Titelbild des Hefts Nummer 68
Goodbye Lenin!
Heft 68 / Frühjahr 2014
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Wir bekämpfen Faschist*innen

Warum Beate Zschäpe ein fairer Prozess verweigert werden soll

„Mit dem Tod muss alle Feindschaft enden.“ So begründete Manfred Rommel, damaliger Oberbürgermeister von Stuttgart, im Jahr 1977 seine Entscheidung, die Beisetzung der Toten von Stammheim, Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe, in einer gemeinsamen Grabstätte auf dem Stuttgarter Dornhaldenfriedhof zu gestatten und so dem Wunsch der Angehörigen nachzukommen. Er konnte sich mit dieser Entscheidung gegen den damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Carl Filbinger – ebenfalls von der CDU – durchsetzen, der nur der Bestattung von Gudrun Ensslin, die immerhin ein Landeskind war, in Stuttgart zustimmen wollte. Die Leichen von Baader und Raspe sollten noch Frankfurt und Berlin abgeschoben werden, den Wohnorten von Angehörigen. In einer Aktennotiz des Friedhofsamts heißt es, das Stadtoberhaupt „möchte auch verhindern, dass Särge in der Republik herumgeschoben werden und niemand sie haben will“. Einem Menschen, was immer er auch getan hat, gebührt nach seinem Tode ein Mindestmaß an Achtung. Ein Mitarbeiter des Dornhaldenfriedhofs, der bei der Beerdigung einen der Särge getragen hat und bis 1992 seinen Dienst tat, soll auf die Frage, wo denn die Terroristen liegen, stets geantwortet haben: „Terroristen liegen hier nicht, nur Tote.“ Eine Mitarbeiterin der Friedhofsgärtnerei erzählte, dass sie ein halbes Jahr nach der Beerdigung nach dem Grab schaute, da sie wissen wollte, ob sich jemand um das Grab kümmert, und als sie sah, dass dort jemand eine Kerze angezündet und Rosen sowie ein Ahornbäumchen gepflanzt hatte, habe sie das bewegt. Dies zeigt, zumindest nach ihrem Tod erfuhren die seinerzeit meistgehassten Menschen der Bundesrepublik eine Behandlung, die nicht von Hass sondern Menschlichkeit getragen war und zwar durch Menschen, die weder ihre politische Einstellung teilten, noch die Taten rechtfertigten.

Als die führenden Mitglieder der RAF noch am Leben waren, auch in der Zeit des Untergrundes, gab es immer wieder Versuche, ihrer Dämonisierung entgegen zu treten. Erinnert sei an den Spiegel-Essay aus dem Jahr 1972 Will Ulrike Gnade oder freies Geleit von Heinrich Böll und die Sammelaktion von Claus Peymann für eine Zahnbehandlung der inhaftierten Gudrun Ensslin. Zumeist erfolgten Interventionen „für“ die RAF-Gefangenen aber in der Absicht, auf die Einhaltung strafprozessualer Standards zu dringen oder als Kritik an der eilends durchgepeitschten Verschärfung des Strafprozessrechtes und der Verabschiedung des Kontaktsperregesetzes. All dies geschah nicht aus politischer Nähe der Kritiker zur RAF, sondern aus der Erkenntnis, dass im Umgang mit den ganz konkreten Gefangenen sich entscheiden werde, ob auch Terroristen als Menschen zu gelten haben, was sich darin ausdrücken würde, dass sie der gleichen Behandlung und dem gleichen Recht unterstellt sind wie andere Häftlinge. Sonst, darin waren sich viele Juristen und Publizisten einig, würde aus der öffentlichen eine justitielle Vorverurteilung werden und damit Sonderrecht entstehen.

Ein Monster – schlimmer als die RAF

Fast 40 Jahre nach dem Selbstmord von drei RAF-Gefangenen wird mit Beate Zschäpe eine Staatsfeindin präsentiert, die weder auf ein für sie eintretendes Sympathisantenumfeld zählen kann, noch auf ein Mindestmaß menschlicher Anteilnahme in der Öffentlichkeit. Bei ihr sind sich alle einig: Sie ist die mordende Nazi-Braut, ein Monster. „Der Teufel hat sich schick gemacht“, titelte die Bildzeitung am ersten Prozesstag im November 2013 und auch andere Zeitungen wussten Haltung und Kleidung der Angeklagten als Ausdruck teuflischer Gesinnung auszulegen: „Die Luft ist zum Schneiden dick – und die Angeklagte provoziert durch eine beinahe fröhliche Körpersprache.“ (Frankfurter Rundschau auf Facebook) „Beate Zschäpe erscheint durchaus selbstbewusst im Raum. [...] Sie trägt einen schwarzen Hosenanzug und eine weiße Bluse und würde auf der Straße trotz ihres blassen Gesichts als eine adrette Vertreterin der besseren Stände durchgehen. […] Später wird sie häufiger mal lächeln, entspannt, manchmal beinahe fröhlich wirken.“ (FR) Der Integrations- und Migrationssprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag kritisierte auf Phönix: „Sie kümmert sich sehr um ihr Aussehen und ob sie gut ins Bild kommt“ und die Taz konstatierte anlässlich des Prozessauftaktes: „Besonders das Auftreten von Beate Zschäpe, die in den Saal schritt, als wäre sie auf einem Catwalk, war anfangs kaum zu deuten.“

In den Wochen nach ihrer Festnahme glaubte man noch zu haben, was zu einer Nazi-Braut gehört: Ein unvorteilhaftes Frontalphoto, auf dem Zschäpe schwammig, aufgedunsen und mit ziemlich debilem Gesichtsausdruck zu sehen ist. Umso größer war dann die Empörung, als sich Zschäpe in der Hauptverhandlung nicht als pöbelndes, geiferndes Monster, sondern als schlanke, gutaussehende Frau präsentierte, die sich relativ elegant zu kleiden weiß und dazu auch noch regelmäßig ihre Garderobe wechselte. Alle Berichte zielten in die gleiche Richtung: Wie kann sie es wagen, nicht in Sack und Asche zu gehen! Jedes Lächeln, jede unbefangene Geste wurde als Ausdruck ihres eiskalten, unverschämten Wesens ausgelegt. Der Blickkontakt mit einem Polizisten: eine Dreistigkeit; ein Wortwechsel mit den Verteidigern: eine Unverschämtheit gegen die Angehörigen der Opfer. Noch ihr Schweigen und ihre ruhige, unaufgeregte Art, dem Prozessverlauf zu folgen, wurden gegen sie ausgelegt. Dabei dürfte es doch nicht verwundern, dass Beate Zschäpe die relative Freiheit im Strafgerichtssaal als Abwechslung genießt. Zwei Jahr Untersuchungshaft bis zum Prozessbeginn bedeuteten für sie zunächst 23 Stunden am Tag Einschluss in der Einzelzelle mit Dauerbeleuchtung, 60 Minuten Hofgang allein und bis zum Januar 2013, also 14 Monate lang, auch Gespräche mit ihren Verteidigern nur durch die Trennscheibe.

Beate Zschäpe braucht eine starke Verteidigung

Dass Richter, Staatsanwaltschaft und Nebenkläger bei spektakulären Prozessen die Verteidiger oft als lästige Störer empfinden und danach trachten, sie auch so zu behandeln, ist weder neu noch ungewöhnlich. Dies gilt umso mehr, wenn die Verteidiger sich nicht lediglich als Begleiter einer unabwendbaren Verurteilung begreifen, sondern vom öffentlichen Druck unbeeindruckt die prozessualen Rechte des Angeklagten hochhalten, also eine echte Verteidigung versuchen. Das beinhaltet, solange Zweifel an der Tatbeteiligung des Angeklagten bestehen, die Unschuldsvermutung hochzuhalten und darauf zu beharren, dass das Gericht erst am Ende des Strafprozesses und unter Würdigung aller Fakten entscheidet. Verteidiger verfallen immer dann der Feinderklärung, wenn die Öffentlichkeit zu wissen glaubt, dass nur Geldgier oder eine Verstrickung in die böse Welt des Angeklagten sie antreibt, aus dem eigentlich doch gebotenen kurzen Prozess mit angeblich miesen Tricks einen langen zu machen. Der Typus des skrupellosen, geld- und karrieregeilen Verteidigers, der auf Kosten des Steuerzahlers angeblich in Münchener Nobelhotels absteigt und dort rauschende Feste feiert, ist in der öffentlichen Wahrnehmung des Zschäpe-Prozesses genauso präsent, wie der die Justiz verhöhnende sinistre Gesinnungsgenosse der Täterin: Der Terroristenanwalt.

Der Fall Zschäpe ist aber gerade kein klarer Fall. Die Angeklagte ist nicht geständig und versucht auch nicht, den Gerichtssaal als Bühne für politische Botschaften zu nutzen. Vor allem aber: Sie kann bislang nicht, etwa wegen einer erdrückenden Beweislast, als so gut wie überführt gelten. Im Gegenteil steht die Anklage in den entscheidenden Punkten, der Zschäpe unterstellten Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und, damit teilweise zusammenhängend, ihrer Mittäterschaft an der Ermordung von zehn Menschen, auf ziemlich wackeligen Beinen. Mit Sicherheit wird Beate Zschäpe zu einer langen Haftstrafe verurteilt werden, ob sie jedoch wegen Mordes oder der Beihilfe zum Mord in jeweils zehn Fällen verurteilt wird, oder gar „nur“ wegen schwerer Brandstiftung, bedeutet den kleinen Unterschied zwischen lebenslänglicher Haft ohne Aussicht auf vorzeitige Entlassung, oder einer Höchststrafe von 15 Jahren. Der Rechtsanwältin Anja Sturm ist deshalb zustimmen: „Frau Zschäpe braucht eine starke Verteidigung, und die möchte ich ihr geben. […] Wenn ich das Gefühl habe, die Person, die ich vertrete, sieht sich der Übermacht des Staates ausgeliefert, dann gebe ich alles. Hilflosigkeit ist ein wichtiger Ansporn für mich.“ (Zit. n. Brigitte, 09/2013) Damit hat sie nur die Aufgabe jedes Verteidigers zum Ausdruck gebracht, das Beste, das in der jeweiligen Situation möglich ist, für den Mandanten zu erreichen – gerade dann, wenn ein Prozess zum Politikum verkommt.

Die Bundesanwaltschaft wirft Zschäpe vor, sich als Mittäterin an der Ermordung von zehn Menschen innerhalb der Jahre 2000 bis 2007 beteiligt zu haben. Darüber hinaus sieht sie es als erwiesen an, dass Zschäpe sich bei zwei Sprengstoffanschlägen in Köln in den Jahren 2001 und 2004 als Mittäterin des versuchten Mordes schuldig gemacht hat. Auch sei sie bei fünfzehn Raubüberfällen Mittäterin gewesen und habe am 4. November 2011 in Zwickau eine besonders schwere Brandstiftung begangen. Bei der Anklage wegen Mittäterschaft an den Morden, den Sprengstoffanschlägen und den Banküberfällen stützt sich die Anklage auf die Mitgliedschaft im NSU. Laut Anklage war der „Nationalsozialistische Untergrund (NSU) eine aus drei gleichberechtigten Mitgliedern bestehende Gruppierung“, die ihre Taten „in einer aufeinander abgestimmten Arbeitsteilung“ verübte. Hier liegt schon das erste Problem, das nicht nur eines der Bundesanwaltschaft ist: Ohne Zschäpe würde der NSU auf Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zusammenschrumpfen und damit ein Mitglied zu wenig für die Annahme einer terroristischen Vereinigung aufweisen. Da die Vorermittlungen und der bisherige Prozessverlauf zur größten Enttäuschung der Öffentlichkeit keine anderen Mitglieder zu Tage gefördert haben, würde sich so auch die Behauptung eines schier uferlosen braunen Untergrundes, der mit allen Mitteln zu bekämpfen sei, blamieren und die antifaschistische Staatsraison Schaden nehmen. Beate Zschäpe muss also unbedingt „der Teufel“ bleiben, als der sie präsentiert wird.

Für die Verteidigung fehlt zur berechtigten Annahme der Mittäterschaft Beate Zschäpes bei den zehn Morden der hinreichende Tatverdacht. Auch bestreitet sie die Existenz des NSU als terroristischer Vereinigung, welche als planendes Organ hinter den Morden steht. Auf Richterseite scheint man mit der Beweiserhebung schon beim Prozessauftakt fertig gewesen zu sein: Einer der beisitzenden Richter hatte seinen Ordner handschriftlich mit dem Kürzel NSU beschriftet. Ein entsprechender Befangenheitsantrag der Verteidiger Zschäpes wurde zwar erwartungsgemäß als völlig überzogen und wirklichkeitsfremd bezeichnet, trifft aber das zentrale Problem des gesamten Strafprozesses. Nach Auffassung der Verteidigung sei daraus zu schließen, dass der Richter das Bestehen der terroristischen Vereinigung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) bereits für erwiesen halte. Der abgelehnte Richter Dr. Lang mache sich die massive Vorverurteilung in der Öffentlichkeit und durch staatliche Stellen zu eigen. Dabei müsse die Existenz des NSU erst durch den Prozess erwiesen werden.

Phantom NSU dringend benötigt

Die Anklage wirft Zschäpe Mittäterschaft bei den Morden vor, obwohl bisher keine Beweise dafür vorliegen, dass Zschäpe an den jeweiligen Tatorten war, oder ihr eine andere konkrete Beteiligung an den einzelnen Taten nachzuweisen ist. Allein die Mitwisserschaft oder die Billigung von Straftaten anderer, sogar eine Unterstützung der Täter reichen nach geltendem Recht für eine Verurteilung als Täter nicht aus. Täter ist, wer die Tat eigenhändig ausführt, also die Tatherrschaft hat. Diese Art von Täterschaft liegt bei Zschäpe – mit Ausnahme der ihr vorgeworfenen schweren Brandstiftung bislang nicht vor. Bei Beate Zschäpe stellt sich die Frage, ob ihr die Taten von Böhnhardt und Mundlos wie eigene Taten zugerechnet werden können. Eine solche Form der Täterschaft liegt zum Beispiel vor, wenn gleichberechtigt mit dem eigentlichen Täter eine dritte Person den Tatplan auszuarbeiten geholfen und durch konkrete Beteiligung wie Hilfe bei der Flucht, Beschaffung der Waffe etc. aus dem Hintergrund von Anfang bis Ende mitgewirkt hat. Ein solches konkret umgesetztes Regie- und Organisationstalent ist Beate Zschäpe bisher nicht nachgewiesen worden. Damit bleibt für die Staatsanwaltschaft als Rettungsanker nur, das fragwürdige Konstrukt aus den frühen 1970er Jahren wieder aufzunehmen und wie weiland mit der immerhin real existierenden RAF als terroristischer Vereinigung nunmehr mit dem NSU zu verfahren, von dem man aber nicht recht weiß, ob es ihn überhaupt je gab. Nur die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung macht es möglich, Zschäpe im Fall nicht belegbarer konkreter Beteiligung die von Böhnhardt und Mundlos begangenen Taten als eigene zuzurechnen. Nach Auffassung der Bundesanwaltschaft begründet sich ihre Mittäterschaft dadurch, „dass es der Angeklagten Zschäpe, die jeweils an der Planung und Vorbereitung beteiligt war, oblag, während der Tatausführung regelmäßig die Reisebewegungen von Böhnhardt und Mundlos abzutarnen und einen sicheren Rückzugsraum zu schaffen.“ Doch „Abtarnen“ und die Schaffung eines sicheren Rückzugsraums reichen für eine Verurteilung wegen Mittäterschaft gerade nicht aus, denn es fehlt an der unmittelbaren Tatherrschaft. Die Planung und Vorbereitung der Tat versucht man Zschäpe, wie früher den RAF-Mitgliedern, dadurch nachzuweisen, dass sie Mitglied in der Gang war – obwohl Zschäpe anders als viele RAF-Gefangene, die sich vor Gericht zu den Zielen ihrer Organisation bekannten, schweigt. Davon unbeeindruckt formuliert die Bundesanwaltschaft ergänzend, was sie unter „Planung und Vorbereitung“ wirklich versteht: „Als Gründungsmitglied einer Kerngruppe, die ihre nationalsozialistisch geprägten rassistischen Vorstellungen unterschiedslos teilte und deren einzige Zweckbestimmung die Tötung von Menschen war, wusste [!] die Angeklagte dies und wollte [!] auch in jedem Einzelfall den Erfolg.“

Ohne die Existenz des NSU, deren gleichberechtigtes Mitglied Beate Zschäpe gewesen sein soll, dürfte es erhebliche Schwierigkeiten bereiten, eine Täterschaft von Beate Zschäpe an den Morden zu begründen. Doch sogar die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ist seit einigen Jahren nicht mehr ausreichend, jedem Mitglied sämtliche Taten mittäterschaftlich – und das bedeutet beim Tatvorwurf Mord eben lebenslänglich – anzulasten. Dies zeigt ein Urteil des OLG Stuttgart aus dem Jahr 2012 gegen Verena Becker (vgl. Urteil vom 6. Juli 2012 – 6-2 StE 2/10). Ihr wurde die mittäterschaftliche Beteiligung an dem Anschlag auf den damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback vorgeworfen, bei dem am 7. April 1977 in Karlsruhe neben Buback auch dessen Begleiter Wolfgang Göbel und Georg Wurster von einem Kommando Ulrike Meinhof der Rote Armee Fraktion (RAF) erschossen wurden. Das OLG führte aus: „Dass Verena Becker an eigentlichen Tatvorbereitungshandlungen für das Attentat vom 7. April 1977 in Karlsruhe an Generalbundesanwalt Siegfried Buback und dessen Begleitern Wolfgang Göbel und Georg Wurster (wie z. B. an Fahrzeugbeschaffungen bzw. der Ausspähung des späteren Tatorts) oder an der Tatausführung selbst beteiligt war, konnte nicht festgestellt werden.“ Vor diesem Hintergrund war die Mitgliedschaft in der RAF zwar von entscheidender Bedeutung für die Verurteilung Beckers, aber eben nicht als Täterin: „Der Senat war nach der umfangreichen Beweisaufnahme überzeugt, dass die Angeklagte der im Sommer 1976 neu konstituierten RAF-Gruppe, der sog. zweiten Generation der RAF, angehörte, aus der heraus das Karlsruher Attentat begangen wurde. In einem jemenitischen Ausbildungslager sowie bei nachfolgenden Treffen der Gesamtgruppe in Deutschland und den Niederlanden Anfang 1977 war dieser Anschlag im Beisein der späteren Täter beschlossen worden. Die Angeklagte hat sich stets, zuletzt bei dem Gruppentreffen in den Niederlanden, auch den späteren Tätern gegenüber vehement für die alsbaldige Durchführung des Anschlags auf Generalbundesanwalt Buback eingesetzt und dadurch die unmittelbaren Täter wissentlich und willentlich in ihrem Tatentschluss bestärkt. Verena Becker gehörte zu den Führungspersonen der damaligen RAF. Nach dem Attentat beteiligte sie sich am Versand der Bekennerschreiben und der Beseitigung der Tatwaffe. Der Senat hat ihren Tatbeitrag als psychische Beihilfe zum Mord in drei Fällen gewürdigt.“ Im Kontext der politischen Justiz in der BRD ist die Reduzierung der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung von der fast schon automatisch daraus abgeleiteten Mittäterschaft zur prekären Figur der psychischen Beihilfe immerhin ein Schritt in Richtung rechtsstaatliche Normalität. Für Verena Becker bedeute er, dass sie nicht noch einmal zu lebenslanger sondern wegen Beihilfe zum Mord lediglich zu 4 Jahren Haft verurteilt wurde und auf freiem Fuß bleibt, da die nach Anrechnung von früherer Haft und der Untersuchungshaft noch zu verbüßende Haftstrafe von 14 Monaten zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Legt man den Maßstab des OLG Stuttgart im Beckerprozess an das Verfahren gegen Zschäpe an, so dürfte das Gericht erhebliche Schwierigkeiten haben, die von Staatsanwaltschaft, Nebenklägern und der Öffentlichkeit gewünschte Verurteilung als Mittäterin auszusprechen. Die Verteidiger haben deshalb durchaus konsequent den Antrag gestellt, die Anklage wegen der Morde und der Banküberfälle aufgrund des Fehlens eines hinreichenden Tatverdachtes erst gar nicht zuzulassen. Zu mehr als einer Verurteilung wegen Beihilfe – und auch die will bewiesen sein – reichen Material und Begründung der Bundesanwaltschaft einfach nicht aus.

Wer Faschisten verteidigt, ist selber einer

Angesichts dieser Sachlage überrascht es nicht, dass die Verteidiger zu Störern erklärt und öffentlich in die Gesinnungsecke von Beate Zschäpe gestellt wurden. Unübersehbar sind allein die Forumsbeiträge, die in den Nachnamen der Verteidiger Stahl, Heer und Sturm bereits ein Komplott erkennen wollten. Darüber hinaus bekamen die Anwälte einige Gängelei durch einen teilweise interessierten Gebrauch der Strafprozessordnung zu spüren. Das beginnt schon bei der Frage der Pflichtverteidigung – Wahlverteidiger kann sich Beate Zschäpe nicht leisten. Da ermitteln sieben Staatsanwälte, die von anderen Aufgaben entbunden sind, bringen 280.000 Seiten Akten in 600 Aktenordnern und eine Anklageschrift, die allein 500 Seiten umfasst, in das Verfahren ein, und ihnen gegenüber stand zunächst ein Pflichtverteidiger. Dass irgendwann doch noch zwei weitere Pflichtverteidiger bestellt wurden, heißt noch lange nicht, dass damit in den Prozess auch nur ansatzweise Normalität eingezogen wäre. Die Besuche bei der Angeklagten stets nur mit Trennscheibe und die inhaltliche Kontrolle der Verteidigerpost implizieren die Unterstellung, die Anwälte schmuggelten Kassiber, um den Kontakt zum NSU aufrecht zu erhalten. Später im Hauptverfahren folgten Körper- und Taschenkontrollen der Anwälte mit der offiziellen Begründung, man wolle die Anwälte vor Erpressung schützen. Nicht zuletzt wurde der Versuch unternommen, den Anwälten ihre Arbeit auch noch zu einem ernsthaften wirtschaftlichen Problem zu machen. So bewilligte man dem Pflichtverteidiger Stahl für 770 Arbeitsstunden (das entspricht fast fünf Arbeitsmonaten auf der Basis von 40 Wochenstunden), die er im Ermittlungsverfahren aufgebracht hatte, einen Kostenvorschuss von gerade einmal 5.000 Euro. Das Gericht führte dazu aus, „der Antragsteller (habe) nachvollziehbar dargelegt, dass er in der Zeit vom 20. November 2011 bis zum Eingang der Akten bei dem Oberlandesgericht am 7. November 2012 etwa 770 Arbeitsstunden für das vorliegende Verfahren aufgewandt hat; dies entspräche etwa 1/3 seiner Arbeitszeit in diesem Zeitraum. [...] Der Senat hält für das Vorverfahren [...] einen Vorschuss auf die Pauschgebühr in Höhe von 5.000,00 € für erforderlich, um bei dem Antragsteller kein unzumutbares Sonderopfer entstehen zu lassen.“ (OLG München vom 09.09.2013 – 6 St (K) 1/13) Diese Summe deckt nicht einmal die monatlichen Unkosten des Kanzleibetriebes. Für den Zeitraum von einem Jahr, in dem der Verteidiger ein Drittel seiner Arbeitszeit für das Ermittlungsverfahren aufgewendet hat, und die Einnahmen aus anderen Mandaten entsprechend zurückgingen, bedeutet dies, dass der Verteidiger diesen Prozess zu großen Teilen aus eigener Tasche finanzieren muss. Es ist fast überflüssig anzumerken, dass die hohnlachende Öffentlichkeit den Rechtsanwalt Stahl als gierigen Beutelschneider diskreditierte.

Während des Verfahrens gegen Beate Zschäpe kam es zu einem Angriff auf die Verteidigerin im Team von einer Seite, der das vorher nicht unbedingt zuzutrauen war. Zwar bedeutet der Umstand, dass sie im Januar 2013 bei den Vorstandswahlen der Vereinigung der Berliner Strafverteidiger nicht gewählt wurde, für sich genommen gar nichts, und so versuchte Frau Sturm, die Nichtwahl als ganz normalen demokratischen Vorgang, der nichts mit der Zschäpeverteidigung zu tun habe, klein zu reden. Die Taz, die dieser linksliberalen Vereinigung immer schon nahe stand, wusste mehr: „Einige linke Anwälte hätten prinzipielle Bedenken gehabt, hieß es, und seien der Überzeugung: Neonazis zu verteidigen gehöre sich nicht. Sollte Sturm gewählt werden, würden sie austreten, sollen sie sogar gedroht haben. Dem hielten dem Vernehmen nach andere entgegen, dass jeder ein Recht auf ein faires Verfahren habe, egal ob mutmaßlicher Kinderschänder, Mörder oder Terrorist, und das Mandat nicht zu beanstanden sei. Dritte befanden: Selbstverständlich dürfe Sturm die mutmaßliche Neonazi-Terroristen Zschäpe vor Gericht vertreten. Gleichwohl sei es das falsche Signal [!], die Anwältin kurz vor Beginn des NSU-Verfahrens in den Vorstand des Anwaltszusammenschlusses zu wählen. ‚Zum jetzigen Zeitpunkt wollte ich sie nicht an der Spitze der altehrwürdigen Strafverteidigervereinigung haben‘, sagte einer der Teilnehmer der Taz. Die Kollegin schätze er dennoch.“ (29.01.13) Anstatt, von ihren Kollegen Unterstützung zu bekommen, musste Anja Sturm die Mitarbeit in ihrer Berliner Kanzlei beenden und fand auch in Berlin keine neue Kanzlei.

Die feige Entsolidarisierung von einer „dennoch geschätzten“ Kollegin erinnert an einen verwandten Vorgang aus Freiburg. Dort hatte eine Anwältin, die Mitglied im Arbeitskreis kritischer Juristen und Juristinnen (AkJ) war, einer sich als links definierenden Vereinigung von Jurastudenten und Anwälten, an der Verteidigung eines Neonazis mitgewirkt. Dies führte im AkJ-Freiburg nach heftigen Kontroversen zu einer Erklärung, in der sich der AkJ weigerte, die Anwältin zu verurteilen oder eine weitere Zusammenarbeit mit ihr in Frage zu stellen. In der Erklärung vom 28. Juni 2012 heißt es: „Strafverteidigung reduziert sich für uns nicht auf die Realisierung eines staatlichen Verfahrens, sondern legitimiert sich auch über eine grundsätzliche Kritik am existierenden Strafsystem bzw. an bestimmten Ausprägungen. Wir halten es für äußerst zweifelhaft, ob von dieser Kritik dann abgewichen werden kann, wenn es sich bei der angeklagten Person um einen Neonazi handelt. Vielmehr denken wir, dass jeder Mensch allein aufgrund seines Menschseins Anspruch auf Schutz gegenüber unberechtigten staatlichen Eingriffen hat.

Staatliche Sanktionen dürfen sich nicht auf Menschen und ihre Weltanschauung beziehen, sondern allenfalls auf konkretes Verhalten und dessen sozialen Kontext. Obwohl diese politische Errungenschaft in der Praxis durchaus häufig missachtet wird, darf sie nicht leichtfertig dafür geopfert werden, eine menschenverachtende Ideologie mit individueller Strafe zu bekämpfen […]. Die Entscheidung, die Verteidigung eines Menschen auch hinsichtlich faschistischer Taten zu unterstützen, ist notwendig eine kontroverse politische Entscheidung, die sich einer kritischen Bewertung der Motive und Gründe nicht entziehen kann. Es gibt unserer Meinung nach aber durchaus nachvollziehbare Gründe sowohl für die Ablehnung als auch für die Übernahme der Verteidigung eines Neofaschisten. Wie dann aber eine so getroffene Entscheidung ausfällt, ist letztendlich eine persönliche Frage und für uns zumindest nicht per se verwerflich.“

Diese Erklärung war dem Bundesverband des AkJ Anlass genug, den AkJ-Freiburg auszuschließen. Die Freiburger waren darüber so betroffen, dass sie, nachdem die kritisierte Anwältin ihren Klub verlassen hatte, am 19. Januar 2014 eine neue Erklärung verabschiedeten, in der es in korrekt gegenderter Sprache heißt: „Was in dem einen Verfahren eine emanzipatorische Strafverteidigung darstellt, kann in einem anderen Verfahren politisch blind sein. Eine kritische Rechtswissenschaft und -praxis kennt keinen Selbstzweck und darf den politischen Kontext ihres Handelns nie aus dem Blick verlieren. […] Dagegen muss die Geltung rechtsstaatlicher Grundsätze hier [gemeint sind Verfahren gegen Neonazis] nicht besonders verteidigt werden, da sie als selbstverständlich vorausgesetzt werden darf. Nicht deren Geltung für Faschist*innen steht in Frage, sondern der Faschismus stellt deren Geltung selbst in Frage. Faschist*innen bekämpfen unsere Gesellschaft. Wir bekämpfen Faschist*innen. Auch und gerade vor Gericht.“

Offensiver kann man wohl kaum formulieren, dass es nicht um die Rechte des Angeklagten geht, sondern darum, „unsere“ Justiz in „unserer“ Gesellschaft für einen politischen Kampf zu instrumentalisieren, und dabei den Einzelnen auf dem Altar der guten Sache zu opfern.

Felix Mauser (Bahamas 68 / 2014)

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