Titelbild des Hefts Nummer 44
Das Madrider Abkommen
Heft 44 / Frühjahr 2004
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Basisbanalitäten zum Fahnenstreit

Ein kleiner Katechismus für alle Freunde Israels

Schon seit Monaten drohte der Streit darüber zu eskalieren, ob auf antifaschistischen und linken Bündnisdemonstrationen israelische Fahnen mitgeführt werden dürfen. Ein Blick in Indymedia klärt darüber auf, was spätestens Ende Januar diesen Jahres als physisch ausgetragener Konflikt zwischen traditionellen autonomen Antifaschisten und Antideutschen offen ausbrach: „Habs endgültig satt die Spinner. Antideutsche und Nazis auf Maul hauen! nationalisten aufs maul – ob deutsche israelische oder amerikanische (...) von linken demos vertreiben und ihnen aufs maul hauen (...) antifa statt antideutsch!“ (Schreibweise i.O.)

Es gibt eine simple Faustregel, die zur Nachahmung empfohlen werden kann: Man soll nie mit Leuten politisch kooperieren, die einen gern vor den roten Volksgerichtshof zitieren und anschließend in den Gulag schicken möchten. Antideutsche hätten es schon lange wissen können: es kann keine Bündnisse mit Linken mehr geben, auf die sie sich sinnvoll beziehen könnten. Wer es dennoch tut, setzt seine physische Unversehrtheit aufs Spiel.

Hamburg, 31. Januar 2004: Ein paar blau-weiße Fahnen mit dem Davidstern, getragen auf einer Demonstration gegen Rechtsextreme, führen zum angekündigten Eklat. Antisemitisches Gebrüll leitet den Sturm auf Flaggen und Flaggenträger ein, es wird getreten und geprügelt, die Fahnen Israels sollen zu Boden gehen. Die Täter sind keine Neonazis, es sind deutsche Antifaschisten. Die Rufe „Mörder, Mörder!“, „Intifada!“ und auch „Juden raus!“, die man, wie die Gruppe Bad Weather aus Hamburg zu Recht in ihrem „Basisbanalitäten“-Papier anmerkt, zum gleichen Anlaß auch beim Naziaufmarsch hören konnte, blieben von der Mehrheit der antifaschistischen Demonstranten unbeanstandet. Der Sturm gegen die Israel-Fahne legte links-deutsche Unerträglichkeiten bloß. Dazu wieder Bad Weather: „Diese Prototypen des linken Antisemitismus wurden nicht nur geduldet, sondern sie konnten gemeinsam mit großen Teilen der Demo ihrem Haß auf Israel freien Lauf lassen. Die ,Bündnisfähigkeit‘ hat eben ihren Preis. Eine Kritik am Antisemitismus, die keinerlei Konsequenzen hat, erinnert an jene konservativen Innenminister, die, vor brennenden Flüchtlingswohnheimen stehend, Fremdenfeindlichkeit auf’s Schärfste verurteilen.“

Nicht daß die bekennenden und prügelnden Antisemiten inzwischen die Mehrheit bei derartigen Veranstaltungen stellen würden. Aber es existiert der Konsens, eine zu eindeutige Solidarität mit Israel zu verhindern, die an den Fahnen Israels festgemacht werden kann. Dieser Konsens trägt von den Antiimps bis zu den Vertretern einer – dann praktisch nicht mehr existenten – „kritischen Solidarität“ mit Israel, von der Antifa-Gruppe Kritik & Praxis Berlin bis zur Jungle World, von Konkret bis zur Antifa-Zeitung Phase2. Die beschworene Formel lautet: „Nationalfahnenverbot“, sie meint: Israel.

Der Skandal, der keiner ist

Die das Verbot fordern, tun es aus Panik vor dem Untergang. Sie wissen nur zu gut: Wenn sich das Zeigen dieser Fahne auf ihren Veranstaltungen durchsetzt, können sie der ganz überwiegenden Mehrheit der linken Welt und deren Projekt der globalen Intifada Lebewohl sagen. Niemand würde ihnen ihre internationalistische Gesinnung und ihren Antirassismus noch abnehmen. Das ahnt man auch in Kreisen, die noch vor geraumer Zeit vollmundig ihre Solidarität mit dem jüdischen Staat bekundeten, heute aber lieber darauf verzichten, um nicht den Anschluß an die Linke zu verlieren. Um so mehr man sich auf Grund der weltweit dramatisch zunehmenden „Israel-Kritik“ von der Linken entsolidarisieren müßte, desto weniger wird es getan. Man redet lieber vom „Existenzrecht“, das man Israel zwar „selbstverständlich“ zuspreche, das aber nicht gebetsmühlenartig öffentlich heruntergebetet werden müsse. Längst sind diese Leute zu Bedenkenträgern verkommen, die für eine „kritische“ Solidarität plädieren, um nicht „emanzipatorische Standards“ aufzugeben, die ausgerechnet in einer Zeit angemahnt werden, in der Israel konkret emanzipatorische Standards gegen den Islamfaschismus verteidigen muß. Wenn es konkret wird, weiß man schon, was man gegen Israel einzuwenden hat. Solange die Rede von der Solidarität mit dem jüdischen Staat abstrakt bleibt, sind alle dafür. Wehe aber, man benennt die islamfaschistische Bedrohung und ihre linken Helfershelfer beim Namen. Dann wird plötzlich alles kompliziert, dann wird solange differenziert bis von der Solidarität nichts mehr übrig bleibt. Folgerichtig ist nach den Vorfällen von Hamburg nicht der Bruch mit dem antisemitischen Mob in den eigenen Bündnissen und nicht die Kritik an denen, die das Bündnis weiter propagieren, Thema. Das Tragen von Israelfahnen wird zum Skandal.

Identität

Anstatt sich mit der Frage auseinanderzusetzen, was Solidarität mit Israel heißen kann, wird den Trägern der Fahne vorgeworfen, sie betrieben „Identitätspolitik“. Mit dem Wort Identität jonglierend, ohne den gemeinten Begriff zu bestimmen, wird dabei auf das Vorurteil gesetzt, daß Identität ein Verbrechen sei. Wenn unter Identität die abgeschlossene Affirmation gefaßt wird, die das Subjekt auflöst und identisch werden läßt mit dem Volk, der Partei oder der Bewegung; wenn das Ich nur noch das Kollektiv kennen soll, um darin abzutauchen und schließlich zu verschwinden; wenn die Kommunikation nur noch zur kollektiven Selbstvergewisserung über weitgehend sinnentleerte Codes, Formeln und ideologische Symbolik verkommt; dann ist solcher Wille zur Identität als die Sehnsucht nach Volksgemeinschaft zu brandmarken. Diese Selbstaufgabe als Subjekt ist nicht nur dem gemeinen Deutschen eigen, über den man sich als Linker so erhaben dünkt. Die Linke selbst ist von der Sehnsucht nach Widerspruchsfreiheit getrieben, seit es sie in organisierter Form gibt, sie ist ein durch und durch identitäres Projekt.

Von den Antideutschen haben die Linken kritische Einsichten geklaut und zur entleerten Phrase gemacht. Sie glauben gelernt zu haben: wer die Fahne eines Staates hochhält, bezieht sich positiv auf die Nation und damit das Volk; was für einen Staat gilt, gilt für alle, inklusive dem deutschen und dem jüdischen. Wer die israelische Fahne hochhält, so unterstellen sie, marschiert im Gleichschritt und kann gleich „die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen“ gröhlen, das Horst-Wessel-Lied also. Dagegen einige Banalitäten für die, die sie aufgezählt bekommen wollen: Antideutsche sind keine Israelis; Israel ist nicht ihr Land; der Zionismus ist nicht ihr Projekt. Die kritische Durchdringung eines Gegenstandes kann bedeuten, daß man eine Antwort findet, die man als wahr erkennt. Für das als richtig Erkannte setzt man sich ein, ergreift Partei, identifiziert sich mit ihm und zwar nicht aus fremdem, sondern in eigenem Interesse. Das ist das Gegenteil von Identitätspolitik, wie sie jene betreiben, die antinationale Urteile über „Nationalfahnen“ sprechen, damit der antideutsche Feind immer fest im Auge und der Antifa-Block fest geschlossen bleibt. Die Affirmation der Wahrheit ist etwas entscheidend anderes als jene so eifrig gepflegte pluralistische Äquidistanz, die zumeist nichts anderes ist als verlogene Neutralität und das Entrebillet, gegen die Freunde Israels Glied in der Demokette sein zu dürfen.

Vier gute Gründe

Israel, historisch und politisch verstanden, sollte Maßstab des Handelns im Ursprungsland der Shoa sein. Mehr noch: Wegen der Interessensgleichheit – von der Ablehnung antimoderner und kollektivistischer Tendenzen bis zum Bekenntnis zur Aufklärung als permanenter Aufgabe – ist ein Bündnis mit Israel jedenfalls für kritische Theoretiker und Liberale, für Kommunisten und Antifaschisten im eigenen Interesse. Dabei ist den politischen wie militärischen Fähigkeiten der Israelis zu vertrauen, sie sind sich selbst der beste Schutz vor den aggressivsten Bedrohungen. Die Aufgabe ihrer Verbündeten im oben umrissenen Sinn ist es, dem dreifachen Elend in Europa, das sich antiwestlich, antimodern und antisemitisch geriert, entgegenzutreten. Wenn es darum geht, sich positiv auf Israel zu beziehen, für Israel auch praktisch Partei zu ergreifen, so ist eine Diskussion darüber, welche Mittel die geeignetsten sind, sinnvoll und notwendig. Natürlich geht es nicht darum, daß sich lsraelsolidarität im Herzeigen der Fahne erschöpfen kann, und schon gar nicht darum, jüdische oder israelische Symbole zum sinnfreien Abziehbild oder Aufnäher einer Pop-Antifa werden zu lassen. Aber solche Auswüchse stehen gar nicht zur Diskussion und werden zumeist nur böswillig von denen unterstellt, die sich um die Israelsolidarität herumdrücken möchten. Dabei sprechen eigentlich alle guten Gründe für das Herzeigen der Fahne des jüdischen Staates.

Erstens: Diese Fahne ist für jede, die sie trägt und für jeden, der sie nicht trägt, aber nichts gegen sie einzuwenden hat, Symbol dafür, daß sie und er sich als Bündnispartner Israels verstehen, daß sie die konkrete Solidarität mit Israel als ihre Aufgabe begreifen. Sie dient als eine sichtbare Absage an Bettlaken mit Pace-Schriftzug und ähnliche politische wie ästhetische Grausamkeiten. Wenn zwischen Kreuzberg und Friedrichshain ein Stück Mauer schwarz-rot-gold bemalt und mit Davidstern versehen ist, um die Unterschrift „Die Mauer der Schande steht jetzt in Israel“zu tragen, dann ist es sinnvoll und notwendig, auf die Existenz einer ernsthaften Gegenposition wahrnehmbar hinzuweisen. Die Fahne Israels in Händen nichtjüdischer Demonstranten soll als Zustimmung dazu verstanden werden, daß die Juden ihr eigenes Schicksal in die Hände nehmen und die Mittel wählen können, die notwendig sind, nicht als permanentes und passives Opfer – so sehr es auch von ihnen erwartet wird – zu dienen. Der Zionismus, politischer Ausdruck dieser Selbsthilfe, ist eine historisch richtige und deshalb konkret zu unterstützende Antwort auf den Antisemitismus – das gilt es zu verdeutlichen.

Zweitens: Israels Fahne ist gegen eine symbolverliebte Linke die wohl eindeutigste Bekundung eines konkreten Antifaschismus. Sie ist ein Zeichen, das nicht anti-antifaschistisch, nicht für Querfront-Strategien und auch nicht im Rahmen dogmatischer Klassenkampf- respektive Volkstums-Ideologien verwendet werden kann. Die israelische Fahne ist eindeutig, schon deshalb dürfte eine übliche popkulturelle Sinnentleerung kaum möglich sein, wie es bei linker Symbolik mittlerweile üblich ist. Bekenntnishaften Aufnähern, den Halswickeln des palästinensischen Terrors oder der Sowjetflagge, die bestenfalls die revolutionäre Utopie, doch meist nur das Historie gewordene Elend des Moskauer Regimes meint, kann die Israelfahne nicht postmodern zur Seite gestellt werden. Langweilig ist es zudem, immer wieder darauf hinweisen zu müssen, daß ein sogenannter Flaggenstreit sich nicht zufällig an der israelischen Fahne festmacht, die das konkrete – nämlich zionistische – Projekt nach einer gescheiterten Aufklärung meint, zum Schutze derer, die vernichtet wurden und jener, die immer noch unter Vernichtungsdrohung leben müssen.

Drittens: Im Frühsommer 2003 wurde in Berliner Prenzlauer Berg ein Mietvertrag wegen einer am Balkon befestigten Israelfahne gekündigt. Ein kurzer Beitrag im israelischen Militärrundfunk führte in Israel zu einer wahren Flut von E-mails an den Sender. Innerhalb von 48 Stunden gingen mehr als 200 Reaktionen ein, gerichtet an die nichtjüdischen Berliner Mieter. Nicht eine kritisierte vorwurfsvoll eine Zweckentfremdung der Landesfahne durch dazu unbefugte Identitätspolitiker. In den Mails stand vielmehr: „Herzlichen Dank für euren Mut“ oder „Danke, daß ihr zu uns steht“. Der Empirie widersprechend, kann ein Jörg Kronauer, über dessen eingetrübten Realitätssinn noch zu reden sein wird, in der Jungle World behaupten: „Die Ersatzfixierung auf nationale Symbole möglicher Opferstaaten überdeckt das eklatante Fehlen wirklicher politischer Ansatzpunkte und ruft im Ausland eher Befremden hervor.“ (10/04)Kronauer weiß, wie er zu sein hat, der Jude im Ausland. Auf der Kundgebung vor dem Haus, die unter dem Motto „Gegen die Verbannung jüdischer Symbole aus der Öffentlichkeit“ stattfand, erklärte jemand, wie schwierig es für Juden inzwischen sei, den Davidstern als Symbol zu verwenden oder gar eine israelische Fahne zu zeigen. Es verbreite sich die Angst, z.B. auf einer solchen Kundgebung gesehen zu werden, wo man doch von Juden in Deutschland die permanente Abgrenzung von Israel verlangt, so daß sich nicht wenige aus Selbstschutz, Selbstverleugnung oder Affirmation gegen das Zeigen der Fahne wenden. Dies ist ebenso schlüssig wie verheerend und erhellend. Wer meint, das Ungeheuer des Antisemitismus schlafe noch, wird hoffen, daß es nicht aufgeweckt wird. Allein: Das Ungeheuer braucht kein Schlafmittel. Israel hat am Beispiel Scheik Yassins gezeigt, wie diese Frage aktiv beantwortet werden kann.

Viertens: Die israelische Fahne zwingt dort zu Entscheidungen, wo sie anstehen, gerade in einer Linken, die sich als antifaschistisch versteht, aber über Floskeln der Art: „Ich habe nichts gegen Israel, aber ...“ nie hinauskommt. Die Frage, wo der richtige Ort ist für diese Fahne, kann schnell beantwortet werden: In Deutschland – überall. Denn quer durch die Gesellschaft, quer durch die politischen Lager und sozialen Schichten wird diese Fahne immer wieder auf Widerspruch stoßen, weil sie genau richtig verstanden wird: als unmißverständliches Zeichen eines konkreten Antifaschismus, der sich an Israel festmacht. Sie gehört damit erst recht einer Linken vorgehalten, bei denen die offenen Gegner Israels die Lautesten, die toleranten Bündnishüter die Leisesten sind – und die zusammen die überwältigende Mehrheit stellen.

Pflichtprogramm

Aufklärung als politisches Programm schließt die Bewußtmachung von Mißverständnissen über sich selbst ein. Ein solches wird im Streit um die israelische Flagge offenbar: Ein nicht geringer Teil der vermeintlich israelsolidarischen Linken hat keine entsprechende politische Praxis und wird dem eigenen Anspruch nicht gerecht. Zwar ist nicht gleich Antisemit, wer nach den Vorfällen von Hamburg immer noch an den alten Antifabündnissen festhalten möchte oder über die Fahne und nicht über die Angreifer glaubt diskutieren zu müssen. Doch solchen Gestalten scheint der Brückenschlag zum antisemitischen Mob, gern als Fähigkeit zum innerlinken Diskurs verniedlicht, wichtiger zu sein als eine politische Praxis, die einem moralischen Minimum genügte. Es sieht beinahe so aus, als stritten linke Antifaschisten mit den Nazis um das Vorrecht auf palästinensische Symbole und Attacken auf die des jüdischen Staates. So verleugnen antinationale Ideologen bewußt, daß die Kritik der Nation nur als utopisches Programm sinnvoll ist und tagespolitisch genau das Gegenteil bewirken muß: Mit ihrem dauernd vorgetragenen antinationalen Glaubensbekenntnis sprechen sie implizit Israel die Existenzberechtigung ab. Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, daß die nationale Verfaßtheit des jüdischen Staates, Grenzzäune, Geheimdienste und die israelische Armee eingeschlossen, eine Versicherungspolice für diejenigen ist, die nach 1933 fast niemand schützen wollte. Das Pflichtprogramm heißt also nicht, die Fahne zu zeigen. Jeder wähle sich seine Mittel. Das Pflichtprogramm aber heißt, die Fahne dort zu verteidigen, wo sie angegriffen wird.

Ein höchst verwerfliches Symbol

Diese Fahne nicht zu verteidigen, hat die Jungle World zum Programm erhoben und ihre Mittel gewählt. Was als Flaggen-Diskurs verbrämt und recht flott als „Disco“ verpackt wurde, war gelungene Redaktionspolitik. Da läßt man jemanden einen kurzen Artikel schreiben, nicht länger als 4500 Zeichen bitte, der Gründe für das Herzeigen der Fahne benennen soll. Es würde dann jemand, der selbstverständlich auch israelsolidarisch wäre, darauf antworten, daß es noch bessere Mittel gebe. (10/04) Geantwortet hat der schon erwähnte Kronauer, der so gut darüber Bescheid weiß, was Israelis nicht mögen. (ebd.) In den Wochen darauf erschien das Neunfache an Textmenge, vier lange Artikel, deren Autoren sich in einem einig waren: die Fahne in den Händen von Antideutschen ist instrumentell, identitär, ja schändend. Schon die Relation der Textmengen und die Weigerung der Redaktion, z.B. einen Artikel oder ein Interview der israel-solidarischen Autonomen Antifa Nordost für die Fahne und das, was sie symbolisiert, anzunehmen, macht klar, daß es sich gerade nicht um eine Diskussion, sondern um machtpolitische Spiele einer Zeitschrift handelte, die ökonomisch auch deswegen unter Druck steht, weil die Mehrheit ihrer Leser Linke sind, die bekanntlich Israel alles andere als mögen, aber das hatten wir schon.

Die Redaktion brachte ihre besten Pferde an den Start. Darunter den Haus- und Hof-Kulturwissenschaftler der Linken, Georg Seeßlen, der feststellen durfte: „Wer mitsamt seinen Symbolen überall hineinpoltern kann, der hat entweder eine Menge Macht oder er bekommt eins auf die Nase.“(12/04) Letzteres geschah in Hamburg – also selber schuld. Damit hat er auch diese Matrix dekodiert. Die Barbarisierung des Denkens treibt Seeßlen noch weiter, wenn er behauptet: „Eine Hierarchie der Symbole ist höchst verwerflich.“(ebd.) Er gibt damit zu Protokoll, daß ihm eine Unterscheidung von Hakenkreuz und Davidstern und womöglich die Entscheidung für diesen und gegen jenes als höchst verwerflich erscheint. Man wird die gemachte Feststellung als billige Polemik schelten, der Diskurs gegen die Hierarchien sei schließlich äußerst emanzipatorisch gemeint. So emanzipatorisch nämlich, daß der zurecht eins auf die Nase bekommt, der sich nicht durchsetzt im Kampf gegen die Linksnazis. So geht das postmoderne Spiel um die Ordnung der Dinge, in dem der Seeßlen Schorsch den Ringrichter macht.

Das „andere“ Israel

In der Jungle World warnt man davor, sich mit einem Israel übermäßig solidarisch zu erklären, das eine Armee hat, die man IDF nennt, einen Geheimdienst der Mossad heißt und einen Premier namens Scharon. Statt der antifaschistischen Solidarität mit dem realen, empfiehlt das Blatt ein linkes Bekenntnis zu einem praktisch nicht existenten Israel, das links und antimilitaristisch sei, den Zionismus für einen üblen Anachronismus halte und statt der Wahrheit zwei „Erzählungen“ über das Verhältnis von Israel und Palästina anerkenne, die palästinensische über die „Nakba“ und die jüdische über die Shoa. Die Zeugen des anderen Israels sind Israelis und heißen Avneri, Zucker- und Zimmermann, oder linke amerikanische bzw. europäische Juden wie Chomsky, Finkelstein, Dror Feiler oder, wenn es ganz schlimm kommt, Genosse Fritz Teppich. Im besten Fall kann man sie Idealisten nennen, die sich ihr Ideal erhalten, indem sie sich weigern; den Antisemitismus gegen Israel und die Juden überhaupt wahrzunehmen. Ihnen allen ist zu attestieren, daß sie deshalb regelmäßig mit den Freunden des Terrors auf dem Podium zusammentreffen, um Israel zu veruteilen, weil sie nicht aushalten können, daß immer noch die antisemitische Welt darüber entscheidet, wer ein Jude ist und wie mit ihm zu verfahren sei. Die Unterschiede zwischen Uri Avneri und Ariel Scharon verschwinden zwar vor dem Weltgericht, das die Antisemiten über sie hereinbrechen lassen wollen. Sie bleiben allerdings bestehen, solange der erstere dem Tribunal der antisemitischen Internationale zuarbeitet und letzterer es bekämpft.

Der Jungle World will das nicht einleuchten. Ihr Glaubensbekenntnis hat sie sich schon im November 2002 von den drei besonders üblen Antizionisten Klaus Holz, Elfriede Müller und Enzo Traverso aufschreiben lassen: Antideutsche Israelsolidarität „bedeutet nichts anderes als die Preisgabe elementarer linker Überzeugungen“. (Jungle World 47/02) Damit haben die drei eine fundamentale Wahrheit benannt, die auf alle zutrifft, die sich gegen die Fahne aussprechen: Nicht um Israel geht es ihnen, sondern um ihre elementaren linken Überzeugungen.

Polen, Polen über alles

Die linksradikale Lächerlichkeit, die sich in Berlin, Hamburg und anderswo als antifaschistische „Szene“ versteht, hat ein Problem. Sie müßte ihren Außenminister lieben und ihrem Kanzler Respekt zollen, denn keine deutsche Regierung hat so erfolgreich Außenpolitik gegen den amerikanischen Hegemon und seinen nahöstlichen „Vorposten“ betrieben. Ein Linker, der sich ungewollt im Mainstream wiederfindet, weist jede Nähe zum deutschen Regierungslager empört von sich. Um sich seiner oppositionellen Kraft zu vergewissern, schreibt Jörg Kronauer deshalb von der „aktuellen Politik des deutschen lmperialismus“. Darin erkennt er die Konstante deutscher Politik seit mindestens 100 Jahren. Die„Bagdad-Bahn von Kaiser Wilhelm II“ bewertet er ähnlich wie Joseph Fischers „Nahostinitiative“, es gehe um „Revanchismus“, „Expansionsdrang“und „deutsche Hegemonialpolitik“.(Jungle World 10/04) Dieses ideologisierte Vokabular, das politische und historische Entwicklungen von Reichskanzler Bethmann-Hollweg bis Bundeskanzler Schröder völlig einebnet, dient allein dem Brückenschlag zu denen, die sich offen als Antiimperialisten der ganz alten deutschen Schule verstehen. Mit ihnen teilt Kronauer Sprache und Begriffe. Konsequent dampft er darum in der Phase 2-Ausgabe 11/04 die polnische Partnerschaft mit den Amerikanern im Irak auf eine „imperialistische Außenpolitik“ und „polnische Expansionswünsche“ein. Polen ginge es doch neben der eigenen Sicherheit auch nur um Öl und Rüstungsgeschäfte. Er bringt es fertig, zu unterstellen, die aktuelle polnische Regierung zeige „Ansätze für eine imperialistische Außenpolitik“, die „an die alte polnische Expansionsstrategie“ eines Großpolens „von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer“ anknüpfe. Diese Analyse, in leninistischem Jargon vorgetragen, ist die Aufforderung, den Polen auf gut antiimperialistisch die nie praktisch gewordene Solidarität zu entziehen. Den gleichen Schritt haben nicht wenige sogenannte Softcore-Antideutsche, die eigentlich Softcore-Antiimps zu nennen wären, am Beispiel Israels schon hinter sich gebracht. Linke Wahrnehmungsstörungen enden nicht bei Israel.

Blanker Philosemitismus

Einer, dem auch am Frieden gelegen ist, ruft die deutsche Linke zur aktiven Außenpolitik auf: „Aus der Sicht mancher Politiker in Israel (...) verspricht nur militärische Stärke auf unabsehbare Dauer Sicherheit. Andere antworten darauf, daß eine solche Sicherheit längerfristig unsicher gebaut ist (...). Das ist eine ernst zu nehmende Debatte. Doch manche deutsche Linke wollen nicht einmal die Frage verstehen. So kommen (...) zwar ,palästinensische Halswickel‘ und ,palästinensischer Terror‘ vor, aber keine palästinensischen Menschen. Ob den Menschen in Israel auf Dauer damit geholfen ist, wenn deutsche Linke den Kopf in den Sand stecken und Probleme leugnen, die auf die Zukunft aller Bewohner des Nahen Ostens bedeutenden Einfluß haben? Wohl kaum.“Bernhard Schmid, der das schrieb, meint also, die deutschen Linken sollten den Menschen in Israel auf Dauer helfen. Die Israelis scheinen deutsche Hilfe nötig zu haben, nämlich Hilfe zur Kapitulation vor dem Islamfaschismus. Die deutschen Linken sollen nach Schmid nicht mehr den Kopf in den Sand stecken, nicht mehr die Probleme leugnen,sondern sie endlich anpacken. Man weiß aus Schmids Artikeln, wie er sich eine solche Problemlösung unter linksradikaler deutscher Beihilfe oder gar Federführung vorstellt, und daß ihm der „Imperialismus“, der „Kolonialismus“und schließlich der „Zionismus Israels“der eigentliche Dorn im Auge ist. Der Vorwurf des„blanken Philosemitismus“istihm die schärfste ideologische Waffe zur Preisgabe Israels an die globale Intifada. (11/04)

Philosemitismus verorteten die Schreiber von konkret und Jungle World bislang am liebsten beim Springer-Verlag, mit dem Antideutsche angeblich kollaborieren. Axel Springer und seit seinem Tod seine Witwe und Rechtsnachfolgerin Friede Springer haben aus der nazideutschen Vergangenheit immerhin die Lehre gezogen, alle Verlagsmitarbeiter darauf zu verpflichten, den Israelis nicht das Leben schwer zu machen. Und entgegen allen Gerüchten funktioniert der Philosemitismus des Hauses Springer immerhin dahingehend, daß seine Autoren jedenfalls in den Zeitungsspalten keine Träne für Scheich Jassin vergossen haben. Als die Welt über den Angriff auf Träger von Israelfahnen in Hamburg meldete, es seien „junge Juden“ verprügelt worden, nahm das Hermann Gremliza zum Anlaß, die Springerpresse endlich dahin zu stellen, wo er sie immer schon gesehen hat: in die Antisemiten-Ecke: „Wenn er nicht einfach von der Flagge auf die Rasse geschlossen haben sollte: Woran dann hat Springers Reporter die jungen Juden erkannt? An den Nasen?“(konkret 03/04) Würde Gremliza zur Kenntnis nehmen, wie nahe Springers Reporter an der Wahrheit war, als er auf den zum Glück falschen Gedanken verfiel, daß nur junge Juden in der Öffentlichkeit eine Israelfahne in die Hand nehmen würden, er wüßte mehr über Deutschland und die Verhältnisse, in denen er lebt. Doch er will es nicht wissen. Auch er fürchtet die Preisgabe elementarer linker Überzeugungen weit mehr als die Israels. „Anbiederung an die politische Rechte, zum Beispiel aus dem Hause Springer“,vermutet auch der Jungle World-Redakteuer Ivo Bozic hinter dem, was Antideutsche mit dem öffentlichen Flaggezeigen bezweckten. Man könne doch „auch mit Israel solidarisch und gleichzeitig ein übler autoritärer Reaktionär sein“. (Jungle World 14/04) Er mag im Ausnahmefall sogar recht haben. Nur: Mit einem Reaktionär kann man sich meist noch streiten, man kann mit Aussicht auf Erfolg versuchen, ihn von der Wahrheit zu überzeugen. Auf Leute, die mit Israel nicht solidarisch sind, Antisemiten also, trifft das nicht zu. Aber immerhin: Für Bozic scheint möglich, was für Redakteure der Phase 2 auf einer Veranstaltung Mitte März an der Hamburger Universität nicht vorstellbar schien. Die behaupteten allen Ernstes, was Gremliza sich immer lauter räuspernd andeutet: daß die Linke ganz mehrheitlich für den Kampf gegen den Antisemitismus stünde, Konservative dagegen zwangsläufig Antisemiten seien.

Und dennoch, das Projekt Philosemitismus Axel Springers und anderer funktioniert nicht. „Zum Aspekt der Künstlichkeit gehört auch der Versuch, den Antisemitismus in Deutschland durch Philosemitismus zu ersetzen. Der Versuch ist gescheitert. Er erzeugte das alte Mißverständnis auf höherer Stufenleiter: eine offizielle anti-antisemitische Staatsauffassung, die dem festen Volksurteil die Hand vorhält.“ (Detlev Claussen, Grenzen der Aufklärung, 1994, S. 79) Ertappt, schreien jetzt der Schmid, der Gremliza und der Bozic. Doch nicht wirklich: „Die abstrakte Kritik am Philosemitismus zahlt in bloß psychischer Währung, wenn sie behauptet, Philosemitismus und Antisemitismus wären sich gleich.“ (ebd., S. 196) Philosemiten bei Springer machen sich tatsächlich mit anderen, offen antisemitischen Deutschen gemein, wenn sie öffentliche Hetzjagden auf „Kinderschänder“ ausrufen, kriminelle Manager als Sündenböcke für die Wirtschaftskrise vorführen oder kollektives Sandsackschleppen während ostzonaler Überschwemmungen hochleben lassen. Nur: Das sind, obgleich brandgefährliche Symptome für Antisemitismus, keine Besonderheiten der Springerpresse, das ist unheilbar deutsch und kann von rechts bis links überall beobachtet werden. Es bleibt dabei: Die Springerpresse unterscheidet sich von der Jungle World und von konkret dadurch angenehm, daß sie keinen Antisemtismusdiskurs mit Antizionisten wie Bernhard Schmid führt, um nur einen Autoren, der in beiden Blättern sein Unwesen treibt, zu benennen, sondern schlicht und einfach mit Israel solidarisch berichtet. Wer ausgerechnet sie und nicht die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Rundschau etc. des Antisemitismus zeiht, lügt planvoll, weil er seine elementaren linken Überzeugungen vor der Wahrheit retten will, und bekommt zur Strafe den Schmid aus Paris an den Hals, den man bekanntlich nie mehr los wird.

Ausblick

Nach den Ausschreitungen vom 31. Januar 2004 versuchen selbst einige der Angegriffenen – die Gruppe KP Berlin, den linksdeutschen Konsens zu retten. Was nun folgt, kann gut unter dem Begriff Appeasement subsumiert werden: „Wir lehnen die Strategie, mittels Zeigen von Nationalfahnen die Situation in der Linken allgemein zu eskalieren oder damit linke Demonstrationen/Veranstaltungen zu stören, ab. (...) Bei allen inhaltlichen Widersprüchen innerhalb der Linken, steht für uns der Konsens, der sich z.B. auf einer Bündnisdemonstration gegen Nazis ausdrückt, im Vordergrund. (...) Der Krieg im Irak ist zu verurteilen, ebenso wie es die Kriege in Tschetschenien, im Kosovo und in Ex-Jugoslawien sind. (...) Wir können den Beschluß der Demo-Vorbereitung, im vorderen Teil der Demo keine Nationalfahnen zu tragen, nachvollziehen, auch auf unserer Demo am 3. Oktober versuchten wir, diese Position durchzusetzen, scheiterten aber an der praktischen Umsetzung.“

Statt sich zu der Erkenntnis durchzuringen, daß in der antifaschistischen Szene die Antisemiten tonangebend sind und zunehmend gewalttätig agieren, wird das Bündnis mit den Schlägern und all denen, die dies goutierten oder zumindest tolerierten, weiter propagiert. Denn, dies stellt die KP Berlin klar, man ist ja auch gegen Nazis, wie man ja auch gegen jeden Krieg ist. Und man hat auch schon so seine Probleme gehabt, auf den eigenen Demos Israelfahnen zu verhindern. Dieser außenpolitische Konsens gegen den Krieg der Amerikaner im Irak und gegen zuviel Solidarität mit Israel – ist der klebrige Kitt derer, die tatsächlich zusammengehören. Und zumindest für die KP Berlin und ihre kurzzeitigen Gegner auf der Hamburger Demonstration gilt offensichtlich: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.

Adorno und Horkheimer schrieben zur Neuausgabe der Dialektik der Aufklärung 1969: „Kritisches Denken, das auch vor dem Fortschritt nicht innehält, verlangt heute Parteinahme für die Residuen der Freiheit, für Tendenzen zur realen Humanität, selbst wenn sie angesichts des großen historischen Zuges ohnmächtig erscheint.“ Diese Parteinahme meint heute vor allem die für Israel und die verbietet jedes taktische Verhältnis. Es geht anders als bei politisch motivierten Animateuren der linken Gemeinde nicht um eine Parteinahme im Prinzip, sondern um eine aus Prinzip. Die Fahne Israels ist ein starkes politisches Statement. Ein unzweideutig antifaschistisches allemal.

Ralf Schröder (Bahamas 44 / 2004)

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