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Bahamas jour fixe im September/Oktober 2000

 

Antifaschismus als neue deutsche Staatsdoktrin?

Wird jetzt die linke Antifa zur Bürgerpolizei der „Zivilgesellschaft“?

Am Dienstag den 5. September 2000, um 19:00 Uhr, im Versammlungsraum im Mehringhof, Gneisenaustraße 2a, Aufgang Mehringhoftheater

Seit Mitte Juli hat Deutschland einen neuen Feind: Der „Rechtsextremismus“ bedroht auf einmal nicht nur die von allen Deutsch-Sein-Wollenden ohnehin mit Misstrauen und Verachtung beäugten Bevölkerungsgruppen, denen man die Attribute fremd, schwach und unproduktiv anhängen kann. Nein, die neue „rechte Gefahr“ scheint, glaubt man den gegen sie engagierten Aktivisten aus Politik, Journaille und Showgeschäft, nach dem „Bestand der Demokratie“ selbst zu greifen und vor allem – was als das wohl Schlimmste überhaupt gilt – „Deutschlands Ansehen in der Welt“ zu schädigen.

Wie üblich bei den Feinden Deutschlands löst auch dieser wieder einen produktiven Schub bei der inneren Formierung aus. Man könnte glauben, der Antifaschismus – bislang Domäne einer randständigen Restlinken – sei über Nacht zur deutschen Staatsdoktrin geworden. Politiker, die sonst vor „Überfremdung“ und „Durchrassung“ der deutschen Heimat warnen, beschwören jetzt den Abwehrkampf gegen Neonazis. Arrivierte Ex-Linke und Berufs-68er erinnern sich voller Wehmut an die staatliche Repression der 70er und frühen 80er Jahre, deren Objekte zu sein sie das Glück hatten und verhelfen so der vor-68er Pädagogenweisheit „Leichte Schläge auf den Hinterkopf fördern das Denkvermögen“ zu neuen Ehren. Unternehmerverbände und Gewerkschaften schließen sich zur konzertierten antifaschistischen Aktion zwecks Sicherung des Betriebsfriedens zusammen.

Trotz aller zur Schau gestellten Empörung über die neonazistischen Umtriebe zur ethnischen Säuberung vor allem der Ostzone bleiben die neuberufenen Staats-Antifaschisten aber doch das, was sie zuvor schon waren: demokratische Rassisten. Während die NPD und andere Faschogruppen verboten werden sollen, herrscht zustimmende Einigkeit über die von Schily, Werthebach etc. formulierte und praktizierte Politik, derzufolge Einwanderung und Aufenthalt sogenannter Ausländer davon bestimmt sein soll, ob die betreffenden Personen „Deutschland nutzen und nicht belasten“ (Werthebach). Der gleiche Celler Stadtrat, der einstimmig den Bau einer Mauer um ein Flüchtlingsheim beschloß, könnte wohl ebenso einstimmig eine Resolution gegen „Fremdenfeindlichkeit“ verabschieden und hat das inzwischen vielleicht auch schon getan. Der neue deutsche Antifaschismus richtet sich also gleichermaßen gegen Ausländerfeinde und Ausländer.

Das müsste eigentlich für Irritationen sorgen, zumindest im Spektrum des linken Antifaschismus. Doch scheint hier die unerwartete Perspektive, den Antifaschismus „von oben“ durch einen „von unten“ zu ergänzen, wieder einmal die alten Illusionen über die Schaffung von „breiten Bündnissen“ zu beleben. Denn Teile der aktivistischen Linken gehen immer selbstverständlicher zusammen mit Vertretern der Staatsparteien gegen die „braune Gefahr“ auf die Straße. Vergessen scheint der gute Vorsatz von vor einem Jahr, niemals wieder mit (Mit-)Verantwortlichen für den Nato-Überfall auf Jugoslawien zusammenzuarbeiten. Ein wenig irritiert zeigten sich immerhin noch die Teilnehmer des antirassistischen Grenzcamps im ostzonalen Forst angesichts einer unerwarteten Moderatorenrolle von Repräsentanten des Staates. Gegenüber den auf Einvernehmen mit den Rechten bedachten Gemeindevertretern setzten Polizeiführung und Bundespolitiker das Bleiberecht der Antirassisten am Stadtrand durch. Dieses Agieren sollte, so scheint es, auch ein Integrationsangebot ausdrücken. Wenn die aktivistische Linke sich nicht zur Hilfstruppe des neuen deutschen Staatsantifaschismus degradieren lassen will, muß sie sich den jetzt notwendig auftretenden Irritationen stellen. Der linke Antifaschismus, nach wie vor zwar inhaltlich umstrittener, aber dennoch weitgehend gemeinsamer Bezugspunkt der antikapitalistischen Restlinken, ist in Gefahr, durch die neue Entwicklung zur Disposition gestellt zu werden.

Auf der Veranstaltung wollen wir uns schwerpunktmäßig mit den folgenden Fragen auseinandersetzen:

Was ist von der aktuellen Kampagne gegen den „Rechtsextremismus“ zu halten? Welche politischen Perspektiven haben Politik und Massenmedien im Auge, wenn sie „wehrhafte Demokratie“ und „Zivilcourage“ einfordern?

Wer ist eigentlich der Feind, gegen den die Kampagne geführt wird? Welche Projektionen kommen bei der gegenwärtigen Beschreibung von Neonazis, ihres Denkens und Handelns sowie ihrer Ziele zum Einsatz?

Wie ist in diesem Zusammenhang die Selbstetikettierung der Kampagnenträger als „Neue Mitte“ einzuschätzen? Worauf läuft die Forderung, Antifaschismus habe vor allem „antitotalitär“ zu sein, hinaus?

Und schließlich: Was bedeutet das alles für eine linke Antifa, die den ursächlichen Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus nicht vergessen möchte?

 

 

Deutsche Linke entdecken den Antisemitismus

Wir schienen den Zivilisationsbruch

Am Dienstag den 10. Oktober 2000, um 19:00 Uhr, im Versammlungsraum im Mehringhof, Gneisenaustraße 2a, Aufgang Mehringhoftheater

Die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus ist zum Thema verkommen. Dabei gibt es in der Realität der Berliner Republik – auch nach zehn Jahren deutscher Normalisierung, siehe den antisemitischen Anschlag am 27. Juli in Düsseldorf – keinerlei Anhaltspunkt dafür, daß der postfaschistische, demokratische Staat den Antisemitismus in irgendeiner Form eindämmen könnte, im Gegenteil. Dennoch ist der Streit über den Antisemitismus in der Linken, der noch in den neunziger Jahren die Gemüter erregte, mittlerweile Geschichte. Dem von junge Welt und analyse & kritik als „Sozialismus der dummen Kerls“ schöngeredeten Antisemitismus der Gollwitzer Bürger, die 1997 die Einquartierung jüdischer Kontingentflüchtlinge in ihr Dorf verhinderten, stand eine antideutsche Kritik gegenüber, für die der Antisemitismus weder sozialer Protest noch ein aufzuklärendes, mit allerlei „Stereotypien“ behaftetes Denken und Auschwitz kein unschönes Ereignis einer fernen Vergangenheit, sondern der kategorische Imperativ zur Abschaffung der deutschen Verhältnisse ist. Mittlerweile ist die Beschäftigung mit dem Antisemitismus zur Pflichtübung geworden, ohne allerdings die deutschen Verhältnisse in linksradikaler Absicht unter Beschuß zu nehmen. Umgekehrt geschieht die einst notwendige Kritik am linken Umgang mit Antisemitismus heute in antikommunistischer Absicht. Was für die Linke gilt, gilt für die Mehrheitsbevölkerung ebenso: Antisemitismus ist ein Dauerbrenner, dem man sich desto heftiger verschreibt, je mehr man die Kritik daran verdrängt hat.

Wo diese einer liebevoll-detailfreudigen Beschäftigung weicht, fehlt nicht mehr viel zur Versöhnung mit den Mördern, weshalb man kein Revisionist sein muß, um ein „Teach-In gegen Antisemitismus“ auf einem deutschen Soldatenfriedhof  zu veranstalten: Die da am 30. Juli 2000 auf dem Gubener Soldatenfriedhof eine Séance zum Gedenken an jüdische und deutsche Opfer ausrichteten, waren linksradikale Teilnehmer des Grenzcamps gegen Rassismus. Etwas plumper, aber in der Sache genauso wie kritischere Geister, haben sie sich mit der Existenz des Antisemitismus auf ihre Weise arrangiert. Ob auf theoretischem Niveau wie Robert Kurz oder mehr aus dem Bauch wie die Autoren des Szene-Bestsellers „Wir sind die Guten“: Der aufgeklärte Linke von heute weiß, daß der Antisemitismus zur modernen, warenproduzierenden Gesellschaft nun einmal dazu gehört. Der theoretischen Leidenschaftslosigkeit korrespondiert die praktische Abstinenz; die Gegnerschaft zum Antisemitismus beschränkt sich auf die Konstatierung eines derzeit nun einmal unvermeidlichen Übels. Diese eigentlich banale Grundaussage, welche die in Jungle World und anderen Zeitgeistblättern inflationär auftauchenden Essays zum Antisemitismus kennzeichnet, wird durch eine ungeheuer fleißige Rezeption von Theorien und Theoremchen gescheit geredet, wie es Seminaristen der Geisteswissenschaften eben ziemt. Nur scheinbar steht dabei die Folgenlosigkeit in Kontrast zum theoretischen Aufwand, mit dem der Antisemitismus verhandelt wird. Befinden wir uns im Zeitalter eines aufgeklärten Antisemitismus, wo der kritisierte Gegenstand im Jargon zu verschwinden droht?

Fließend ist der Übergang von strukturalistischen „Erklärungsansätzen“ zum Eintritt in die totalitarismustheoretisch geschulte Postmoderne. Wo Auschwitz zur Metapher für eine existentielle Menschheitserfahrung im „Jahrhundert der Lager“ (iz3w) wird, ist die praktische Bedienung des ideologischen Mainstream nicht fern. Der Walser-Debatte folgte nicht der erwartete Schlußstrich in der Geschichts­politik, sondern deren theoretische Neuformulierung: die Indienstnahme „unserer Schande“ für das außenpolitische Konzept der Nation. Im Wissen um diesen ideologischen Bedarf läßt sich Auschwitz profitabel verwerten: als begriffliche Hülle, hinter der sich, fern ab vom historischen Ort, die ganze Dramatik der Moderne verbirgt. Linke Schreiber auf der Suche nach Beute sind als Speerspitze für diese theoretische Neuformulierung wie geschaffen, und was derzeit als Trockenübung und Bewerbungsschreiben auf den Weg geschickt wird, dürfte schon bald die Feuilletonspalten besser zahlenden Publikationen auftauchen.

Eine zentrale Frage drängt sich auf: Handelt es sich bei der auffälligen Gleichzeitigkeit vom Interesse am Thema „Antisemitismus“ einerseits und Desinteresse an einer Kritik der deutschen Verhältnisse andererseits um eine Affirmation deutscher Normalität von links, der so lange an einer weiteren Zivilisierung gelegen ist, bis der in Auschwitz erfolgte Zivilisationsbruch unkenntlich geworden ist?

Und worin besteht der Unterschied zwischen einer Theorie des Antisemitismus und dessen kommunistischer Kritik?

 

 

Zur Kritik von Asexualität und Obszönität

Sexismusdebatte zwischen „Anti-Pat“ und Herrenwitz

Am Dienstag den 17. Oktober 2000, um 19:00 Uhr, im Versammlungsraum im Mehringhof, Gneisenaustraße 2a, Aufgang Mehringhoftheater

Alle paar Jahre hat die „Sexismusdebatte“ in der linken Szene Hochkonjunktur. Und zum Beweis, daß sich jeweils in der Zwischenzeit nichts geändert hat, werden, als wäre das jeweils aktuelle das erste Mal, Papiere immergleichen Inhalts verfaßt.

Das gebetsmühlenhaft beschworene „Patriarchat“, gegen das da gekämpft wird, ist dabei zu einer Leerformel verkommen, die nichts über die gesellschaftlichen Zustände, in ihrer jeweiligen Beliebigkeit aber viel über die aussagt, die es bekämpfen. Die hoffnungslose Inhaltsleere des „Begriffs“ wird jeweils mit der Konzentration auf einen „Einzelfall“ kaschiert, in dem dann die Lösung über die Zuweisung oder Beanspruchung von „Definitionsmacht“ gesucht und für verbindlich erklärt wird. Die rigide Skandalisierung von derartigen „Fällen“ führt zur Demonstration einer moralischen Radikalität und „antipatriarchalen“ Überlegenheit der Szene als Versuch sich von der übrigen Gesellschaft abzusetzen. Die damit in der Regel verbundene Strafzumessung gegen alle „Täterschützer“ treibt dann weiter, was das Gegenteil von Gesellschaftskritik ist und dabei noch unbemerkt ein tiefreaktionäres traditionell-patriarchales Frauenbild vermittelt, das nicht erst seit der jetzt aktuellen Debatte kolportiert wird: Die unbefleckte Unschuld des Weiblichen als Opfer des per se Bösen, des (hetero-) männlichen Triebes. Die Apologeten dieser Debatten merken folglich auch nicht, daß die geforderte Einheit von vermeintlichem Opfer und Richter, Verfolgtem und Verfolgendem, keine linke Kritik des bürgerlichen Rechtes ist, sondern ein Plädoyer für etwas, was normalerweise als „gesundes Volksempfinden“ bezeichnet wird. Auch dieses bezieht seine Energie und seine Feindbilder aus der sexuellen Verdrängung, dem daraus resultierenden Strafbedürfnis und dem Haß gegen das Fremde. Die schmierigen Revolverblätter, die es bedienen, verraten in ihren Nackedei-Bildchen aber noch die Herkunft ihrer Strafphantasien. Die kollektiven Konsequenzen der Strafphantasien sind dann die ewigen Erneuerungsformen der reaktionären Formierung der Gesellschaft, egal, ob dabei nun Ausländer, Hunde oder sonstige „Schädlinge“ im Zentrum stehen.

Das von der szeneinternen Selbstjustiz verfolgte Projekt ist ehrgeizig und muß doch mißlingen: der „neue“ sexualitätslose Mensch. Deswegen arbeitet es der Barbarisierung des Geschlechterverhältnisses in Szene und Gesellschaft zu: Ist schon die Masturbation verdammenswürdig, wie so mancher Männerrundbrief vorschlägt, weil sie mit zügelloser männlicher Phantasie einhergehe, so breiten sich im Windschatten der Debatte Herrenwitz und frauen- und schwulenfeindliche Terminologie aus, die für sich dann den Nimbus der subversiven Tat gegen den „pc-Terror“ beanspruchen. In Szene wie Gesellschaft gehen Verdrängung und Verwilderung Hand in Hand.

Diesen Teufelskreis von Prüderie und Obszönität, von männerbewegter Asexualität und autonomem Körperkult, von Traumhochzeit und Ballermann zu verstehen und zu kritisieren, wäre eine Aufgabe für Linksradikale. Dazu aber müßten sie sich den Zumutungen der Sexualität nicht zuletzt ans eigene Selbst stellen.

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