Jüngst postete Cem Özdemir ein Foto seiner Eltern aus den siebziger Jahren. Die Mutter im flotten Mini und selbstverständlich ohne Kopftuch, der Vater im damals schicken Hemd bis obenhin zugeknöpft, beide glücklich vereint vor dem geschmückten Weihnachtsbaum. Versehen hatte Özdemir das Foto mit dem Kommentar: Erwischt: Meine das Abendland bedrohenden fundamentalistischen Eltern bei einer islamistischen Zeremonie.
Foto und Kommentar sollen die Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes, kurz: Pegida lächerlich machen und so tun, als spielte der Islam 2015 dieselbe Rolle wie 1971, nämlich keine, als seien Islamismus und Islamkritik eine Sache von Spinnern auf beiden Seiten. Durchaus witzig, aber deshalb umso perfider wird hier absichtsvoll alles durcheinandergeworfen; denn die türkische Familie vor dem Weihnachtsbaum ist es sicher nicht, wogegen Pegida demonstriert, sie symbolisiert vielmehr das, was sich die Demonstranten als gesellschaftlichen Zustand ersehnen: die traute Idylle der staatlich abgesicherten Kleinfamilie in der alten Bundesrepublik, die im Tausch für brave Arbeit irgendwann einer sicheren Rente entgegen sehen konnte. Mit Islam meint der sozialkonservative Demonstrant also nicht den vom Aussterben bedrohten Typus Özdemir, den ebenso integrierten wie ambitionierten Daimler-Türken, sondern das, was der Islam in und für die Berliner Republik bedeutet.
Redaktion Bahamas (Bahamas 70 / 2015)
Vorurteile, Kälte, ja, sogar Hass in ihren Herzentrügen. Geradezu hektisch wird derweil die natürlich vergebliche Suche nach dem moderaten Euro-Islam betrieben, anhand dessen man den geäußerten Widerwillen gegen eine
Islamisierung des Abendlandesblamieren könnte; mehr denn je muss die blanke Behauptung, es gäbe ihn oder es könnte ihn zumindest geben, die erschütternde Realität des praktizierten Islam ersetzen; eine Lüge, die niemand so recht mehr glaubt – und an der doch so erbittert festgehalten wird, dass es wohl momentan ohne die publicityträchtigen Schlächtereien des IS überhaupt keine Islamkritik in den öffentlichen und etablierten Medien mehr gäbe.
Raumfremdenund
Nichtarier, gleich, zu welcher Religion diese sich bekennen; zweitens kennzeichnet Nazis ja nicht Abscheu gegen den Islam, im Gegenteil: Bewunderung mischt sich mit Neid angesichts der gemeingefährlichen Fähigkeit des Islam, den
unerhellten Trieb(Adorno/Horkheimer) – so wie einst Hitler – in idiosynkratische Reflexe und enthemmte Gewalttätigkeit überführen zu können. Hooligans gegen Salafisten (HoGeSa) beispielsweise ist eine politische Konkurrenzveranstaltung von Leuten, die morgen schon als Konvertiten selber Salafisten sein könnten und es – siehe Pierre Vogel – wohl auch sein werden.
Gastarbeiterund ihre Familien, wurde zum Experimentierfeld der Segregation des Arbeitsmarktes. Drohende türkische Massenarbeitslosigkeit, insbesondere die ganzer Generationen Heranwachsender, wurde in die migrantische Ökonomie, die Familie, den Gemüseladen, die Gängelung durch die Onkel abgeschoben und – eher ungewollt, aber unvermeidlich – der organisierten Kriminalität übergeben. Doch nicht nur die Onkel und die Gangster leben von dieser kalten Abschiebung Hunderttausender Jugendlicher in den ehemaligen industriellen Ballungszentren und der ehemals verlängerten Werkbank Westberlin in die totale Perspektivlosigkeit, in ein unsichtbares Straflager mit freier, von Neid geprägter Sicht auf den unerreichbaren Lebensstil derer, die ihre Arbeitskraft noch zu einem zumutbaren Preis verkaufen können. Von dieser Abschiebung und Segregation leben auch die, wenn man so will, ideologischen Staatsapparate der Berliner Republik: Sozialinstitutionen, Weiterbildungsfirmen, Integrationssprachschulen, Islaminstitute etc.pp. – jene also, die jetzt einen auf Antifaschismus und Euro-Islam machen.
Friedenswinterein Flop wird, erinnert seine Rhetorik doch zu stark an Alarmismus und Mobilisierung) – also mit einem Wort: auf Raubkrieg und Vernichtungsfuror zu verzichten, in Badelatschen und nicht in Knobelbechern in Italien einzufallen und über Juden am besten gar nichts mehr zu hören, dafür aber auch Israel zumeist in Ruhe zu lassen. Diese Bundesrepublik war es, in die die Zone einwandern wollte. Dass die
16 Millionen Wirtschaftsflüchtlinge, wie Wolfgang Pohrt seinerzeit die Ostdeutschen bezeichnet hatte, zur Schwungmasse wurden, mit der die Sozialtechnokratie die Kompromisse und sozialen Verbindlichkeiten des rheinischen Kapitalismus abzuräumen wusste, lag absolut nicht in der Intention der Ostdeutschen: die wollten Bananen und Rassismus, hätten aber für ein Mehr an Bananen, also für eine Teilhabe am westdeutschen Leben vor 1989, sicher rasch und gern ein Weniger an Rassismus getauscht – so wie die westdeutschen Brüder und Schwestern einst Hitler gegen das Wirtschaftswunder eingetauscht hatten. Weil dieser Tausch aber so gar nicht klappte und so gar nicht gewollt war seitens der Eliten, die die politische Gelegenheit zur
Verschlankung des Sozialstaats1990ff. nicht verstreichen ließen, unterscheidet sich Pegida-Ost von Pegida-West: Weil sie die formierte Gesellschaft nicht bekommen, will eine immer weniger schweigende Mehrheit der Ostdeutschen die betonierte Gesellschaft der DDR zurück; abgeschottet gegen die Außenwelt, mit klaren Sozialhierarchien, an deren Ende die
Fidschiszu stehen und zu bleiben hatten – und eben nicht wie heute in der Konkurrenz mit den Osteuropäern womöglich sogar den Kürzeren zu ziehen. Das ist es, was ein ostdeutscher Pegida-Redner meinte, als er sagte, man wolle einfach keine „Zustände wie im Westen“ haben (FAZ 10.12.14).
Untergangs des Abendlandesmehr begeistert als für einen universellen Begriff von Zivilisation. Die Begriffe Abendland und Europa scheinen für das Gros der Pegida-Sympathisanten dennoch weniger mit Arier-Phantasien besetzt zu sein, sondern stellen vielmehr die positive Gegenchiffre zur negativen des Islam dar: Abendland meint deshalb auch mitnichten das reale politische Europa, sondern eine EU wie zu Zeiten Erhards, mit einem
Modell Deutschlandin der Mitte – aber eben nicht als Austeritätsvorreiter, sondern als Herz und Vorbild einer relativ losen Gemeinschaft von Staaten sozialetatistischen Zuschnitts – ein Wunsch, den Pegida übrigens mit dem Gros der Franzosen beispielsweise durchaus teilt. So pflegt Pegida denn auch, höchstens eine Art Rassismus der sauberen, überschaubaren Verhältnisse: die Özdemirs, die Daimler-Türken, gehören demnach eindeutig zu Deutschland; was nicht dazu gehören soll, sind die lebenden Resultate der Austerität, die Gangster-Rapper, Drogenverticker und salafistischen Mordbuben, die den Deutschen zum einen den bösen Zerrspiegel ihrer selbst vorhalten, zum anderen eine bedrohliche Vision der Zukunft der eigenen Kinder verkörpern. Dass die sauberen Verhältnisse im Osten dabei noch sauberer zu sein haben, dass man dort noch nicht einmal Flüchtlingen das sprichwörtliche Schwarze unter dem Nagel gönnt, ist dabei das sozialkonservative Erbe der DDR und der bösartigen Sehnsucht nach dem eingemauerten Kollektiv.
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