Diese Zeitschrift tut obstinat weiter, was auch wohlmeinende Zeitgenossen ihr schon seit zehn Jahren dringend abraten, sie wühlt im Schmutz, fördert illiterates Zeug zutage und, so wollen es unsere Kritiker, verhilft deren Urhebern zu unverdienter Bedeutung. Wenn im Folgenden Publikationen aus jenem Teil der radikalen Linken, die sich mal Top B3rlin, mal Gruppe Kritik und Praxis und dann wieder Interventionistische Linke nennen, ausführlich zitiert werden, dann geschieht das in dem Wissen, dass diese Gruppen „praktische“ Bedeutung nur für dahinschmelzende Antifa-Gruppen haben, auf deren öden Sommercamps sie Workshops leiten, und trotzdem von nicht zu unterschätzendem Einfluss auf die Meinungsbildung in der Bundesrepublik Deutschland sind. Selber aus der Antifa hervorgegangen, also mit der Bewegungsnotwendigkeit, sich in der Öffentlichkeit möglichst weit vorn aufzustellen, um wahrgenommen zu werden, bestens vertraut, haben sie dieser Tugend ein beachtliches Maß an pädagogischem Know-how im Kampf um die Köpfe hinzugefügt, das weit über die eigene Szene hinaus wirken soll.
Dieses Spektrum besteht aus Absolventen geisteswissenschaftlicher Fakultäten, die ihr Auskommen dort suchen, wo echtes Engagement gegen die rechten Herausforderungen unserer Zeit in pädagogische Module zerlegt oder zum Thema intensiv geforscht wird, also nahe am Staat, der zahlt und anschafft. Daher sind ihre ganz radikalen Freizeitaktivitäten in Form von Demonstrationsaufrufen und revolutionären Strategiepapieren zugleich in kunstvoll dialektischer Weise voller konstruktiver Hinweise an eben diesen Staat, wie Politik für „eine befreite Gesellschaft“ auszusehen habe.
Als ideologische Stichwortgeber sind Interventionisten von links immer dann gefragt, wenn die berufenen staatlichen Agenturen von Regierungsmitgliedern über die politischen Parteien bis hin zu den professionellen Meinungsmachern in bewegten Zeiten die Orientierung zu verlieren beginnen. Im Sommer 2014 gab es erheblichen Bedarf, Kritik und Praxis dialektisch unter einen Hut zu bringen und konkret auf den Straßen etwas anderes zu präsentieren als die altbekannte und selbstverständlich langweilige Alternative Jubelpalästinenser hier und antideutsche Freunde Israels dort. Da mit beiden bekanntlich nicht zu reden ist, aber die Antideutschen schon wieder den Stich zu machen drohten, mit bedenklichen Folgen für die Zukunft praktischer Kritik an Staat, Kapital, Nation, Faschismus und Rassismus, galt es Führungseigenschaften für die radikale Überwindung einer unfruchtbaren Dichotomie zu präsentieren. Eine erste Intervention war schon am 18.7. in Mainz zu beobachten, als eine Gruppe Plus jamais unter dem Motto „Antisemitismus entgegentreten“ nicht nur auf die gewalttätigen Ausschreitungen und volksverhetzenden Parolen auf den jüngsten Pro-Gaza-Demonstrationen reagieren, sondern auch gleich Verantwortung für Deutschland übernehmen wollte:
Keine Frage, wir alle wünschen den Menschen im Nahen Osten Frieden! Aber nicht um jeden Preis. Und ganz sicher keinen Frieden mit dem Antisemitismus! Nach der systematischen Ermordung von Millionen von Jüd*innen im Namen der deutschen Nation sehen zumindest wir uns in besonderer Verantwortung, jedem weiteren Vormarsch des Antisemitismus in aller Entschiedenheit entgegenzutreten! Der Alltag ist scheiße genug!
Als ob es nicht schon scheiße genug wäre, den Holocaust nicht als die Tat der Deutschen, sondern als im Namen der deutschen Nation
geschehen zu bezeichnen und sprachschöpferisch einen Juden in einen Jüden zu verwandeln, nur damit man bei der Pluralbildung sein Gendersternchen anbringen kann, fügten die von Plus jamais ihrem Aufruf noch eine merkwürdig antiquierte Botschaft hinzu:
Hinsichtlich des Bildes der Demonstration haben wir beschlossen, dass wir uns über die eine, andere Israelfahne als Ausdruck der Solidarität selbstverständlich freuen, insgesamt jedoch gerne einen bunten Eindruck vermitteln möchten, der sich an der gemeinsamen Kritik des Antisemitismus orientiert. Wir freuen uns über Beteiligung aus der breiten Bevölkerung. Unserer Message widersprechende bzw. thematisch unpassende Beiträge sind jedoch nicht erwünscht. Dass gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit jeder Art nicht geduldet wird, versteht sich bei einer emanzipatorischen Bewegung. Auch sind wir an einer Eskalation nicht interessiert. Wir behalten uns das Recht vor, Teilnehmer*innen aus entsprechenden politischen und Sicherheitserwägungen von unserer Versammlung unmittelbar auszuschließen.“ Ihre Message, die keine für Israel war, sondern eine gegen den Antisemitismus, kam dann doch nicht so gut rüber, denn die Dogmatiker mit den blau-weißen Fahnen prägten das Bild. Wie sehr das die breite Öffentlichkeit abgeschreckt und die Bereitschaft zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, sprich Islamophobie, befördert hat, vermochte man am 18.7.2014 noch nicht zu sagen.
Am 22.7.14 nahm ein Bündnis Bremer antifaschistischer Gruppen die verbrecherischen Aktivitäten von Palästinensern am 12.7. in Bremen zum Anlass für einen Befreiungsschlag gegen den Antisemitismus und die Israelsolidarität. Ein matter Aufruf, der geschrieben werden musste, nachdem ein weißer deutscher Mann mit Vorlieben für Israel, der einem attackierten Taz-Reporter zur Hilfe kommen wollte, von palästinensischen Aktivisten krankenhausreif geschlagen worden war, endete mit einer alten aber weiterhin magischen Bewegungsformel, die die Mainzer Genossen sich so unverblümt noch nicht auszusprechen getraut hatten: „Auch wenn es im Bündnis keine einheitliche Meinung bezüglich des Zeigens von Nationalfahnen auf der Kundgebung gibt, bitten wir euch, auf diese zu verzichten.“
Da waren sie wieder, pünktlich aus der Lethargie erwacht und stammelnd wie vor 15 Jahren schon ihre Vorgänger: Das Zeigen von Nationalfahnen
wurde genau zu dem Zeitpunkt problematisiert, wie sie sich wohl ausdrücken würden, als andere das viel beachtete Kampfgeschehen in Gaza auf Deutschlands Straßen einseitig zu instrumentieren begannen. War um das Jahr 2000 der Widerwille gegen Nationalfahnenmitbringer derart von der Sorge um den Fortbestand des linksradikalen Hauses Deutschland im Abwehrkampf gegen imperialistische Bellizisten bestimmt, dass diese manchmal aus der Demonstration geprügelt wurden, so geht es heute nach dem Verschwinden fast aller damals noch vorhandenen politischen Zusammenhänge
um nichts geringeres als die Schaffung der Voraussetzungen für die Weltrevolution, die durch den ständigen positiven Verweis auf einen Staat nun einmal nicht zu haben sei. Die radikale Linke tat auch 2014, wozu sie sich 1968 formiert hatte: Sie sprang für Staat und Gesellschaft genau dann ein, als deren Agenturen zu versagen drohten. Im Juli und August 2014 hatten Staat und Meinungsagenturen ein erhebliches Problem. Da war zunächst der Umstand, dass die Hamas auch diesen jüngsten Krieg angefangen hatte, aber den hätte man noch weg lügen können von wegen der Verhältnismäßigkeit und der unschuldigen Kinder. Doch diesmal fehlte der alte Freund, der sonst doch so zuverlässig durch die arabischen Straßen krawallierende Pöbel und mit ihm seine Anstifter. Als dann ausgerechnet in Deutschland die arabische Straße gegen Israel mit sehr deutschen Sprüchen mobil machte, drohte aus der Sorge, das Bild Deutschlands in der Welt könnte Schaden nehmen, jedes Augenmaß verloren zu gehen, und der Zentralrat der Juden und die Springerpresse schienen die Meinungsführerschaft zu übernehmen. Genau in dem Moment also, da der palästinensische Mob die Stimmung im Land unfreiwillig proisraelisch zum Kippen zu bringen sich anschickte und zeitgleich Israel der Hamas eine empfindliche Niederlage beibrachte, brachten Leute mit Erfahrung und Augenmaß zwei Essentials an den Start: gegen jeden Antisemitismus, gegen die Nation.
Eine von Ihnen, Clara Felicia Meyer, Mitglied der Gruppe Kritik und Praxis [F] in Frankfurt am Main und schon seit 1998 in Frankfurter Antifakreisen aktiv, wie sie stolz betont, durfte das vorläufige Fazit im ND vom 19.8.2014 ziehen. Scheinbar noch ganz mit der Aufarbeitung alter und ganz junger Niederlagen beschäftigt (Antideutsche hatten Anfang August einen Frankfurter Aufmarsch gegen Antisemitismus und Nation nicht zuletzt durch das Zeigen von Nationalfahnen in einen für Israel verkehrt), trug Meyer zusammen, was einer neuen Linken in und für Deutschland noch fehlt, um jenen bunten Eindruck zu vermitteln, um den sich die Mainzer Genoss*innen so erfolglos bemüht hatten:
Die Antideutschen haben sich selbst überlebt und überflüssig gemacht – und das nicht jetzt erst, sondern schon vor einigen Jahren. Niemand ist mehr interessiert an ihrer kriegerischen Hetze, ihrem Islamhass, ihrer Kritiklosigkeit und penetranten Verehrung einer rechten israelischen Regierung, ihrem Rassismus und ihrer Fehleinschätzung zur politischen Weltlage. Und niemand kann ihren Linken-Hass noch ertragen – die völlige Fixierung auf die eigene Szene anstelle einer Intervention in die Gesellschaft. Es mag mit manchen Antiimperialist*innen noch ein Streitpunkt sein, aber das Existenzrecht Israels wird in großen Teilen der linken Szene anerkannt (anders möglicherweise im Rest der Bevölkerung). Die wenigen Abonnent*innen der Zeitschrift Bahamas, das Haus- und Werbeblättchen der Strömung, lesen die Zeitschrift teilweise auch nur noch mit einem säuerlich amüsierten Lächeln. So wichtig die Impulse der Antideutschen für die Bewegung waren, so bitter ist es zu beobachten, dass sie nicht wissen, wann es Zeit ist zu gehen. Oder sich zu ändern. So denkt man sich bei allem, was da noch aus den antideutschen Löchern kommt: Ihr seid sowas von 2003! Die Gruppe Kritik und Praxis [F], der auch ich angehöre, versteht sich als antinational. Viele von uns hatten lange Zeit große Sympathien für die antideutsche Strömung, manche riefen ebenfalls ‚Nie wieder Deutschland‘, andere tun es heute noch. Aber wir sehen, dass bei der notwendigen Überwindung des Nationalismus und des Nationalstaats, des Antisemitismus und Rassismus und allem voran des Kapitalismus, die sogenannten Antideutschen keine Genoss*innen sein wollen oder können und als solche auch nicht mehr angesprochen werden. Wir haben sie verloren, sie haben sich selbst verloren. Aber unsere Türen stehen selbstredend immer für diejenigen offen, die die aktuellen Entwicklungen ernstnehmen, die eigenen Positionen überdenken, die sich mit uns streiten und an unserer Seite stehen. Die das sehen und mittragen, worum es uns und der gesamten Linken gehen muss: Die Verhältnisse wie sie sind überwinden und eine befreite Gesellschaft möglich machen.
Von Anne Goldenbogen kennt man nur den Arbeitgeber, die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA), die mit Staatsmitteln knapp versehen an Kreuzberger Schulen unter moslemischen Kindern Aufklärungsarbeit gegen Antisemitismus macht, und einen Artikel, der in der Zeitschrift Analyse und Kritik am 19.8.2014 erschienen ist, einem Blatt, das einmal die Brutstätte des antideutschen Unwesens war und seither als Abwurfstelle für Denkschriften gegen die penetrante Verehrung rechter israelischer Regierungen firmiert. Anne Goldenbogen hat gut verstanden, dass sich hinter proisraelischen Einseitigkeiten nichtjüdischer Deutscher eine nur allzu deutsche gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit verbirgt, und präsentierte sich als das, was die KIgA längst ganz staatsoffiziell ist: Botschafterin für Demokratie und Toleranz. So hebt sie an:
Betrachtet man die Debatten um die Proteste gegen den Gazakrieg, kann es passieren, dass man sich wie in einer Zeitschleife fühlt. Jedes Mal, wenn in den vergangenen Jahren der Konflikt im Nahen Osten eskalierte, waren auch hier Auswirkungen zu spüren. Allerdings mehren sich aktuell handfeste judenfeindliche Aggressionen – Hetzparolen auf Demonstrationen, persönliche Pöbeleien im Vorbeigehen, Anspucken bis hin zu tätlichen Angriffen auf Synagogen und auf Menschen, die als Jüdinnen und Juden identifiziert werden.
Und so geht es unter geflissentlicher Ausblendung der Übergriffe auf nichtjüdische, israelsolidarische Demonstranten weiter, denen ihre Sorge ganz offensichtlich nicht gilt:
Begleitet wird diese Entwicklung von einem öffentlichen Diskurs, der in weiten Teilen ebenfalls von Stigmatisierung getragen wird: Nur sind es hier ‚die Muslime‘, die im Mittelpunkt der empörten Aufmerksamkeit stehen. Sie gelten manchen als neue Keimzelle des Antisemitismus, die ihnen zugeschriebene Judenfeindschaft als importiert.
Nach langen Passagen, die dem Nachweis dienen, dass Antisemitismus unter der deutschen Mehrheitsbevölkerung weiterhin virulent sei, kommt sie zu dieser, die ominöse Zeitschleife wieder aufgreifenden, für Juden in Deutschland allerdings beunruhigenden Conclusio:
Solange sich die Öffentlichkeit nicht tatsächlich für die Ursachen und komplexen Dynamiken von Antisemitismus in der gesamten Gesellschaft interessiert, sondern es lediglich darum geht, eine Gruppe zu identifizieren, die als ‚Keimzelle des Bösen‘ ausgemacht werden kann, um sich selbst der Problematik und der Auseinandersetzung zu entziehen, solange werden vor allem jüdische Menschen in Deutschland weiterhin Zeitschleifen fürchten müssen.
Wer mit dem Finger auf den spezifisch moslemischen Antisemitismus zeigt, ohne sich zuvor als Islam- und Deutschlandversteher zu beweisen (sind wir nicht alle Antisemiten wegen der schlimmen Geschichte, unseren Großeltern, unserer intergenerativen Verantwortung?), darf sich verwarnt fühlen: Die Schuld am nächsten bedrohten oder gar zusammengeschlagenen jüdischen Ehepaar durch palästinensische Täter tragen er und seine Freunde wegen des Zeigens von Nationalfahnen.
Clara Felicia Meyer und Anne Goldenbogen hatten allen Grund zur Sorge, denn am 27.7.14 war das Unfassbare geschehen, wovor sie und die ihren immer schon gewarnt haben: Die Bildzeitung hatte einen kurzen Kommentar veröffentlicht, der noch am gleichen Tag eine Welle der kalkulierten Empörung ausgelöst hatte. Der Vizechef von Bild am Sonntag, Nikolaus Fest, hatte geschrieben:
Ich bin ein religionsfreundlicher Atheist. Ich glaube an keinen Gott, aber Christentum, Judentum oder Buddhismus stören mich auch nicht. Nur der Islam stört mich immer mehr. Mich stört die weit überproportionale Kriminalität von Jugendlichen mit muslimischem Hintergrund. Mich stört die totschlagbereite Verachtung des Islam für Frauen und Homosexuelle. Mich stören Zwangsheiraten, ‚Friedensrichter‘, ‚Ehrenmorde‘. Und antisemitische Pogrome stören mich mehr, als halbwegs zivilisierte Worte hergeben. Nun frage ich mich: Ist Religion ein Integrationshindernis? Mein Eindruck: nicht immer. Aber beim Islam wohl ja. Das sollte man bei Asyl und Zuwanderung ausdrücklich berücksichtigen! Ich brauche keinen importierten Rassismus, und wofür der Islam sonst noch steht, brauche ich auch nicht.
Die Reaktionen lasen sich alle ungefähr so: „Auch Kai Gehring, Abgeordneter der Grünen, äußerte sich zu dem Kommentar. Auf Twitter verurteilte er den Text als ‚Hetze gegen Muslime‘ und ‚Parolen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit‘.“ (Zeit-Online, 27.7.2014)
Zur selben Zeit ruderte der Chefredakteur von Bild, Kai Dieckmann, auf bild.de unter Verweis auf seinen obersten Chef offensichtlich alarmiert zurück:
Für Bild und Axel Springer gab und gibt es bei all diesen Debatten eine klare, unverrückbare Trennlinie zwischen der Weltreligion des Islam und der menschenverachtenden Ideologie des Islamismus. […] ‚Wer heute gegen den Islamismus kämpft, kämpft für einen aufgeklärten, starken, gesellschaftlich selbstverständlich verankerten, erfolgreichen Islam‘, so Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender von Axel Springer. ‚Es ist nicht antimuslimisch gegen den Islamismus zu sein. Im Gegenteil.‘ […] Wer eine Religion pauschal ablehnt, der stellt sich gegen Millionen und Milliarden Menschen, die in überwältigender Mehrheit friedlich leben. Genau solche Auseinandersetzung entlang religiöser Grenzen wollen wir NICHT. Wir wollen sie nicht führen, nicht befördern und nicht herbeischreiben. Denn sie enden immer verheerend – das hat die Geschichte oft genug gezeigt!
Natürlich hätten sich Dieckmann und Döpfner diesen Text auch sparen können, denn weder Auflagenrückgang noch Reputationsverlust waren für den Springerkonzern durch den Kommentar Fests zu befürchten. Die Leserkommentare vom 27. und 28.7. unter den Berichten verschiedener sogenannter Qualitätszeitungen über diesen inszenierten Skandal lassen erahnen, dass Fests Kommentar auf große Zustimmung gestoßen ist. Der Springerkonzern hätte, statt sich zu distanzieren, auch Fests Thesen und Forderungen von eigenen und Gastautoren kommentieren lassen und mit einer Diskussion über den Islam punkten können, ohne sich auf Fests Meinung festlegen zu müssen. Ein Reputationsverlust war für Springer schon deshalb nicht zu befürchten, weil dort, wo man kraft akademischer Ausbildung und höheren Einkommens den eigenen Dünkel gegen Bäckereifachverkäuferinnen und Kurierfahrer in Springerhass überträgt, Reputation sowieso nicht zu erlangen ist.
In Dieckmanns mahnenden Zeilen ist zwar durchaus listig ein Vorbehalt eingebaut, der sich von Fests Islamkritik gar nicht unterscheidet. Denn den „aufgeklärten“ und „gesellschaftlich selbstverständlich verankerten“ Islam, dem er „Stärke und Erfolg“ wünscht, gibt es nicht. Der Islam muss solange in Gegnerschaft zu säkularem Staat und Nation stehen, wie er den Widerspruch von Glaube und Bürgerpflichten nicht wie vor allem Christentum und Judentum zugunsten des Vorrangs letzterer auflöst. Die Warnung eines journalistischen Schwergewichts, der dem multikulturellen Lager dezidiert nicht angehört, vor einer Kritik am ganzen Islam und nicht nur dessen angeblichen Entartungen, die einem partiellen Debattenverbot gleichkommt, war dennoch kein unreflektierter Schnellschuss. Dieckmann weiß, auf welch dünnem Eis das Bekenntnis des Hauses Springer zu Israel und zur Freundschaft mit den Juden in Deutschland gebaut ist. Er weiß, dass die periodischen Jagdaufträge gegen Kinderschänder, Sozialschmarotzer mit und ohne deutschen Pass, die Häme über den Ruin oder gar die Inhaftierung eines der gerade noch hofierten Reichen und Bewunderten, die Springerblätter wie die Medien im ganzen Land in unterschiedlicher Form permanent herausgeben, nicht eine geschickte Manipulation der Volksmassen ist, sondern Dienst am Kunden durch Serviceleister, die sich von den Käufern oder Nutzern gar nicht unterscheiden. Zwar fanden Auseinandersetzungen mit kriegerischen Folgen entlang religiöser Grenzen in Deutschland oder sonst wo in Europa seit dem 30jährigen Krieg kaum mehr statt, doch Dieckmann muss an die Möglichkeit ganz anderer Verheerungen gedacht haben. Er ahnt mehr, als er wüsste, dass bei den Deutschen irrationaler Hass, pathische Projektionen, latente Gewaltbereitschaft nur mühsam gebändigt sind und immer zum Ausbruch drängen. Er scheint auch anders als die von Kritik und Praxis zu wissen, dass das Problem gar nicht der Neonazismus ist, weil es den Landsleuten an der Fähigkeit zur Vereinigung und Unterordnung unter ein autoritäres Leitungsprinzip gebricht. Aus Dieckmanns Zurechtweisung des Nikolaus Fest spricht ein ganz anderes Verbot. Sein Imperativ lautet: Lasst uns nicht an das rühren, was nicht zuletzt den Juden, die weiterhin intensiver gehasst werden als die Moslems, schaden könnte. Lasst uns nicht Verhältnisse befördern helfen, die die einen zur AfD treiben, die anderen zur Lahmlegung des Berliner S-Bahnverkehrs am 28.8.2014 mit dem Hinweis, dass Bäckereifachverkäuferinnen auf ihre Bahn warteten, statt sich mit fünf protestierenden Flüchtlingen auf einem Friedrichshainer Dach zu solidarisieren, und wieder andere zur Rache an den Deutschen bzw. den Moslems.
Was der Islam im heiligen Buch kanonisiert und durch entsprechende Rechtsschulen tradiert verkündet, den Unwillen, eine Gesellschaft zu bilden, haben die Deutschen mit ihm gemeinsam. Sie misstrauen einer Gesellschaft, die den gespaltenen Menschen voraussetzt, der als Religionsangehöriger, Geschäftsmann, Liebhaber, Vater, Vereinsmitglied schon seine private Welt in nicht immer harmonierende Sphären aufteilt, und sich dennoch über die engste Nachbarschaft hinaus verantwortlich um allgemeine und öffentliche Belange innerhalb der Staatsgrenzen, in denen er lebt, kümmert. Eine Mehrheit der Bürger, die das eine für sich und ihre Vorstellungen von Glück und Wohlstand tun und das andere aus Verantwortungsgefühl für ein Gemeinwesen, das sie nicht zuletzt im eigenen Interesse so vernünftig wie möglich eingerichtet wissen wollen, müsste zunächst zu dieser Gespaltenheit sich bekennen und an den Mindeststandards zur Bewahrung ihrer Lebensform interessiert sein. Das wiederum setzt Regularien und Verfahren voraus, die, ohne Appelle ans abendländische Erbe oder andere Werte, eben dieses abendländische Erbe gegen Regression zu schützen geeignet sind.
Die Rede ist also von der Nation, die heute von den Clara Felicia Meyers so inständig als Feindobjekt ausgemacht wird, bis Israel unter dem Feuer der Antinationalen aller Länder zugrunde geht. Die Kritik an Staat, Kapitalverhältnis und Nation, die in dieser Zeitschrift gegen antideutsche Betroffenheitsmenschen hochgehalten wird, die ihren traditionellen, also der Opfer gedenkenden und vor Wiederholung warnenden, Antifaschismus immerhin um die Opfergruppe der Juden erweitert und sogar darauf zugespitzt haben, verkommt in den Händen von Leuten, die natürlich früher ganz viel von der Bahamas gelernt haben, zu einem Instrument in antinationaler Absicht. Während es darum ginge, an Idee und Praxis der Nation zu kritisieren, dass das ganze Konzept nicht aufgehen konnte, sondern produzieren musste, was man als Nationalismus abzulehnen gelernt hat, also in gar nicht praktischer Absicht kommunistische Kritik an einem Staats- und Vergesellschaftungszusammenhang zu üben, der konsequent im nationalsozialistischen Deutschland seinen barbarischen Ausdruck fand, geriert sich der praktische Antinationalismus als Sammelsurium von Erziehungsmodulen für eine postnationale Gesellschaft. Statt zu erkennen, dass das Projekt Nation eminent fortschrittlich ist, soweit es auf dem Prinzip der Gegensätzlichkeit aufbauend zu einer Harmonie voranschreiten wollte, die ihrerseits nicht mehr als einen stets neu auszutarierenden Status Quo vorstellt, bringt man das, was die Nation immer auch gewalttätig beseitigt oder marginalisiert hat, gegen sie im Zeichen ausgerechnet von Emanzipation in Anschlag. In der Idee der Nation ist die Befreiung von Naturbanden und persönlicher Abhängigkeit genauso vorhanden wie der ungehinderte Rückzug von den Anderen und die freiwillige Vereinigung mit ihnen. Die Nationalstaaten erst vermochten diese Ideen durch die Schaffung eines verbindlichen, logischen, überprüfbaren und unparteiischen Rechtssystems umzusetzen, mit dem wider sprüchlichen Erfolg, dass die Beziehungen sich versachlichten und die in ihnen liegenden Zwänge nur scheinbar aus der Welt geschafft waren, aber zugleich dem Einzelnen der in der Menschheitsgeschichte größte Schutz vor den Übergriffen von Staat und feindseligen Mitmenschen gewährt wurde und häufig noch wird. Noch der unmittelbare Zwang, die Staatsgewalt, unterlag in Theorie und immerhin auch zum großen Teil in der Praxis der Einschränkung und Kontrolle durch die abstrakte und zwielichtige Figur des Citoyen und seiner Agenturen. Weder die durch stets neue Kompromisse bekräftigte gesellschaftliche Vervollkommnung ist eingetreten noch die mitgedachte relativ gleiche Verteilung des über die Arbeit vermittelten gesellschaftlichen Reichtums. Die Nation wäre also schon deshalb gegen alle, die, kaum dass sie den linken Antisemitismus zu verwerfen gelernt haben, das Erbauungsbuch Die offene Gesellschaft und ihre Feinde von Karl Popper für sich entdeckten, mit aller Vehemenz zu verwerfen. Sie wäre auch zu verwerfen gegen alle, die grundsätzlich zwischen Deutschland als einer missratenen Nation und den besseren unterscheiden wollen – und sei es nur, um sich das Kritikvermögen zu bewahren, ohne das man zum Beispiel die Nöte des Kai Dieckmann nicht verstehen könnte. Auch ist der Antisemitismus im Nationalstaat notwendig enthalten, seine Elemente lassen sich in den öffentlichen und privaten Einlassungen seiner Bürger immer wieder auch dann nachweisen, wenn von Juden gar nicht die Rede ist, sondern nur vom Kinderschänder.
Aber muss man sich deshalb das Attribut, „antinational“ zu sein, als hervorstechende revolutionäre Tugend ans Revers heften? Man muss es, wenn man von Herkunft Antifaschist, theoretisch am französischen Poststrukturalismus gebildet ist und praktisch im ideologischen Sektor einer Gesellschaft ankommen will, in der Nationalismus zwar weitgehend verpönt ist, dafür aber auch jede öffentliche Verständigung darüber, von welchen Belästigungen man verschont sein will. Antinationalismus ist eine Ideologie, die praktisch bekräftigen will, was ohnehin ungebremst um sich greift: Der Zerfall der Gesellschaft in haltlose Ich-AGs, die gegen jede Kritik ihren höchstpersönlichen Djihad verkünden, und die Kapitulation des Rechts vor den Anmaßungen von Respekt einfordernden Kollektivsubjekten. Deshalb können Antinationale auch gar nicht anders, als sich mit den Feinden Israels zu verbünden. Wenn die notwendige Überwindung von Nation und Nationalstaat als edles revolutionäres Ziel ausgegeben wird, wie von Felicia Meyer, folgt nicht nur die Delegitimierung des „rechten“ Israels prompt auf dem Fuß, sondern auch eine weitere gar nicht so besonders revolutionäre Tugend: die Gedenkkultur. Ein „Nie-wieder-Deutschland“ kann sich Meyer schon viel besser in ihrem Parolenset vorstellen als „Solidarität mit Israel“. Es kostet nichts, den Nationalsozialismus als schlimmsten Ausdruck des Nationalstaats anzuprangern – das tut schließlich jede Bundesregierung seit Jahrzehnten auch. Dass dieses Deutschland, das 1941 Vernichtungskrieg und Judenvernichtung ins Werk zu setzen begann und sich acht Jahre lang systematisch darauf vorbereitet hatte, nach den Kriterien eines Nationalstaats schon nicht mehr auf den Begriff zu bringen war, weil dieses Monstrum mit seinen nach innen und außen national agierenden Gegnern USA und Großbritannien nicht vergleichbar, sondern schon auf dem Höhepunkt der Expansion organisatorisch ein fallen state und der Zielsetzung nach eine apokalyptische Endzeitbewegung war, darf dort nicht vorkommen, wo man in Gedenkkultur macht und stets bei der vorab ausgemachten Warnung vor dem in allen Nationen angelegten Drang nach gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ankommt. Antinationalisten sind ganz groß im Gedenken, eine Vorliebe, die sie mit der Mitte der Gesellschaft teilen, weil sie dem Antisemitismus den Rassismus gleichberechtigt hinzufügen und zum Beispiel den Nikolaus Fest, ohne ihn nennen zu müssen, als größte Gefahr im Land geißeln können. Antinationalisten in Politik und Forschung und natürlich bei Kritik und Praxis haben es gemeinsam vermocht, in jahrzehntelanger Arbeit Antisemitismuskritik so sehr zum Bestandteil deutscher Selbstvergewisserung zu machen, dass eine Demonstration gegen Antisemitismus heute wie von selbst keine für Israel mehr ist, sondern eine gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Wer im Sommer 2014 nicht für Israel und gegen den palästinensischen Terror, sondern „gegen jeden Antisemitismus“ geladen hat, war in der Regel kein Antinationalist von Kritik und Praxis, sondern nur hasenfüßig und um Konsens bemüht. Und doch ließ sich erstmals im Sommer 2014 in aller Schärfe bemerken, dass man mitten in einem Israel aufgezwungenen Krieg gegen den Antisemitismus mobilisieren kann, um die aktuell gefährlichsten Antisemiten mit dem Hinweis aus der Kritik zu nehmen, dass heute die Muslime bei vielen als Keimzelle des Antisemitismus gelten und man sie wie die Juden vor Stigmatisierung zu bewahren habe.
Wenn Anne Goldenbogen nicht müde wird, die Behauptung eines importierten Antisemitismus mit dem Hinweis auf den originär deutschen außer Kraft zu setzen, als würden beide Spielarten nicht prächtig koexistieren, und die Juden in Deutschland vor ihrem eigentlichen Feind warnt, den nichtjüdischen Freunden Israels, seien sie nun aus dem Hause Springer oder antideutsche Demonstranten, dann hat sie vielleicht nicht gemerkt, dass sie zur Freude des israelhassenden Analyse und Kritik-Lesers den deutschen Juden ihre solidarische Verbundenheit mit dem jüdischen Staat austreiben wollte. Im Kern nichts anderes, aber in der Darstellung doch wesentlich zivilisierter, hat während 50 Tagen Krieg die deutsche Öffentlichkeit getan, die streng unterschied zwischen konkret oder in Form von Parolen bedrohten Juden und angegriffenen nicht-jüdischen Demonstranten für Israel, die nur ganz am Rande vorkamen. Juden dürfen in Deutschland als personifizierte Stolpersteine herumlaufen und ein wenig Narrenfreiheit genießen, schließlich haben sie ihren Denkort und ihre kollektiven Befindlichkeiten wie die Palästinenser auch. Wir antinationalen Deutschen machen ein bisschen Regie dabei und achten darauf, dass nicht unangemessene Parteilichkeit sich unter uns einschleicht.
Der Hass auf die Nation eint jüngere deutsche Linke mit ihren antiimperialistischen Vorgängern oder dem deutschen Literaturnobelpreisträger, von denen sie sich vergeblich abzusetzen versuchen – stets wird Israel im Doppelpack mit den USA verhandelt, stets schwingt der Verdruss mit, dass bei allem Versagen die Mehrheit der Bürger der USA an den Versprechungen der Nation festhalten und noch die gedemütigten schwarzen Bürger von Ferguson, Missouri auf den nationalen Ausgleich setzen. Dieser Verdruss, der bei den Deutschen immer auch die maßgeblich von den USA ab 1945 exportierte Demokratie meint, schweißt inzwischen fast alle Bürger des alten Kontinents zusammen, die sich von den Deutschen auch in Sachen innovativer und interventionistischer Kunst noch eine große antinationale Scheibe abschneiden können. Am 22.8. berichtete cnn.com über die Hintergründe einer Aktion, die genau einen Monat zuvor in New York für ein bisschen Aufregung gesorgt hatte:
Den deutschen Künstlern Matthias Wermke und Mischa Leinkauf zufolge war die Abnahme der Stars-and-Stripes, die über der Brooklyn-Brücke wehen, und ihre Ersetzung durch zwei riesige weiße Fahnen nichts anderes als ein ‚künstlerisches Projekt‘, durch das die beiden Performancekünstler sich mit ‚Fragen des historischen Vermächtnisses und von Kunst im öffentlichen Raum‘ auseinandersetzen wollten.
Ein Gespensterzug von einigen Hundert Moslems hat die Botschaft vernommen und während seiner Überquerung der Brooklyn-Brücke am 22.8. dort eine riesige palästinensische Fahne mit der Aufschrift „boycot, divest, sanction“ befestigt.
Die Kritik an der Nation kann die Palästinenser gar nicht meinen, sie sind ein postnationales Kollektiv, das nicht etwa durch Zertrümmerung von Recht und Gesellschaft die schrankenlose Volksgemeinschaft hervorgebracht hätte. Sie präsentieren als Gründungsmythos und Endzweck die Bandengesellschaft eines fallen state, die darauf achtet, dass keiner sich absondere, ohne dass das Ziel dieses Zwangs zur permanenten Bereitschaft anders als im Zerstörungsauftrag formuliert werden könnte. Die Vorlieben auch interventionistischer Linker für palästinensisches Selbstbewusstsein sind entsprechend gering. Der Zynismus von Clara Felicia Meyer und Anne Goldenbogen, der Zynismus des modernen Europas also, speist sich aus einer Mischung aus Feigheit und schlechtem Gewissen. Auch sie wissen, dass die Untaten von Rotherham keine Einzelfälle sind, weil dahinter ein Frauenbild steht, demzufolge die „eigenen“ Frauen unter den Schutz der Männerhorde gestellt werden, während die anderen als Freiwild gelten. Jeder weiß, dass Nachrichten wie die aus Rotherham systematisch kleingeredet und entstellt werden – aus dem englischsprachigen Wikipedia-Eintrag zu dieser Stadt kann man erfahren, dass allein in Großbritannien noch mindestens vier weitere, unabhängig aber gleich agierende moslemische Gangs nachgewiesen sind. Und jeder könnte wissen, dass die Mädchen und Frauen, die es trifft, unterprivilegiert sind und nicht wirksam geschützt werden, anders als ihre besser gestellten Geschlechtsgenossinnen. Die Politik des Vertuschens geht aufs Konto der Antinationalen, also des neuen Europas. Andrew Norfolk, der Autor der für die Aufdeckung des Rotherham-Skandals maßgeblichen Times-Artikel, benannte im August 2014 als seinen größten Widerpart bei der Recherchearbeit ironisch sich selbst, den Antirassisten Norfolk, der in Ausländerfragen stets auf Guardian-Kurs gewesen sei, und der den Rechercheur Norfolk zum Aufgeben zwingen wollte, weil nicht sein durfte, was sich allmählich aufdrängte. Die Folgen solcher Selbstzensur sind nicht nur für eine erst zu erahnende Zahl von Frauen und Mädchen katastrophal gewesen. Sie könnten schlimm werden für alle möglichen Leute pakistanischer oder überhaupt islamischer Herkunft, denn ein Blick in die Websites allein in Deutschland macht sofort deutlich, wer aus dem Fall Rotherham Profit schlagen will und vielleicht auch wird.
Der Springerkonzern hatte Gründe dafür, Nikolaus Fest zurückzupfeifen, die wichtigsten hat Kai Dieckmann aber gar nicht benannt. In Fests Beitrag vermischten sich Verdruss am Islam in toto und an den antinationalen und antirassistischen Zumutungen, nicht über durchaus islamische Untaten reden zu dürfen, ohne zugleich Verbeugungen vor einem islamischen Kollektiv machen zu müssen. Recht hat er darin, dass mit dem islamischen Erwachen in den migrantischen Unterschichten lästige und hierzulande längst überwunden geglaubte Regressionen in Fragen der Moral, der Rechtsstaatlichkeit, der persönlichen Freiheit auf die Agenda kamen; gefährlich unrecht hat er mit der Unterstellung eines ewig währenden Charakters der islamischen Parallelgesellschaft. Statt die Denunziation respektheischender selbstethnisierter Gruppen als die erpresserischen Zwangskollektive, die sie sind, und die strikte Zurückweisung ihrer religiös und völkisch begründeten Anschläge auf den Rechtsstaat zu empfehlen, als Voraussetzung für die Integration der Mehrheit von ihnen, spricht aus Fests Kommentar nur ein resigniertes und nicht ungefährliches „nichts geht mehr“. Wäre in Rotherham im Jahr 2003, als Sozialarbeiterinnen eingeschüchtert wurden und Polizisten die Aussagen der Opfer verfälscht ins Protokoll aufnahmen, die ganze Wahrheit, auch die über die Herkunft der Täter publik gemacht worden, dann wären nicht nur Hunderte von Mädchen nicht missbraucht und prostituiert worden, dann hätte eine pakistanische Community unter geringerem Druck die Gelegenheit gehabt, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und die Politik, vor allem die Labourparty, hätte damit beginnen können, das institutionalisierte Community-Unwesen wieder abzuschaffen.
Im Berlin des Jahres 2014 suchen zunehmend schockierte türkische und arabische Eltern Unterstützung bei den völlig unvorbereiteten Lehrern ihrer Söhne, die ihre Freizeit in salafistischen Zirkeln zubringen. Türkische und arabische Auszubildende aus Neukölln bitten erfolglos darum, in Oberstufenzentren geschickt zu werden, in die weniger unmotivierte und den Unterricht störende Nachbarskinder gesteckt werden. So dicht, wie ihre Fürsprecher es behaupten, ist die moslemische Parallelgesellschaft nicht, so unwandelbar, wie es scheint, müsste eine Moscheegemeinde nicht sein. Während aber Leute vom Schlage eines Fest schon auf dem Sarrazintrip sind und irgendwann einmal ganz im Sinne ihrer Feinde ein islamisches Gen entdecken werden, tut es das antinationale Deutschland ihnen auf seine Weise gleich und schreckt wegen der bestimmt vorhandenen ausländerfeindlichen Gefahr sogar vor der Bestandsanalyse zurück, womit es der Verfestigung von Verhältnissen in die Hände arbeitet, die irgendwann auf den Namen Rotherham gebracht werden müssen.
In einem hat Anne Goldenbogen sogar teilweise recht: Der gewalttätige Antisemitismus, der im Juli 2014 auf deutschen Straßen zu beobachten war, ist nicht importiert, er ist hausgemacht, nämlich das originäre Machwerk aus der sich islamisierenden Parallelgesellschaft, der keiner in den Arm fällt, weil man Kulturen höher schätzt als die Nation, weil man mit den sich selbst verwaltenden Unterschichtenkulturen von Abgehängten billiger zu fahren meint, als das harte und teure Geschäft der Integration in die Mehrheitsgesellschaft zu betreiben. Zumal man deren israelfeindliche Grundhaltung durchaus verstehen kann. Am 2.9.2014, als endlich erste Militärschläge von einem den Kulturen und ihrer autochthonen Religion so verbundenen amerikanischen Präsidenten gegen eine Parallelgesellschaft im Nahen Osten, die IS-Milizen, Wirkung zu zeigen begannen und die Hamas ihre Niederlage einsehen und einen für sie ziemlich schmählichen Waffenstillstand endlich einhalten musste, war es der überforderte deutsche Außenminister, der seine Vorbehalte gegen eine rechte israelische Regierung loswerden durfte wie sonst nur die Antinationale vom Dienst, Clara Felicia Meyer, indem er Israel mit der Hamas drohte: „Schritte wie dieser“ – gemeint ist die Ausweisung von 400 Hektar Land zum Bau jüdischer Siedlungen im Westjordanland – „machen es noch schwerer, einen Weg zurück zu Friedensverhandlungen zu finden, der verhindert, dass sich die menschliche Tragödie der letzten Wochen bald schon wiederholt.“
Justus Wertmüller (Bahamas 69 / 2014)
Frühere Aktivitäten sind im Aktuell-Archiv aufgeführt. Dort gibt es auch einige Audio-Aufnahmen.
Alle bisher erschienenen Ausgaben der Bahamas finden Sie im Heft-Archiv jeweils mit Inhaltsverzeichnis, Editorial und drei online lesbaren Artikeln.