Verhalten standortschützender Zonis, so hieß es weiter im Aufruf der Bundesweiten Sebnitz-Koordination, werde der volksgemeinschaftliche Konsens von Sebnitz ein willkommener Beitrag zum westdeutschen Modell der "Zivilgesellschaft" sein.
Auch die Begründung für das Verbot der Demonstration in Sebnitz könnte durchaus in die Zukunft weisen. Seit dem Verbot der antifaschistischen Demonstration in Saalfeld/Thüringen setzt sich in den neuen Ländern eine immer rigidere Haltung gegenüber der Bevölkerung mißliebigen Bekundungen fest. Im Fall der Demo in Sebnitz wurde schon aus der möglichen Teilnahme von Mitgliedern bestimmter politischer Gruppen oder Leuten, die deren Umfeld zugerechnet werden, messerscharf geschlossen, daß es - wie es in der Verfügung des Dresdner Verwaltungsgerichts am 16.2.2001 hieß - auf der Demonstration selbst "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" zu Gewalttätigkeiten kommen werde. Namentlich aufgeführt wurden die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB) und andere dem BO-Spektrum zugeordnete AntiFA-Gruppen, in Sachsen das Leipziger Bündnis gegen Rechts (BgR), die Antifaschistische Aktion Dresden (AAD) sowie der Dresdner Infoladen. Schon in der ersten Verbotsverfügung des Pirnarer Landratsamts vom 12.2.2001 wurde länglich auf das von diesen Gruppen ausgehende Gewaltpotential verwiesen. Vom Dresdner Verwaltungsgericht wurde schließlich zusammenfassend konstatiert: "In Kenntnis der zu erwartenden Beteiligung der genannten Gruppierungen haben sich der Antragsteller und die AG Sebnitz von diesen in keiner Weise distanziert, sondern vielmehr bereits im Kooperationsgespräch sinngemäß zum Ausdruck gebracht, daß es jedem freistehe, der an der Versammlung teilnehmen möchte, an dieser teilzunehmen. Diese mangelnde Abgrenzung gegenüber gewaltbereiten Gruppen zeigt sich auch noch in der Antragsschrift, wo es nur heißt, daß die Demonstration gleichgesinnte Gruppen mobilisieren wolle. Der Antragsteller bringt damit zum Ausdruck, daß ihm die Gewaltbereitschaft der genannten Gruppen gleichgültig ist." Der Berliner Anmelderkreis hätte demnach 1. das Leipziger Bündnis gegen Rechts niemals als offziellen Mitaufrufer dulden dürfen, 2. sich im Vorfeld schärfstens von der AAB distanzieren müssen, 3. öffentlich erklären müssen, daß die Demonstration strikt gewaltfreien Charakter haben werde und 4. eine intensive Sicherheitspartnerschaft mit der Ordnungsbehörde zum Zwecke des gemeinsamen Entfernens von Gewalttätern eingehen müssen. Damit gilt jedenfalls für die CDU-regierten Länder Sachsen und Thüringen praktisch schon jetzt ein Verbot für Demonstrationen des radikalen AntiFA-Spektrums bzw. solcher linksradikaler Gruppen, deren Aufrufen ein ganz allgemein als "gewaltbereit" eingeschätztes Spektrum folgen könnte. Für die Anmelder künftiger Demonstrationen bedeutet dies zugleich den künftigen gesinnungsethischen Lackmustest.
Es geht allerdings um mehr als um die Kriminalisierung bestimmter politischer Gruppen. Die Verbotsbegründung macht sich bereits an der "aggressiv-kämpferischen Diktion" (Verwaltungsgericht Dresden) des Aufrufs fest. Deutlicher noch hat sich das Landratsamt Pirna zum Fürsprecher sich unschuldig verfolgt wähnender Sebnitzer gemacht; dessen Stellungnahme wird von Dresden folgendermaßen wiedergegeben: "Ferner hat er (der Antragsgegner) in der Antragserwiderung vom 16.02.2001 vorgebracht, das Versammlungsverbot sei auch wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt. Die Versammlungsaufrufe und sonstigen Äußerungen seien geeignet, den überwiegenden Teil der Sebnitzer Bevölkerung existentiell einzuschüchtern. Dies gelte insbesondere für den Aufruf zur `öffentlichen Hinrichtung´. Die Stadt Sebnitz werde darin als ein `ganz ordinäres deutsches Rassistennest´ bezeichnet. Im Zuge des Ermittlungsverfahrens Kantelberg-Abdulla sei es zu massiven öffentlichen Vorverurteilungen gekommen; die Grenzen der physischen (!) Belastbarkeit der Sebnitzer Bürger sei infolge dieser Ereignisse erreicht. Das Gericht möge schließlich die parteiübergreifende Ablehnung der Versammlung berücksichtigen." Dem offenen Plädoyer für den Schutz des volksgemeinschaftlichen Konsens´ in Sebnitz ist das Dresdner Gericht zwar nur teilweise gefolgt. In der Begründung wird vor allem auf die Gewaltbereitschaft verwiesen, doch dem Gefühl "existentieller" Bedrohung rufgeschädigter Bürger wird auch hier Rechnung getragen: "Der Aufruf der AG Sebnitz, für den der Antragsteller die Demonstration angemeldet hat, ist als gewaltfördernd einzustufen. So heißt es auf Seite 3 des zweiten Aufrufs vom 8.2.2001: `Wenn Antifa Angriff heißen soll, dann muß das ein anderer Angriff sein, als es vor dem vergangenen Sommer üblich war.´ Hieraus wird deutlich, daß eine verschärfte Konfrontation mit der Bevölkerung bzw. mit den Sicherheitskräften gesucht wird." Natürlich war auch einem Dresdner Richter völlig einsichtig, daß die Paraphrasierung der Standardparole der radikalen AntiFa im Aufruf auf eine Schärfung der Kritik an den deutschen Verhältnissen gemünzt war und nicht unmittelbar auf die Demolierung des städtischen Marktplatzes oder der buchstäblichen "öffentlichen Hinrichtung" von Sebnitzern zielte. Das Zitat wurde aus dem Zusammenhang gerissen, nicht nur um der vom Landratsamt Pirna vermittelten Stimmung in Sebnitz entgegenzukommen, sondern um gleichzeitig einer fatalen und von Pirna nahegelegten rechtspolitischen Konsequenz zu entgehen: Bekanntlich werden Verbotsverfügungen nach dem Versammlungsgesetz immer mit der "unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung" begründet. Tatsächlich stützen sich die Verbotsverfügungen der letzten zwei Jahrzehnte in aller Regel auf die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Der Rechtsbegriff "öffentliche Ordnung" wird von der relativ liberalen westdeutschen juristischen Literatur und Verwaltungsrechtssprechung als zu unscharf abgetan und taucht lediglich als Floskel in den Beschlüssen und Urteilen auf. Beeinträchtigungen der "öffentlichen Ordnung" gelten als normale Begleiterscheinungen von Demonstrationen und sind von der Bevölkerung schlicht hinzunehmen. Doch der Referatsleiter des Ordnungsamtes Pirna beruft sich offen auf jenen vagen Begriff und deckt in der Verbotsverfügung vom 12.2. 2001 ohne Not auf, was sich hinter ihm tatsächlich verbirgt: "Unter der öffentlichen Ordnung versteht man die ungeschriebenen Regeln, die für ein gedeihliches staatsbürgerliches Miteinander unabdingbar sind." Der unbestimmte Rechtsbegriff hat also den sehr bestimmten Hintergrund, den deutschen Standort vor allen Gefahren gemeinschaftsschädlichen Verhaltens zu schützen. Es bedurfte Jahrzehnte, bis sich dieser Kern des Ordnungsrechts von der juristischen Oberfläche verabschiedet hatte und sich stattdessen in den Begriff der "öffentlichen Sicherheit" einnistete – und es spricht alles dafür, daß in Zeiten, in denen anständige Deutsche den Aufstand proben, die "öffentliche Ordnung" nicht nur bei den Verwaltungsgerichten, sondern in der ganzen Gesellschaft wieder gelebtes Rechtsgut wird. In Sebnitz hat sich dieser Aufstand ganz konkret gegen die Familie Kantelberg gewandt und darüber hinaus gegen alle, die Zweifel an der Sebnitzer "öffentlichen Ordnung" und deren "gedeihlichem staatsbürgerlichen Miteinander" hegen, also gegen jeden, der ein deutsches Standortkollektiv verdächtigt, verunglimpft oder sich sonstwie rufschädigend verhält. Was sich bis jetzt noch an der notorischen Gewaltbereitschaft bestimmter Gruppen festmacht, greift weiter aus und will von der verdeckten zur offenen Gesinnungsjustiz durchmarschieren.
Mit der verbotenen Sebnitz-Demonstration hat sich zugleich ein Bruch in der AntiFa vollzogen, und wahrscheinlich gerade deshalb, weil die anmeldenden Gruppen gar keine AntiFas sind. Nicht ganz zu Unrecht wird den sogenannten gewaltbereiten Gruppen gelegentlich vorgeworfen, sie bezweckten mehr als den Angriff auf Nazis; über den Antifaschismus hinaus werde die Organisierung einer Systemopposition in kommunistischer Absicht gemeint. Nicht ganz zufällig fallen die gleichen Gruppen hinter genau diesen Anspruch regelmäßig zurück. Statt die deutsche Bevölkerung als Ganzes ins Visier ihres Angriffs zu nehmen, wird weiterhin ganz traditionell (Bündnis-)Politik gemacht. So klopft sich zum Beispiel die AAB noch nach vier Jahren wegen ihrer Kundgebung in Dolgenbrodt auf die Schulter. Die gleiche AAB jedoch hat es seither geflissentlich unterlassen, vergleichbare und inhaltlich geschärftere Aktionen zu unterstützen oder gar als deren Initiatoren in Erscheinung zu treten. So hat sie etwa zur Demonstration in Gollwitz am 8.11.1997 demonstrativ nicht aufgerufen und sich jetzt ebenso von der Kundgebung in Sebnitz distanziert: Die Nichtunterstützung der Demo wurde im Januar auf einer eigens einberufenen Vollversammlung beschlossen. Mag die darauf folgende unterschiedliche Behandlung des Sebnitz-Aufrufes auf der AAB-eigenen Website entweder deren informationspolitischem Huddel, internen Querelen oder politischem Kalkül geschuldet sein – das Taktieren zwischen Mobilisierung und Demobilisierung der eigenen Anhängerschaft hätte sich politisch jedenfalls ausgezahlt. Je nach Erfolg oder Mißerfolg der Demo, und der macht sich dabei allein an der Zahl der Demonstranten fest, wäre man so zumindest im Nachhinein auf der sicheren Seite gestanden.
Andere haben sich weniger zweideutig verhalten. Gezielt demobilisiert hat zum Beispiel das Kollektiv des autonomen Cafe Krähenfuß an der Berliner Humboldt-Universität. Per Plenumsbeschluß wurde dort die Entfernung der Demo-Plakate und der ausliegenden Flugblätter verfügt, denn – so hieß es im O-Ton der Krähenfüßler – der Inhalt sei ja "voll krass". Nach der Maßgabe, daß noch vor aller Kritik an den mörderischen Verhältnissen in Sebnitz vor allem der eigene Kiez sauber zu halten und darum eine Demo, zu der unter anderem auch die BAHAMAS aufruft, zu verhindern sei, wurden von der sich als "antipatriarchal" verstehenden AntiFa Rote Dornen die Plakate in Kreuzberg gezielt überklebt. Und daß der Demo-Aufruf schließlich im Ordner der Interim verschwand, wird gleichfalls kaum dem Zufall geschuldet sein. Derart haben die diversen sich als antifaschistisch verstehenden Grüppchen allesamt ihren Beitrag zur Demobilisierung geleistet und ihren festen Willen bekundet, auch in Zukunft nicht mehr als eine bewaffnete Lichterkette zu sein. Gesucht wurde der Schulterschluß mit einer Bevölkerung, die den Demo-Aufruf mindestens ebenso "krass" fand wie sie selbst und der man in politologischer Manier noch irgendwas vermitteln will. Ganz offenkundig muß dann auch auf jede Gesellschaftskritik in kommunistischer Absicht verzichtet werden, wenn mit der Staats-AntiFa-Kampagne im letzten Sommer auch die eigene Entscheidung zugunsten des Gemeckers über rassistische Politiker ("Heuchler, Heuchler") statt für die Denunziation faschistoider Kollektive gefallen ist. Eine Ausnahme von der Regel scheinen hier fast nur die unmittelbar mit diesem Mob konfrontierten sächsischen AntiFas gewesen zu sein.
Angesichts der notorischen Weigerung selbst der radikalen AntiFa, die Verhältnisse, die sie eigentlich kritisieren möchte, überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, kann Praxis derzeit wohl nur in einer existenzialistischen Eskapade bestehen: nämlich die eigene Kritik an den deutschen Verhältnissen tatsächlich endlich ohne falsche Rücksichtnahmen zu äußern anstatt die eigene Irrelevanz dadurch zu kaschieren, daß man sogenannte "Bündnisse" organisiert und sich so den eigenen Anspruch auf das volkspädagogisch Mögliche reduzieren läßt.
Berliner Teil der Sebnitz-Koordination
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