Titelbild des Hefts Nummer 69
Hasta la Vista, Hamas!
Heft 69 / Herbst 2014
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Das Hilfsvolk der Russen

Zur Geschichte des ukrainischen Nationalismus bis 1945

Den Kampf um die Gesinnung haben die Vertreter der Kiewer Regierung zunächst kosmetisch begonnen. An den Wänden ließen sie zunächst die antifaschistischen Parolen der Separatisten mit blau-gelben Fahnen übermalen.

Wir sind Faschisten, sagst du jetzt, Russland. Das wiederholen viele deiner Söhne und Töchter sobald sie die ukrainische Sprache hören. Schon achtzig Jahre sind wir Faschisten, und ich frage dich, weshalb verdienen wir diese Anrede? […] Während des Zweiten Weltkriegs kollaborierten die Ukrainer mit Hitler, würdest du sofort antworten. Das stimmt. Und du weißt warum, oder?

In ihrem Klassiker Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft stellt Hannah Arendt fest, dass im 19. und dem beginnenden 20. Jahrhundert der völkische Nationalismus „alle unterdrückten Nationalitäten in Ost- und Südeuropa infiziert hat, aber er hat es zu der neuen Organisationsform der Panbewegungen nur bei den Völkern gebracht, die, wie die Deutschen und die Russen, sowohl im eigenen Staat repräsentiert waren als auch als große Minderheiten außerhalb des nationalen Territoriums existierten.“ (München 1986, 494) Damit sind über den historischen Charakter des ukrainischen Nationalismus vorab zwei Dinge gesagt. Erstens, die ukrainische Nationalbewegung war in ihrer Hauptströmung ebenso völkisch wie überall in Ost- und Südeuropa, zweitens war sie nie eine mit imperialer Ausrichtung wie bei den Deutschen und den Russen. Wenn Hannah Arendt weiter feststellt, dass es „ausschließlich der panslawischen Bewegung geschuldet war, dass das russische Volk zum ‚einzigen christlichen Volk der Erde‘, dem ‚Christopher unter den Völkern‘ (Dostojewski) und ‚zum heiligen Volk der Neuzeit‘ avancierte“ (ebd. 495), dann bedeutet das in Hinsicht auf die Ukraine, dass die Russen stärker noch als die Deutschen die Ukrainer immer schon als Hilfsvolk betrachtet haben – als einen Vasallen der russischen Sache. Als Wladimir Putin am 18. März 2014 in seiner Rede vor der Duma anlässlich der Krim-Annektion die Ukrainer als „Brudervolk“ bezeichnete, konnte das für die allermeisten ukrainischen Brüder nur als Drohung zu verstehen sein, weil diese Bezeichnung nicht erst seit dem real existierenden Sozialismus und der Breschnew-Doktrin (1) immer schon die verklausulierte Forderung nach Unterwerfung unter den russischen Hegemon bedeutet hat. Das russische Herrenvolkdenken wurde in der Geschichte nur für den kurzen Moment von 1917 bis in die 1920er Jahre durch Lenins Nationalitätenpolitik etwas zurückgedrängt, die vor allem von der Bekämpfung dieses großrussischen Chauvinismus motiviert war.

Das Bild von den zwei Ukrainen

Mit der Machtübernahme durch den georgischen Neigungsrussen Stalin lebte es jedoch auch staatsoffiziell nach und nach wieder auf. Stalins herabwürdigender Trinkspruch gegenüber allem nicht-russischen sowjetischen Leiden ausgerechnet auf der Siegesfeier im Mai 1945, mit dem er die Russen als das „führende Volk“ und Russland als die „hervorragendste Nation unter allen zur Sowjetunion gehörenden Nationen“ glorifizierte, war keineswegs ein Ausrutscher. Diese Sichtweise war seit Jahrzehnten brutal durchgesetzte Parteilinie, die letztlich nur in einer makabren Hinsicht an Lenins Nationalitätenpolitik anknüpfte: Für die von Stalin Mitte der 1930er planmäßig geforderten ethnischen Kontingente für die Große Säuberung erwies es sich als vorteilhaft, dass das ethnisch-nationale Bekenntnis durch die „Korenisazija“ (Einwurzelung) genannte und zuweilen auch folkloristisch übertriebene Politik gefördert wurde. (2)

Wladimir Putin schloss mit seiner Duma-Rede nicht nur nahtlos an das großrussische Denken an, er präsentierte sich auch folgerichtig als Anti-Leninist: „Nach der Revolution haben die Bolschewiki aus verschiedenen Gründen – ein Urteil darüber maßen wir uns hier nicht an, Gott sei ihr Richter – bedeutende Gebiete des historischen russischen Südens der ukrainischen Sowjetrepublik zugeschlagen. Das geschah ohne Rücksicht auf die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung, daraus wurde dann der heutige Südosten der Ukraine.“ (Zit. n. Osteuropa, Heft 5-6/14) Dieser Südosten ist neben der Krim jenes Gebiet, das von den heutigen Separatisten als Zusammenschluss der sogenannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk mit dem gleichen Namen belegt wird wie von großrussischer Seite von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zu seinem Verbot durch Lenin: „Neurussland“. Im Südosten leben mit Abstand die meisten, die sich als ethnische Russen, zugleich aber mehrheitlich als Ukrainer begreifen. Der größte Teil ihrer Vorfahren ist erst zu Sowjetzeiten teils freiwillig, teils erzwungen im Rahmen der Industrialisierung unter Stalin dorthin umgesiedelt. Sie haben das Bild von den „zwei Ukrainen“ in einem Staat entstehen lassen, deren nicht nur territoriale, sondern auch mentalen Pole Galizien im Westen und das Donezbecken (Donbass) im Osten bilden. Die Stimmung im Südosten beschrieb Juri Andruchowytsch in seinem Essay-Band Das letzte Territorium bereits 2003 am Beispiel des Umganges mit der Alltagssprache so: „Man kann völlig ungestört in Lwiw (das ehemalige Lemberg im ukrainischen Teil Galiziens – S.P.) leben und tagein tagaus russisch sprechen. Man möge sich dieses Phänomen nur spiegelverkehrt vorstellen, zum Beispiel in Donezk oder auf der Krim. Ein Wagemutiger, der dort prinzipiell nur ukrainisch sprechen wollte, würde unter Dauerstress leben.“ (S. 84) Wie die Zukunft des ukrainischen Südostens aussehen wird, ob er Teil der Ukraine bleibt oder nicht, hängt davon ab, wie weit die ukrainische Gesellschaft Bereitschaft zeigt, einen für die Mehrheit der dortigen Bewohner zufriedenstellenden Status mit entsprechender Repräsentanz innerhalb des ukrainischen Staates zu finden. Ob dies möglich sein wird, ist umso fraglicher, je mehr die Abspaltung und der Anschluss an Russland die Ziele russischer Aggression sind, die man, anknüpfend an Hannah Arendt, nur völkisch und panrussisch nennen kann.

Kiew bleibt russisch

Die ideologische Bedeutung der Begriffe „Neurussland“ und „Großrussen“ lässt sich vollends nur im Kontext einer anderen historischen und bis heute bei Russen beliebten Bezeichnung verstehen, gegen deren herabwürdigenden Charakter die Ukrainer immer gekämpft haben und dafür Lenins volle Unterstützung erhielten, der die öffentliche Bezeichnung der Ukrainer als „Kleinrussen“ wegen der chauvinistischen Konnotation des Ausdrucks für unerwünscht erklärte.

Wenn heute Denkmäler für denjenigen in der Ukraine geschleift werden, der zeitlebens ein wichtiger Förderer des ukrainischen Nationalbewusstseins war, dann interessiert Befürworter wie Gegner solch hässlicher Aktionen am allerwenigsten die Sichtweise Lenins, die ihn bereits 1914 von Großrussland als einem „Völkergefängnis“ sprechen ließ (3), womit er, anders als 80 Jahre später die deutsche Propaganda im Fall von Titos Jugoslawien, keineswegs falsch lag. Wollen auf ukrainischer Seite viele ausgerechnet Lenin als die Personifikation des großrussischen Chauvinismus missverstehen, so die anderen im Denkmalsturz nur einen barbarischen Akt der Kleinrussen erkennen, der ihnen bestätigt, was sie über den ukrainischen Faschismus und seinen antirussischen Vernichtungswillen immer schon zu wissen glauben. Dass sich die Ukrainer spätestens seit dem Ende des 19. Jahrhunderts und erst recht heute in ihrer absoluten Mehrheit nicht mehr als Kleinrussen einsortieren lassen wollen, geht auf das Konto der bekennenden Großrussen aller Zeiten, zu denen sich Putin ohne jeden Zweifel zählt. In besagter Duma-Rede klingt das so: „Wir sind nicht einfach nur Nachbarn, sondern faktisch […] ein Volk. Kiew ist die Mutter der russischen Städte. Die alte Rus’ ist unser gemeinsamer Ursprung – wir gehören nun einmal zusammen.“ (Osteuropa, a.a.O.) Wer in diesem Geschichtsbild einen Platz für eine souveräne Ukraine findet, unterliegt einer Halluzination. Die Botschaft Putins ist unmissverständlich die gleiche wie zur Zarenzeit. Bezeichnenderweise findet sie sich in der die Internationale 1943 ablösenden sowjetischen Nationalhymne ähnlich wieder und lautet dort wie zur Verhöhnung aller sowjetischen Nichtrussen so: „Die unzerbrechliche Union der freien Republiken vereinigte für die Ewigkeit die große Rus.“ Mit dem Wegreden einer eigenständigen ukrainischen Historie trifft Putin mitten ins Herz des ukrainischen Nationalbewusstseins, dessen „wichtigstes Element der Bezug auf die Geschichte ist“, so Andreas Kappeler, einer der besten Ukraine-Kenner. Kappeler schrieb dies in einer Entgegnung vom dritten April 2014 in der Zeit, die auf einen am 28.03.14 ebenda veröffentlichten Beitrag von Jens Jessen erfolgte, der bis vor kurzem Feuilletonchef des Blattes war. Kappeler stellte fest, dass es bisher trotz „genügend Bücher, die kompetent über die ukrainische Geschichte informieren“, nicht gelungen sei, „die Deutungshoheit eines von Russland unkritisch übernommenen russozentrischen Bildes der Geschichte Osteuropas zu durchbrechen.“ Wie ein solches Geschichtsbild aussieht, hatte zuvor Jens Jessen in seinem Beitrag vorexerziert, den er „groteskerweise“ (Kappeler) auch noch in Anlehnung an Sebastian Haffners auf den Hitler-Stalin-Pakt gemünzte Wendung mit Teufelspakt für die Ukraine überschrieb und damit auf die Beziehungen der EU zur Ukraine anspielte. Nachfolgend sollen Jessens russozentrische Behauptungen unter der Maßgabe einer Prüfung unterzogen werden, „dass die sowjetischen Desinformationswerke […] offensichtliche Fälschungen und Unkorrektheiten gröbster Art“ enthalten, wie es der Historiker Frank Golczewski in seinem Standardwerk über Deutsche und Ukrainer 1914–1939 von 2010 formuliert, und darüber hinaus zu bedenken gibt: „Die Funktion von nationalukrainischen Statements erschließt sich manchmal erst aus denen der sowjetischen Gegenseite, deren Argumente sie bekämpfen.“ (S. 21)

Irritation 1: Die Preisgabe des russischen Kerngebietes um Kiew ist aus russischer Sicht eine Zumutung, Kiew und der Osten seien schon immer russisch gewesen.

So sehen es die Großrussen, nicht aber die Ukrainer. Die Kiewer Rus, deren Anfänge auf das 8. Jahrhundert datieren, die im 10. Jahrhundert unter Wladimir I. ihre Blütezeit in einem Gebiet rund um Kiew erlebte und Mitte des 13. Jahrhunderts endete, ist unzweifelhaft für Russen wie Ukrainer aber auch für Weißrussen die jeweilige nationale Urszene. Der Übertritt Wladimir I. zum orthodoxen christlichen Glauben bestimmt bis heute den hauptsächlichen konfessionellen Charakter in allen drei Ländern. Überhaupt von Russen oder Ukrainern zu dieser Zeit reden zu wollen, ist, wie Andreas Kappeler es formulierte, „unsinnig“, denn es lebten dort vor allem „orthodoxe Slawen“ (lisa-gerda-henkel-stiftung.de). Wenn Putin heute Kiew als „Mutter der russischen Städte“ (s.o.) bezeichnet, dann ist das nicht als Beitrag zu einem Historikerstreit zu verstehen, sondern die Leugnung der Existenz einer ukrainischen Nation, die alle Ukrainer zu Schutzbefohlenen des russischen Brudervolkes degradieren soll. Für Putin dürfte es ein Graus sein, dass mit dem Dreizack Fürst Wladimirs I. im Staatswappen der Ukraine auch symbolisch eine kontinuierliche Eigenständigkeit von der Kiewer Rus bis in die Gegenwart behauptet wird, die in ihrer modernen nationalstaatlichen Variante erstmalig der Sozialrevolutionär Mychailo Hruschweskij niederschrieb, der heute als Nestor der ukrainischen Nationalgeschichte gilt und Präsident der 1917 ausgerufenen unabhängigen Ukrainischen Volksrepublik war. Diese Nationalgeschichte ist gerade keine der geistigen wie territorialen Bindung an Russland. Für die Ukrainer ist sie ebenso eine, die sie historisch mit Polen bzw. mit dem habsburgischen Österreich-Ungarn verbindet. Dass eine solche „West-Orientierung“ der von Putin geforderten Russlandzentrierung der Ukraine widerspricht, liegt auf der Hand. Der Unterschied in den Beziehungen zu Polen, Österreich und Ungarn besteht darin, dass bei allen immer noch bestehenden Defiziten in der Aufarbeitung gemeinsamer Geschichte – insbesondere mit den Polen – keiner dieser Staaten revanchistische Ambitionen gegen das gegenwärtige Staatsgebiet der Ukraine hegt. Ein solcher Revanchismus ist in den genannten Ländern (sogar in Viktor Orbáns Ungarn) anders als in Russland gesellschaftlich randständig.

Die ersten Pogrome in Osteuropa

Seine letztgültige Legitimation für die historische Eigenständigkeit bezieht das ukrainische Geschichtsbild aus der Glorifizierung des 1648 ausgerufenen Kosaken-Hetmanats, über das es unter direkter Bezugnahme in der letzten Zeile der ukrainischen Nationalhymne von 1865 heißt: „Leib und Seele geben wir für unsere Freiheit und wir werden zeigen, dass wir eine Kosaken-Nation sind.“ (zit. n. Manfred Sapper/Volker Weichsel [Hg.]: Die Ukraine im Wandel, Bonn 2010, 21) Das Kosaken-Hetmanat, das bis 1782 bestand, war das Ergebnis eines Bündnisses der Kosaken mit der Kiewer Orthodoxie. Sein unabhängiges Territorium erstreckte sich von Kiew aus in alle Himmelsrichtungen entlang des Flusses Dnjepr und umfasste somit ebenso westliche wie östliche Teile der heutigen Ukraine. Von besonderer Brisanz ist, dass Hetman Chmelnyzki den russischen Zaren um Hilfe beim Kampf gegen die Polen bat und diese auch erhielt. Aus diesem Hilfeersuchen leiten die Russen bis heute ihre besondere Legitimation ab, als ewige Schutzmacht der Ukrainer zu fungieren.

Mit dem Hetmanat-Gründungsdatum 1648 verbindet sich nicht nur die Eroberung großer Gebiete des polnischen Königreiches sowie die Vertreibung und Ermordung zahlreicher Polen. In diesem Kontext fand auch das „erste große Pogrom in Osteuropa“ (Kappeler) statt, begangen von Kosaken und von ihnen aus der polnischen Leibeigenschaft befreiten Bauern, dem zehntausende Juden zum Opfer fielen. Über den brutalen Charakter dieses gern zum ersten echten ukrainischen Gemeinwesen erklärten Kosaken-Staates schweigt man sich in der Ukraine bis heute in aller Regel aus und präsentiert stattdessen das völlig verklärte Bild einer Gemeinschaft hehrer Freiheitskämpfer. Einer der Gründe dafür dürfte sein, dass man das eigene Geschichtsbild für notorisch labil hält, solange Historiker vom Schlage Wladimir Putins nur darauf warten, es endlich unter großrussischen Vorzeichen zu liquidieren. So gesehen wird zumindest nachvollziehbar, warum auf dem Majdan im Winter 2013/14 neben dem dort betriebenen „Kult“ (Juri Andruchowytsch) um Taras Schewtschenko, dem Nationaldichter der Unabhängigkeit (4), allenthalben die Legende von den freiheitsliebenden Kosaken bemüht wurde, deren Funktion der Osteuropahistoriker Wilfried Jilge so beschrieb: „Traditionen und Symbole des ukrainischen Kosakentums bildeten für viele Aktivisten des Majdan eine wichtige Quelle der Selbstvergewisserung […]. Die kosakische Traditionsbildung demonstrierte der Antimajdan-Propaganda […], dass die Ukrainer über eine eigenständige Geschichte verfügen und eine lebendige Nation sind, die nicht mehr fremdbestimmt sein will.“ (Osteuropa, a.a.O.)

Irritation 2: Die ersten Helden einer ukrainischen Unabhängigkeit, die noch heute verehrt werden, seien Helden von deutschen Gnaden gewesen. Das begründet das russische Misstrauen, auch in der heutigen Unabhängigkeit der Ukraine eine westliche Machination zu sehen.

Die Formulierung „Helden von deutschen Gnaden“ würde wohl besser auf die Bolschewiki und ihre Förderung durch das Deutsche Reich bis zur Revolution von 1917 passen. (5) Bezogen auf die Anfänge der modernen ukrainischen Nationalbewegung ist sie unzutreffend. Um dieses Urteil nachvollziehen zu können, bedarf es einer Korrektur der Legende vom ukrainischen Hilfsvolk der Deutschen. Von einem Hilfsvolk zu sprechen, ist überhaupt nur für die Zeit ab 1939 und mehr noch ab 1941 in Teilen historisch korrekt, denn selbst damals waren die Ukrainer nicht die „Mietlinge“ der Deutschen, wie sie gern in sowjetischen Historikerkreisen bezeichnet wurden. Dass sich eine große Anzahl Ukrainer mit den Nazis eingelassen hatte, lässt sich, abgesehen von der entscheidenden russisch-sowjetischen Unterdrückung und dem damit einhergehenden Wunsch nach Eigenständigkeit, nicht ohne die Charakterisierung der deutsch-ukrainischen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit analysieren. Denn für die Zeit vor 1939 waren es nicht die Deutschen, die die Ukrainer für sich entdeckten, es waren umgekehrt die Ukrainer, die die Deutschen für sich als Helfer im Ringen um ihre Unabhängigkeit von Russland, aber auch von Polen und den Habsburgern auserkoren hatten. Das aber erst, nachdem die eigenständigen sozialrevolutionären Bemühungen an den deutschen, vor allem aber an der russischen bzw. polnischen Übermacht gescheitert waren. Frank Golczewski kommt in seiner Untersuchung über Deutsche und Ukrainer 1914–1939 zu dem Schluss, dass es seit 1914 „immer eher die Repräsentanten der ukrainischen Seite gewesen sind, die bei den Deutschen antichambriert, ihnen Zusammenarbeit und Dienstleistungen angeboten hatten […].“ (S. 761) Wie es überhaupt zu dieser Partnerwahl kam, erklärt Golczewski so: „In ukrainischen Schriftsätzen wurde an den Deutschen zunächst Kritik geübt, um dann dennoch die weitere Zusammenarbeit anzubieten. Diese Texte sind Ausdruck der subjektiven Gewissheit ihrer Verfasser, dass sich ihnen zu den Deutschen keine Alternative bot. […] Es gab ja Versuche der ukrainischen Nationalisten, sich aus der Bindung an Deutschland zu lösen und die Kontakte zu diversifizieren. Aber keine dieser britischen, italienischen, japanischen, litauischen, polnischen, tschechoslowakischen oder amerikanischen Verbindungen war auch nur ansatzweise ähnlich erfolg- und ertragreich wie die deutsche.“ (S. 1033 u. 1035)

Die Behauptung, dass die ersten Helden ukrainischer Unabhängigkeit deutsche Zöglinge gewesen wären, blamiert sich historisch an der Existenz der ersten beiden kurzlebigen unabhängigen Republiken, der Ukrainischen Volkrepublik, die 1917 auf dem russischen Herrschaftsgebiet ausgerufen wurde, und der West-Ukrainischen Volksrepublik, die auf dem Gebiet des damals polnischen Ostgaliziens 1918 entstand und sich unmittelbar der Ukrainischen Volksrepublik anschloss. Dem Zustandekommen der Volksrepublik lag der separate Friedensschluss der Ukrainer mit den Mittelmächten (Deutschland und Österreich-Ungarn) zugrunde, der auch als „Brotfriede“ bekannt ist und gern mit dem Frieden von Brest-Litowsk verwechselt wird, der erst danach zwischen den Bolschewiki für Russland und den Mittelmächten geschlossen wurde. Als Bedingung für den Brotfrieden wurde zwischen den Ukrainern und den Mittelmächten vereinbart, dass erstere gegen Lieferung von Getreide und Fleisch militärischen Beistand für ihre Volksrepublik bekämen. Doch weder erhielten die Mittelmächte ihre Nahrungsgüter noch leisteten insbesondere die Deutschen militärischen Beistand. Weder der Nationalhistoriker Mychailo Hruschewskij (s.o.) noch Simon Petljura, die aufeinanderfolgend Präsidenten der Republik waren, wurden durch die Deutschen ins Amt gehievt oder standen real unter deutschem Schutz. Im Gegenteil: Gegen sie wurde durch die Mittelmächte ein Staatsstreich angezettelt, der dem zaristischen General und selbsterklärten Hetman Pawlo Skoropadskyi ins Amt verhalf, der aber nach kurzer Zeit von den Ukrainern wieder entthront wurde. Skoropadskyis Flucht nach Deutschland ermöglichte die erneute Ausrufung der unabhängigen Ukrainischen Volkrepublik, deren Präsident dann Simon Petljura wurde. Trotz dieser Fakten, so Golczewski, galt die ukrainische Nationalbewegung „fortan für Gegner eines ukrainischen Nationalismus – und dazu gehörte auch die an einem ‚unteilbaren‘ Russland festhaltende Entente – als eine ‚deutsche‘ Erfindung.“ (Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Bd. 19, Göttingen 2005, 153)

Die Protagonisten des ukrainischen Nationalismus

Die Rückeroberung Ostgaliziens durch die Polen, Annexionen seitens Rumäniens und der Tschechoslowakei und schließlich der Sieg der Bolschewiki im russischen Bürgerkrieg führten zum Scheitern der Ukrainischen Volksrepublik schon im Jahr 1920. Waren die Protagonisten des ukrainischen Nationalismus bis dahin vor allem Sozialrevolutionäre gewesen, die sich von ihren russischen Namensvettern vorrangig in der nationalen ukrainischen Frage unterschieden, bewirkte die Niederlage einen ideologischen Wandel ganz im europäischen Trend der Nachkriegszeit, der insbesondere von einem Kreis junger ukrainischer Studenten ausging, die das Scheitern der „Alten“ als ihre Chance begriffen. Frank Golczewski konstatiert: „Aus ‚Linken‘ waren ‚Rechte‘ geworden, aus ‚Befreiungspolitikern‘ Anhänger einer ‚Konstruktion‘ der ukrainischen Nation. […] Analog der Entwicklung in Italien und Deutschland und nach denselben philosophischen Standards von Faschisten und integralen Nationalisten in Westeuropa wurden Konzepte für eine künftige ukrainische Staatlichkeit entwickelt […]. Der Wille zum Krieg […] trat in den Vordergrund und suchte eine ukrainische Rolle in dem antizipierten Kampf, den die Deutschen und vielleicht die Briten führen würden. […] Die Nationalisten wurden somit nicht, wie in der Sowjetunion behauptet wurde, in den 1930er Jahren […] faktisch umgestaltet zu umstürzlerischen Zentren der nazistischen ‚Fünften Kolonne‘.“ (Ukrainer und Deutsche, 1018, 593 u. 675 f.)

Man sieht, der von Jens Jessen konstruierte deutsche Paternalismus gegenüber den Ukrainern ist großenteils frei erfunden. Es gab ihn immer wieder auf propagandistischer Ebene, aber faktisch spielte er für die ukrainische Geschichte keine entscheidende Rolle. Da die deutsch-ukrainische Partnerschaft ebenso wenig eine unter pro-westlichen Vorzeichen war, ist auch ein russisches Misstrauen gegen den Westen in Wahrheit historisch nicht begründbar. Es sei denn, und das gehört in Russland seit Stalin zum antifaschistischen Programm, man macht aus dem faschistischen Deutschland kurzerhand den faschistischen Westen. Zu behaupten, der Westen würde mit der Unterstützung heutiger ukrainischer Unabhängigkeit nur da anknüpfen, wo er 1917 ff. mit seiner Machination einer 5. Kolonne gegen Russland begann, ist in Wahrheit nur ein von Putin aufgefrischtes altrussisches Märchen, das in seiner besagten Duma-Rede vom März 2014 mit dem Beigeschmack von Verfolgungswahn so klingt: „Ständig versucht man, uns in irgendeine Ecke zu drängen, nur weil wir eine unabhängige Position einnehmen, weil wir dazu stehen, weil wir nicht heucheln, sondern die Dinge beim Namen nennen. Aber alles hat seine Grenzen. In der Ukraine haben unsere westlichen Partner eine Linie überschritten, sie haben sich rüde, verantwortungslos und unprofessionell verhalten.“ (Osteuropa, a.a.O., 95)

Irritation 3: Während der anderthalb Jahre, die der Vorläufer Stephan Banderas, Simon Petljura, Regierungschef einer unabhängigen Ukraine war, wurden gut fünfzigtausend Juden ermordet. Die Petljura-Milizen wussten, dass sie die Gesetze, die ihr Chef zum Schutz der Juden erlassen hatte, ignorieren konnten. Die Selbstverständlichkeit, mit der in Kiew 2009 eine Straße nach ihm benannt wurde und Denkmäler dort wie in seiner Heimatstadt Poltawa an ihn erinnern, verblüfft.

Den Sozialisten und Demokraten Simon Petljura, zweiter Präsident der Ukrainischen Volksrepublik von 1917 und bis zu seiner Ermordung 1926 Chef der ukrainischen Exilregierung, als den Vorläufer von Stephan Bandera zu bezeichnen (den prominentesten ukrainischen Nazikollaborateur, über den noch zu reden sein wird), soll suggerieren, dass eine direkte ideologische Linie von ihm zu Bandera verläuft. Gerade Petljura war keiner, der nach dem Scheitern der Volksrepublik ein Rechter geworden war, und er war auch zeitlebens kein Antisemit. Er orientierte sich zunehmend an westlich-liberalen Ideen. Insbesondere die jungen radikalen Nationalisten, zu denen auch Bandera gehörte, hielten ihn laut Frank Golczewski „wegen seiner sozialistischen Vergangenheit und seiner demokratischen Gegenwart für einen üblen ‚Linken‘.“ (Ukraine und Deutsche, 497) Bevor Petljura 1919 Präsident wurde, war er als Regierungsmitglied der erste militärische Oberbefehlshaber der Armee der Volksrepublik und sah sich mitten im Bürgerkrieg einer Vielzahl unterschiedlicher Gegner gegenüber: den Rot- und Weißgardisten, den Truppen des späteren Putschisten von deutschen Gnaden, des Hetman Skoropadsky, denen des heute besonders von linksradikalen (nicht nur) Ukrainern verehrten Anarchoführers Nestor Machno und den vorrückenden polnischen Truppen. Die Situation im eigenen ukrainischen Lager beschreibt Golczewski so: „Eine wildgewordene Soldateska, die nicht selten die Fronten des Bürgerkrieges wechselte und von ‚warlords‘ geführt wurde, versorgte sich durch Plünderungen – und die ukrainischen Regierungen waren auf sie angewiesen.“ (Beiträge, 154) Zu dieser Zeit kam es zu zahlreichen Pogromen, denen mehr als 50.000 Juden zum Opfer fielen und an denen zahlreiche Einheiten beteiligt waren, die Petljuras Kommando unterstanden. Unbestreitbar ist, dass „Judenpogrome […] von nahezu allen beteiligten Gruppen verübt wurden – selbst von den Bolschewiki, die von ihren Gegnern immer häufiger mit den Juden identifiziert wurden“, wie Golczewski weiter schreibt (ebd.). Petljura stellte Pogrome zwar unter Strafe, allerdings musste er wissen, dass er ein solches Gesetz wie andere auch kaum würde durchsetzen können. Seine Regierung „versuchte, einmal an einer labilen Macht, kulturelle Autonomie auch für die Juden durchzusetzen, was es so noch nirgendwo zuvor gegeben hatte. In Lemberg schlossen in der Auseinandersetzung mit den Polen die Nationalukrainer ein Neutralitätsabkommen mit der jüdischen Repräsentation – voller Verständnis dafür, dass sich die dortigen jüdischen Bürger nicht zwischen ihren polnischen und ukrainischen Mitbürgern entscheiden mochten. Die junge ukrainische Volksrepublik hatte einen sich zu einem ukrainischen Judentum bekennenden Außenminister – Arnold Margolin“. Margolin trat wegen der Pogrome zwar zurück, er verband seinen Rücktritt „jedoch nicht mit Vorwürfen gegenüber der Regierung. In seinem Schreiben vom 11. März 1919 erklärte Margolin, ihm sei die Machtlosigkeit der Regierung ebenso bekannt wie die Tatsache, dass sie alles in ihrer Macht stehende gegen die Pogrome tue.“ (Ebd., 155 u. Ukrainer und Deutsche, 494).

Von ukrainischen Nationalhelden

Der ukrainischen Nationalbewegung wurde Simon Petljura erst durch das tödliche Attentat, das der aus Smolensk stammende jüdische Anarchist Scholom Schwartzbard 1926 in Paris verübte, zum unangefochtenen Helden. Seitdem galt Petljura als rehabilitiert und avancierte zum Märtyrer der Bewegung. Für die ukrainischen Nationalisten war klar, dass Schwartzbard im Auftrag des sowjetischen Geheimdienstes GPU gemordet hatte. Ob das zutrifft, ist bis heute nicht abschließend geklärt worden. (6) Über das persönliche Motiv Schwartzbards herrscht jedoch Einigkeit. Für ihn, der in der Zeit des russischen Bürgerkrieges bei Pogromen 15 Familienangehörige verloren hatte, stand fest, dass Petljura als damaliger ukrainischer Regierungschef auch der Hauptverantwortliche für die Pogrome sein müsse. Weil das Pariser Gericht dieser Argumentation folgte, wurde Schwartzbard zum Leidwesen der ukrainischen Nationalisten freigesprochen. (7) Dieser Freispruch stellt für die weitere ideologische Ausrichtung eine Schlüsselszene dar. Weil der überwiegende Teil der ukrainischen Nationalisten darin nichts als einen jüdisch-bolschewistisch-westlichen Komplott erkennen wollte, waren damit gleich drei Feindbilder zu einem verschmolzen. Golczewski: „Makaber war, dass der Mord dazu beitrug, die ukrainische Nationalbewegung zu konsolidieren. […] Die Suche nach einer nationalen Lösung mit der Sowjetunion war desavouiert, die Bindung an die westliche Demokratie ebenso. […] Waren judenfeindliche Politiker und Gruppen bis dahin nur randständige potentielle Verbündete […], so wurden sie nun salonfähig.“ (Ukrainer und Deutsche, 497 u. 498).

Bleibt die Frage zu klären, warum in der heutigen Ukraine mit solcher Selbstverständlichkeit Simon Petljuras gedacht wird. Weil er der antisemitische Vorgänger Banderas war? Wegen seiner mutmaßlichen Verantwortung für die Pogrome? Wie gezeigt wurde, stimmt das in dieser Form nicht, seine postume Aufwertung zum durch Judenhand gefallenen Märtyrer der Nation machte aus dem realen Petljura allerdings ein Gespenst, das andere Gespenster zeitigen sollte. In seiner Entgegnung auf Jens Jessen in der Zeit erklärt Andreas Kappeler, warum im antifaschistischen Pauschalurteil über Simon Petljura dieser auf immer und ewig ein Faschist bleiben muss: „Von sowjetischer Seite wurde […] das Zerrbild des Antisemiten Petljura und das Stereotyp der ‚Petljurovcy‘, der nationalistischen und antisemitischen Ukrainer […] mit Erfolg in die Welt verbreitet.“ (a.a.O.) Das ist gewiss richtig, ändert aber nichts daran, dass Petljura als ohnmächtiger aber faktischer Staatschef die Verantwortung für Massaker trug, die von Ukrainern begangen worden waren. Deshalb ist es durchaus konsequent, dass im israelischen Beerscheba im ehrenden Gedenken an Petljuras Mörder bis heute eine „Straße des Rächers“ existiert. (8)

Irritation 4: Stephan Bandera war ein Kollaborateur der Wehrmacht, der zur Vorbereitung des deutschen Einmarsches die Loslösung von der Sowjetunion betrieben haben soll. Dass er später die Unabhängigkeit seiner Heimat auch gegen die Deutschen durchsetzen wollte und dafür inhaftiert wurde, steht auf einem anderen Blatt.

Bandera, der nicht nur mit der Wehrmacht, sondern mit „Nazideutschland“ (Andreas Kappeler) kollaborierte, war kein hilfswilliger Vorbereiter eines deutschen Einmarsches, sondern ein Nationalist, für den die Loslösung von der Sowjetunion eine ukrainische Notwendigkeit darstellte. Die Radikalisierung der ukrainischen Nationalisten nach dem Freispruch von Scholom Schwartzbard 1926 geht insbesondere auf Dmytro Donzow zurück, der spätestens ab dieser Zeit als der Chefideologe des ukrainischen Nationalismus bezeichnet werden kann. Unter seinem maßgeblichen Einfluss entstand 1929 die berüchtigte Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), ein Zusammenschluss diverser kleinerer nationalistischer Gruppierungen. Deren Chef war bis zu seiner Ermordung durch den sowjetischen Geheimdienst 1938 Jewhen Konowalez. Dieser trat der OUN samt seiner Gruppe Ukrainische Verteidigungsorganisation (UVO) bei, die seit dem Scheitern der Ukrainischen Volksrepublik 1920 einen Guerillakrieg im ukrainischen Ostgalizien gegen die polnischen Eroberer führte. Mit seiner Ermordung waren für die OUN die Hauptfeinde ausgemacht: die Russen, danach die Juden und die Polen. Nicht die Russen bzw. die sowjetischen Kommunisten galten als jüdisch infiziert, wie es der antisemitische Mainstream behauptet, sondern andersherum galten die Juden als besonders russifiziert bzw. sowjetisiert. Dieses Urteil über den ukrainischen Antisemitismus ist nicht als besondere Finesse misszuverstehen, sie ist eine notwendige Charakterisierung des „neuen“ ukrainischen Nationalismus im Verhältnis zum Nationalsozialismus, denn beide lassen sich bei aller Nähe weder ideologisch noch historisch in eins setzen. So formulierte 1926 Chefideologe Donzow: „Juden sind schuldig, schrecklich schuldig, weil sie es waren, die halfen, die russische Herrschaft in der Ukraine zu festigen, aber die ‚Juden sind nicht an allem schuld‘. Der russische Imperialismus ist an allem schuld.“ (zit. n. Ukrainer und Deutsche, 503)

Das ideologische Konzept, das Donzow der OUN verpasste, stellte das Ziel der Gründung eines eigenen ukrainischen Staates über alles – wenn es sein müsse, auch über Moral und Ethik. Dieses Konzept der Amoralität, das konsequent „amoralnist“ genannt wurde, verlangte, in der Wahl seiner Bündnispartner nicht wählerisch zu sein, wenn es der Eigenstaatlichkeit dienlich ist. Diese Mittel-Zweck-Relation lässt sich gegen sowjetische Propaganda als das durchgehaltene politische Prinzip des ukrainischen Nationalismus im Allgemeinen und Stepan Banderas im Besonderen verstehen, das auch während der Jahre 1941 bis 1945 und darüber hinaus bis Anfang der 1950er Jahre Bestand hatte. Cheftheoretiker Donzow formulierte das bereits 1921, zu einer Zeit, als er noch nicht auf größere Zustimmung innerhalb der ukrainischen Nationalbewegung hoffen konnte, so: „Die einen oder die anderen Staaten, auf die man rechnen kann, können ‚imperialistisch‘ oder – ‚reaktionär‘ – genannt sein, das geht uns gar nichts an. Es ist ein historisches Faktum, dass sich keine einzige Nation nur durch eigene Kräfte befreit hat. […] Wir sollten keine Ausnahme von dieser Regel bilden, wir müssen uns auf jede Kraft stützen, die, uns helfend, dasselbe Ziel hat: die Aufteilung Russlands.“ (Beiträge, a.a.O., 19 u. 153) Ganz in diesem Sinn war OUN-Chef Jewhen Konowalez keineswegs nur auf Deutschland bzw. die Nazis als einzig mögliche Verbündete aus. Erst nach seiner Ermordung, die von Stalin mit der Begründung befohlen wurde, Konowalez sei „ein Agent des Faschismus“ (Ukrainer und Deutsche, 799), galten ab 1938 unter seinem Nachfolger Andrij Melnyk die Nationalsozialisten als die einzigen, die den europäischen Status quo so verändern wollten und konnten, dass der unabhängige ukrainische Staat möglich würde. Da es 1938 intern noch genügend Zweifel am zukünftigen einzigen Bündnispartner gab, sah sich Chefideologe Donzow veranlasst, Melnyk mit einem „Wo sind unsere historischen Traditionen zu suchen?“ betitelten Papier zur Seite zu springen und den Skeptikern in den eigenen Reihen vorzuwerfen, dass sie „auch jetzt noch gegen ‚Hitlerdeutschland‘ sind, das unserer nationalen Gemeinschaft nichts Böses getan hat.“ (zit. n. ebd., 857)

Pakt mit dem Hauptfeind

In welchem Licht Donzow und mit ihm bald auch eine Mehrheit den NS-Staat sah, beschreibt Golczewski, den OUN-Ideologen zitierend: „Neben der Haltung gegen Russland imponierte Donzow, dass der NS-Staat den neuen dichotomischen Geist ‚dafür – dagegen, das Eigene – das Fremde, Niederlage – Triumph‘ an die Stelle von ‚Liberalismus, Demokratismus, Glaube an Harmonie, Glaube an die entwaffnende Kraft der Humanität, Glaube an […] alle Chimären, nur nicht an sich selber‘ stellte.“ (Ebd.) Dass hier von einer reflektierten Gegnerschaft gegen Sowjet-Russland überhaupt keine Rede sein kann, zeigt sich schon daran, das Donzow und Gefolge sich offensichtlich außerstande sahen zu begreifen, dass der bewunderte dichotomische Geist ebenso beim sowjetrussischen Erzfeind vorherrschte. Eine wirkliche Gegnerschaft hätte also gerade in Hinwendung zu dem bestanden, was Donzow ebenso wie Hitler und Stalin als westliche Chimären bekämpfte. Ganz sicher wäre es falsch, den radikalisierten ukrainischen Nationalismus verharmlosend ein typisches Kind seiner Zeit zu nennen, und ebenso falsch wäre es zu behaupten, bei der damaligen Mächtekonstellation wäre den Ukrainern gar keine andere Wahl geblieben. Das gilt auch dann, wenn man kaum bestreiten kann, dass sich sukzessive „der Handlungsspielraum noch weiter auf das Verhältnis zu Deutschland verengte.“ (Ukrainer und Deutsche, 1017) Andere Verbündete, gar westliche, standen nicht in Aussicht, zumal der Westen der Sowjetunion ohnehin nie so feindlich gesonnen war, wie es die Komintern-Propaganda ständig behauptete. Gerade deshalb wäre die einzig richtige Wahl das Eingeständnis gewesen, dass bei diesen Konstellationen kein ukrainischer Staat zu machen ist – und das selbst unter dem unerträglichen Eindruck der sowjetischen Gräueltaten, die sich mit den Namen Große Säuberung und Holodomor verbinden, dem heute „wichtigsten Bestandteil des postsowjetischen ukrainischen Nationalbewusstseins“, wie es Andreas Kappeler nennt (Die Ukraine im Wandel, 29). (9) Doch das wollte man selbst dann nicht begreifen, als die Deutschen am 24. August 1939 durch ihren Pakt mit dem Hauptfeind des ukrainischen Nationalismus klar stellten, dass in den Rassentheorien und dem Ostraum-Konzept der Deutschen für eine unabhängige Ukraine kein Platz war. Man hielt an der strategischen Partnerschaft fest, zumal sich anfangs Vorteile für Ukrainer daraus ergaben: „Durch die Aufteilung Polens […] hatten es die Deutschen nicht mehr nur mit Emigranten zu tun, sondern es ging auch um die konkrete Ausgestaltung des Lebensverhältnisse einer einheimischen ukrainischen Bevölkerung. […] Auf der deutschen Seite der Demarkationslinie blieben etwa 500.000 Ukrainer, [wobei] ukrainische Nationalisten zu einer ‚staatstragenden‘ Macht aufstiegen, sie wurden von den Okkupanten in Verwaltungsstellen eingesetzt, die ihnen vorher versperrt waren. […] Die Bildung von ukrainischen Genossenschaften, die Übernahme polnischer und jüdischer Geschäfte, die Eröffnung von Gymnasien und ukrainischen Lesehallen genehmigten die Deutschen den Ukrainern bald.“ (Ukrainer und Deutsche, 1011, 1015 u. 1017) „Ganz wesentlich“ (Golczewski) war, dass Leute wie Dmytro Donzow und Stephan Bandera, der Landesleiter der OUN in Galizien, die wegen antipolnischer Verbrechen in Polen inhaftiert waren, unter deutscher Herrschaft wieder auf freien Fuß gelangten. Mit der Freiheit Stephan Banderas brach ein schwelender Konflikt innerhalb der OUN offen aus. Es ging um die Frage, inwieweit eine Unterordnung unter die Deutschen den eigenen militärischen Kampf für einen unabhängigen Staat beeinträchtigt und inwieweit ein militärisches Vorpreschen der eigenen Sache schaden könnte. Befördert durch einen gescheiterten Putschversuch ukrainischer Nationalisten in der Karpaten-Ukraine kam es im Zuge dieses Konfliktes 1940 zur Spaltung der OUN in einen Melnyk (OUN-M)- und einen Bandera-Flügel (OUN-B). Wollte man diese Spaltung qualifizieren, dann am ehesten als einen Generationskonflikt der jüngeren ungeduldigen Bandera-Leute mit den älteren um Melnyk. Einen ideologischen Dissens gab es jedoch nicht, ihn zu unterstellen, könne auch nur „in die Irre“ führen, so Golczewski (Beiträge, 158). Aus dem Kreis der OUN-B wurden von den Deutschen zwei Einheiten rekrutiert, die schon durch ihre unterschiedliche Namensgebung von ukrainischer und deutscher Seite keine deckungsgleichen Motive für einen Kampf gegen die Sowjetunion nahelegen. Sprachen die Deutschen nur von den Legionen Nachtigall und Roland, war es für die Ukrainer die gemeinsame Legion Ukrainischer Nationalisten (Druzyny Ukrains`kych Nacionalistiv - LUN), die man als den „Kern einer künftigen eigenen Armee“ verstand (Rolf-Dieter Müller: An der Seite der Wehrmacht, Berlin 2007, 194). Die Vereidigung der LUN-Leute erfolgte nicht auf den Führer, der Schwur lautete: „Mit diesem Gewehr erkämpfe ich die Freiheit der Ukraine, oder ich werde sterben.“ (Zit. n. ebd.) Aus den Kreisen der LUN waren bereits vereinzelte verdeckte paramilitärische Aktionen auf dem von den Sowjets eroberten Territorium unternommen worden – insbesondere im ukrainischen Ostgalizien rund um dessen Hauptstadt Lemberg (heute Lwiw), das die Rote Armee nach der Vertreibung und Ermordung der polnischen Besatzer annektierte. Die sowjetische Okkupation hatte Stalin wie zum Hohn unter anderem als notwendige Schutzmaßnahme für die von Polen bedrohte Ukrainische Sowjetrepublik begründet. Dass bis zum deutschen Überfall auf die von der Sowjetunion besetzten Gebiete – die „Bloodlands“, wie Tymothy Snyder sie nennt –, neben den hunderttausenden Polen noch einmal zehntausende Ukrainer nach Sibirien deportiert oder gleich ermordet wurden, mag den letzten Ausschlag dafür gegeben haben, dass die meisten nichtjüdischen Ukrainer die Deutschen zunächst als Befreier von der Sowjetunion begrüßt hatten.

Gleichlauf der Ereignisse

Anders als es die sowjetische Propaganda und Jens Jessen behaupten, waren die beiden Legionen Nachtigall und Roland jedoch nicht die Vor- sondern die Nachhut beim deutschen Einmarsch. Gelangte die Legion Roland erst durch den Umweg über Rumänien und Moldawien am 25. Juli 1941 auf ukrainisches Gebiet, folgte die Legion Nachtigall auf direktem Weg der Wehrmacht: „Als am 29. Juni 1941 Lemberg, das die deutschen Truppen zunächst umgangen hatten, eingenommen wurde, durfte die Legion ‚Nachtigall‘ in geschlossener Formation einmarschieren und den Krieg gegen die Sowjetunion mit einem Befreiungsaspekt verbinden, der nicht nur Ukrainer nach den Monaten von Sowjetisierung und Deportation […] aufatmen ließ.“ (Beiträge, 162) Fakt ist, dass unmittelbar nach dem Einmarsch etliche einheimische Ukrainer zusammen mit Banderas OUN-Leuten ein Freudenfest besonderer Art veranstalteten, zu dem sie nicht erst von den Deutschen animiert werden mussten, denen das Treiben schon nach kurzer zu Zeit zu wild wurde und die deshalb die Sache lieber der „anständigen“ und „sauberen“ (Heinrich Himmler) SS überantworteten. Viele Lemberger Bürger gingen zusammen mit den OUN-Leuten auf brutale Judenjagd und veranstalteten ein regelrechtes Massaker, weil man die ortsansässigen Juden nicht nur als verantwortlich für die Verbrechen des sowjetischen NKWD erklärt hatte, die „besonders von der Sowjetherrschaft profitiert“ hätten (An der Seite, 194). Vor welch ausweglose Situation die Juden gestellt waren, ergab sich aus der Paradoxie, dass sie tatsächlich von der sowjetischen Herrschaft „profitiert“ hatten, denn mit ihr endete zumindest die jahrelange Unterdrückung durch die Polen, was sie natürlich begrüßten. Diese Befreiung vom polnischen Antisemitismus wurde ihnen jetzt zum Verhängnis, denn man erklärte sie zu Mitschuldigen an der Hinrichtung von mehreren tausend Lemberger NKWD-Häftlingen, darunter etliche ukrainische Nationalisten der OUN-B, die kurz vor dem deutschen Einmarsch einen Aufstand gegen die sowjetischen Besatzer versucht hatten. Die Sowjets verübten ihre Verbrechen kurz vor ihrer Flucht vor den deutschen Truppen, ohne sich noch der Mühe zu unterziehen, diese zu vertuschen. Überall in den Gefängnissen fand man verstümmelte Leichen und durch Genickschuss Getötete.

Während Teile von Banderas Leuten noch Massaker an Juden begingen, riefen andere unter direkter Beteiligung Banderas nur wenige Stunden nach dem Einmarsch der Legion Nachtigall und der Wehrmacht auf dem Lemberger Marktplatz und auch über den Rundfunk einen unabhängigen ukrainischen Staat aus, als deren Präsident Jaroslaw Stezko benannt wurde. Stezko hatte laut Wikipedia im August 1941 folgende für die ideologische Verfasstheit der Bandera-Truppe aber auch für einen großen Teil der Lemberger respektive ostgalizischen Bevölkerung jener Zeit repräsentative Ansage gemacht: „Moskau und die Juden sind die größten Feinde der Ukraine. Als Hauptfeind betrachte ich Moskau, welches die Ukraine mit Gewalt in Unfreiheit gehalten hat, nicht weniger beurteile ich die Juden als ein schädliches und feindliches Schicksal, die Moskau helfen, die Ukraine zu verknechten. Daher beharre ich auf dem Standpunkt einer Vernichtung der Juden und der zweckdienlichen Einführung deutscher Methoden der Extermination der Juden in der Ukraine, ihre Assimilation ausschließend.“ Selbst wenn man einen Schuss Opportunismus gegenüber den Deutschen abzieht, bleibt ein eliminatorischer Judenhass zurück, der eine ideologisch durchgehaltene Linie seit den 1926er Tagen der Radikalisierung eindeutig bezeugt. Das straft manchen prominenten ukrainischen Schönredner Lügen, wie den gegenwärtigen Bildungsminister und vormaligen Präsidenten der führenden Kiewer Universität, der in der von ihm verfassten Monografie über den OUN-Chefideologen Donzow kein Sterbenswort über dessen Vorliebe für den Nationalsozialismus und dessen Antisemitismus verloren haben soll (vgl. Ukraine-nachrichten.de, 06.03.12).

Antiimperialistische Ausrichtung

Stezko wie Bandera machten sich mit der Ausrufung des ukrainischen Staates bei den Deutschen keine Freunde und wurden prompt inhaftiert. Erst als die Nazis angesichts des möglicherweise doch ausbleibenden Endsieges begannen panisch zu werden, entließ man beide im Frühjahr 1944 aus der Vorzugshaft im KZ Sachsenhausen, um sie noch einmal für den Kampf gegen die Rote Armee in den eigenen Reihen reaktivieren zu können, was ihnen aber nicht mehr gelang. Über die Person Stephan Bandera und dessen Bündnistreue existiert in diesem Zusammenhang ein Kurzgutachten des deutschen Auswärtigen Amtes, das am 5.4.1944 für das Oberkommando des Heeres anlässlich der bevorstehenden Entlassung Banderas verfasst wurde: „Bandera wird als Führerpersönlichkeit von großer Energie und Intelligenz bezeichnet, dessen Initiative ungeachtet einer mehrjährigen Gefängnishaft in Polen ungebrochen sein soll. B. ist ein radikaler Nationalist, lehnt einen Führungsanspruch Deutschlands im ukrainischen Raum ab und befürwortet nur eine deutsch-ukrainische Zusammenarbeit. Seine Anhänger sind meist junge Leute. Wegen der Gefährlichkeit seiner Agitation wurde Bandera festgenommen.“ (Reinhard Rürup [Hg.]: Der Krieg gegen die Sowjetunion, Berlin 1991, 146) Auch die Legionen Nachtigall und Roland wurden bereits gut vier Wochen nach der Ausrufung der ukrainischen Republik 1941 in Lemberg wegen ihrer Ablehnung des deutschen Führungsanspruches aufgelöst. Aus ihren Reihen wurde dann das 201. Bataillon der berüchtigten Himmlerschen SS-Schutzmannschaft gebildet, das in Weißrussland ab dem Frühjahr 1942 vor allem zur Partisanenbekämpfung aber auch zur Judenvernichtung zum Einsatz kam. Nach Ablauf der Verpflichtungszeit von einem Jahr verweigerte die gesamte 201. Schutzmannschaft die Fortsetzung des Dienstes, woraufhin man ihre Kommandeure inhaftierte. Unter diesen Kommandeuren befand sich auch Roman Schuchewytsch, der nach seiner Flucht aus deutscher Gefangenschaft bis zu seinem Tod 1950 der Oberbefehlshaber der ab 1943 operierenden und mehrere zehntausend Kämpfer umfassenden Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA) war. Auch weil man Schuchewytsch bis heute unbewiesen [!] nachsagt, er hätte persönlich die Verfolgung von Juden durch die UPA unterbunden, ist er in der heutigen Ukraine weniger umstritten als Stephan Bandera, der erst 1944 nach seiner Entlassung aus der Haft zur UPA stieß und dort Kommandeur wurde. Die von ukrainischer Seite glorifizierte und von russisch-sowjetischer Seite als faschistisch bezeichnete UPA mit ihren schätzungsweise 30.000 Mann fraternisierte nur zu Beginn mit den Deutschen, bekämpfte diese dann aber bis zum Ende des NS ebenso wie parallel und danach die Rote Armee bis in die Mitte der 1950er Jahre. Gleichzeitig kämpfte sie aber auch gegen die Polnische Heimatarmee, wobei sie sich schwerer Verbrechen an der polnischen Bevölkerung schuldig gemacht hat, die das polnisch-ukrainische Verhältnis bis heute belasten. Das aber kommt bei den antifaschistischen oder russischen Gegnern des ukrainischen Nationalismus gar nicht erst vor, weil diese Opfer bereits als sowjetische Opfer verbucht sind wie fast alle nichtdeutschen Toten in den von der Sowjetunion 1939 annektierten Gebieten Polens, des Baltikums und Bessarabiens (heute größtenteils Moldawien). (10) Die Gründung der UPA geht auf einen OUN-Beschluss von 1943 zurück, der das Bündnis mit den Deutschen endgültig aufkündigte und dessen Wortlaut in seiner anti-imperialen, gar antiimperialistischen Ausrichtung an Lenins Veröffentlichungen gegen den großrussischen Chauvinismus erinnert, gekürzt um dessen Traum von einer sozialistischen Weltrepublik: „Wir […] kämpfen dafür, dass jede Nation in ihrem eigenen unabhängigen Staat ein freies Leben lebt. Die Beendigung der nationalen Unterdrückung und Ausbeutung einer Nation durch eine andere Nation, ein System freier Völker im eigenen unabhängigen Staat – das ist die einzige Ordnung, die der nationalen Frage und sozialen Frage in der ganzen Welt eine gerechte Lösung gibt. Wir kämpfen gegen die Imperialisten und Imperien, weil in ihnen ein herrschendes Volk kulturell, politisch und ökonomisch andere Völker unterdrückt; darum sind wir gegen die UdSSR und gegen das deutsche ‚neue Europa‘.“ (Zit. n. An der Seite, 198)

Zu diesem Zeitpunkt teilten nahezu alle Ukrainer die ablehnende Haltung gegenüber dem neuen Deutscheuropa, hatten sie sich doch ähnlich wie Stephan Bandera von einer deutsch-ukrainischen Zusammenarbeit die Eigenstaatlichkeit versprochen. Dass diese niemals von deutscher Seite geplant war, erkannten die Ukrainer nicht nur an den administrativen Grenzen im sogenannten Generalgouvernement Ost, die das ukrainische Gebiet in unterschiedliche Verwaltungseinheiten unterteilte. Die ab 1942 einsetzende Verschleppung von hunderttausenden Ukrainern zur Zwangsarbeit nach Deutschland, die in „regelrechten Sklavenjagden“ gipfelte, tat ihr übriges (ebd.). Auch jenseits von „Bandera-Land“, wie man heute die Westukraine gern abfällig nennt, hatte man 1943 endgültig genug von den Deutschen. Entgegen späteren sowjetisch-großrussischen Geschichtsmythen stand man den Deutschen auch im Osten der Ukraine zunächst nicht übermäßig negativ gegenüber: „Nach deutschem Eindruck, der sich in den Stimmungsberichten der Wirtschaftsinspektion Süd ausdrückte, empfingen die Bewohner des Donezbeckens die Besatzer zunächst mit ‚großem Zutrauen‘ und einem ‚Hochgefühl, vom Bolschewismus befreit zu sein‘. Anders als in den ländlichen Regionen der Ukraine hatten die Besatzungsbehörden von der Arbeiterbevölkerung in den Industriegebieten am Dnjepr und im Donbass ursprünglich eine größere Loyalität zur Sowjetregierung und stärkeren Widerstand gegen die Okkupation erwartet.“ (Beiträge, 192) Die deutsche Verblüffung über antibolschewistische Hochgefühle könnte damit zu tun gehabt haben, dass die heimliche Hochachtung Hitlers für Stalin dazu führte, dass dessen Propaganda von der Begeisterung der Massen für die Industrialisierung auch im NS-Apparat verfangen hatte. Zumindest heute sollte man sich nicht mehr darüber wundern, warum auch im Donezker Gebiet die Deutschen als das kleinere Übel begriffen wurden. Wenn man berücksichtigt, wie schonungs- und rücksichtslos die Industrialisierung gerade dort durchgeknüppelt wurde, und nicht zufällig der erste große Schauprozess 1928 mit den verantwortlichen Erbauern der dortigen Industrieanlagen über die Bühne ging, für den sich die Bezeichnung „Schachty-Prozess“ eingebürgert hat, dann lassen sich die Stimmungsberichte der Wirtschaftsinspektion Süd immerhin erklären, denn: „Die Gesellschaft im Donbass unter der Besatzung war keine Solidargemeinschaft, wie sie von der Sowjethistoriographie später in Mythen wie dem vom allgemeinen Volkswiderstand beschworen wurde, sondern eine Gesellschaft, die in hohem Maße durch die alltägliche Erfahrung staatlichen Terrors und Gewalt geprägt worden war.“ (Beiträge, 220) Sollte der Donbass Russland einverleibt werden, dann würden die Hochgefühle und das Zutrauen, mit dem die Donezker Arbeiter dem faschistischen Aggressor begegnet seien, als „falsche Darstellung der Rolle der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg“ – so der Wortlaut des im April 2014 von der Duma verabschiedeten Gesetzes – unter Strafe gestellt werden. Dieses Gesetz erhielt wegen seiner angeblichen Hauptintention, die Leugnung des Holocaust zu unterbinden, auch noch internationalen Beifall (Die Welt, 07.05.14).

Notwendiges Doppelgedächtnis

Nach alldem, was über die Situation zwischen 1939 und 1945 ausgebreitet wurde, kann man über das schlichte Geschichtsbild so mancher Putinversteher nur staunen. Jens Jessen etwa behauptet, Stephan Bandera wollte die Unabhängigkeit seiner Heimat erst „später“, nach der Kollaboration durchsetzen. Was sich in und um die Ukraine innerhalb einer Zeitpanne von drei bis vier Jahren ereignete, lässt sich in Anlehnung an Eric Hobsbawms Bestseller wohl am besten als eine Art Zeitraffer der Extreme fassen.

Der Historiker Frank Golczewski schießt aber weit über das Ziel hinaus, wenn er behauptet, im damaligen ukrainischen Nationalismus seien „die eigentlich klaren Kategorien ‚Widerstand‘ und ‚Kollaboration‘ überhaupt nicht voneinander zu trennen.“ (Ders. [Hg.]: Geschichte der Ukraine, Göttingen 1993, 97) Die ukrainische Nationalbewegung kollaborierte in einem Punkt eben doch mit den Deutschen: In ihrer Beteiligung am Holocaust. Das war keine bedauerliche Fehlkalkulation im Zeitalter der Extreme, sondern Ausdruck jenes Extrems, zu dessen Beendigung auch die Rote Armee beigetragen hat. Darauf muss man gegen die Mehrheit der ukrainischen Nationalisten bestehen, ohne in die Putin-Falle zu tappen und dem Nachfolgestaat der siegreichen Sowjetunion die Ukraine als legitime Beute zuzuerkennen, indem das Wort Faschist so willkürlich und inhaltsleer wie ehedem Verwendung findet. Putins Russland ist an der Geschichte des Holocaust ungefähr so viel gelegen wie seinerzeit Stalin, der das von Ehrenburg und Grossmann gerade fertig gestellte Schwarzbuch über die Vernichtung der sowjetischen Juden 1947 gleich wieder einstampfen ließ – als Fanal einer antisemitischen Hetz und Mordkampagne, die erst mit seinem Tod 1953 endete. Der Holocaust kommt Putin-Russland so recht, wie von 1941 bis 1945 Stalin das Antifaschistische Jüdische Komitee: Um einen „Antifaschismus“ aufzupeppen, der darüber hinwegtäuschen soll, dass die Sowjetunion sich mit ihrem Bündnis mit Hitlerdeutschland, das allein der großrussisch-chauvinistisch motivierten Arrondierung ihres Herrschaftsbereiches (Ostpolen, Baltikum, Karelien) dienen sollte, beinahe selbst liquidiert hatte. Zum Dank für einen Sieg, der tatsächlich vielen Juden das Leben gerettet hatte, bekam die Sowjetunion nicht nur vom demokratischen Westen das Baltikum und Ostpolen frei Haus geliefert, sondern durfte sich seither als antifaschistischer großer Bruder über unzuverlässige Sowjetvölker auch noch als Motor der Befreiung fühlen. Der Gedanke, dass die Ukrainer gute Gründe hatten, sich von der Sowjetunion loszulösen, war ein Tabu, das bis 1990 nicht zuletzt deshalb so gut hielt, weil sie auch im Westen als Inbegriff einer mit den Deutschen kollaborierenden Täternation galt, deren Bewohner sich alles weitere selbst zuzuschreiben hatten. Dabei hat der gleiche Historiker Golczewski, der die Kollaboration der Ukrainer mit den Deutschen beim Holocaust so leichtfertig außer Acht ließ, mit seiner Feststellung recht, es sei „im Grundsatz zulässig“, das damalige „deutsch-einheimische Verhältnis“ als ein „feindliches“ zu qualifizieren, „auch wenn taktische Versprechen dies kaschierten oder pragmatisches Handeln dem zu widersprechen schien.“ (Beiträge, 151) Die galizische Division der Waffen-SS aus ukrainischen Freiwilligen, für deren Aufstellung auch der damalige Erzbischof Lembergs plädierte, war zum Beispiel als eine Art Konkurrenzunternehmen gegen die immer erfolgreicher operierende Ukrainische Aufstandsarmee UPA 1943 von den Deutschen ins Leben gerufen worden. Vornehmlich der Melnyk-Flügel der OUN rief dazu auf, der Freiwilligen-Division beizutreten, „um auf diese Weise an Waffen und ausgebildete Soldaten heranzukommen.“ (An der Seite, 201) Nur ein Viertel derer, die sich bewarben, wurden genommen, denn zu dieser Zeit waren Himmlers Männer schon sehr darauf bedacht, „den ‚Bazillus‘ des ukrainischen Nationalismus fernzuhalten“ (ebd.).

Man muss schon ein sehr abwertendes Bild von den Ukrainern pflegen, wenn man ihnen unterstellt, sie hätten bis heute nicht begriffen, dass man sie von Seiten der Deutschen als sogenanntes Hilfsvolk tausend Jahre lang auszunutzen und zu unterdrücken trachtete. Das weiß man selbst beim Rechten Sektor. Dessen Chef Dmytro Jarosch antwortete auf die Frage des Spiegel, ob Hitler sein Vorbild sei: „Er hat so viel Blut meines Volkes vergossen, ich kann ihm nichts abgewinnen. Der deutsche Nationalsozialismus ist für ukrainische Nationalisten ein Feind.“ (23.04.14) Auch sie wissen, was ihre Großeltern schon ab 1941 wussten, dass die Deutschen sich mit der Einschätzung Erich Kochs, dem damaligen Chef des „Reichskommissariats Ukraine“ über die Ukrainer völlig einig waren: „Streng genommen sind wir unter Negern. […] Die Bevölkerung ist einfach dreckig und faul. […] In meinem Gebiet wird jeder erschossen, der auch nur Anzeichen von Intelligenz zeigt.“ (Zit. n. An der Seite, 199) Traut man den Ukrainern wirklich zu, sie würden angesichts solcher Urteile einfach zur Tagesordnung einer ewigen und ungebrochenen deutsch-ukrainischen Freundschaft übergehen können? Dass der ukrainische Nationalismus sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat, davon berichtete der FAZ Josef Sissels, Vorsitzender des Vereins Jüdischer Gemeinden und Organisationen in der Ukraine und stellvertretender Vorsitzender des World Jewish Congress: „Die alte Feindschaft zwischen Juden und ukrainischen Nationalisten habe sich damals im Kampf gegen den ‚gemeinsamen Feind‘ Sowjetunion bei vielen ‚ins Gegenteil verkehrt‘. Heute, sagt Sissels, gebe es in der ukrainischen Nationalbewegung, von Einzelfällen abgesehen, ‚keinen ernsthaften Antisemitismus‘ mehr.“ (17.02.14) Mit dem Euro-Maidan ist die Ukraine nicht auf die schiefe Bahn einer völkischen Erweckung geraten, die auch noch nahtlos an die 1930er und 1940er Jahre anknüpfen würde. Davon zeugen gerade so hässliche Erscheinungen wie der immer schon eher rechts-konservative Rechte Sektor und die immer noch rechtsradikale Swobada-Partei. Denn die haben sich beide bislang nicht radikalisiert, sondern mit den Maidan-Ereignissen trotz oder besser sogar: gerade wegen ihres dortigen militanten Agierens zum lagerübergreifenden Schutz aller Euromaidan-Demonstranten eher ideologisch gemäßigt. Über ihre gegenwärtige gesellschaftliche Relevanz geben im Übrigen ihre sehr bescheidenen Erfolge bei der Wahl des ukrainischen Präsidenten vom Mai 2014 Auskunft: Der Rechte Sektor erlangte 0,7 Prozent, die Swoboda-Partei 1,16 Prozent der abgegebenen Stimmen. (11)

Zweifellos bestimmen eine Vielzahl historischer Lebenslügen das ukrainische Geschichtsbild. So die bis heute gepflegte, dass die Ukrainer nie mit den Nazis, sondern immer nur mit der angeblich nicht-nazistischen Wehrmacht kollaboriert hätten; vom Kleinreden bis zum Leugnen des eliminatorischen Antisemitismus in den eigenen Reihen gar nicht zu reden. Damit die Ukrainer auch im Westen überhaupt als etwas anderes als die willigen Knechte des NS für das ganz Grobe wahrgenommen werden können, dafür müsste die nach wie vor dominante, auf Stalin zurückgehende sowjetisch-großrussische Antifa-Geschichtsklitterung durch ein „Doppelgedächtnis“ entmachtet werden. Jorge Semprún, Buchenwald-Überlebender, einer der wenigen unverbrüchlichen Freunde Israels in der kommunistischen Bewegung, und einer, der 1991 den Krieg gegen Saddam Hussein als „gerecht“ bezeichnete, prägte diesen Begriff bereits 1969 nach der erstmaligen Lektüre einer Erzählung Warlam Schalamows (12). Zum Ausdruck bringen solle er, so Semprún, dass die Auschwitz-Erfahrung sich nicht mehr gegen die des Gulag in dem Sinne ausspielen lassen dürfe, dass wer Stalin und Gefolge angreife, automatisch als ein Verharmloser Hitlers und als Verunglimpfer der ruhmreichen Sowjetunion gilt. Ein praktischer Schritt zu einer Geschichtsschreibung, die das berücksichtigt, wäre es, einen Satz aus Timothy Snyders Buch Bloodlands (München 2013) zum Standardsatz darüber zu machen, wie der Zweite Weltkrieg begann: „Im September 1939 griffen die Wehrmacht und die Rote Armee Polen an.“ (S. 12)

Sören Pünjer (Bahamas 69 / 2014)

Anmerkungen:

  1. Die Breschnew-Doktrin wurde 1968 mit dem sowjetischen Einmarsch in die CSSR von Moskau zum Instrument der dann de facto auch offiziellen Einschränkung der Souveränität der sozialistischen Bruderstaaten. Sie war das Verbot einer Loslösung von Moskau.
  2. Die „Einwurzelungs“-Politik, die im Frühjahr 1923 beschlossen wurde, war der letzte große Sieg Lenins innerhalb der Partei kurz vor seinem Tod. Sie hatte zum einen das Ziel, dass sich die Großrussen mit den jeweiligen kulturellen Gepflogenheiten arrangieren sollten, damit sich eine gemeinsame nationale bzw. regionale Identität ausbildet. Zum anderen gewährte man nationalen Minderheiten regionale Autonomie und kollektive Rechte, wobei das eine teilweise skurrile Brauchtumspflege und Folklore zur Folge hatte. Das ethnische Bekenntnis war regelrecht erwünscht. Auch die Bestrebungen auf der Krim Anfang der 1920er Jahre, dort eine Art autonomer jüdischer Region zu schaffen, gingen auf die „Einwurzelungs“-Politik zurück. Diese endeten mit der Entscheidung Stalins 1928, für die Aussonderung jüdischer Autonomiebestrebungen ganz weit in den Osten der Sowjetunion, ins eigens gegründete Birobidschan zu sorgen (vgl. dazu Jüdische Allgemeine, 13.03.2014). Als 1936 der NKWD-Chef Jagoda durch Nikolai Jeschow ersetzt wurde, begann dieser nach dem Prinzip des Fünf-Jahr-Planes nach Quoten zu „säubern“. Dafür wurden auch „nationale Kontingente“ von den regionalen Parteikadern gefordert, die entweder nach der „Kategorie 1: zu erschießen“, oder nach der „Kategorie 2: zu deportieren“ zusammengestellt wurden. Das vormals geförderte nationale Bekenntnis wurde so vielen zum Verhängnis. Diese Quoten und Kontingentierungen führten insgesamt zu 1,5 Mio. Festnahmen und 700.000 Erschießungen (Simon Sebag Montefiore: Stalin, Frankfurt am Main 2005, 261 ff.).
  3. In seiner Schrift Über den Nationalstolz der Großrussen vom 12. Dezember 1914 heißt es: „Uns [, den großrusssischen Sozialdemokraten], den Vertretern der Großmachtnation im äußersten Osten Europas und in weiten Teilen Asiens, würde es nicht geziemen, die ungeheure Bedeutung der nationalen Frage zu vergessen; besonders in einem Land, das man mit Recht ein ‚Völkergefängnis‘ nennt.“ (Ders.: Ausgewählte Werke Bd. I, Ost-Berlin 1966, 753)
  4. Laut Juri Andruchowytsch gründet das Geheimnis des lagerübergreifenden Schewtschenko-Kultes darin, dass er sich wie kein zweiter als Projektionsfläche für die „verschiedenen ideologischen“ Strömungen innerhalb der Ukraine eigne. So sei er mal „Schewtschenko, der Kommunist“, „Schewtschenko, der Nationalist“, „Schewtschenko, der Christ“, mal „Schewtschenko, der Atheist“, „Schewtschenko, der Dissident“ oder auch mal „Schewtschenko, der Anarchist“ (Ders.: Das letzte Territorium, Frankfurt am Main 2003, 104 ff.) Über die Dauerpräsenz Schewtschenkos auf dem Majdan 2013/2014 berichtet Andruchowytsch: „Überall auf dem Maijdan sieht man größere oder kleinere Schewtschenko-Porträts, manchmal geschmückt, mit Zeilen seiner Poesie. Sie sind Treffpunkt improvisierter Diskussionsklubs oder Literaturwerkstätten. Eines der größten Transparente («der Haupt-Schewtschenko des Maidan») segnet manchmal die große Bühne mit seiner Gegenwart, den Ort, von dem Aktivisten und Oppositionspolitiker zu den Protestierenden sprechen. Sie sprechen mit Schewtschenko im Hintergrund. Oder besser, Schewtschenko blickt ihnen aufmerksam in den Rücken. Taras Schewtschenko, seine Ikone, ist integraler Bestandteil der Symbolsprache des Maidan, Zentrum seines Zeichensystems“ (NZZ; 07.03.14).
  5. Zur deutschen Päppelung der Bolschewiki siehe den Artikel Der ewige Anti-Westler in dieser Bahamas-Ausgabe oder Gerd Koenen: Der Russlandkomplex, München 2005, 130 f. Empfohlen sei außerdem die TV-Dokumentation Deutsches Geld für Russlands Revolution, die man sich auch auf Youtube anschauen kann.
  6. Golczewski spricht deshalb davon, dass die Agenten-These zwar „unbewiesen, aber naheliegend“ sei. (Ukrainer und Deutsche, 494)
  7. Über den Hintergrund des Freispruches schreibt Alexis Hofmeister: Der Freispruch „lag auch daran, dass es im Pariser Justizpalast nicht allein um das Attentat auf Simon Petljura ging. Während des etwa einwöchigen Prozesses stritten sich Anklage und Verteidigung, die zahlreiche Zeugen reden ließen, über Ablauf und Ausmaß der in der Ukraine verübten Pogrome und über die Haltung Petljuras zu den Juden in der Ukraine sowie seine Verantwortung für die Gewaltexzesse. Dokumentensammlungen befestigten die jeweiligen Deutungen des Geschehens. Während Henri Torres, der Verteidiger Schwartzbards, Petljura indirekt für die Ermordung der Familienangehörigen seines Mandanten verantwortlich machte, wurde Schwartzbard vorgeworfen, er habe im Auftrag des sowjetischen Geheimdienstes gehandelt. Der Appell an die republikanische Tradition Frankreichs mag bei den Geschworenen den Ausschlag gegeben haben, Schwartzbard als Einzeltäter freizusprechen und den Tod des vermeintlichen Antisemiten Petljura nicht zu ahnden“ (Feindliche Brüder: Russländisches Judentum und ukrainische Nationsbildung, in Andreas Kappeler [Hg.]: Die Ukraine, Köln 2011, 215).
  8. Der nicht weiter verifizierbare Internetfund auf maschiach.de, dass Henri Torres, der französische Anwalt Schwartzbards, auch den sowjetischen Konsul vertreten hätte und für die Zeit des Prozesses im sowjetischen Konsulat residierte, würde in dieses von der sowjetischen Propaganda gezeichnete Zerrbild passen.
  9. Dass an dieser Stelle lieber doch eine notwendig erklärende Fußnote zum Begriff Holodomor eingefügt wird, ist bezeichnend. Denn wie die sowjetischen Verbrechen überhaupt ist auch die von Stalin zu verantwortende fürchterliche Hungerskatastrophe, die Anfang der 1930er Jahre als angeblicher Kampf gegen vor allem ukrainische „Kulaken“ gerechtfertigt wurde und der laut neuesten Berechnungen Tymothy Snyders ca. 3,3 Mio. Menschen, davon drei Millionen Ukrainer sowie Russen, Polen, Deutsche, Juden und andere zum Opfer fielen, bis heute nur wenig bekannt. Snyders Resümee des Grauens: „Der Sowjetstaat hatte die besiegt, die eine gewisse Autonomie für die Ukrainische (Sowjet-)Republik anstrebten, und jene, die eine gewisse Autonomie für sich und ihre Familien wünschten“ (Ders.: Bloodlands, München 2013, 62 u. 71 ff). Zum Stalinismus siehe im weiteren auch den Artikel Dogmatisch und unorthodox, in Bahamas Nr. 54/2007
  10. Der UPA fielen laut polnischer Schätzung rund 100.000 Polen zum Opfer (Zahl nach: An der Seite der Wehrmacht, 200). Sie gilt bis heute in Polen als verbrecherische Organisation. Über das Zustandekommen der sowjetischen Opferzahlen schreibt Tymothy Snyder: „Die hohen sowjetischen Zahlen umfassen auch die Ukraine, Weißrussland und das Baltikum. Besonders wichtig sind die 1939 von der Sowjetunion besetzten Gebiete: Ostpolen, die baltischen Staaten und Nordostrumänien.“ (Bloodlands, 404)
  11. Gegenüber der FAZ erklärte Josef Sissels beim Stichwort Swoboda: „Sissels ist weit davon entfernt, die Rolle der Nationalisten auf dem Majdan zu bestreiten oder die judenfeindliche Vergangenheit von Tjahnyboks Swoboda zu leugnen. Er weist aber darauf hin, dass die Swoboda von heute nicht mehr die Partei sei, die sie vor zehn Jahren war. Vieles, sagt er, habe sich hier zum Besseren verändert. Zwar gebe es immer noch einzelne Neonazis bei Swoboda, aber das Parteiprogramm sei von antisemitischen Inhalten längst gesäubert worden und in den vorigen Wahlkämpfen habe das Thema keine Rolle mehr gespielt. Die letzte dokumentierte judenfeindliche Äußerung des Parteivorsitzenden Tjahnybok stamme aus dem Jahr 2004. Zusätzlich weist Sissels darauf hin, dass parallel zu dieser Neuorientierung der Rechten die Zahl antisemitischer Vorfälle in der Ukraine zuletzt schnell abgenommen und im vergangenen Jahr bei der beispiellos niedrigen Ziffer von 13 Fällen gelegen habe.“ (FAZ, 17.02.14)
  12. Anders als das Gesamtwerk des bekennenden Großrussen Alexander Solschenizyn seien die Erzählungen Warlam Schalamows uneingeschränkt zur Lektüre empfohlen.

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Bahamas Stofftasche 38 x 40 cm

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Ansteckbutton 25 mm

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