Titelbild des Hefts Nummer 37
Der Kampf um Befreiung ist international
Heft 37 / Winter 2002
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Pazifistische Bruderschaft

Antirassisten und Nationalrevolutionäre gemeinsam gegen Zionismus und Globalisierung

Kaum ein Aufruf zu den Friedensdemos der letzten Monate, ja, kaum ein Transparent verurteilte den Krieg gegen das Taliban-Regime als „imperialistischen“. Offensichtlich bringen nur noch Alt-Linke mit entsprechender „geostrategischer“ Schulung genug „Materialismus“ auf – sprich: jene eigenartige Mischung aus etwas Geologie bzw. Geographie und viel Verschwörungstheorie –, um handfeste imperiale Interessen hinter der politisch-militärischen „Fassade“ zu entdecken. Nicht einmal die klassische Formel von der counter-insurgency hilft da noch weiter, weil das Taliban-Regime nicht als Sprößling einer ehemaligen Befreiungsbewegung verkauft werden kann, sondern vielmehr ein Resultat antikommunistischer Geopolitik vergangener Zeiten darstellt.

Der „Antiimperialismus“ klassischen Zuschnitts liefert der Antikriegsrhetorik nur mehr Scheinplausibilitäten, die zwar von Zeit zu Zeit willig aufgenommen, im Grunde aber nicht wirklich benötigt werden. Schließlich geht es um einen prinzipiellen Standpunkt: „Wir sind davon überzeugt, daß Krieg das falsche Mittel ist, um Probleme zu lösen, die nur innenpolitisch gelöst werden können.“ (Antifaschistische Info Blatt 54, Winter 01/02, S. 2) Den einschlägigen Aufrufen und Verlautbarungen genügt es – in Nachäffung der klassischen Suggestionstechniken der yellow press – den Begriff „Krieg“ mit irgend etwas anderem und sei es noch so kontingent, zu verknüpfen, um die gewünschten Affekte zu mobilisieren. „Sozialabbau“ und auch „Globalisierung“ standen als suggestive Schlagworte hoch im Kurs, dem „Rassismus“ jedoch konnten sie den Rang nicht ablaufen. Daß ein „Krieg“ um des „Rassismus“ willen eine hanebüchene Vorstellung ist – „Rassismus“ ist kein Ziel –, geht kaum einem auf. Allein in Form konsequenten Irrsinns, dem nämlich, den die junge Welt verzapft, scheint eine Ahnung durch, daß man ja überhaupt eine „Rasse“ bräuchte, gegen die dann ein entsprechender Krieg zu führen wäre: Flugs präsentiert das Zentralblatt des Nationalbolschewismus die „Moslems“ als Rassensurrogat, gegen das eine „Endlösung“ geplant sei (24.9.01). Bush und Sharon als Hitler und Heydrich; „Rassismus“ schlimmer als der längst vergangene „Antisemitismus“ – so funktioniert die pazifistische Auschwitz-Lüge.

Dennoch bewahrt das Kombipack von „Rassismus & Krieg“ den Grundzug des früheren Antiimperialismus, jetzt bloß zur Kenntlichkeit entstellt: Die „Herrschenden“ handeln als „Rassisten“ aus reiner Böswilligkeit. Gleiches galt schon immer für die gierigen „Imperialisten“, nur daß jenen noch „Strategien“ unterstellt werden mußten, die die Kämpfer für die „unterdrückten Völker“ aus dem Fundus dessen schöpften, was sie für die Politik der Unterdrückung und die Ökonomie der Auspressung hielten. Die heutigen Antirassisten müssen nicht, aber können auf derlei verzichten: Dann bewegt ein ominöser Antrieb aus sich selbst heraus den „Rassismus“ dazu, bodenständige Kulturen und das friedliche Zusammenleben der Stämme zu unterminieren; der „Rassismus“ ist sich Ursprung und Ziel zugleich, das Zauberwort, das die Welt erklärt und die, die es aussprechen, jeder Verpflichtung zu Plausibilität enthebt, ja, von jeglicher Denkanstrengung überhaupt befreit. Nur so kann schließlich ein Slogan wie der vom „Antiislamismus als politische Strategie des ‚Westens’“ (AIB 54, S. 3) formuliert werden. Das Wahnbild einer solchen „Weltverschwörung“ der Herrschenden läßt die „Antirassisten“ denen zum Verwechseln ähneln, die von jeher eine solche als „jüdische“ imaginierten. Im modernen Pseudo-Linkssprech der Jungen Nationaldemokraten firmiert diese Weltverschwörung als „militante Formen annehmender Kulturkampf“, der sich in „völkerverachtender Kriegstreiberei und der imperialistischen Hegemonialpolitik“ niederschlage (AIB 54, S. 17). Der Friedensappell hat nichts anderes im Sinn, wenn er – im Wortlaut nahezu identisch – angesichts der Umgruppierung der islamischen Verbündeten der Amerikaner, vom „Feindbild Islam“ spricht, das dazu diene „die westliche Hegemonie mit Hilfe einer Zivilisationskonstruktion zu sichern“. (AIB 54, S. 4) Wie sehr der christliche Fundamentalismus in den USA der „islamischen Erneuerung“ zugeneigt war und ist, welch wertvollen Bündnispartner in antikommunistischer Richtung der Islam vorstellte, und daß die USA bis zum 11.9. stets weniger noch auf Israel bauten – all das wollte der Antiimperialismus nicht zur Kenntnis nehmen; sein Nachfolger, der „Antirassismus“, übertrifft ihn hierin schier noch.

Kämpfender Antirassismus

Damit ist der Antiimperialismus – als solcher zwar verblichen – in seiner neuen Gestalt genau an dem Endpunkt angelangt, vor dem Jean Amery in den späten 60er Jahren, wie sich leider in den darauffolgenden Jahrzehnten erwies, vergeblich warnte. Die antiimperialistische Wendung der Linken gegen Israel decouvrierte er zwar als „ehrwürdigen Antisemitismus“; dennoch erschienen manche Antiimperialisten jener Jahre Amery aber zumindest noch als aufklärungsfähig. Er sprach seine „Freunde der Linken“ an, erinnerte sie daran, daß „der Antisemitismus im Antiisraelismus und Antizionismus, wie das Gewitter in der Wolke enthalten ist“, daß das eine ohne das andere nicht zu haben ist. So freundlich wie verzweifelt appellierte er an die „ungeschriebenen moralischen Gesetze“ der Linken: „,Wo es Stärkere gibt, immer auf der Seite der Schwächeren‘, welch unüberschreitbar wahre Trivialität! Und stärker – wer wagte Widerrede ? – das sind die Araber; stärker an Zahl, stärker an Öl, stärker an Dollars, man frage doch bei der Aramco und in Kuwait nach, stärker, ganz gewiß an Zukunftspotential.“ Er warnte davor, „sich einer pervertierenden pseudomarxistischen Theologie“ hinzugeben, einem völkischen Schönreden des geistigen wie materiellen Elends als sozialistischem Gegenpol „zum Sündenstand technischer Hochentwicklung“. (1)

Geflissentlich wurde zwar schon damals der ordinäre Antisemitismus, der den Kern des „arabischen Sozialismus“ und des Panarabismus ausmachte, überhört. Aber solange sich diese Strömungen noch als säkulare präsentierten, solange sie gar als Teil des aufstrebenden sozialistischen Lagers erschienen, solange eben ein Nasser, auf dessen Geheiß die PLO gegründet wurde, nicht nur Hitlers „Mein Kampf“ unverhohlen zur Lektüre empfahl, sondern eben auch die Industrie nationalisierte, gegen die Verschleierung vorging, die Scharia verbot und die Moslembrüderschaft, die Keimzelle des heutigen Islamismus, unterdrückte, durfte jemand wie Amery hoffen, daß nicht allein genuin völkische und antisemitische Motive für die Abkehr von Israel verantwortlich seien. Noch in den 80er Jahren wurde die Identifikation mit den palästinensischen Fedajin gerade damit begründet, daß ihr linker Flügel doch für ein laizistisches Palästina kämpfte, während die zunehmend religiös-antisemitische Rhetorik wie Praxis der Erwähnung nicht wert war. Verbissen wurde noch mit dem heldenhaften Widerstand gegen die zionistischen Okkupatoren geworben, als die tatsächlichen Angriffe auf Juden längst schon jedes traditionell antiimperialistische Rechtfertigungsmuster durchbrochen hatten, als beispielsweise jüdische Passagiere zur Hinrichtung auf dem entführten italienischen Urlaubsschiff „Achille Lauro“ selektiert wurden.

Der antiimperialistische Betrug und Selbstbetrug kündete bereits davon, daß sich die so enorm starke Identifikation mit der arabischen, insbesondere palästinensischen Sache nicht aus dem emanzipatorischen Befreiungsversprechen speiste, das man ihr zu Unrecht nachsagte. Im Grunde konservierte die Liebe des Antiimperialismus zum „Volk“ etwas anderes: Warum ausgerechnet setzt er als Träger einer säkular-sozialistischen Emanzipation das realmythische Mordband, das Menschen zum Volk zusammenschweißt? Das Volk nämlich ist – und das konnte jeder wissen, der es nur wollte – alles andere als die Grundlage für die Entfaltung von Individualität, alles andere als die Bedingung von Klassenkampf, alles andere als die Aufhebung hergebrachter Hierarchie, kurz, alles andere als das Unterpfand der Befreiung vom Naturzwang der Akkumulation; vielmehr ist Volk im 20. Jahrhundert die Kategorie der negativen Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft auf kapitaler Basis, die Kassation aller Emanzipation, die die Aufklärung über sich selbst hätte hinaustreiben können. Nein, von Jahr zu Jahr wurde klarer, daß die Verheißung der palästinensisch-arabischen Sache in einem antiemanzipatorischen Befreiungsversprechen bestand. Eines, das in Deutschland mehr als in anderen postbürgerlichen Gesellschaften eigentliche Herzenswünsche erfüllt: die beschränkte und repressive Stallwärme des autochthonen Kollektivs, der Gemeinschaft, von der Kälte und egoistischen Individuation im Namen des Mammons zu befreien. Solche Sehnsucht fand und findet ihr Idealbild in der mittlerweile nahezu gänzlich islamistisch gestimmten Bevölkerung der palästinensischen Autonomiegebiete als pars pro toto der „islamischen Welt“, des unterstellten Hauptopfers einer „rassistischen“ Weltpolitik.

„Rassistischer“ Problemfall: Israel

In den Jahren nach dem Golfkrieg war das scheinbare Nachlassen des Antizionismus nur zu einem geringen Teil einer noch so zaghaften Selbstkritik seiner Protagonisten geschuldet, sondern vielmehr den kaum mehr zu leugnenden Verwandlungen des ehemals revolutionären Subjekts: Je mehr sich die ehemaligen Befreiungsbewegungen als völkisch-religiöse Erweckungsbewegungen zeigten, je mehr ehemals „Blockfreie Staaten“ zu islamistischen Terrorregimes mutierten, desto unmöglicher wurde es, diesen noch das Mäntelchen der Befreiung umzuhängen. Je stiller es aber um „Befreiung“ wurde, desto mehr rückte „Kultur“ in den Mittelpunkt. Vom „arabischen Sozialismus“ verabschiedete man sich im Namen einer Kritik an der Moderne, um ganz im Sinne der Zivilisationsfeindschaft deutscher Provenienz das identitäre Moment islamischer „Kultur“ hervorzuheben, das der „totalitären Universalisierung“ durch den „Westen“ entgegenstünde. Statt eines offensiv vor sich hergetragenem Befreiungskampfes, der ja auch nur „westliche“ Vorstellungen exportierte, nahm nun die kulturelle Selbstverteidigung gegen diese die vakante Stelle ein. Der Vorlauf dieser Substitution reicht allerdings schon weiter zurück. Schon die iranische Revolution hatte romantische Vorstellungen von der wenig romantischen Wiederkunft der „moralischen Ökonomie“ als Gegenspieler kapitaler Akkumulation genährt. Der „neue Antiimperialismus“ aber, von dem da im Umfeld der Zeitschrift Autonomie geschwärmt wurde, aber war nur der radikale Vorschein dessen, was auch im Westen selber ansteht: die Überführung der Gesellschaft in identitär-kommunitäre Elendsselbstverwaltung; zusammengehalten durch eine rigide Moral, die in Wahrheit Entgrenzung zur Regression ist.

Im Afghanistankrieg, der schließlich 1992 zum Sturz Nadschibullahs führte, begann sich die Solidarität mit dem „Volk“ unwiderruflich von sozialistisch-revolutionären Phrasen zu verabschieden: Nicht mehr interessierte das Recht der Afghanen auf Alphabetisierung, staatliche Krankenversorgung und Wohnung mit Wasserspülung, sondern nur das Recht auf Autochthonie, egal, wie barbarisch und elend diese aussieht. Solches war dieser neuen linken Sichtweise kein aufhebenswerter Zustand mehr; nein: der Versuch einer Aufhebung sei eine rassistische Anmaßung des Westens. Die „antirassistische“ Stereotypie, die heute so geläufig über die Lippen kommt, wurde damals bereits eingeübt: Linke Hochschullehrer bejubelten „den Widerstand des afghanischen Volkes gegen die zwangsweise und fremdbestimmte Modernisierung von oben“. Die Radikal schließlich forderte, „den Begriff der internationalen Solidarität um die Toleranz den Emanzipationsbewegungen gegenüber“ zu erweitern, „die für unsere Begriffe falsche oder Umwege zu gehen scheinen – aber die Revolution muß Sache der Völker selbst sein.“ (Jungle World 43/2001, 17.10.2001: „Go-Go-Gotteskrieger!“)

Was da vor 20 Jahren formuliert wurde, ist heute aus dem Phrasenschatz von Globalisierungsgegnern jedweder Coleur, allesamt Verteidiger von Kultur, Identität und Gemeinschaft gegen die Grenzüberschreitungen des Abstrakten, nicht wegzudenken: Sie empfinden tiefstes, antimodernistisches Verständnis auch noch für den grauenvollsten, besinnungs- und hemmungslosesten Terror. Ist er doch, wie es die protestantische Bischöfin von Lübeck am 9.10. im Info-Radio Berlin so unnachahmlich formulierte, irgendwie ja doch gerechtfertigte Selbstverteidigung gegen „das Überstülpen der westlichen Kultur und Ökonomie, die gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker verstößt“. Sich von der „westlichen Kultur und Ökonomie“ verfolgt fühlen und deswegen zur Verfolgung aus Notwehr berechtigt sein; das ist ein Grundzug des Antisemitismus. Die Sprache der Kriegsgegner läßt über diese Verfolgungswut keinen Zweifel: Allüberall wittert sie antiislamische Pogrome und ethnische Säuberungen. Die tatsächlichen Pogrome, Ritualmorde, die Selbstmordattentate auf Israel und eben auch die USA werden dadurch zu bedauerlichen, aber verständlichen Kurzschlußhandlungen eben aus kultureller Notwehr. Die manische Gleichsetzung des Davidsterns, aber auch von „stars and stripes“ mit dem Hakenkreuz, die nicht nur die arabische Karikatur ausmacht, sondern neuerdings wieder in autonomen Infoläden zu besichtigen ist, verdankt sich der untergründigen Ahnung, wie nah man selbst am „Stürmer“ gebaut hat: Der herbeiphantasierte jüdische Ritualmord ist der Vorläufer des Ritualmords an den Juden.

So benötigt die Feindschaft zu Israel und die zu den – als „Großer Bruder“ des „kleinen Teufels“ titulierten – USA auch nicht mehr eines positiven Ausweises, wie ihn die befreiungsbewegte Phraseologie einst lieferte. Es bleibt auch nicht mehr dabei, daß die von der islamistischen Vorhut des Antiglobalismus propagierte weltweite Vernichtung von Juden und ihren Helfern nur stillschweigend unter den Tisch fallen gelassen wird. Am 8.10. ging eine Sprecherin der Berliner Friedenskoordination in aller pazifistische Härte weiter: Bin Laden hätte doch in seiner anläßlich des Beginns der Luftangriffe auf das Talibanregime gehaltenen Ansprache ein konkretes Verhandlungsangebot gemacht, Sicherheit für die USA im Tausch für Sicherheit in Palästina. Daß das Gebiet, das Bin Laden als Palästina bezeichnet, erst für Leute seines Schlages – und davon gibt es dort Abertausende – sicher sein kann, wenn der Staat Israel aufgehört hat zu existieren, die Gegend also judenfrei ist; daran nahm unsere Friedensfreundin keinen Anstoß.

Nachgerade lächerlich ist die Annahme, mit postsozialistischem Antizionismus im antirassistischen Gewand oppositionell zu sein; er ist längst zur Agenda der deutschen Außenpolitik geworden. Darüber erteilte die Weltkonferenz gegen „Rassismus, Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz“ im südafrikanischen Durban unmißverständlich Auskunft. Wie es dem Antisemitismus eigen ist, dem Juden genau das zu unterstellen, was er ihm in Notwehr anzutun gedenkt, so wäre man versucht zu sagen, daß nicht die jüdische, sondern die antijüdische Weltverschwörung hier Realität geworden ist: die globale Zivilgesellschaft unter – wie könnte es anders sein – Führung Deutschlands. Dieses verhinderte zwar vordergründig, daß Israel nach dem Auszug der US-amerikanischen und israelischen Delegation das Existenzrecht expressis verbis abgesprochen wurde, hintergründig entledigte es sich aber endgültig der Auschwitz-Fessel: Fischer sprach sich dagegen aus, Israel als rassistischen Problemfall zu „singularisieren, was die so adressierten „islamischen Freunde“ auch schluckten. Denn damit ist der singuläre Nexus zwischen Judenvernichtung und Gründung des Judenstaats zertrennt; das Feld dem völkischen Antirassismus bereitet, der ethnischen Zerteilung künstlicher „Vielvölkerstaaten“ , dem außenpolitischen Zweck und Ziel Deutschlands – das Urbild aber eines solchen „künstlichen“ Staates ist der Staat der Juden. Tür und Tor steht, jetzt auch offiziell mit dem Segen der UN, deutschen Friedenslösungen, also der Schaffung von bosnischen und kosovo-albanischen Verhältnissen offen. Daß es Israel überhaupt gibt, daß es sich verteidigt und von den USA dafür bis jetzt nicht fallen gelassen wird, das ist eine „rassistische“ Anmaßung gegenüber dem „palästinensischen Volk“ wie der „arabischen Nation“, das ist dieser Weltversammlung des Antirassismus ein verurteilenswertes Verbrechen. Deshalb wird die Anerkennung eines Existenzrechtes eines Staates für die Juden mit der Abschaffung des jüdischen Staates verbunden. Gerade der Kampf gegen den „Zionismus“, der seinerseits ja nur die Reaktion darauf war, daß die rechtliche Emanzipation der Juden in Europa dem Antisemitismus keinerlei Abbruch tat und deshalb ein vor Verfolgung sicheres Leben nur von einem eigenen Staat erwartet werden durfte, ist per se ein antisemitischer Zurichtungsversuch: Weil ein Judenstaat kein „echter“ Staat mit der üblichen völkischen Tradition sein kann, haben die Juden wieder „heimatlos“ zu werden, auf daß sie der Phantasie des Antisemiten eine bessere Projektionsfläche bieten. Prototyp des Kollektivs sind die Palästinenser, Prototyp des Antivolks, der westlichen Dekadenz und Arroganz: Israel. Seine Existenz bzw. die Verteidigung derselben ist von vorneherein Verletzung des Blutsrechtes auf den Boden der arabischen Väter. Diese Verletzung, wie überhaupt jede Kritik am Islam, hat man nicht erst seit Durban eben als Rassismus zu verurteilen; den Vernichtungswillen gegen Israel aber als „just cause“, wie Kofi Anan es in Durban formulierte, hinzunehmen.

Die Lüge der Verschiedenartigkeit

Angesichts dessen bedarf es sicherlich keiner antideutschen „Manie“, um der Virulenz des Antisemitismus gewahr zu werden. Auf den ersten Blick ist es um so erstaunlicher, daß dann so gut wie keinem der akademisch bestellten wie beschlagenen Antisemitismusforscher, keinem der sensiblen Leitartikler und schon gar keinem der Bekenntnislinken, die in den letzten Jahren ein „Gegen den Antisemitismus“ in ihr Bindestrich-Glaubensbekenntnis unter dem Schlagwort „Antirassismus“ aufgenommen haben, auffällt, wie präsent der Antisemitismus in den aufgebotenen kommunitaristischen und globalisierungskritischen Rezepten ist. Ebensowenig fällt kaum jemandem auf, wie sehr jener die deutsche Außenpolitik bestimmt, gerade weil sie auf dem gutmenschlichen Ticket fährt: Mit antirassistischer Sorge um die diversen Minderheiten und ethischer Verantwortung für das Ganze statt für partikulare Machtinteressen – anders eben als die „mammonisierten“ USA, wie man Habermas und Mahler in einem Satz zusammengefaßt zitieren kann. Daß daher die Existenz des Staates Israel notwendig ist wie je, aber auch so gefährdet wie seit 1948 nicht mehr, dämmert nur einer Minderheit in der Linken.

Der große Rest weist den Vorwurf des Antisemitismus natürlich weit von sich. Eine auf Völkerverständigung und Minderheitenschutz geeichte bzw. geläuterte Sensibilität gilt dafür ja gerade als Beweis: Antisemit könne man ja nicht sein, weil man ja kein Rassist sei und genau so wenig etwas gegen Juden hätte wie gegen jede andere ethnische community (wenn man sich nicht gleich auf das Niveau des syrischen Diktators, Rassenkundlers und korankundigen Judenfeindes Assad begibt, der insistiert, daß er als Araber ja schlecht Anti-Semit sein könne). In aller Unschuld zeigt sich dementsprechend in allen Reaktionen der Durban-Linken auf das islamistische Großmassaker gerade der in Südafrika kodifizierte Verzicht der Zivilgesellschaft auf manifesten Antisemitismus: Antirassistisch sich gerierende Sympathie für die massenmörderischen Kämpfer gegen das Finanzkapital, den Weltzionismus und die „McDonalds-Massenkultur“; pazifistische Eiseskälte gegen die Opfer, die man nicht einmal erwähnen kann, ohne daß sie zugleich mit an den Haaren herbeigezogenen Vergleichszahlen rationalisiert würden, wie auch schon der Nazi-Großvater nichts von der Judenvernichtung hören konnte, ohne reflexartig das Schicksal der amerikanischen Ureinwohner dagegen in die revisionistische Wagschale werfen zu müssen. Warum nun baute der ursprünglich so respektabel scheinende „Anti-Rassismus“ in keiner Weise dem Antisemitismus vor und wurde vielmehr sein zeitgemäßes Ticket? Was macht es, daß der offizielle Antirassismus, von dem ein irgend gearteter Linker sich kaum mehr unterscheidet, als Ideologie der inneren Formierung der multikulturellen Volksgemeinschaft dient?

Lange wollte die Unterscheidung, welche Stereotypien faschistischer Ideologie nun dem Rassismus oder dem Antisemitismus zuzuschlagen seien, als akademische Pflichtübung erscheinen. Die Angelegenheit schien klar: Alles entspränge dem Haß auf das bzw. den„Fremden. So etablierte sich „Rassismus“ als Oberbegriff für die Welt, die nicht als globale kapitalistische Wertvergesellschaftung erscheint, sondern als ein Geflecht vielfältiger rassistischer Diskriminierungen. Figuriert Antisemitismus dementsprechend als eine Unterspielart des Rassismus, ergo „Fremdenfeindlichkeit“, als Ausdruck einer Feindschaft gegen die „jüdische Kultur“, gegen eine nur im Halluzinatorischen bestehende Kulturgemeinschaft der Juden, dann ist eigentlich niemand Antisemit. Weil die Juden eine solche Kulturgemeinschaft explizit nicht bilden, wie eben auch der Staat Israel einer solchen Kulturgemeinschaft nicht entspricht, sind beide dem Antirassismus nicht schützenswürdig. Der nationalrevolutionäre Haß auf den Zionismus und den „amerikanischen Dollar-Imperialismus“, ständige Begleiterscheinung militanter Ausländerfeindlichkeit, wurden und werden hingegen nicht als Antisemitismus thematisiert, wohl weil beides dem linken common sense zu ähnlich ist. Dabei produziert der zeitgenössische Rassismus immer seltener die klassisch rassistischen Horrorbilder des Rückfalls in die Natur, wie, daß die „Fremden“ sich nicht wüschen, urwüchsigen Trieben frönten etc., sondern imaginiert sie viel häufiger als Mitglieder internationaler Verbrecherbanden und Nutznießer unverdienten Wohlstandes – und erweist sich damit deutlich als verschobener Antisemitismus.

Damit ist aber die Einordnung des Antisemitismus als Unterspiegelstrich im antirassistischen Kanon mehr als nur ein bloßer Irrtum, sondern ein interessiertes Mißverständnis, das das Wesen des Rassismus verkennen möchte, obwohl es offenkundiger denn je ist. Am „Ausländer“ haßt der Rassist gerade nicht das „Fremde“, die „Differenz“, sondern die Gleichartigkeit, die Ununterscheidbarkeit von den Eingeborenen. Daß gerade kein natural scheinendes Kriterium die Eingeborenen im globalen Verdrängungswettbewerb der als überflüssiges Moment der Verwertung Gesetzten noch prädestiniert im Kampf ums Überleben, nötigt umso dringlicher zum Beharren auf der eigenen Unverwechselbarkeit und zur willkürlichen Attribuierung der Konkurrenten als „Fremde“. Die Ununterscheidbarkeit der panischen Monaden zwingt zur Behauptung der Differenz. Statt nun die Willkürlichkeit der rassistischen Zuschreibung als Ausdruck der negativen Vergleichung zu denunzieren, beteiligt sich der Antirassismus an der Verschleierung dieses Mechanismus, ja unterstützt ihn noch: Die durchsichtige Lüge der Verschiedenartigkeit, die ja dem Wunsch des Rassisten entspringt, der tatsächlich existenzbedrohenden Gleichheit der Konkurrenten zu entgehen, wird in der Anerkennung der Verschiedenartigkeit der sogenannten „Kulturen“ affirmiert. Der Antirassismus, speziell der institutionalisierte, spiegelt dem Rassismus seine Willkür als kulturontologische Menschheitsbestimmung zurück.

Der Multikulturalismus, Resultat eines solchen Antirassismus, nimmt also den rassistischen Impuls auf, der auf der Verschiedenheit der Menschen nicht als je individuelle Qualität, sondern als bloßem Ausdruck eines je unentrinnbaren Kollektivs besteht, um ihn zugleich zu affirmieren und doch modernisierungsfähig zu machen. Nicht als Konkurrenten um Arbeitsplätze und staatliche Sozialleistungen, sondern als Sendboten fremder Kulturen, die ihren Beitrag zur Bereicherung der deutschen Kultur und zur Konkurrenzfähigmachung des Gemeinwesens leisten, werden die indischen Ingenieure, portugiesischen Montagearbeiter und migrantischen Jugendlichen inszeniert. Die Kampagnen des Staates zur Anerkennung des Fremden verdanken sich der notwendigen Flexibilisierung des allzu starren Rassismus, in dem Landesgrenzen und Tarifverträge mit „ethnischen“ und „kulturellen“ Grenzen übereinstimmen. Die selbst von ihren eifrigsten Verfechtern eingeräumte Legitimität einer pragmatischen Debatte um die Grenzen der Belastbarkeit der multikulturellen Gesellschaft, zeigt in aller Drastik, wie sehr man weiß, daß der propagierte Antirassismus, die Anerkennung des Menschen nur als Exemplar eines kulturell klar abgegrenzten Kollektivsubjekts, bloß die Kompromißbildung zwischen Rentenkassen und Arbeitgebern hie und den „Menschen im Lande“ da maskiert. Austariert wird das Ganze, indem der Verzicht auf den willkürlich-unregulierten Rassismus kompensiert wird durch das repressive Versprechen der Sondergesetzgebung für Ausländer – das Versprechen einer klar abgestuften Hierarchie der Gemeinschaften in der Gemeinschaft, zwischen deutscher Leitkultur und den ihr dienlichen Hilfskulturen.

Antirassistische Hilfstruppen

Der Haß auf den präsumptiven Konkurrenten aber ist nicht zu sedieren; jeder Kompromiß bleibt Makulatur. Die Gemeinschaft der sich anerkennenden Gemeinschaften entpuppt sich sowohl binnengesellschaftlich als auch im Weltmaßstab doch stets wieder als Zwangszusammenhang aufeinander losgehender Konkurrenten, die sich in ihrer Ausgeliefertsein an Markt und Staat mehr gleichen als es ihnen lieb ist. Der Haß derer, die der Vergleichung ausgesetzt sind, aufeinander gebiert den Haß auf das gleichmachende Prinzip, das die mühsam gegen den inneren Konkurrenzkampf aufgerichteten Barrieren der Kultur- und Stammesbande durchbricht und zerstört: die globalen Finanzströme, die multinationalen Konzerne, das „elektronische Geld“, Raffgier und Maßlosigkeit.

Die entkonkretisierende, grenzüberschreitende Abstraktion des Weltgeldes wird aber wiederum selbst nach dem konkretistischem Muster personalisiert und ontologisiert. Die Feindschaft der Völker gegen die Globalisierung von außen entspricht der Feindschaft der Kollektivsubjekte gegen den Zersetzer im Inneren. In multipler Form entsteht so das „ewig jüdische Prinzip“ neu, jenes, das stets verneint: Obwohl der Jude unter tausenden von Namen und Kategorisierungen neu erfunden wird – vom Globalisierungsgewinner bis zum Abzocker –, bleibt er dabei doch der Alte, der den Propheten töten wollte, der die Brunnen vergiftete, der die Jungfrauen schändete, der den Bolschewismus und den Zinseszins erfand. Daß die Welt als Zoo identitärer Menschenhorden und die bundesrepublikanische Gesellschaft als friedlicher Ethnozirkus – früher sagte man dazu Patchwork der Minderheiten – nicht funktioniert, erzwingt es nachgerade, daß Israel und die USA als Verhinderer einer gerechten Weltordnung, einer Globalisierung der Völker – wie es unisono aus Arabien und von Kirchentagen, aus der National-Zeitung wie von der Friedensdemo schallt – herhalten müssen.

Dieser Antirassismus bestimmte die ideologischen Hilfstruppen Deutschlands in den Kriegen gegen Jugoslawien ebenso wie seine antizionistische Bataillone in Durban. In der Friedensbewegung endlich bekommt er einen legitimen Juniorpartner: Seine antiamerikanischen und antiisraelischen Manifestationen lassen sich beim bloßen Hören nicht mehr so recht von denen der praktizierenden Mord-Rassisten unterscheiden. Es müssen nicht mehr die üblichen autonom-internationalistischen Gruppen sein, die die „Solidarität der Völker“ gegen „die internationale Völkermordzentrale USA“ einfordern – es kann sich auch um die NPD und ihre Kameradschaften handeln. Warum sollten sie auch nicht Beifall klatschen, wenn auf der ersten Friedensdemo vor dem Roten Rathaus der Sprecher der Berliner Flüchtlingsinitiativen, Senfo Tonkam, unter tosendem Beifall das allerälteste Ticket des deutschen Auschwitzrelativierung löst, nämlich den „edlen Wilden“ als Opfer des schnöden Mammons, den Indianer: Es „sind die Indianer in Nordamerika, die grenzenlose Gerechtigkeit brauchen“.

Im praktischen Alltag – also, wenn es nicht darum geht, antisemitische Terrorakte zu legitimieren – sind Rassisten und Antirassisten natürlich um alles verschieden. „Bleiberecht für alle“ bleibt das glatte Gegenteil von „Ausländer raus“. Ebensowenig zu bestreiten ist aber nunmehr, daß beide Lager die antisemitische Stereotypie nahezu identisch teilen. Die notwendige Kombination von Antisemitismus und Rassismus im deutschen Nazi besagt eben leider nicht, daß der von ihm mit rassistischer Rhetorik und Praxis zur Unperson Gestempelte nicht ebenfalls Antisemit ist: Einer, der den Deutschen weniger ihren Volkstumskampf gegen die „Amerikanisierung“ ankreidet als die Tatsache, daß dieser Volkstumskampf sich auch gegen ihn selber richtet. Volles Verständnis haben Senfo und Horst für den antizionistischen Vernichtungskrieg der Palästinenser und ihrer islamistischen Freunde; denn jedes Pogrom, jeder Amoklauf, jeder Todesflug, jeder Massenmord ist ein „just cause“. Sie teilen ein und dasselbe Ressentiment – und sind doch unmögliche Partner, weil die Nazis nach „Judenblut“ schreien und zugleich auf dem Bahnhof jeden zusammenschlagen, der dunkelhäutig ist. In einem solchen Augenblick hätte es den moslemischen Attentätern, die im letzten Sommer den Anschlag auf die Düsseldorfer Synagoge begingen, nichts genutzt, daß auch in ihren Zimmern Hitlerbilder hingen.

Uli Krug (Bahamas 37 / 2002)

Anmerkung:

  1. Jean Amery: Der ehrbare Antisemitismus, in: H.L.Gremliza (Hg.): Hat Israel noch eine Chance? Palästina in der neuen Weltordnung, Hamburg 2001, 7ff.

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