Titelbild des Hefts Nummer 44
Das Madrider Abkommen
Heft 44 / Frühjahr 2004
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Entsorgung des Antifaschismus

Eine Deutsch-französische Kollaboration zum D-Day 2004

Nach Schröders erfolgreicher antiamerikanischer politischer Sammlung gegen die Intervention im Irak sind auch die Karten für den sechzigsten Jahrestag des D-Day neu gemischt. Die Gedenkveranstaltungen zur Eröffnung der Westfront gegen Nazi-Deutschland im Jahr 2004 werden keine Verlierer mehr kennen. Alle werden ihren Sieg über Hitler feiern, erstmals auch ein deutscher Regierungschef. Die Ära des mit dem Sieg über Deutschland begründeten antideutschen Antifaschismus wird in der Normandie symbolisch beerdigt werden, mit der Anwesenheit Schröders wird Deutschlands Bewährungszeit für alle sichtbar als beendet erklärt, ebenso wie seine Verpflichtung zur Bewährung. Es steht nicht mehr als besiegtes, sondern als befreites Land dabei, befreit allerdings nicht nur vom NS, sondern auch von den antifaschistischen Pflichten, welche ihm die Alliierten auferlegt hatten. Die FAZ vom 7.1.04 sieht in Schröders Teilnahme dennoch eine Anerkennung der Sicht der Sieger und schreibt von einem Gang nach „Neu-Canossa“, zumal Bush, wie die taz vom 3.1.04 vermutet, am 6.6. wieder den Krieg gegen den Terror „unter US-Führung“ zum Thema machen werde. Doch sieht die FAZ diesem selbsterklärten Canossa auch gelassen entgegen, schließlich sei doch inzwischen der „Kalte Krieg der Erinnerung in Europa zu Ende“ gegangen: „Von den Amerikanern und Briten kann man sich lebhaft vorstellen, daß sie keine Einwände hatten gegen eine Einladung Schröders. (...) Ihre kriegsmüden, von der [Vergangenheits]Bewältigung überwältigten Freunde im ‚alten Europa’ hatten nicht mehr die Kraft, in einer letzten Auflage ihres zwangsneurotischen Wiederholungsrituals nochmals Hitler und Pétain zu besiegen. Ohne Deutsche und Franzosen mußte die angelsächsische Koalition der ungeliebten Befreier von 1945 die Welt und den Irak in der Stunde Null der Vergangenheitsbewältigung auch noch vom Wiedergänger der braunen Tyrannen befreien.“ (FAZ, 31.1.04) Die pazifistische Kollaboration mit Saddam Hussein und dem irakischen „Widerstand“ wird zur „Stunde Null der Vergangenheitsbewältigung“, weil damit die „ungeliebten Befreier von 1945“ endlich alleine stehen.

Der D-Day war in Deutschland nie beliebt, und das nicht nur, weil Wende-Kanzler Kohl auch zum 50sten Jahrestag 1994 nicht eingeladen wurde. Auf die Frage „Sollte der D-Day gefeiert werden?“ antworteten 74 % mit Nein, 17 % mit Ja und 9 % hatten keine Meinung. (Ulrike Klein, Das internationale Medienereignis D-Day, 1996, S. 184)

Decision Day – Tag der Entscheidung

Warum aber war die Eröffnung der kontinentalen Westfront für die westlich orientierte BRD kein Feiertag? Als die deutsche Zweistaatlichkeit noch Bestand hatte, hieß es: „Die Siege über die deutschen Armeen und deren Hilfstruppen, die Europa vom Hitlerismus befreiten, haben dieses Europa keiner eigenen, sondern nur einer – in andauernder Abhängigkeit zu denkenden – Zukunft entgegengeführt und dazu noch in seinem kulturellen Zusammenhang jämmerlich zerrissen. Stalingrad dort, Normandie hier“. (FAZ, 7.6.1984) Mit den Westalliierten deren Sieg als Befreiung zu feiern, hätte bedeutet, die Teilung zu akzeptieren. „So bleibt nun nichts, als zu sagen, was sie [die Deutschen] nach der Niederlage begriffen haben. Nämlich: daß solche Feiern auf einem Sieg beharren, der sich selbst längst überwunden haben müßte.“ (ebd.) Nach dem Ende der Zweistaatlichkeit bestand der Wunsch nach der „Überwindung des Sieges“ allerdings immer noch. Man bestand weiterhin darauf zu trauern, wenn Alliierte feiern wollten: „Der 8. Mai bedeutet für die Deutschen im Westen das Ende einer totalitären Diktatur, der 9. Mai für die Deutschen im Osten den Übergang in eine zweite.“ (FAZ, 10.5.94) Demnach wäre die bis zur deutschen Niederlage dauernde Allianz der Westalliierten mit der SU verantwortlich für die Teilung, und nicht etwa der deutsche Überfall auf Polen. Nach dem Ende der Teilung sahen die Deutschen das hartnäckige „Beharren auf dem Sieg“ als mindestens ebenso lästig an wie zuvor. Die Erinnerung an den D-Day wurde als unzulässige Ermahnung und Einmischung oder gar als Fremdbestimmung verstanden. Und wenn beim Thema „Fremdbestimmung“ bereits von Auschwitzkeulen die Rede ist, so mokieren sich die Deutschen hier über die Siegeskeulen.

Kohls Antwort – schon 1984 kommentierte er, dort „nichts verloren“ zu haben (FAZ 5.6.84) – auf die D-Day-Feiern bestand 1994 in der trotzigen Hervorhebung der „Männer des 20. Juli“, deren Vorhaben, wenn es auch verhindert wurde, ein deutscher Beitrag zur Befreiung gewesen sei. Mit der Heraushebung der Wenigen aus der Masse der Wehrmacht wurde angemahnt, den Einzelfall zu prüfen, anstatt pauschal sämtliche Wehrmachtsoldaten aufgrund der Funktion der ganzen Organisation zu Verbrechern zu erklären. Dergleichen Befürchtungen hat die zweite Wehrmachtsausstellung inzwischen öffentlichkeitswirksam zerstreut. Hatte Hannes Heer zur ersten Ausstellungsvariante noch eine verbrecherische Wehrmacht mit 80 % Tätern angenommen, wurde zum Ende der zweiten Ausstellung – nach Annahme von Horst Möller – nur noch von 4–5 % ausgegangen. (s. FAZ vom 24.3.04)

Der posthumen Rehabilitierung deutscher Soldatenehre ist bereits 1984 ein Gegenprogramm zum D-Day gewidmet: Seitdem inszeniert Frankreich die symbolische Versöhnung mit Deutschland. Damals demonstrierte das händchenhaltende Duo Kohl/Mitterand zum ersten Mal gemeinsam die beiderseitige Ergriffenheit vor den Soldatengräbern des Ersten Weltkrieges und als Kohl 1994 wieder nicht in die Normandie eingeladen wurde, verschaffte Frankreich ihm die Genugtuung, die Waffenbrüderschaft beider Nationen dadurch zu zeigen, daß deutsche Panzer auf einer Militärparade in Paris mitfahren durften. Damals bestätigte Staatspräsident Mitterand der Wehrmacht, mit Mut und Patriotismus gehandelt zu haben, ganz so als spräche er von seiner eigenen Vichy-Vergangenheit. Der französische Sonderweg besteht nicht nur aus einer Partnerschaft mit Deutschland, sondern verweist insbesondere darauf, dass das D-Day-Gedenken für Frankreich eine andere Bedeutung hat als für Großbritannien oder die Vereinigten Staaten. Aus französischer Sicht stand der D-Day für die wiedergewonnene nationale Eintracht, denn die Befreiung durch die Westalliierten beendete eine Zeit der nationalen Spaltung in Anhänger von de Gaulle, der Résistance und der Kollaboration. Die Einbindung Frankreichs in den Kreis der Sieger schuf den Bedarf, die Eigenleistung an der Befreiung deutlicher herauszustreichen, was mittels der Überbetonung der Bedeutung der Résistance auch einigermaßen gelang. „Wir müssen einen Schleier werfen über jene Zeit, als die Franzosen sich nicht liebten“ (taz, 21.4.94), so begründete Staatspräsident Georges Pompidou Anfang der 70er Jahre die Begnadigung des zweifach zum Tode verurteilten Ex-Milizionärs Paul Touvier, der Erschießungen von Juden befehligt hatte. Spätestens nachdem die Kollaborationsbiographie Mitterands breit diskutiert worden war, war der „Schleier“ jedoch zerrissen, die Sonderstellung Frankreichs in der Runde der Westalliierten offenbar geworden. Von deutscher Seite wird diese bei Gelegenheit mit besonderer Genugtuung hervorgehoben: „Zu sehr erinnerte sie [die Landung in der Normandie, K.N.] an Vichy, das erst langsam ins Bewußtsein zurückkehrte, und an einen ambivalenten Sieg, den man nicht aus eigener Kraft errungen hatte.“ (FAZ 7.1.04) Mit der Erinnerung an die eigene Kollaborationsgeschichte beteiligt sich Frankreich bei der Aussöhnung mit Deutschland am kontinentalen Konsens der Ablehnung des alliierten Antifaschismus, zu dem es sich einst selbst bekannte. Der alliierte Antifaschismus passt weder zur nationalen Geschichte noch zur aktuellen Außenpolitik. Darin ähnelt sich Frankreich Lettland an, das ebenfalls auf eine Geschichte der Kollaboration zurückblicken kann. In dieser gründet auch eine gemeinsame europäische Identität, die sich im erweiterten Europa gegen die Staaten konstituiert, die den Sieg gegen die Achse hauptsächlich erkämpften: die SU, die USA und Großbritannien. Diese europäische Identität ermöglicht es Deutschland, selbst gegen die Einladung Putins in die Normandie – eine explizite Würdigung der „zentralen Rolle“ der SU bei der Niederschlagung Deutschlands – Einspruch zu erheben: „Doch die Betonung der großen Verdienste der Sowjetarmee im Zweiten Weltkrieg müssen die eben erst der kommunistischen Diktatur entkommenen Ostmitteleuropäer als Verhöhnung empfinden.“ (FAZ, 5.4.04) Die Abgrenzung von den USA wird dagegen als kerneuropäische Erfolgsgeschichte gefeiert.

Noch im „ersten Golfkrieg hätten die klimatischen Unterschiede zwischen Frankreich, dessen Armee damals mit den Amerikanern kämpfte, und Deutschland, wo die Lichterketten der Kerzenträger marschierten und weiße Tücher in die Fenster gehängt wurden, nicht frappierender sein können.“ Doch „beim zweiten Angriff auf Saddam ging keinem mehr der Vergleich mit Hitler über die Lippen. Nach zwanzig Jahren militanten Antipazifismus waren die Imperative der Vergangenheitsbewältigung verbraucht.“ (FAZ, 7.1.04) Wenn im Irakkrieg ein „Imperativ der Vergangenheitsbewältigung“ gesehen wird, dann stiftete der Krieg gegen Hitler nach Meinung der FAZ also bloß neue Kriege, da dessen Wiedergänger nun immer wieder besiegt werden mussten. Erst mit Deutschlands Aufnahme in die Antihitlerkoalition wird diese Kontinuität beendet und mit ihr das kriegerische Zeitalter des alliierten Antifaschismus, das mit dem Sieg über Deutschland begann.

Der Kampf um den Krieg

Vor dem Eintritt in den Krieg gegen den NS fand in den Staaten der Westalliierten ein innenpolitischer Kampf zwischen den Befürwortern dieses Krieges und den Sympathisanten und Propagandisten einer Ausgleichspolitik mit Nazideutschland statt. Die SU war in der Ausgleichspolitik am weitesten gegangen, indem sie nach dem Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939 gemeinsam mit Hitler in den Krieg gegen Polen eintrat, was für die SU aber deswegen immer wenig Ansehensverlust bedeutete, weil sie später dem sich fortsetzenden deutschen Eroberungskrieg widerstand. Zu den Befürwortern eines Ausgleichs gehörten in England neben den Schwarzhemden von Oswald Mosley eine die Politik bestimmende Koalition von Appeasementfreunden, die von Profaschisten über schlichte Bewahrer der bestehenden Ordnung bis zu linken Aufrüstungsgegnern ganz verschiedene gesellschaftliche Gruppen umfasste. Gegen diese musste Churchill durchsetzen, die schließlich geforderte „bedingungslose Kapitulation“ als einzigen akzeptablen Kriegsausgang auch zu erkämpfen. Den Vereinigten Staaten waren bis zum Angriff auf Pearl Habour von einem isolationistisch-pazifistischen Neutralitätsgesetz aus dem Jahre 1935 die Hände gebunden. Mit dieser eifersüchtig bewahrten Unparteilichkeit hatte Präsident Roosevelt lange zu kämpfen, zumal er während des spanischen Bürgerkrieges selbst auf Neutralität setzte und sich erst nach und nach zu Einsichten wie der folgenden, einer Rede vom 27.5.41 entnommenen, durchringen konnte: „Wir sind (...) nicht bereit, eine Welt hinzunehmen, in der, wie in der Nachkriegszeit der zwanziger Jahre, wieder die Saat des Hitlertums gesät und ihr Wachstum geduldet würde.“ (Präsident Roosevelt, Amerika und Deutschland 1936–1945, o.J., S. 45) In den USA existierte zu dieser Zeit eine beachtliche Anzahl von Nazi-Gruppierungen und NS-Sympathisanten: von William Dudley Pelley (Gründer der NS-Bewegung Silver Shirt Legion) über Black Legion (eine Nazi-Terrororganisation), dem German-American-Bund (Propagandisten des NS in den USA mit einer Zeitung namens Völkischer Beobachter) bis Father Charles Coughlin (Radioprediger und Zeitungsmacher, der einem Millionenpublikum in den USA eine jüdisch-kommunistische Verschwörung auftischte) und dem einflussreichen Nazifreund und Antisemiten Henry Ford. Daß die Basis dieser Gruppen groß war, belegt eine breite Kampagne gegen die polnisch-jüdischen Einwanderer Harry und Jack Warner – bekannt als Gründer der Filmgesellschaft Warner Bros. –, die als erklärte Nazigegner und Befürworter eines Krieges gegen Deutschland als Drahtzieher eines von Hollywood ausgehenden kriegstreiberischen jüdischen Komplottes denunziert wurden.

Es wird oft so getan, als hätte es einen innenpolitischen Streit um den antifaschistischen Krieg nicht gegeben. Der oft im Stil einer schlechten Antifa-Recherche vorgetragene Verweis darauf, dass es überall Freunde der Nazis und mit ihnen strategisch rechnende Politiker gegben habe, verhindert die Würdigung der historischen Tatsache, dass diese für eine letztlich nicht zum Zuge gekommene politische Option standen; und dass sowohl bürgerliche Appeasement-Politiker wie sozialistische Pazifisten ihre Haltung zum NS erst änderten, als dessen unvergleichliche Barbarei nicht mehr zu übersehen war. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Sympathie für Hitler in den USA sowie in Großbritannien zu einer Randerscheinung. Der qualitative Unterschied zwischen dem NS und den westlichen Alliierten wird gerne pauschal eingeebnet – wie jüngst in einem ARD-Beitrag über Hitlers „amerikanische Geschäftsfreunde“ –, indem in schlechter Abstraktion darauf verwiesen wird, dass der Kapitalismus den Faschismus hervorbringe und deshalb die kapitalistischen Staaten keine Partner im moralisch begründeten Kampf gegen den NS sein konnten, sondern aus bloßer imperialistischer Konkurrenz für ihre Interessen (in den Krieg) eintraten. Der westliche Anteil am Kampf gegen das Dritte Reich darf, im Gegensatz zu dem der SU, einfach nicht als das gewürdigt werden, was er war: bewaffneter Antifaschismus.

Vetreter eines antiimperialistischen Verständnisses von Faschismus weigern sich zur Kenntnis zu nehmen, dass des NS völkische Weltordnung sowohl gegen proletarischen Internationalismus und Klassenkampf, als auch gegen Liberalismus und Individualismus stand. Der ideologische und militärische Sturm des Nationalsozialismus gefährdete das Überleben der parlamentarischen Verfassungsstaaten in ihren Kernländern und führte 1942 fast zum militärischen Zusammenbruch der SU – die Antihitlerkoalition hat nicht ohne Grund bis zum Sieg über den NS gehalten. Die bürgerlichen Demokratien wurden durch den Widerstand der SU gestützt, diese bekam von jenen gegen Hitler große Unterstützung. Die Gemeinsamkeiten über den Kampf gegen Deutschland hinaus waren bekanntlich sehr begrenzt und auch die Kooperation war bereits durch gegenseitiges Mißtrauen belastet. Die Westalliierten wollten einen neuen Hitler-Stalin-Pakt verhindern und die SU ein antikommunistisches Bündnis gegen sich selbst. Erst nachdem das Anti-Nazi-Bündnis seinen Zweck erfüllt hatte, trat die Konkurrenz der Systeme offen in den Vordergrund.

Westfront und Ostfront

Die Bereitschaft, gegen Deutschland in den Krieg zu ziehen, war in Frankreich nicht in dem Maße ausgeprägt, dass ein für die Nazis verlustreicher Krieg durchgehalten werden hätte können.(1) Schließlich endete die französische Niederlage in der Nazi-Kollaboration der Vichy-Regierung, die die Kontrolle über einen Teil des französischen Territoriums und die meisten der französischen Kolonien behielt: dort kämpften französische Truppen später auch gegen die Alliierten.

Die Kapitulation Frankreichs ging mit einer britischen Niederlage einher. Der damalige Versuch der Briten, auf dem Kontinent mit den Franzosen gegen die Deutschen zu bestehen, endete im Juni 1940 bei Dünkirchen mit der Evakuierung von ca. 335.000 hauptsächlich britischen, polnischen und auch französischen Soldaten nach England. Bald darauf, ab August 1940, konnten die Briten allerdings die sogenannte „Luftschlacht um England“ für sich entscheiden; die weitere Westexpansion Hitlers war gestoppt. Jetzt standen sie einem übermächtigen Gegner auf dem Kontinent gegenüber, der damals noch zusätzlich im Bündnis mit Stalin stand. Die bald nach dem Angriff Deutschlands im Juni ’41 von Stalin erhobene Forderung, im Westen eine zweite Front gegen Deutschland zu eröffnen, erging noch an das allein kämpfende und damit bei weitem überforderte Großbritannien. Präsident Roosevelt versprach der SU zunächst nur materielle Unterstützung. Kurz nach der Unterzeichnung des Dreimächtepaktes zwischen Deutschland, Italien und Japan im Dezember 1940, also vor dem Entschluss der USA, den Krieg gegen die Achse zu eröffnen, kündigte der Präsident an, dass die USA ihre Ressourcen als „das große Arsenal der Demokratie“ in den Krieg einbringen würden. Der Anteil der massiv anziehenden amerikanischen Kriegsproduktion am Sozialprodukt der USA stieg von 1940–44 von 2 % auf über 50 %. Die USA lieferten fast 2/3 aller militärischen Güter der Alliierten. Vor der Aufrüstung waren die USA eine vergleichsweise unbedeutende Militärmacht, die an 18. Stelle in der Welt stand und mit veraltetem Material ausgestattet war. Erst durch die Aufrüstung der USA verfügte die Antihitlerkoalition über die materiellen Mittel für einen aussichtsreichen Krieg gegen die Achse. Die US-Truppen wurden somit binnen kurzem in die Lage versetzt, der Achse global entgegenzutreten, so dass sie z.B. am 15.6.44, also kurz nach dem D-Day in der Normandie, mit 67.500 Mann in einem zweiten großen Landeunternehmen auf Saipan zur Zurückdrängung der Japaner auf den Philippinen landen konnten.

Erst Ende des Jahres 1943 also bestand überhaupt die Voraussetzung für die von Stalin geforderte Eröffnung der Westfront auf dem Kontinent. Zuvor hatten Briten und Amerikaner trotz ihres engen Bündnisses geradezu gegensätzliche strategische Vorstellungen. Während die Amerikaner seit Mitte 1942 auf einer offensiven und direkten Strategie, nämlich dem Kampf gegen die Hauptstreitmacht nach einer Landung in der Normandie und dem Vorstoß ins Kernland des Dritten Reiches beharrten, bevorzugten die Briten indirektere, aber überschaubarere Interventionen über die Peripherie sowie die Erkämpfung der Seehoheit und den Luftkrieg. Die Briten sahen sich der Wehrmacht im Landkrieg auf breiter Front nicht gewachsen und setzten deshalb nicht auf große Entscheidungsschlachten. Sie wollten durch eine permanente Schwächung des Gegners das Kräfteverhältnis allmählich ändern.

Auch die massive sowjetische Mobilisierungskraft im Großen Vaterländischen Krieg war eine Voraussetzung für den alliierten Sieg. Die entscheidende Steigerung von Massenproduktion, technischen Leistungen, Verteidigungsbereitschaft und –befähigung wurde zu großen Teilen erst während des Krieges selbst geschaffen, obwohl das industrielle Produktionsvolumen, wie es vor dem deutschen Angriff bestand, aufgrund des Verlustes der Kontrolle über Territorium und Rohstoffe nicht mehr erreicht werden konnte. Großangelegte Militär- und Güterlieferungen insbesondere aus den USA waren deshalb unverzichtbar.

Die Verteilung der Kriegslasten auf die Alliierten entsprach ihrer jeweiligen Funktion im Kampf gegen die Achse. Die SU trug auf ihrem Territorium die Hauptlast im Krieg gegen die von Deutschland geführten Landstreitkräfte. Dabei wurden 10 der 13 Millionen deutschen Kriegsopfer an der Ostfront getötet, verwundet oder gefangen genommen. Die Westmächte führten dagegen die Kämpfe in Afrika und Asien, im Pazifik, im Mittelmeer und im Atlantik und trugen die in Europa mit. Die Erringung der Luftüberlegenheit und der Seehoheit waren materialintensiv und verlustreich, allein 1942 verloren die Alliierten 1662 Schiffe (Richard Overy, Die Wurzeln des Sieges, 2000, S. 71). Der Krieg der Westalliierten war – im Gegensatz zu dem der SU – weniger durch den Einsatz von Massenheeren, sondern insgesamt mehr von Technik geprägt. 1942 kämpften 400.000 amerikanische Soldaten im Pazifik und brachten durch einen Sieg in der bedeutendsten Seeschlacht des Zweiten Weltkrieges (bei der Midway-Insel), die durch Marineflieger entschieden wurde, die japanische Expansion zum Stillstand. Zu der Zeit kämpften dagegen nur 60.000 US-Soldaten gegen Deutschland und Italien (Overy, S. 64).

Aus der großen Bedeutung sowohl der USA wie auch der SU für den Kriegsausgang folgte deren starke Position in der Nachkriegsordnung, in der die europäisch-kontinentale anglo-französische Weltordnung durch die sowjetisch-amerikanische abgelöst wurde. Der Sieg insbesondere über Deutschland ist für diese Nachkriegsordnung ein zentrales Legitimationsreservoir gewesen. Die neben den zwei Blöcken ebenfalls bedeutsame UNO, die im Juni 1945 gegründet wurde, stand zunächst ebenfalls für den erfolgreichen bewaffneten Antifaschismus, ging sie doch direkt aus der Antihitlerkoalition hervor, die mit den alliierten Erfolgen immer größer geworden war. Da sich die Antihitlerkoalition nach dem Sieg in konkurrierende Systeme spaltete, wurde um den jeweiligen Anteil an ihm eifersüchtig gestritten. Deshalb gab es auch keinen gemeinsamen Feiertag – wie etwa den 8. Mai, den Tag der deutschen Kapitulation –, es wurden an symbolisch aufgewerteten Gedenktagen jeweils eigene militärische Leistungen gegen die Deutschen herausgehoben. Dabei ist die Ostfront mit Stalingrad in Deutschland berühmter geworden als die Westfront mit dem D-Day.

Stalingrad

„Die heroischen Taten des Sowjetvolkes zeugten von der Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Es vollbrachte sie im wesentlichen auf sich allein gestellt. Seine Kampf- und Arbeitsleistungen veränderten das militärische, wirtschaftliche und politische Kräfteverhältnis zugunsten der UdSSR und der anderen Länder der Antihitlerkoalition, lange bevor die zweite Front im Juni 1944 in Westeuropa eröffnet wurde.“ (Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, Grundriß der deutschen Geschichte, Berlin, 1979, S. 473) Für diese gegen die Kriegsleistungen des Westens gerichtete Interpretation ist Stalingrad zum Symbol geworden. Es steht nicht nur als eine damals wichtige Demonstration dafür, dass die Hitlerarmeen verwundbar waren, sondern wurde nachträglich zu einer Vorentscheidung für den ganzen Krieg, welche die ruhmreiche Rote Armee herbeigeführt habe, hochstilisiert.

Die Behauptung, dass der Kriegsausgang nach Stalingrad, der „Wende an der Ostfront“, bereits fest gestanden habe, suggeriert, dass die Westalliierten bloß geholfen hätten, einen Krieg zu Ende zu führen, in dem der Sieg bereits errungen worden war. In der Legende von der „auf sich allein“ gestellten Sowjetunion gründet auch der Mythos vom sowjetkommunistischen Bündnis mit dem Weltgeist gegen Faschismus und Imperialismus. „Der Verlauf des Krieges machte sichtbar, dass die Niederlage des faschistischen deutschen Imperialismus historisch unvermeidlich und gesetzmäßig war.“ (Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Bd. 5, Berlin, 1966, S. 410) Angesichts der Tatsache, dass die SU nach dem deutschen Angriff vom Zusammenbruch nicht weit entfernt war, ist solch geschichtsmetaphysische Kraftmeierei einigermaßen lächerlich. Stalingrad 1943 steht für einen Sieg, der den drohenden militärischen Zusammenbruch der SU aufschob, aber noch lange nicht endgültig abwendete. Bereits im Frühjahr 1943 gelang es der Wehrmacht nämlich, die sowjetische Offensive abzufangen und die deutsche Front wieder zu stabilisieren. Entscheidend für die deutsche Niederlage war schließlich die Schlacht bei Kursk, bei der der Wehrmacht im Juli 1943 so hohe Verluste zugefügt wurden, dass sie ihre Offensivkraft verlor. Erst danach ging die Initiative in der Kriegsführung im Osten auf die Sowjets über.

Der Stalingradmythos wirkte und wirkt deswegen besonders nachhaltig, weil von deutscher Seite der Krieg im Osten, anders als der im Westen, als Vernichtungskrieg um „Lebensraum“ und gegen „minderwertige Rassen“, insbesondere die Juden, geführt wurde. Im Osten ist bekanntlich nicht nur die Erde auf breitester Front verbrannt worden. Die Dimension der Vernichtung und Massivität des Krieges offenbarte sich im Osten nicht durch eine moderne, durch den Produktivitätsfortschritt ermöglichte technisierte Kriegführung, die auf Seiten der Westalliierten nicht nur viele Menschenleben rettete, sondern auch eine schlichte Voraussetzung für den globalen See-, Land- und Luftkrieg war. Der Westen betrieb eine kapitalintensive, auf technische Überlegenheit zielende Rüstung. Auf sowjetischer Seite wurde zum Ausgleich der Mängel in der Ausrüstung Rücksichtslosigkeit, Improvisation und barbarischer Zwang zur Voraussetzung des militärischen Erfolges. Während heute noch der soldatische Ingenieur oder Elektroniker als ein berechnender Knopfdruckvernichter angesehen wird, ist mit dem extrem material- und menschenverbrauchenden Krieg, für den Stalingrad steht, ein Bild voller Blutbäder, Entbehrungen und übermenschlichen Anstrengungen verbunden, die zu mobilisieren eben wohl nur einem Stalin zugetraut wurde.

In Stalingrad fand nach General Schukows erfolgreicher Einschlusstaktik etwas statt, was hierzulande lieber als „Untergang der 6. Armee“ denn als sowjetischer Triumph angesehen wird. Zu Helden werden die Teilnehmer solcher Zermürbungsschlachten aber von beiden Seiten erklärt, von einer eben nur als tragische. Stalingrad bietet statt der Bilder vom herrischen, die Bilder vom anderen, vom leidenden deutschen Wehrmachtsangehörigen, der vom Kriegsglück verlassen und von Hitler „verraten“ massenhaft und ohne besondere militaristische Attribute in langen Kolonnen in eine Gefangenschaft geführt wird, von der einem Jeden bekannt ist, dass viele sie nicht überlebten. In den Bildern des Scheiterns wird die Reduzierung der deutschen Kampfmaschinen auf ihre schiere menschliche Existenz nachvollzogen. Hier werden die hoffnungsvollen Deutschen, die durch den Kriegsverlauf enttäuscht wurden, zu Opfern Hitlers oder „des Krieges“ umgelogen. Stalingrad steht somit nicht einfach für einen Sieg über Hitler, sondern hält auch die Bilder bereit, die dazu führen, daß viele Krieg und Faschismus gleichsetzen als Schrecken, die für den „kleinen Mann“ bereitstehen.

Gerechter Krieg

Da nicht die Linke den staatlich organisierten Faschismus besiegte, sondern die Alliierten, erklärten Linke die SU zum Statthalter des Antifaschismus in der Antihitlerkoalition. Im Vaterland des Sozialismus stand keine „Finanzoligarchie“ im Verdacht, die Motive des Handelns zu bestimmen. Dort kämpften fremde Invasoren gegen Verteidiger von Boden und Heimat. Dort wurde ein potenziell kosmopolitischer Antifaschismus zur Widerstandskraft einer Nation aus ihrem „Volksgeist“ heraus verstanden, die deshalb antifaschistisch geadelt wurde. Antifaschismus wurde zu etwas Heiligem, Ideellem, Selbstlosem gemacht und zu einem moralischen Code, dessen Gegenstand so beliebig wurde, wie die Unkenntnis über den Faschismus durch parolenhafte Beschreibungen wuchs. Solcher Antifaschismus störte sich immer daran, dass die Antihitlerkoalition ja bloß ein Zweckbündnis war, auch wenn dieser Zweck die vollständige Niederwerfung des NS war.

So machte der linke Antifaschismus nach 1945 die Voraussetzungen des alliierten Sieges über die Achsenmächte folgerichtig zum eigentlichen Problem. Man stellte den antifaschistischen Krieg der Westalliierten unter antiimperialistischen Generalverdacht: „Der zweite Weltkrieg, der eine neue Etappe der allgemeinen Krise des kapitalistischen Systems einleitete, begann als Zusammenstoß zwischen dem Block der faschistischen Staaten unter Führung herrschender Monopolkreise und Politikern Frankreichs und Großbritanniens. Diese militärische Auseinandersetzung zweier imperialistischer Koalitionen war ihrem Entstehen und ihrem Charakter nach ein beiderseits ungerechter, imperialistischer Krieg.“ (Zentralinstitut, S. 465) Erst mit dem Angriff Deutschlands „auf die UdSSR ging der Krieg über die Grenzen des kapitalistischen Systems hinaus. (...) Der Große Vaterländische Krieg des Sowjetvolkes, der Hauptbestandteil des zweiten Weltkrieges war, bestimmte letztlich den gesamten Charakter des Krieges seitens der Staaten der Antihitlerkoalition als den eines gerechten Krieges.“ (Zentralinstitut S. 470) Die Versuche, den Zweiten Weltkrieg, soweit er vom Westen geführt wurde, als innerimperialistischen Krieg zu deuten, in dem man folglich außer für die SU für keine der Seiten Partei ergreifen durfte, ist ein billiger, heute noch gern verwandter Trick, der den westlichen Antifaschismus schlicht negiert.

Während vom DDR-Zentralinstitut für Geschichte dem antifaschistischen US-Krieg immerhin noch zugesprochen wurde, dass er ab einem bestimmten Punkt auch ein „gerechter“ gewesen sei, erscheint eine solche Haltung deren Nachwende-Nachlassverwaltern viel zu kompromißlerisch gegenüber den gelegentlich als „faschistisch“ denunzierten USA. Als ein Beispiel mag das aus dem Flämischen übersetzte Buch von Jacques Pauwels dienen: Der Mythos vom guten Krieg, Die USA und der 2. Weltkrieg, PapyRossa 2003. Das Buch, dem als einzige Bestimmung eingeschrieben ist, die Dummheit seiner Leserschaft zu bedienen, verweist mit seinem Titel auf die erste Wehrmachts­ausstellung zum Vernichtungskrieg 1941–1945, deren Aufgabe von ihrem Leiter Hannes Heer darin gesehen wurde, die „Legende von der sauberen Wehrmacht“ zu zerstören. Nach der „sauberen Wehrmacht“ kommt also auch die „saubere Army“ dran. Bereits die Nazi-Demonstrationen gegen die Ausstellung machten diese zum Thema wie etwa am 13.4.02 in Wien, als vom „Deutschen Kolleg“ (Würzburg) verfaßte Flugblätter verteilt wurden, in denen folgendes nachzulesen ist: Die „Nähe zu Zielen und Methoden der Westmächte ist vom deutschen Standpunkt aus der einzige gegen Hitler zu erhebende Vorwurf“. Hitler ist ein Schüler des Westens, oder USA-SA-SS ist auch hier die antiimperialistische Botschaft.

Der PapyRossa Verlag lässt seinen Autor Pauwels an den Westmächten kritisieren, dass sie den antifaschistischen Krieg nicht um der Antifa-Moral Willen geführt haben: „Für die US-Machteliten und vor allem anderen für die großen Corporations war der Zweite Weltkrieg aus einer ganzen Reihe von Gründen zweifellos ein sehr guter Krieg. Erstens beendete der Krieg die Große Depression, indem er die Nachfrage wiederbelebte. Mit anderen Worten bot der Krieg die Lösung für die tiefe Krise des kapitalistischen Wirtschaftssystems, zumindest soweit die USA selbst davon betroffen waren.“ (Pauwels, S. 234) Die überlegene kapitalistische amerikanische Aufrüstung in der Antihitlerkoalition wird als Ursprung des Übels gesehen, das bis heute fortwirke und dabei zu einer Existenzweise des Überlebens des „US-Imperialismus“ geworden sei: Wenn „die Vereinigten Staaten endlich gezwungen wären, mit dem Kriegführen aufzuhören, schlüge für die US-Wirtschaft die Stunde der Wahrheit. Könnte der Kapitalismus in den Vereinigten Staaten einen solchen ‚Ausbruch’ des Friedens überstehen?“ (Pauwels, S. 249) Das US-Kapital erschleiche sich, mit falscher antifaschistischer Reputation getarnt, die Legitimation zur Anfachung eines permanenten Weltenbrandes, schreibt Pauwels und kommt damit zum gleichen Ergebnis wie die FAZ, die vom immer wiederholten Sieg über Hitler als einem „Wiederholungsritual“ spricht. Ob Kapitalismus, Faschismus oder Krieg, es ist alles identisch, wenn hausbackener Materialismus und antiimperialistische Moral Elefantenhochzeit halten. Macht- und geldgeil sind die Amis, das weiß doch sowieso schon jeder – wenn dann jedoch ihr Idealismus zur Sprache kommt, wird es erst recht gefährlich, denn dann gehen sie gottgleich, wenn nicht im Größenwahnsinn hitlergleich, also im Bewusstsein einer „göttlichen Mission“ zu Werke: „Die Amerikaner fühlten sich berufen, nun überall ihre eigenen Ideen von Freiheit, Recht und Demokratie zu verbreiten, mit anderen Worten, die Welt nach ihren eigenen Vorstellungen neu zu erschaffen.“ (Pauwels S. 155f) Auch dafür steht der D-Day.

Das Ende einer geistigen Weltordnung

Die Westfront auf dem europäischen Kontinent wurde 1944 eröffnet, als die Wehrmacht noch immer über 10,5 Millionen Soldaten verfügte, von denen allein 4,4 zum Feldheer gehörten. Bis dahin konnte von den Deutschen im Osten Raum aufgegeben werden, ohne dass deshalb die Herrschaft der Nazis in Gefahr geriet, und lag ein Verhandlungsfrieden, auf den der gescheiterte Putsch 1944 abzielte, im Bereich des Möglichen. Die Westfront hatte die Eroberung des deutschen Kernlandes zum Ziel und somit die endgültige Kapitulation des NS. Den Westalliierten ging es neben der eigenen Verteidigung auch um den Sieg über eine Ideologie, die nur einzudämmen war, indem deren ideologisches und machtpolitisches Zentrum ausgeschaltet wurde. Dem Nationalsozialismus sollte eine historische Niederlage bereitet werden, weil die Bedrohung durch den NS über militärische Eroberung hinausging, wie Präsident Roosevelt in einer Rundfunkansprache am 15.3.1941 erläuterte: „Die Propagandaämter der Achsenmächte haben zuversichtlich prophezeit, dass die Eroberung unseres Landes eine ‚innere Angelegenheit’ sein würde, eine Aufgabe, die nicht eines überwältigenden Angriffs von außen her bedürfe, sondern die durch innere Verwirrung, Spaltung und moralische Zersetzung gelöst werden könne.“ (Roosevelt, S. 40)

Mit der Eröffnung der Westfront ist, im Gegensatz zum Verteidigungskrieg im Osten, die Vorstellung vom legitimen Krieg, auch Angriffskriege gegen allein auf Vernichtung drängende politische Systeme, das „Böse“ also, praktisch legitimiert. Da man im Westen über kein zureichendes Vokabular zur Analyse des Nazifaschismus verfügte, sich aber auch nicht auf nationale Verteidigung beschränkte, wurde ihm mit „dem Bösen“ eine universelle Bedeutung verliehen, dem auch universell zu widerstehen sei. Der Krieg wurde in den USA und in England als zentrale politische Lehre aus München 1938 verstanden, die besagt, dass einem Diktator, der das Böse repräsentiert, keinerlei Zugeständnisse gemacht werden dürfen. Die Legitimität des Krieges gegen das Dritte Reich stand angesichts der Methoden des NS derart felsenfest, dass immer wieder versucht wurde, so auch andere Kriege zu begründen, obwohl die Verhältnisse während des Kalten Krieges eine solche Parallelisierung nicht mehr hergaben, da die Hauptakteure der Weltordnung es verstanden, jeden Krieg regional zu begrenzen und jeder, der zum Diktator erkoren wurde, irgendwie mit einer der beiden Seiten im Bunde stand. Erst nach dem Ende des Kalten Krieges ist wieder eine Entwicklung möglich, bei der ein jede Emanzipation negierendes und global antizivilisatorisches Zerstörungswerk globale Akzeptanz erringen kann.

Die Aktualität des D-Day ist also ungebrochen. Für Amerikaner und Briten, deren Landsleute auf den Friedhöfen in der Normandie liegen, ist er eher ein Andachtstag, während er in Frankreich stets als Feier der nationalen Versöhnung begangen wurde. Zum Jahrestag 2004 nun wollen die französischen Gastgeber mit Hilfe von Tausenden von Jugendlichen für ein zukunftsorientiertes Gepräge sorgen, in dem auch Deutschland wieder mit Zukunft statt mit Vergangenheit assoziiert werden soll. Zu solchen Anlässen wird auch die FAZ antinational: „Die nationalen Vergangenheiten in Europa sind weitgehend davon befreit, die eiserne Ration kollektiver Identität darzustellen.“ (FAZ, 31.1.04) Am D-Day 2004 wird das Andenken, das einst für die historische und in die Zukunft gerichtete Entschlossenheit gegenüber dem Faschismus stand, in einer Art französischer Versöhnungsfeier im erweiterten Rahmen begangen werden, als Sieg über die Spaltung Kerneuropas in Faschismus und Antifaschismus.

Der Kanzler wird also nicht im Büßerhemd in der Normandie erscheinen und misst seiner Teilnahme „enorme symbolische Bedeutung“ (taz, 3.1.04) bei. Er wird für eine neue europäisch geistige Weltordnung dort stehen, die der Versöhnung verpflichtet ist, wie in Frankreich, in Lettland, im Irak und anderswo.

Es ist wahrscheinlich, dass die taz vom 3.1.04 richtig liegt, wenn sie angesichts der bis dahin vollzogenen EU-Erweiterung erwartet, dass „Chirac und Schröder die europäische Einigung als wichtigste Frucht der Niederlage Nazideutschlands preisen und dabei darauf hinweisen, dass sich Europa und die UNO als Nachfolger der Anti-Hitler-Koalition darstellen werden.“ Wenn Schröder sich auf die UNO beziehen kann, so deshalb, weil diese zwar aus der Antihitlerkoalition hervorging, aber schon bald zu der Institution für die Ablehnung von kultureller Fremdbestimmung und Eingriffen ins „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ wurde. Sie diente der weltpolitischen Einbindung des antikolonialen Nationalismus im nach 1945 von der SU und den USA geförderten Entkolonialisierungsprozess. Zwar hat die UNO die Kompetenz, Interventionen zu beschließen, und ist damit noch der Idee des gerechten Krieges der Staatengemeinschaft gegen ihre Bedrohungen verpflichtet, doch geraten bei ihr Antifaschismus und Antiimperialismus in einen direkten Gegensatz. Dem Antiimperialismus zuliebe hat sich die UNO dafür entschieden, seit 1945 den Antisemitismus zu verschweigen und dem Rassismus zu subsumieren: Zum Hauptfeind wurde der Zionismus erklärt, die Rechte des Einzelnen hatten zugunsten von Völkerrechten zurückzutreten – in der UNO herrscht somit der Ungeist der Achsenmächte.

Die Linke hat sich in dieser Entwicklung als Katalysator betätigt. Als „Internationale der Achtundsechziger“ war sie es zunächst, die „mit dem Faschismusvorwurf eine Kontinuität zwischen Vergangenheit und Gegenwart gerade herstellte und damit die Fortsetzung eines Befreiungskampfes suggerierte“, wie die FAZ vom 31.1.04 nörgelt. Damit meinte die Linke zunächst nicht nur die nationale Befreiung, sondern auch die von gesellschaftlichen und persönlichen Beschränkungen. Im Verlauf der 70er Jahre wurde dies im Sinne des Antiimperialismus geklärt. Den Antiimperialismus hat die Linke seitdem nicht überwunden, sondern vielmehr verdrängt, daß der NS ein antizivilisatorisches Großprojekt war, das als Zerstörungswille gegen Aufklärung und Liberalismus durchaus fortlebt, und zwar eben bei den Klienten des Antiimperialismus. Beim D-Day 2004 steht von EU-Seite die Beerdigung des internationalen Antifaschismus und dessen Identifizierung als Imperialismus auf dem Programm. „Friedenserhaltung“ à la München steht in Europa ja nicht erst seit der Bomben- und Wahlkatastrophe von Madrid hoch im Kurs: Als erklärter Wille, zuzuschauen, wie eine politisch-gesellschaftliche Katastrophe wie der NS, wie der von Frankreich und der UN zugelassene Hutu-Aufstand in Ruanda und vor allem der islamische „Befreiungskampf“ gegen die „Ungläubigen“ sich nicht nur blutig austobt, sondern womöglich zu einer Macht anwachsen kann, deren Beseitigung dann ebenfalls katastrophische Ausmaße annehmen muss.

Karl Nele (Bahamas 44 / 2004)

Anmerkungen:

  1. Sechs Wochen dauerte der deutsche Feldzug: Bei eigenen Verlusten von 27.000 nahmen die Deutschen 1,9 Millionen Gefangene. Die französische Flotte beispielsweise verweigerte es im Sommer 1940, sich dem Nazi-Zugriff durch Einlaufen in englische Häfen zu entziehen, worauf die Briten gezwungen waren, sie anzugreifen.

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