„Can I trust Saddam Hussein? I think I can do business with him.“
Kofi Annan (Pressekonferenz, 28.2.1998)
„Wenn man das Unbehagen und die Verstörung beschreiben sollte, mit denen Amerikaner auf die Ereignisse der UN-Vollversammlung (…) reagierten, dann läge einiges Gewicht auf der Entdeckung, daß die überwältigende Mehrheit der Staaten dieser Welt den Eindruck hat, Ansprüche anmelden zu können, die alle dem Wohlergehen einzelner Nationen dienen. Diese Ansprüche sind sowohl bedenkenswert als auch furchterregend – furchterregend für Staaten wie die USA, die sich regelmäßig in der Minderheit in einer Generalversammlung von 138 Mitgliedern wiederfinden, oft als einzige, bestenfalls zusammen mit einem halben Dutzend Staaten.“(1)
Die bittere Klage des Daniel Patrick Moynihan ist so global und zeitlos wie das Ärgernis, dem sie galt: Die Vereinten Nationen – oder besser: deren Vollversammlung –, die Moynihan als „Bühne für Diktatoren und Tyrannen“ ansah. Sein Zorn richtete sich gegen den Beginn einer Entwicklung, die heute in der Bestätigung der Mitgliedschaft des Sudan im Menschenrechtsausschuß der Vereinten Nationen just zu jenem Zeitpunkt gipfelt, zu dem arabische Milizen im Einvernehmen mit der Regierung in Khartoum die nichtarabische Bevölkerung in Darfour malträtieren und in den Tod treiben, während ein Resolutionsentwurf der Vereinigten Staaten zur Sanktionierung der sudanesischen Regierung – was auch immer man von ihm halten mag – an der Mehrheit der Vollversammlung scheitert – mit dem Argument, es handele sich dabei lediglich „um einen weiteren Versuch westlicher Obstruktion in einem arabischen Land“, so der algerische UN-Botschafter.
Moynihans Klage wurde im Herbst 1975 verfaßt. Ihr voraus gingen zwei denkwürdige Ereignisse in der Geschichte der UN (2). Im Juli desselben Jahres wurde in Mexiko die erste UN-Weltfrauenkonferenz abgehalten, an deren Ende eine Handvoll Resolutionen in das Dritte Komitee der Vollversammlung eingebracht wurden, die sich fast ausschließlich mit der „imperialistischen, rassistischen und kolonialen“ Unterdrückung befaßten. Die meiste Zeit verbrachten die Teilnehmerinnen der Konferenz jedoch damit, über den von der palästinensischen Delegation eingebrachten Resolutionsentwurf zu debattieren, der den Zionismus als „weltweites Problem“ verdammte. Die Resolution, die als Teil des Mexiko-„Frauenpakets“ später die Vollversammlung passierte, rief alle Staaten und internationalen Organisationen auf, „die palästinensischen und arabischen Frauen in ihrem Kampf gegen Zionismus, ausländische Besatzung und Fremdbestimmung zu unterstützen und ihnen zu helfen, ihre unveräußerlichen Rechte in Palästina zu erlangen, insbesondere ihr Recht auf Rückkehr in ihr Heim“.
Das zweite Ereignis war der berüchtigte Auftritt des Idi Amin Dada (sic!) vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen am 1. Oktober 1975. Der ugandische Diktator, der nach dem Attentat palästinensischer Terroristen auf das israelische Olympia-Team dem UN-Generalsekretär ein Telegramm sandte, in dem er den Holocaust lobte, trat als Vorsitzender der Organisation Afrikanischer Staaten (OAS) vor die Vollversammlung der Vereinten Nationen, um zur ersten UN-Resolution zu sprechen, die nicht nur Israel verurteilte, sondern Zionismus mit Rassismus gleichsetzte – die bis 1991 gültige, sogenannte Z=R-Losung. In seiner Rede forderte Idi Amin die „Vernichtung des Staates Israel“ und erklärte: „Die Vereinigten Staaten sind kolonisiert worden von Zionisten, die alle Instrumente von Entwicklung und Macht kontrollieren. Sie besitzen praktisch alle Bankgesellschaften und die zentralen Kommunikationseinrichtungen, sie haben die CIA unterwandert, um sie zu einer großen Gefahr für alle Nationen und Völker werden zu lassen, die der zionistischen Eroberung entgegenstehen könnten. Sie haben die CIA in eine Todesschwadron verwandelt, die jede Form des gerechten Widerstands in der ganzen Welt vernichtet.“(3)
Die Vollversammlung der Vereinten Nationen reagierte mit stehenden Ovationen. Die Z=R-Resolution wurde wenige Wochen später mit überwältigender Mehrheit und nur sechs Gegenstimmen angenommen. Moynihans Text, der gern als Starting Point des Neokonservatismus bezeichnet wird, entstand der eigenen Mythenbildung des späteren UN-Botschafters der USA (4) zufolge in der Nacht der Annahme der Resolution – während der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kurt Waldheim, der seinerzeit noch den Spitznamen „Oberkellner“ trug und dessen im UN-Sekretariat gehütete Nazi-Akte erst später gehoben wurde, im Waldorf-Astoria zum Wiener Walzer lud.
Die Beispiele sind – zugegebenermaßen – mit bösem Willen gewählt. Dem kürzlich verblichenen Sir Peter Ustinov wäre sicherlich anderes eingefallen: Impfungen gegen Masernepidemien und Kinderdörfer für Kriegswaisen. Auch das gibt es, umgesetzt und verwaltet von Organisationen wie Unicef oder der Weltkulturorganisation Unesco und ihren über 40.000 Beamten. Ingesamt 19 derartiger Unterorganisationen unterhalten die UN, die lediglich von einem Office of Internal Oversight Services überwacht werden, dessen Mitarbeiter vom Generalsekretariat eingesetzt werden und das wiederum einzig dem Generalsekretär berichtspflichtig ist. Die Organisationsstruktur der UN ist der schultypische Fall einer Bürokratie, die Korruption und Vetternwirtschaft geradezu generiert. Beispiele für das Versagen der Riesen-Organisationen ließen sich daher viele finden, die von gravierenderem Ausmaß waren als jene beiden Vorkommnisse aus dem Jahre 1975 – wie das Totalversagen des UN-Sekretariats mit 14.000 Mitarbeitern im Falle Ruandas, wo vor dem Beginn des Mordens über Monate Berichte über die Vorbereitung einer systematischen Mordkampagne ignoriert wurden und der Generalsekretär Kofi Annan eigenmächtig alle Aktionen unterband, die die Massaker hätten vielleicht verhindern können.
Die beiden Beispiele aber stehen besonders deutlich jeweils für ein wesentliches Grundmerkmal des Ärgernisses UN, das sich wie ein roter Faden durch alle UN-Missionen und -Resolutionen zieht. Als symptomatisch muß das Hijacking der Weltfrauenkonferenz durch die palästinensische Delegation gesehen werden, die ganz offensichtlich nicht ein einziges der vielen drängenden Probleme arabischer Frauen thematisierte. UN-Konferenzen sind willkommene Gelegenheiten für Staaten und nationale Delegationen, Mehrheiten und Gehör für sachfremde Anliegen zu finden. Resolutionen wie die Z=R-Resolution von Mexiko werden außerhalb jener Gremien – wie dem Sicherheitsrat oder der Vollversammlung – durchgesetzt, innerhalb derer sie vorerst nicht mehrheitsfähig sind. Frauen-, Umwelt-, Klima- und Artenschutzkonferenzen der UN geraten regelmäßig zu Tribunalen gegen Israel und die USA, die für etwas verurteilt werden, das mit dem Gegenstand der Konferenz meist bestenfalls entfernt in Zusammenhang steht. Als derart normal wird dieses Hijacking empfunden, daß in Mexiko offensichtlich keiner der anwesenden Delegationen – mit Ausnahme der amerikanischen – aufgefallen war, wie verrückt die Forderung von Frauen ist, Palästinenserinnen sollten in ihr „Heim“ zurückkehren dürfen, ohne zugleich wenigstens pro forma einzuklagen, daß in diesen Heimen künftig von Ehrtötungen, Genitalverstümmelung und Unterdrückung von Frauen abzulassen sei.
Idi Amins Fall steht hingegen für einen ähnlichen, aber weniger von bitterer Überzeugung geprägten Mechanismus der UN-Politik. Israel und Großbritannien unterhielten lange Zeit gute Beziehungen zu dem ugandischen Diktator, die jedoch 1972 aus Protest gegen die Vertreibung von über 50.000 Asiaten aus Uganda und dem darauffolgenden wirtschaftlichen Zusammenbruch beendet wurden. Erst danach, im Februar 1972, wandte sich Idi Amin seinen arabischen Kollegen zu und erhielt Wirtschafts- und Militärhilfe aus Libyen. Im Gegenzug unterstützte Uganda die palästinensische Sache. Genau zu diesem Zeitpunkt entdeckte Idi Amin auch seine Vorliebe für Adolf Hitler und den Holocaust. Der Deal mit Libyen war für Ugandas Diktator noch von weiterem Nutzen: Die arabischen Staaten gaben sich fortan alle Mühe, eine Verurteilung wenigstens des Massenmordes in Uganda durch die UN zu verhindern. Als Idi Amin endlich gestürzt und ins saudische Exil gejagt wurde, tat dies die Armee Tansanias – ohne UN-Mandat und nach neuer Lesart also gänzlich völkerrechtswidrig.
Beide Mechanismen, das nationalistische Hijacking wie auch die durch Klientel- und Günstlingswirtschaft geförderte Koalitionsbildung, sollte man kennen, wenn man das Wirken der Vereinten Nationen im Irak betrachtet. Dreizehn Jahre spielten die UN im Irak eine maßgebliche Rolle; die gegen den Irak verhängten Sanktionen im Jahre 1990 waren vom UN-Sicherheitsrat ebenso verabschiedet, wie diverse UN-Agenturen nicht müde wurden, diesen Sanktionen die Schuld am Leiden der irakischen Zivilbevölkerung zu geben.
Anders als in der deutschen Presse nun suggeriert wird, ist die Weltorganisation unter Irakern weit weniger beliebt als die Koalition, die im vergangenen Jahr Saddam Hussein stürzte. Nicht zuletzt war es das UN-Generalsekretariat, das bis zum Schluß alles unternahm, den Sturz Saddams zu verhindern. Kaum hatte jedoch der Krieg begonnen, mit dem die Gefahr einer humanitären Katastrophe aufgekommen war, zogen die UN ihre Hilfsagenturen sukzessive aus dem Land ab. Als dann der „irakische Widerstand“ das UN-Hauptquartier in die Luft jagte, stellte die Organisation ihre Aktivitäten mehr oder weniger ein. Seitdem sind im Irak UN-Hilfswerke in relevanter Form nicht mehr tätig.
Als wichtigen Schritt hin zu einer gerechten und auf multilateraler Verständigung beruhenden Nachkriegslösung wurde in Deutschland und Europa deshalb die Entsendung eines UN-Sondergesandten in den Irak begrüßt. In dem ehemaligen Funktionär der Arabischen Liga und algerischen Außenminister Lakhdar Brahimi hatte Kofi Annan dann auch einen Mann ganz nach dem Geschmack der Europäer gefunden. Daß mit Brahimi ausgerechnet ein arabisch-sunnitischer Politiker zum Sondergesandten für ein Land gewählt wurde, dessen Probleme eines ist, daß die nicht-arabische und nicht-sunnitische Bevölkerung jahrzehntelang von einer arabisch-sunnitischen Minderheit regiert und unterdrückt wurde, ist nur verständlich innerhalb der Logik der Vereinten Nationen. Mit Brahimi wurde einer der langgedienten Funktionäre aus dem arabischen Lager ins Amt gehoben – obendrein einer, der als algerischer Außenminister guten Kontakt zur Saddam-Regierung in Bagdad pflegte. Brahimi, der nicht nur Israel als „Gift in der Region“ bezeichnete, sondern der New York Sun erklärte, er sei stolz, noch nie einem Juden die Hand geschüttelt zu haben (5), entsprach ganz der Persönlichkeitsstruktur, mit der man sich im alten Europa bevorzugt zum kritischen Dialog setzt.
Gegen die Ernennung Brahimis liefen deshalb nicht nur die Kurden Sturm, die in dem UN-Gesandten zuvorderst einen Vertreter einer panarabischen Ideologie sahen, dem während seiner Tätigkeit im Irak nicht ein einziges Mal das Wort „Kurdistan“ über die Lippen kam und der in den 80er Jahren die Giftgasangriffe auf die Stadt Halabja in Abrede gestellt hatte (6). „Als Brahimi einen Zwischenstopp in Paris einlegte, klangen seine Ausführungen nicht so, als ob er einer neuen (irakischen) Übergangsregierung helfen wolle, sondern auf einer Unterstützungstour für die Palästinenser unterwegs war“, schreibt Dr. Sabah A. Salih. „Das Idiom, das Brahimi dabei verwendete, war keineswegs sehr verschieden von dem, das die arabischen und islamistischen Militanten auszeichnet.“ Denn Brahimi sehe „die arabische Welt als ein immerwährendes Opfer von westlichem Imperialismus und Zionismus“, er habe „die amerikanische Intervention im Irak aufs heftigste abgelehnt“, und anstatt sich über Saddams autokratische Herrschaft zu empören, habe er diese weitgehend unterstützt.(7) Als Saddams Republikanische Garden 1991 im Südirak Massaker anrichteten, verlor Brahimi darüber kein Wort – ein Grund, warum nicht nur die Kurden, sondern auch die Schiiten dem UN-Sondergesandten ohne jede Sympathie begegneten.(8) Überhaupt scheinen die einzigen Irakis, die für eine größere Rolle der UN im Land votierten, die „Widerstandskämpfer“ aus Falluja zu sein, die via Al-Jazeera ein stärkeres Engagement der Weltorganisation einforderten.(9)
Angesichts des Sondergesandten ist dies kein Wunder: Brahimi, Mitbegründer der Union islamischer Studenten in Algerien, repräsentiert nicht nur den gesamtideellen arabischen Nationalisten, der reflexhaft für jede Unbill in der Region Israel und die Juden verantwortlich macht, sondern zugleich den Prototypen des UN-Funktionärs, der sein Handwerk in der nominalsozialistischen algerischen FES gelernt und in den Fluren der arabischen Liga vertieft hat.
Mit Brahimis Wahl führt die UN im Irak allerdings lediglich eine Politik fort, die sie seit spätestens 1990 mit – wie sich immer deutlicher zeigt – großem Erfolg betrieben hat. Unangenehm erinnern die Ausfälle Brahimis an jene Zeiten, als die UN im Irak die wichtigste Rolle spielte und dem Wiederaufbau in dem heruntergewirtschafteten Land ihre eigene Prägung aufzwangen. Es geht um jenes Öl-für-Nahrungsmittel-Programm, das Kofi Annan noch am 20. November 2003 als eine der erfolgreichsten humanitären Missionen in der Geschichte der Weltorganisation pries, und das sich inzwischen als der wohl größte Korruptionsskandal des vergangenen Jahrhunderts entpuppt. Statt die Bäuche hungriger Kinder füllte das Programm vor allem Schwarzkonten Saddams und die Taschen aller bekannten Irakkriegsgegner. Millionen von Dollar flossen auf Konten von dem Irak wohlgesonnenen Politikern und Unternehmen, in erster Linie aus Frankreich und Rußland – jenen Ländern also, die gemeinsam mit Deutschland als „Achse des Friedens“ alles unternahmen, den Sturz des irakischen Diktators zu verhindern.
„Angesichts der mir vorliegenden Fakten hat die UN in ihrer Verantwortlichkeit gegenüber den Irakern und der Internationalen Gemeinschaft vollkommen versagt“, klagte kürzlich ein vom irakischen Übergangsrat zur Untersuchung des Falls beauftragter Jurist, Claude Hankes-Drielsma. Das Öl-für-Nahrungsmittel-Programm habe sich „als einer der weltweit peinlichsten Korruptionsfälle entpuppt, als Beispiel von mangelnder Kontrolle, Verantwortlichkeit und Transparenz, das Saddam Hussein als Instrument diente, um unter den Augen der UN seine Terrorherrschaft fortzuführen und seinen Unterdrückungsapparat auszubauen.“(10)
Es scheint, als habe Saddam Hussein insgesamt von den geschätzten 90 Milliarden Dollar, die Oil for Food in sechs Jahren seit 1997 einbrachten, sowie aus geduldetem Ölschmuggel über die Nachbarländer des Irak 10 Milliarden „abgezweigt“, die auf schwarze Konten flossen, statt – wie eigentlich vorgesehen – der Bevölkerung zugute zu kommen, die nach Angaben der UN zu 60% von dem Programm abhing. So erklärt sich auch, warum im selbstverwalteten irakischen Kurdistan, wo immerhin eine minimale Kontrolle des Programms funktionierte, eine merkliche Besserung der Situation eintrat, während die irakische Propaganda weiter über Tausende von Kindern im Süd- und Zentralirak klagte, die angeblich aufgrund des UN-Sanktionsregimes verhungerten.
Die ursprüngliche Idee des Oil for Food-Programms bestand darin, den Irak kontrolliert Öl verkaufen zu lassen, mit dessen Erlös über ein UN-Treuhandkonto Nahrungsmittel und Medizin für die leidende irakische Bevölkerung importiert werden sollten. Auf diese Weise sollte den Irakern geholfen und das Regime daran gehindert werden, Waffen und Dual-Use-Güter zu beschaffen. Möglichst große Transparenz bei den irakischen Ankäufen und bei seinem Finanzgebaren sollten ebenfalls gewährleistet werden. Um die Kontrolle der Verkäufe garantieren zu können, erhielten die UN aus jedem verkauftem Barrel irakischen Öl 2,2% für Verwaltungskosten und beschäftigten sowohl im Irak wie in Washington mehrere tausend Mitarbeiter zur Überwachung des Programms.
Die UN stellten es dem irakischen Diktator allerdings nicht nur frei, selbst die Firmen auszusuchen, die mit dem Einkauf von Gütern beauftragt wurden, sondern sie sorgten auch für Diskretion bei der Abwicklung, indem sie die Namen dieser Firmen geheimhielten. So erstaunt es wenig, was für dubiose Geschäftspartner nun ruchbar werden.
Am 15. April 2004 stellte das amerikanische Finanzministerium eine Liste von acht irakischen Firmen vor, die für das Regime „Waffen beschafften, Gelder verschoben und im Auftrag irakischer Geheimdienste handelten“. Unter diesen Firmen befindet sich beispielsweise die al-Wasel & Babel General Trading mit Sitz in Bagdad. Gegründet wurde die staatseigene irakische Firma eigenen Angaben zufolge i.J. 1999 vor allem als Vertragspartner zur Abwicklung des Öl-für-Nahrungsmittel-Abkommens. Laut Informationen des US-Finanzministeriums war al-Wasel vornehmlich damit beschäftigt, für Saddams Regime Waffen zu schmuggeln und Gelder zu waschen.(11) Geleitet wurde die Firma von Walid al-Kubaisi. Die al-Kubaisis sind eine Sippe aus dem „sunnitischen Dreieck“, die sich durch besondere Loyalität zu Saddam Hussein auszeichnete. Es mag Zufall sein, daß die „Irakische Patriotische Allianz“, die als Kooperationspartner europäischer Linker beim Einsammeln von Spendengeldern für den Terror im Irak auftritt, von einem Ahmed al-Kubaisi geführt wird (12) und die salafitischen Kämpfer in Falluja ebenfalls unter der Führung eines Kubaisi stehen. Seit langem aber erhärtet sich der Verdacht, daß Gelder der irakischen Regierung vor Kriegsbeginn gezielt an Organisationen verschoben wurden, die später den „Widerstand“ anführten.
Träfe dies zu, so würden heute irakische Zivilisten mit Hilfe des Geldes in die Luft gesprengt, das ursprünglich für ihre Versorgung bestimmt gewesen war. Wie eine Untersuchungskommission des US-Kongresses kürzlich bekannt gab, sind Gelder von syrischen Banken, die offizielle Kontraktoren von Oil for Food waren, aber auch irakische Schwarzgelddepots führten, an Fatiq Suleiman al-Majid geflossen, der als Mittelsmann des „Widerstandes“ fungiert.(13) Es gibt darüber hinaus starke Hinweise, dass Saddam das profitable Programm nicht nur genutzt hat, um die PLO und andere Parteien, die sich im Nahen Osten aktiv zu seinen Gunsten einsetzten, finanziell entsprechend zu honorieren und den Familien von Islambombern in Palästina großzügige Alimente zu zahlen, sondern international Unternehmen, Politiker, Parteien und Organisationen geschmiert hat.
Im vergangenen Jahr fand der Journalist Marc Perelman eine seltsame finanzielle Querverbindung zwischen Saddam und dem Terrornetzwerk al-Qaida heraus. Eine Vertragsfirma des UN-Programms, die in Liechtenstein ansässige Asat Trust, die ihre Geschäfte mit der Bank al-Taqwa auf den Bahamas abwickelte, wurde in einem nach dem 11. September 2001 veröffentlichten UN-Terrorreport als „mit al-Qaida eng verbunden“ eingestuft.(14) Al-Taqwa wiederum befindet sich diesem Report zufolge im Besitz der Muslimbruderschaft, und in ihrem Aufsichtsrat saß eine Zeitlang auch der Neonazi und Islamkonvertit Ahmed Huber. Laut US-amerikanischer Regierung „sammelt, verwaltet und investiert“ al-Tawqa Gelder für al-Qaida und „versorgt terroristische Unterstützer“. Schon 1996 vermutete die italienische Antiterroreinheit DIGOS, das über al-Taqwa Gruppierungen wie die Hamas, die ägyptische Jammaa Islamia und die algerische GIA finanziell unterstützt werden.(15)
Der Trick, den Saddam nutzte, um an die Milliarden zu kommen, bestand in erster Stelle darin, Ölgutscheine weit unter Marktpreis für importierte Güter und andere Dienstleistungen auszugeben, die die Empfänger dann zum bis zu 30% höheren Weltmarktpreis einlösen konnten. Einen Teil des Geldes behielt der Empfänger, der andere wurde auf schwarze Konten rücküberwiesen. Hinzu kommt, daß Saddams Vertragsfirmen phantastische Preise für die von ihnen gelieferten Waren verlangten. Die Hälfte des Surplus’, der zwischen 10 und 100% des Marktpreises betrug, strich ebenfalls der irakische Staat ein.
Ölgutscheine wurden auch direkt als Schmiergelder für Saddam wohlgesonnene Personen und Institutionen verwendet. Am 25. Januar 2004 veröffentlichte die irakische Zeitung al-Mada eine Liste aus den Unterlagen des irakischen Ölministeriums, auf der sich 270 Personen und Institutionen befinden, unter anderem der ehemalige französische Innenminister Charles Pasqua, die indonesische Präsidentin Megawiti Sukarnoputri, der libanesische Parlamentspräsident und ein Verwandter von Ghaddafi. Allein die russische Regierung erhielt Gutscheine im Wert von 1,36 Milliarden US-Dollar; zudem werden die Kommunistische Partei, Lukoil, Yukos, Gasprom, die orthodoxe Kirche und Wladimir Schirinowski in der Liste aufgeführt.(16) Den Löwenanteil des Oil for Food-Geschäfts bekamen neben arabischen Firmen Frankreich und Rußland, deren Ölfirmen ca. 40% der Förderlizenzen im Irak innehatten.(17) Auch der Name des prominenten Embargogegners und schottischen Ex-Labourabgeordneten George Galloway, der die internationale Kampagne gegen den Irakkrieg moralisch angeführt hat, taucht auf der Liste auf. Weiterhin profitierten neben vielen anderen auch die Österreichisch-Arabische Gesellschaft, die PLO, der libysche Premierminister, die ukrainischen Kommunisten, die serbische sozialistische Partei, die russisch-orthodoxe Kirche und Jean-Marie Le Pens Irak-Solidaritätsvereinigung von Geldern, die eigentlich für die Versorgung der irakischen Bevölkerung vorgesehen waren.(18)
Pikanterweise findet sich auf der Liste auch der Name Bevon Sevan. Sevan war der von Kofi Annan eingesetzte Leiter von Oil for Food. Unter seiner Ägide verpflichteten sich die UN gegenüber dem Irak darauf, alle Verträge, die mit Firmen geschlossen wurden, geheim zu halten. Außerdem erweiterte Sevan das Mandat des Programms bis hin zu jenem Oil for Food Plus, das 2002 in Kraft trat und dem Irak wieder ermöglichte, Mobiliar, Autos und Telekommunikation, unter anderem für den Bedarf des irakischen Informationsministeriums (50 Millionen) und des Justizministeriums, dem einige Geheimdienste unterstanden, über UN-Treuhandkonten einzuführen. Auch Uday Hussein konnte so für sein Hobby, den Ausbau eines Olympiastadions in Bagdad, Bewilligungen in Höhe von 20 Millionen US-Dollar durchsetzen.(19) ABC News behauptet, über einen Brief des ehemaligen irakischen Ölministers aus dem Jahr 1998 zu verfügen, in dem dieser Sevan fragt, über welche Firma er seinen Anteil von Ölgutscheinen in Höhevon 3,5 Millionen Barrel einlösen wolle.(20) Aber auch Kofi Annan höchstpersönlich steht nun unter Verdacht: Überwachte bis ins Jahr 1998 die britische Lloyd’s die Lieferungen an den Irak, so erhielt in diesem Jahr die Schweizer Firma Cotecta Inspections den Job. Ausgerechnet in dieser Firma arbeitete Annans Sohn Koyo seinerzeit als Berater.(21)
All diese Einzelheiten kamen ohne Kooperation der UN ans Licht, sie wurden von Journalisten recherchiert und vom irakischen Regierungsrat publiziert. Bislang liegen auch die Unterlagen der BNP Paribas, einer französischen Bank, über die das Programm abgewickelt wurde, noch nicht vor. Hauptaktionär von Paribas ist Nadhmi Auchi, der seit 1990 im Irak-Ölgeschäft tätig ist und Kontakte zu Elf Aquitaine pflegte.(22)
Nachdem in der amerikanischen und irakischen Presse immer lautere Fragen gestellt wurden und Kofi Annan einer Untersuchung zugestimmt hatte, schickte Annans Sekretariat, wie jetzt bekannt wurde, am 14. April 2004 einen Brief an Saybolt International, einer Vertragsfirma des Programms, mit dem deutlichen Hinweis auf die vertraglich geregelte Vertraulichkeit. Ein gleichlautendes Schreiben ging auch an Contecta, jene Firma also, die mit der Überwachung der Shipments in den Irak beauftragt war.(23) Mit der „Aufklärung“ der Vorwürfe wurde nunmehr ein Untersuchungsausschuß der UN beauftragt, dessen Mitglieder handverlesen und von Kofi Annan eingesetzt wurden und die wiederum nur dem Generalsekretariat gegenüber berichtspflichtig sind. Dabei wird voraussichtlich genau soviel herauskommen, wie von einer Untersuchung zu erwarten ist, die ein Beschuldigter selbst durchführt. Bereits nach wenigen Wochen meldete das Sekretariat Kofi Annans pflichtschuldigst, daß noch keinerlei Hinweise gefunden worden seien – und kritisierte in scharfem Ton, daß die Übergangsverwaltung der Koalitionstruppen im Irak die Verwendung von Geldern aus dem Ölverkauf seit Sommer 2003 bis dato nicht vollständig offengelegt hat.
Beruhigend dagegen ist die Tatsache, daß die USA ganz unilateral handeln: Inzwischen sind verschiedene Untersuchungsausschüsse auf den Skandal angesetzt und selbst Zeitungen wie die New York Times verfolgen „Kofigate“(24) mit wachsendem Abscheu. Anders das alte Europa: Rußland wollte eine UN-Untersuchungskommission unterbinden, und auch in keinem anderen Land wird eine Untersuchung des Oil-for-Food-Skandals angestrebt.
Der Geschichte der UN fügt der Korruptionsskandal um den Irak vermutlich kaum mehr als ein weiteres Beispiel für die Funktionsweise der Organisation hinzu. Ein wesentliches Charakteristikum, das nicht fehlen darf, wurde nämlich noch nicht erwähnt: Das Yanquee Stadion. Der Begriff steht für den Vorwurf, die UN seien von den USA kontrolliert und willfährige Helfer der US-Politik im Nahen Osten. Besonders beliebt ist der Vorwurf bei jenen, die es nun einmal wirklich besser wissen müssten. So wurde auf dem Irak-Tribunal nach dem Vorbild der Russell-Tribunale auch die Forderung erhoben, Kofi Annan müsse vor Gericht gestellt werden, weil dieser nicht getan habe, was ihm möglich gewesen sei, nämlich den US-amerikanischen Angriff auf den Irak zu verhindern. Veranstaltungen wie dieser galt Moynihans Zorn. „Es ist höchste Zeit“, schrieb er damals, „dass die amerikanischen Vertreter auf internationalen Foren gefürchtet werden für die Wahrheiten, die sie aussprechen. Und es sollte der Vergangenheit angehören, dass wir uns für eine unperfekte Demokratie entschuldigen.“
Thomas von der Osten-Sacken / Thomas Uwer (Bahamas 45 / 2004)
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