Antisemitismus ist bekanntlich nicht nur ein Phänomen der politischen Rechten. Auch in Österreich nicht. Wenn auch der Großteil der österreichischen Linken stets ein entschiedener Gegner des Antisemitismus war, gab es doch schon im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts reichlich Fälle, in denen linke Theoretiker und Politiker Antisemitismus entweder leugneten, verharmlosten und entschuldigten oder auch offen propagierten. Als Ruth Fischer für die deutsche KP 1923 die Losung ausgab "Tretet die Judenkapitalisten nieder!", bemühte man sich auch in der österreichischen Arbeiterbewegung, den Antisemitismus der breiten Massen zu bedienen. Das äußerte sich unter anderem darin, daß der Name Rothschild der einzige war, der österreichischen Sozialdemokraten in ihrer Propaganda zu einem Kapitalisten zu passen schien. So verwundert es nicht, daß zwischen den Weltkriegen die Personifikationen des Kapitals auf den Plakaten der Wiener Sozialdemokratie häufig eine Physiognomie aufwiesen, die Antisemiten für Juden reserviert haben. Entsprechend konnte sich Georg von Schönerer, einer der radikalsten Antisemiten seiner Zeit, lange Zeit der Sympathien von Teilen der österreichischen Arbeiterbewegung erfreuen (1). Schönerer zeichnete sich durch demagogische Angriffe gegen den "Einfluß der Rothschilds" auf Politik und Gesellschaft aus.
Nach dem Sieg über den Nationalsozialismus war antisemitische Propaganda in Europa weitgehend geächtet. So kam es, daß Antisemiten sich ein scheinbar neues Objekt ihres Hasses suchten. Gewettert wurde nun nicht mehr gegen "die Juden" sondern gegen den Staat Israel. Man war nicht mehr Antisemit; nun war man Antizionist. Zuerst war diese Entwicklung bei der äußeren Rechten in Deutschland und Österreich zu beobachten. Doch je mehr nach 45 die europäischen Linken sich an der Sowjetunion orientierten, umso mehr entwickelten auch sie einen Antizionismus, der eindeutig Affinitäten zum Antisemitismus aufwies.
Dabei ging die Orientierung an der Sowjetunion nicht immer mit einer antizionistischen Agitation einher. Die von Lenin geführte Oktoberrevolution hatte den russischen Juden trotz struktureller Ähnlichkeiten der Leninschen Imperialismuskritik mit dem Antisemitismus (2) durchaus Vorteile im Vergleich zur Zarenzeit gebracht. Mit Stalin kam jedoch ein Mann an die Macht, der sich nicht scheute, den Antisemitismus als Mittel im Kampf gegen die linke Opposition einzusetzen. Nach einer kurzen Phase der Unterstützung der israelischen Staatsgründung wurde der Antizionismus Ende der 40er Jahre zur politischen Doktrin der Sowjetunion.
Aufgrund der Abhängigkeit von der KPdSU begriff es die Kommunistische Partei Österreichs als ihre Pflicht, der antizionistischen Agitation der SU und der anderen Ostblockstaaten zu bescheinigen, daß sie rein gar nichts mit Antisemitismus zu tun habe. In der "Volksstimme", der damals täglich erscheinenden Zeitung der KPÖ, ging man 1952 sogar so weit, den Slànsky-Prozeß in der Tschechoslowakei vorbehaltslos zu verteidigen (3). In diesem Prozeß waren elf der vierzehn Angeklagten Juden, und die Anklage, die auf "trotzkistisch-zionistisch-titoistische Verschwörung" lautete, wurde von dem deklarierten Antisemiten Major Smola vertreten. Ein Jahr später rechtfertigte das gleiche Organ den sogenannten "Ärztekomplott-Prozeß" in der SU (4), in dem sechs Juden und drei weitere Angeklagte als "Agenten des Zionismus" wegen angeblicher Morde an hohen Staats- und Parteifunktionären und wegen unterstellter Mordpläne gegen Stalin vor Gericht standen. Die "Volksstimme" konnte in den Angeklagten keine Opfer einer antisemitischen Kampagne erkennen. Stattdessen erblickte sie in den Ärzten "Bestien in Menschengestalt" (5).
Als 1968 die Aktionen gegen jüdische Parteifunktionäre in Polen begannen, gab es innerhalb der KPÖ heftige Diskussionen über eine angemessene Reaktion. Mit mehr als einem Jahr Verspätung führten diese dann auch zu einer offiziellen Erklärung, die einer Besorgnis über die Vorgänge Ausdruck verlieh (6). Zuvor veröffentlichte die "Volksstimme" allerdings die Rechtfertigungen der polnischen KP-Führung für ihr Vorgehen gegen Juden (7).
Seit Ende der 60er Jahre spielt in Österreich wie auch in der übrigen westlichen Welt der Antizionismus der Neuen Linken seine Rolle. Seit 1970 wird an den Wiener Hochschulen von linken österreichischen und arabischen Gruppen Propaganda gegen Israel betrieben, die sich in einigen Punkten kaum von den zeitgleich verbreiteten Schriften rechter Gruppen unterscheidet. 1982 begründen Wiener Demonstranten ihren Protest gegen die Kriegspolitik Begins mit der Behauptung, Begin sei ein "Nazifaschist". Ein Jahr später bringen die "Alternative Liste Wien" und die "Gewerkschaftliche Einheit" ihre Ablehnung der israelischen Libanonpolitik in einem Aufruf zu einer Kundgebung vor der israelischen Botschaft dadurch zum Ausdruck, daß sie vom "vorsätzlichen Genozid" an den Palästinensern reden, und leisten damit den Versuchen zur Relativierung des Holocaust Vorschub.
Nennenswerte Kritik am linken Verhältnis zu Israel kommt zu dieser Zeit kaum aus der Linken selbst, sondern findet sich fast ausschließlich in jüdischen Publikationen, insbesondere der "Gemeinde", dem offiziellen Organ der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien.
1990 machte eine "autonome Palästina-Gruppe" durch Veranstaltungen und Interviews mit dem völkisch-stalinistischen Antizionisten Karam Khella auf sich aufmerksam. Khella vertritt in seinen Schriften die Ansicht, der Zionismus schüre den Antisemitismus, die Juden seien also selbst Schuld an ihrer Bedrohung. Als 1993 auf einem Büchertisch eines autonomen Wiener Info-Ladens während des jährlichen Festes der KPÖ die Schriften Karam Khellas verkauft wurden, führte das noch zu zaghaften Protesten einiger Anwesender. Inzwischen gilt es als normal, daß diese Schriften auf jeder linken 3.-Welt-Veranstaltung angeboten werden.
Die Redaktion der autonom-umweltbewegten Zeitschrift "Tatblatt", war durchaus in der Lage, den Antisemitismus bei Karam Khella und der "autonomen Palästina-Gruppe" zu bemerken. Allerdings schmetterte sie am Ende ihrer dazu verfaßten Stellungnahme (8) die Parole "Boykottiert Waren aus Israel" heraus. Sie belegte damit nicht nur ihre historische Amnesie, sondern auch, daß sie einer verkürzten auch dem Antisemitismus nicht unbekannten Kapitalismuskritik anhängt, die glaubt, zwischen guten und schlechten Waren und guten und schlechten Kapitalisten unterscheiden zu können.
In letzter Zeit führt vor allem eine Gruppe namens "Kampagne Tawfik Chaovali" sie setzt sich für die Freilassung des wegen eines Anschlags auf den El-Al-Schalter im Wiener Flughafen inhaftierten Tawfik Chaovali ein die unselige Tradition eines völlig unreflektierten linken Antizionismus fort. In einem Flugblatt verkündet sie, daß Israel "seit Beginn seines Bestehens seine Existenz auf Gewalt gegründet" habe und tut dabei so, als wäre das eine Besonderheit des israelischen Staates. Dieser massiven Kritik an Israel entspricht die sonst völlige Abwesenheit einer grundsätzlichen Staatskritik in antizionistischen Kreisen. Was man an Israel kritisiert, seine Staatsgewalt, seine Nationwerdung inklusive der nationalen Mythen etc., wünscht man sich für die palästinensischen Brüder und Schwestern. Staat und Nation sind für Antizionisten Erfüllungsgehilfen der Freiheit es sei denn, sie werden von Juden in Anspruch genommen.
Die Flugblattschreiber wissen zwar von "Deportationen jüdischer Menschen aus Osteuropa und Nazi-Deutschland nach Palästina" zu berichten; über die tatsächlichen Deportationen nach Auschwitz und Treblinka schweigen sie sich aus.
Im Denken solcher Leute funktioniert die israelische Politik nicht so wie die anderer Staaten, sondern hier wird alles von "langer Hand" vorbereitet.In diesem Punkt befinden sich die linken Antizionisten in trauter Einheit mit Kurt Waldheim, ehemaliger Bundespräsident mit Nazi-Vergangenheit. Dieser hat erst kürzlich deutlich gemacht, wer seiner Meinung nach damals gegen seine Kandidatur intrigiert hat: eine "allmächtige Lobby", ein "weltweites Netzwerk", das "enorm wirksam" ist und Menschen auf dem ganzen Erdball "Pressionen" aussetzt (9). Waldheim und die linken Antizionisten sehen sich hier dem selben Feind gegenüber: der jüdischen Weltverschwörung.Die jüngste Errungenschaft der "Kampagne Tawfik Chaovali" besteht in einem Pamphlet zum 100. Jahrestag des Erscheinens von Theodor Herzls "Judenstaat". Darin wird der Zionismus abermals für den Antisemitismus verantwortlich gemacht. Auch alle anderen Register der antisemitischen Propaganda werden gezogen. Gleichzeitig wird das eigene Unverständnis des modernen Antisemitismus zur Schau gestellt, wenn die Autoren schreiben, Antisemitismus richte sich gegen "Menschen jüdischen Glaubens". Als hätte es sich bei der Judenverfolgung und Vernichtung in diesem Jahrhundert um eine Art religiöser Auseinandersetzung gehandelt. Sie verkennen die Qualität eines rassistisch motivierten Antisemitismus, der auch Menschen als Juden zu erkennen glaubt, deren Urgroßeltern bereits Atheisten waren oder konvertierten.
Die österreichischen Antiimps, die sich nicht zu blöd sind, ihre Mao-Lektüre zur Schau zu stellen, wenn sie vom "palästinensischen Widerstand" faseln, der "sich wie ein Fisch im Wasser der Bevölkerung bewegt" (10), wollen sich, wie ihre Glaubensgeschwister in der BRD, am "Kampf der Völker um ihre Befreiung" beteiligen. Dabei geht der Einzelne im Kampf für das Große und Ganze der Volksgemeinschaft auf. Wie gut, daß "Tawfik nicht aus persönlichen Motiven [handelte], sondern aus der Überzeugung, etwas für sein Volk tun zu müssen." (11) Angesichts solcher Begeisterung für einen völkischen Vorkämpfer nimmt es nicht Wunder, wenn sich österreichische Antiimps über die Beiträge von Rainer Dittrich, politischer Gefangener in Lübeck, freuen. Der, von Sorge wegen "schacherei [...] um palästinensischen boden" geplagt, stärkt die Kämpfer mit dem National-Kitsch eines Fatah-Liedes: "mein Land, mein land, / al fatah, die revolution, führt uns gegen / den feind! / palästina, du bist das land unserer väter, / zu dir werden wir zurückkehren." (12)
Während es für Antizionisten feststeht, daß Juden weder Volk noch Nation sind, reden sie von Palästinensern nie anders als in der kollektivierten Form des palästinensischen Volkes. Schließlich können Palästinenser auf einen Boden verweisen, der ihnen nicht nur "rechtmäßig" zusteht, sondern ein Boden mit besonderen Qualitäten ist, einer, mit dem man sogar reden kann. Versprach man in der Hamburger Hafenstraße diesem "Palästina" genannten Boden "Das Volk wird dich befreien", so versichert man ihm in Wien "Dein Volk wird siegen!" (13)
In letzter Zeit zeichnen sich allerdings auch Regungen des Widerstandes aus der Linken gegen die Antizionisten ab. Eine linkskommunistisch-anarchistische Gruppe verweigerte dem "Palästina-Komitee" die Unterstützung zur Verbreitung seiner Materialien. Eine Gruppe im Umkreis der antifaschistischen Zeitschrift "lotta dura" hat sich vorgenommen, zumindest publizistisch gegen Zusammenhänge wie die "Kampagne Tawfik Chaovali" vorzugehen. Eine intensivere Auseinandersetzung mit linkem Antizionismus und dessen antisemitischen Implikationen wird auch vom nicht ganz einflußlosen "Kommunistischen StudentInnenverband" gefordert, der kürzlich mit einer Delegation Israel und Palästina bereiste.
Ob es in Österreich tatsächlich zu einer weitergehenden Diskussion kommt, bleibt vorerst abzuwarten. In ihr müßten neben der Geschichte des linken Antisemitismus auch dessen theoretische Grundlagen aufgearbeitet werden. Seine falschen Vorstellungen über Kapitalismus und Imperialismus, seine positive Bezugnahme auf Herrschaftskategorien wie Volk, Nation und Staat sowie die weitgehende Ignoranz gegenüber Auschwitz und dem modernen Antisemitismus müßten thematisiert werden.
Stephan Grigat (Bahamas 20 / 1996)
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