Titelbild des Hefts Nummer 36
Intifada weltweit
Heft 36 / Herbst 2001
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Kapitulation vor dem Vernichtungswillen

Islamistischer „Antisemitismus der Vernunft“

Früher soll ja bekanntlich manches besser gewesen sein, weil man zumindest nicht so viel von früher reden brauchte. Früher aber, jedenfalls vor 35 Jahren, im Jahre 1966, schien es auch nicht viel besser gewesen zu sein. In jenen Jahr nämlich war Günther Anders eingeladen, einen Vortrag „Über Religion im technischen Zeitalter“ zu halten. Der sich selbst als einen “notorisch antireligiösen Mann“ bezeichnende Anders nutzte die Gelegenheit, um seiner frommen, gleichwohl aufgeschlossenen Zuhörerschaft u. a. blasphemisch eine „Theologie der atomaren Situation“ um die Ohren zu hauen. Deren Epilog enthält einen Satz, der uns heute allerdings kaum an frühere Zeiten denken läßt, der uns hierzulande in den letzten Wochen vielmehr aus diversen Radio- und TV-Kanälen, aus Zeitungen, aus Äußerungen prominenter wie gänzlich anonymer Zeitgenossen und nicht zuletzt aus linken Publikationen – wenn auch in sprachlich regredierter Form – entgegenschallt: „Gute Zeiten waren das, als die Bosheit noch in Boshaften oder Bösartigen verkörpert war, und als man noch hoffen durfte, das Böse durch Kampf gegen Böse bekämpfen zu können.“ Günther Anders gab seinem 15 Jahre später veröffentlichten Vortragstext dann auch den Titel „Die Antiquiertheit der Bosheit“.[1]

Seine „Theologie der atomaren Situation“ gründet Anders auf vier Argumente: Erstens, dass unter dem Primat der Naturbeherrschung „Technik“ und „Geräte“ entwickelt wurden, welche „die gesamte Menschheit und Menschenwelt auslöschen können“, und daraus eine „völlig neuartige Allmacht“ entspringe, der eine „völlig neue Ohnmacht“ entspreche. (Eine kritische Erörterung der Andersschen Termini „Technik“, „Geräte“ und „Menschheit“ hat an vielen anderen Stellen schon stattgefunden und ist in diesem Zusammenhang höchstens von untergeordneter Bedeutung.) Zweitens habe die „Wiederholbarkeit“ der „Ereignisse Auschwitz und Hiroshima“ bewirkt, dass das sogenannte ‚natürliche Sterben’ zu einer obsoleten Sonderbegünstigung geworden“, hingegen „die Möglichkeit der gewaltsamen Selbstaustilgung der Menschheit pausenlos virulent“ sei.[2] Zu dieser neuen Situation komme drittens die Abwesenheit individueller Verantwortlicher bei Massentötungen hinzu, denn „entweder kommen wir durch Handlungen um, die Täter irgendwo, tausende Kilometer von uns entfernt, als pflichtgemäße Arbeit verrichteten; oder eben durch hirn- und augenlose Geräte, die sich längst von den Händen und Absichten ihrer Erzeuger und Bediener emanzipiert und die das Werk des Liquidierens nun völlig selbständig übernommen haben.“ Und viertens beinhaltet Anders blasphemische „Theologie“, dass „wir nun alle zusammen – freilich nur ‚zusammen’, wohl aber nicht ‚gemeinsam’ – umkommen können.“

Bei dem Massaker am 11. September in den USA kamen um die 7000 Menschen „zusammen“ ums Leben, freilich nicht „gemeinsam“, falls man die wahrscheinliche Definition ihrer Mörder, derzufolge sie durch ihre Anwesenweit zur falschen Zeit an den falschen Orten sich gemeinsam der Unterstützung eines „verderbten“, von Finanzkapitalisten, Zionisten und anderen „Juden“ organisierten Systems schuldig gemacht haben, nicht teilen möchte. Was Banker und Putzfrauen, Ölmagnaten und Aushilfsjobber, Militärs und Touristen, hochbezahlte High-Tech-Spezialisten und im Schatten der imperialen Wolkenkratzer dahinvegetierende Obdachlose zusammen in den Tod riß, war der auf einer Selektion sich gründende Vernichtungswille der Massenmörder. Dieser Vernichtungswille stellt zugleich eine gigantische und grausige Apotheose des bürgerlichen Gleichheitsideals dar, wie sie erstmalig in den deutschen Vernichtungslagern in die Tat umgesetzt wurde. Für die der „jüdischen Gegenrasse“ Zugeschlagenen durften weder persönliche noch soziale Besonderheiten Anlässe sein, sich der Gleichheit vor und in der Vernichtung zu entziehen. Dieses Prinzip sollte Jahrzehnte nach dem Ende des nationalsozialistischen Deutschland seine – sich nur in den quantitativen Dimensionen von seinem Vorbild unterscheidende – Fortsetzung in der Praxis palästinensischer „Selbstmordattentate“ gegen Israelis finden. Die traditionelle Unterscheidung zwischen aktiven Trägern der bekämpften Macht – Militärs, Polizisten, Politiker, gelegentlich auch Repräsentanten von Wirtschaft und Massenmedien – einerseits und als weitgehend unbeteiligt unterstellter „Normalbevölkerung“ andererseits, die in der Regel noch von den wüstesten völkischen „Befreiungs“-Bewegungen vorgenommen wird[3], wurde aufgegeben und durch den Grundsatz der Tötung möglichst vieler Juden ersetzt, unabhängig von Alter, Geschlecht, sozialer oder politischer Funktion. Die Frustration der Massenmörder über die Beschränktheit der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel und der erreichten Opferzahlen ist nun durch ihren Triumph vom 11. September ein wenig gemildert, was zu neuen Taten anspornen dürfte.

Vernichtungswille aber stellt in Theorien subjektloser Herrschaft, wie sie eine davon Günther Anders vorlegte, nur eine marginale Größe dar. Anders schließt seine Betrachtungen über die „Antiquiertheit der Bosheit“ mit der Spekulation über die Existenz „einzelner ‚kosmo-herostratischer’ Individuen oder Gruppen“. Deren Versuchung, „ein solches (das Wort reicht nicht) ‚Verbrechen’ zum Jux zu begehen, könnte bei der heute herrschenden Langeweile, Aggressions- und Destruktionslust gewiß einmal unwiderstehlich werden.“ In einer Hinsicht jedenfalls war es früher wohl doch besser: Taten, wie die Anschläge von 11. September 2001 konnte man sich nur als Ausnahmen auf der Grundlage privaten Wahnsinns vor dem Hintergrund allgemeiner geistiger Ödnis vorstellen. Von der Kulturindustrie wurden kollektive Phantasien verfilmt, in denen zumeist verkannte und in Folge dessen durchgeknallte Akademiker (Dr. Mabuse, Dr. Fu Man Chu, Dr. No) mit solchen Taten drohten, um das spinnerte Ziel der individuellen Weltherrschaft zu erreichen. Später waren es dann urzeitliche Monster wie Godzilla oder Außerirdische, die Hochhäuser niedertrampelten oder Flugzeuge in der Luft zerquetschten, die den kollektiv-unbewußten Schmerz darüber, dass die Katastrophe im Nichtendenkönnen des Bestehenden sich manifestiert, zum kulturindustriellen Ausdruck brachten. Die Möglichkeit der Massenvernichtung zur Erreichung politischer Zwecke, insbesondere zur Erreichung solcher Zwecke, für die das besiegte Nazi-Deutschland inzwischen nur noch symbolisch einzustehen hatte, schien, nicht zuletzt aufgrund der „atomaren Situation“ eine zu vernachlässigende Größe. So meint man die wegwischende Handbewegung des Autors zu sehen, wenn Anders schreibt: „Nichtsdestoweniger scheint es mir, dass die Gefahr, wenn sie nur von solchen luziferischen Gruppen oder Individuen ausginge, nicht annähernd so groß wäre, wie die heute tatsächlich bestehende. Nicht deshalb, weil diese Täter (was fraglich ist) immerhin noch wüssten, was sie täten, weil sie (was ebenso fraglich ist) noch handelnde Subjekte wären, und nicht nur Wesen, die sich dem automatischen Wuchern ihrer Geräte blindlings überließen. Das könnte uns, wenn das der Fall wäre, nur wenig trösten. Sondern deshalb, weil es vielleicht doch möglich wäre, Einzelne oder Einzelgruppen zu identifizieren und dingfest zu machen – während das Faktum der Großtechnik, das unserer Gefahr zu Grunde liegt, unidentifizierbar bleibt und weder bekämpft noch dingfest gemacht werden kann.“

In seinen letzten Jahren hat Günther Anders auf die Gefahr von Massenvernichtungstechnologien in den Händen politisch desperater politischer Eliten, die sich außerhalb der seinerzeit dominierenden Machtblöcke bewegten, verwiesen. Das Phänomen des auf der Grundlage von Antisemitismus geeinten politischen Islams befand sich in der Zeit der sog. „Blockkonfrontation“ jedoch in einer langwährenden embryonalen Phase; es trat als eigenständige Kraft, die aus dem explizit formulierten Zweck der Vernichtung Israels einzig seine Existenz legitimiert, erst im Laufe der 90er Jahre mit einer Reihe von massenmörderischen Aktionen in Erscheinung. Neue Versuche, subjektlose Herrschaft theoretisch auf den Begriff zu bringen, haben es angesichts dessen offensichtlich schwer, den grausigen Vernichtungswillen des politischen Islam zu analytisch zu definieren. Robert Kurz, einst verdienstvoller spiritus rector der nicht minder verdienstvollen Krisis-Gruppe hat zwar Günther Anders’ einengende Fixierung auf den scheinbaren Selbstlauf der Entwicklung von Technologie und Gerätschaften zugunsten eines Einblicks in den Verblendungszusammenhang der warenfetischistischen Wertverwertung überwunden, doch das, was Anders „Antiquiertheit der Bosheit“ nennt, hat auch bei ihm einen festen Platz. In einem Kommentar für das PDS-nahe Blatt Neues Deutschland (14. 9.) kennzeichnet Kurz den jüngsten Massenmord als „Angriff aus dem Dunkel der Ir-rationalität“ (Trennung im Original, H. P.). Die Möglichkeit eines „Dingfestmachens“ der „luziferischen Gruppen und Individuen“, wie sie noch Günther Anders leichthändig postulieren zu können glaubte, existiert für Kurz nicht mehr: „Die terroristische Ökonomie des Wahnsinns (man staunt über die logistischen Fähigkeiten der Attentäter) entspricht spiegelbildlich dem Wahnsinn der modernen politischen Ökonomie.“

Werden also Mörder und Ermordete letztendlich durch ihre Fähigkeit zur Aneignung logistischer Fähigkeiten nicht nur im Tode gleich? Ganz so weit will Kurz nicht gehen, im folgenden Satz beschränkt er deren Gleichheit auf die jeweiligen Eliten: „Was in den Köpfen der Chefterroristen vorgeht, ist somit nicht bizarrer als die Art und Weise wie die Chefmanager der Weltwirtschaft Mensch und Natur wahrnehmen.“ Wirklich? Wird hier nicht der beträchtliche Unterschied zwischen Vernichtung als Zweck und Vernichtung als in Kauf genommenes, aber nicht bewusst angestrebtes Resultat geflissentlich übersehen? Für Kurz jedoch ist beides identisch: „Der Terror schlägt ebenso blind und sinnlos zu wie die ‚unsichtbare Hand’ der anonymen Konkurrenz, unter deren segensreichen Regiment permanent Millionen von Kindern verhungern – um nur ein Beispiel zu nennen.“ Was Kurz hier unterschlägt, sind die Phänomene Willen und Leidenschaft, beide – der eine als vorgestellt „freier“, die andere als imaginierter innerer Antrieb – sind gewiß reflexhaft dem Wirken der “unsichtbaren Hand“ verbundene Eigenschaften von Chefmanagern, jedoch ist es diesen herzlich gleichgültig, ob Millionen Kinder verhungern oder nicht. Deren Tod wird nicht gewollt, sondern achselzuckend in Kauf genommen und kommentiert: „Tragisches Schicksal ..., Kampf gegen Hunger als Menschheitsaufgabe ...humanitäre Tragödie“ etc. Die Rohheit und Fühllosigkeit, die es bürgerlichen Subjekten ermöglichen, über den vermeidbaren Hunger- und Krankheitstod anderer achselzuckend hinwegzusehen, weil sie von der Naturhaftigkeit kapitalistischer Produktion und Verteilung überzeugt sind, es ihnen als ein bedauerliches aber leider unausweichliches Fatum erscheint, wenn Millionen Kinder vom Wirken der „zweiten Natur“, deren unverstanden Stützen sie sind, umgebracht werden, sind definitiv anderer Art als der Wille zum vorsätzlich vollzogenen Massenmord. Was den politischen Islam auszeichnet, ist jedoch nicht das Streben nach Verwertung und weiterer produktiver Aneignung des Verwerteten, sein Ziel besteht in Vernichtung –zuvörderst der Juden.

Was ist eigentlich ein „Selbstmordattentäter“? Ist das nicht schon eine merk-, gar fragwürdige Begriffskombination? Als Selbstmörder wird gemeinhin ein Mensch bezeichnet, der den Entschluß, sein Leben nicht durch einen sog. „natürlichen Tod“ – im allgemeinen Verständnis zumeist krankheits-, gelegentlich auch unfallbedingt – und auch nicht durch einen „gewaltsamen Tod“ – worunter gewöhnlich Tötung durch andere Menschen, gelegentlich auch durch Unfall verstanden wird – zu beenden, umzusetzen versucht, umsetzt oder dies noch versuchen wird. Post festum unterscheidet man zwischen erfolgreichen und gescheiterten Selbstmördern. Im Alltagsleben wird man auch mit Begriffen wie „Selbstmordkandidat“ oder „potentieller Selbstmörder“ konfrontiert, die – oft unter missverstandenem Rückgriff auf psychologische Termini – ausdrücken wollen, dass es so bei Gefahr des, zumeist sozialen, Todes der bezeichneten Person nicht weitergehen könne. Selbstmörder mögen manche gute Gründe haben – darauf hat Jean Amery eindrucksvoll hingewiesen – oder auch viele schlechte, denn der Einwand, dass es gerade die vorhandenen sozialen Verhältnisse waren und sind, die suizidale Ausweglosigkeit evozieren, ist schwer zu widerlegen. Der Selbstmörder ist aber eher ein privater, denn ein politischer Typus.

Selbstmorde aus politischen Motiven gelten daher als äußerst unglaubwürdig. Zwei Beispiele: Der Anarchist Erich Mühsam wurde 1934 im KZ Oranienburg erhängt. Die Kommunisten Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe wurden 1977 im Hochsicherheitsgefängnis Stuttgart-Stammheim erschossen und erhängt. Die Staatsgewalt konstatierte „Selbstmord“, ihre Feinde „Mord“. Nicht als Selbstmorde im beschriebenen Sinne werden Selbsttötungen von Gefangenen begriffen, die vollzogen werden, um der Gefangenschaft, Folter oder einer grausamen Todesart zu entkommen. Dies wird oft sogar als Triumph des Lebenswillens der Gefangenen verstanden.

Attentäter hingegen haben ein politisches Ziel, das auch ihr eigenes Weiterleben impliziert, selbst wenn sie dieses beim Attentat aufs Spiel setzen. Politische Bewegungen, deren Ziel sich nicht (mehr) in sozialen Veränderungen, welcher Art auch immer, sondern vor allem in wahnhaften Visionen einer völkischen Reinheit ausdrückt, benutzen gelegentlich auch den Tod des/der Attentäter als Mittel für die erfolgreiche Ausführung des Attentats - denken wir nur an die PKK in der Vergangenheit oder an die tamilischen „Befreiungstiger“. Dennoch sind auch diese Wahnsinnsaktivitäten keine Selbstmordattentate im Sinne der antiisraelischen Massaker. Tamilische Separatisten sind meines Wissens bislang noch nicht auf den Gedanken gekommen, um des Singhalesen-Tötens wahllos Singhalesen zu töten, sondern beschränkten sich bei ihrem selbstmörderischen Treiben auf die feindliche Armee. Attentate, auch die zuletzt erwähnten, wollen in der Regel zweierlei erreichen: Den jeweiligen Feind schwächen und die Möglichkeit einer solchen Schwächung demonstrieren.

Islamistische Selbstmordattentäter aber wollen nur eines: möglichst viele Juden vernichten. Sie wollen natürlich auch einen palästinensischen Staat, dessen fragwürdigen Segnungen sie selbst allerdings nicht mehr teilhaftig werden. Aber sie wissen auch – zumindest könnten sie es jederzeit wissen -, dass dieser Staat wegen der Unerreichbarkeit einer akkumulationsfähigen Ökonomie auf Alimentation von außen angewiesen sein wird, seine Bürger das fragwürdige Privileg besitzen werden, sich für die Zwecke anderer Staaten nützlich zu machen[4]. Auf diese Situation bereitet man sich jetzt offensichtlich auch durch Selbstmordattentate fleißig vor: Die hinterbliebenen Familien der Attentäter erhalten von der palästinensischen Autonomiebehörde – Deutsch-Europa ist einer ihrer wesentlichen Finanziers - eine für nahöstliche Verhältnisse erkleckliche Prämie, die unterschiedlichen Presseberichten zufolge zwischen 5.000 und 10.000 US-Dollar betragen soll. Gelegentlich erscheinenden – jedoch nicht eindeutig verifizierten - Meldungen zufolge spendiert das irakischen Hussein-Regime den „Märtyrer-Familien“ noch einmal 25.000 US-Dollar. Doch nicht nur für die Hinterbliebenen der Mörder soll der Mord sich gelohnt haben. Diese Ökonomie des Todes hat – wie sollte es auch anders sein – ihre spezifische Jenseitsvorstellung hervorgebracht. Es ist fast zu peinlich, um wahr zu sein: Die Mörder glauben, unmittelbar nach dem Mord ins Paradies zu gelangen, wo ihnen 72 Jungfrauen zu Diensten sind. Wer meint, es handele sich hier um eine Phantasie notorisch zu kurz Gekommener, die erotische Ausschweifungen wenigstens im Jenseits erleben möchten, irrt. Man muß sich nicht dem Verdacht des Machismo aussetzen, um zu wissen, dass dies mit sexuell erfahrenen Frauen leichter zu haben wäre. Es drängt sich eher der Verdacht auf, das islamistische Paradies sei so etwas wie eine Vorpubertät in Permanenz. Es wird von lauter Unschuldigen bevölkert, die ins verlorene Paradies der Kindheit über den Weg des Massenmordes gelangten.

Doch wie kann der Versuch theoretischer Bewältigung subjektloser Herrschaft den islamischen Wahnsinn mit Methode auf den Begriff bringen, solange er die globale Wertverwertung zwar als prinzipiell irrational, aber dennoch als ein quasi selbstreferentielles System mit definierbaren, einer feststellbaren Logik folgenden Verlaufsformen begreift? In der Kurzschen Nacht sind nämlich alle Katzen grau und der Islamismus ist ein verrückter Kater unter anderen: „Der Selbstmord-Attentäter ist die logische Fortsetzung des ganz normalen Konkurrenz-Individuums unter den Bedingungen der sozialen Aussichtslosigkeit. Dass dieser Todestrieb nicht nur durch wirtschaftliche, sondern auch durch geistige Trostlosigkeit [Anders lässt schön grüßen, H: P.] ausgelöst werden kann, beweisen die periodischen Amokläufe von Mittelstandskindern in Schulen der USA. Der auf betriebswirtschaftliche Funktionen reduzierte Mensch wird so verrückt wie der als ‚überflüssig’ von der herrschenden Produktionsweise ausgespuckte Mensch.“ Eine merkwürdige Betriebswirtschaftlehre ist dies. Sie könnte vielleicht noch verständlich machen, warum Reduzierte und Überflüssige zum Selbstentleiben neigen, doch erklären, warum diese als Amokläufer auch andere, ungeachtet deren Produktivität oder Unproduktivität mitnehmen wollen, kann sie nicht. Erst recht nicht, warum dies bei islamischen Tätern ausgerechnet Juden sein müssen. Das Adjektiv „verrückt“ hilft da ebenso wenig weiter wie Günther Anders’ ungleich poetischeres Attribut „luziferisch“. Eine der Hauptschwächen des traditionellen Marxismus, den Kurz und die Krisis-Gruppe bei allen Verdiensten nicht überwunden haben, besteht darin, menschliches Handeln ausschließlich in einem direkten Reflexionsverhältnis zu gesellschaftlichen Erfordernissen zu begreifen: Entweder das Subjekt geht als vollständig vergesellschaftetes in ihnen auf oder es stellt sich – durchaus in unterschiedlich entwickelter Form –gegen sie oder aber – es wird „verrückt“; doch selbst da verhält es sich noch, wie Kurz meint, im Einklang mit der allgemeinen Verwertungslogik. So kann diesen Vertretern der kritischen Kritik selbst der deutsche Nationalsozialismus nur als eine (notwendige) „Durchsetzungsstufe“ kapitalistischer Vergesellschaftung erscheinen.

Vielleicht lohnt es sich, einmal einen Blick auf die unmittelbaren Verlaufsformen aktueller antisemitischer Exzesse zu werfen. Als im Oktober vergangenen Jahres ein palästinensischer Lynchmob in Ramallah zwei israelische Reservisten mit bloßen Händen buchstäblich in Stücke riß, tauchten nicht nur die unmittelbar an der Tat Beteiligten ihre Hände in das Blut der Opfer, auch die Umstehenden und Anfeuernden beeilten sich, es den Mördern nachzutun und stolz ihre blutverschmierten Hände den begierigen Kameras entgegenzuhalten. So wird die Komplizenschaft einer Volksgemeinschaft geschmiedet. Ihr Vorbild ist das antisemitische Mörderkollektiv der NS-Deutschen. Deren Führer Adolf Hitler unterschied zwischen einem „Antisemitismus des Gefühls“ und einem „Antisemitismus der Vernunft“. Die erste Kategorie hielt er für eine Voraussetzung der zweiten, der er als der effektiveren zur Durchsetzung verhelfen wollte. Der Lynchmob von Ramallah fällt unter die erste Kategorie. Das präzis geplante Massaker vom 11. September ist der Beginn einer Neuauflage der zweiten, es wäre unwahrscheinlich, wenn nicht längst Fortsetzungen geplant sind. Die unverhohlenen islamischen Sympathiekundgebungen von Nablus bis Berlin für die Massenmörder, die abwiegelnde Haltung der deutschen und anderer europäischer Regierungen – von den verbliebenen oppositionellen Linken reden wir besser erst gar nicht - gegenüber einem möglichen, jedoch nicht unbedingt sicheren, amerikanischen Gegenschlag sind Indikatoren für den Erfolg der am 11. September gestarteten Neuauflage des „Antisemitismus der Vernunft“. Welche Macht auch immer ihn zu stoppen versuchen mag, sie unternimmt nichts grundsätzlich Falsches. Ob nun die USA für die Aufgabe wirklich geeignet sind, steht auf einem anderen Blatt. Da aber derzeit keine andere Alternative in Sicht ist, ist auch die Klärung dieser Angelegenheit von untergeordneter Bedeutung.

Horst Pankow

Horst Pankow (Bahamas 36 / 2001)

Anmerkungen:

  1. [1] In: derselbe, Die Antiquiertheit des Menschen. Band II. Über die Zerstörung des Lebens im Zeitalter der dritten industriellen Revolution, München 1995
  2. [2] Um (fast nur gewollten) Missverständnissen vorzubeugen, sei hier festgestellt, dass Anders keineswegs NS-Vernichtungs- und US-Militärpolitik gleichsetzen wollte; aus dem Kontext seines Werkes erschließt sich durchaus die Berechtigung des „Wettlaufes“ zwischen NS- und US-Government um den Ersteinsatz der Atombombe. Anders kommt es hingegen auf den möglichen Einsatz atomarer Waffen zu allen möglichen Zwecken an.
  3. [3] Außer von palästinensischen „Freiheitskämpfern“ wurde diese Unterscheidung in den jugoslawischen Kriegen der letzten Jahre auch von den deutscherseits unterstützten „Volksgruppen“ weitgehend aufgegeben. Man denke an den aktuellen UCK-Terror in Mazedonien, der sich unter dem Schutz von NATO-Truppen ausnahmslos gegen die „slawische“ Bevölkerung richtet, man denke auch an das inzwischen nahezu vollständig serben-, zigeuner- und judenfreie Kosovo.
  4. [4] Siehe dazu auch Horst Pankow: Wenn nichts geht. Plädoyer gegen die Gründung eines palästinensischen Staates. In: KONKRET 3/2001

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