Nachdem der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts im März dieses Jahres verkündet hatte, dass ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen im Schuldienst nicht rechtens sei, weil das muslimische Kopftuch weder den Schulfrieden konkret gefährde noch die Neutralität des Staates unterlaufe (1), reichten die tonangebenden Stimmen der Berliner Republik die gängigen Superlative aus dem Kompendium politischer Sonntagsreden nach. Während Volker Beck (Grüne) die Stimmungskanone gab: „Das ist ein guter Tag für die Religionsfreiheit“, zeigte sich Theo Sommer (Zeit) von schwerer Last befreit und konzedierte, dass das Urteil nicht weniger bedeute, als einen „späten Sieg des gesunden Menschenverstandes“. Ein Triumph, der den in Hochstimmung versetzten Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung) dazu animierte, das Motto „Mehr Kopftuch wagen“ für die kommenden Jahre auszugeben.
Dass gerade die Meinungsmacher bei der Vorstellung vermummter Frauen im Staatsdienst in Entzückung geraten, hat neben dem persönlichen Zerfall der moralischen Urteilskraft den Grund, dass die notorischen Schönredner des Islam bestätigt bekommen, dass ihr Einsatz für die deutsch-islamische Verbrüderung mit der Verfassung dieses Landes konform geht. Höchstrichterlich abgesegnet ist nun auch der ideologische und praktische Beitrag, den der Islam bei der schulischen Elendsverwaltung von Schülern mit Migrationshintergrund leisten kann. Während die islamischen Sozialstrukturen die Deklassierten bei der Stange halten, auch wenn sie keine Perspektiven mehr haben, bedeutet der Einzug des Islam in die Schulen, dass Schülern, für die als Erwachsene der Dönerladen des Onkels oder Hartz IV vorgesehen ist, von klein auf beigebracht werden kann, dass sich mit ein bisschen Respekt von der Mehrheitsgesellschaft und dem Islam als Trostpreis auch ohne greifbare Chancen so schlecht nicht leben lässt. Wenn Udo Ulfkotte, ordinäre Ausländerhasser oder notorisch beleidigte Zonis die sogenannte „Islamisierung des Abendlandes“ für eine Verschwörung gegen Deutschland halten, basieren solche Fehlschlüsse im Regelfall auf der gestörten Wahrnehmung aufgeschreckter Deutscher. Das Establishment der Berliner Republik, das den Islam für sich entdeckt hat, obwohl dessen Gebräuche ein Hohn auf den demokratischen Jargon sind, den man an anderer Stelle pflegt, sieht gerade in der Einbindung des Islams das nationale Interesse gewahrt: „Wir brauchen ganz selbstverständlich muslimische Lehrerinnen und Lehrer, muslimische Beamte, Richter, Polizisten. Für mich ist es ebenfalls nur konsequent, dass wir gemeinsam darüber nachdenken, wie auch muslimische Wohlfahrtsorganisationen sozialstaatliche Aufgaben wahrnehmen können oder wie die muslimische Gemeinschaft sich noch stärker einbringen kann in die ethischen Debatten in Deutschland.“ (Sigmar Gabriel)
Dass es den Karlsruher Richtern nicht unwesentlich um volkspädagogische Unterweisungen von ganz oben ging, verdeutlichen Aufforderungen wie die, besonders in Gemeinschaftsschulen „den Schülerinnen und Schülern Toleranz auch gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen zu vermitteln.“ (2) Die dem postmodernen Zeitalter gemäße Selbstverpflichtung auf den interkulturellen Verständigungskitsch entpuppt sich dabei als Unfähigkeit, ein auch nur annähernd der Realitätsprüfung verpflichtetes Urteil zu fällen. Der „Eingriff in die Glaubensfreiheit“ der beiden muslimischen Klägerinnen, die gegen ihre Entlassung aus dem Schuldienst geklagt hatten, wiege schwer, so die Mehrheit der Richter, da es sich im Falle ihres Kopftuchs „– entsprechend dem Selbstverständnis von Teilen im Islam − um ein imperatives religiöses Bedeckungsgebot in der Öffentlichkeit handelt, das zudem nachvollziehbar ihre persönliche Identität berührt.“ (3) Dass ein imperatives Bedeckungsgebot in der Öffentlichkeit kein Grund zur Sorge, sondern bloß ein willkommener Anlass ist, die Glaubensfreiheit zu adeln, die ja im Falle des Islam auf nichts anderes hinausläuft, als auf die Freiheit zur Dummheit und Destruktivität, liegt daran, dass die obersten Richter des Landes die in der islamischen Alltagskultur gängigen Gewalt- und Unterdrückungsverhältnisse unbekümmert wegfiltern. Statt zur Kenntnis zu nehmen, dass überall dort, wo das Kopftuch als kollektives Gebot gesetzt ist, die Individualrechte auf körperliche Unversehrtheit und freie Entfaltung der Persönlichkeit von vor allem Mädchen und Frauen − aber nicht nur von ihnen − kassiert werden, erklärt man die Identität zweier Gesinnungstäterinnen zum schützenswerten Gut einer Gesellschaft, die sich von der Vernunft verabschiedet hat, und fällt damit allen in den Rücken, die sich ein Leben außerhalb der für sie vorgesehenen kulturellen Knaststrukturen wünschen. So nimmt es auch nicht wunder, dass man mit der „persönlichen Identität“ genau diejenige Lieblingsvokabel des neudeutschen Kulturschutzes ins Zentrum der Argumentation rückt, die vor Jahren in esoterischen Therapiekreisen aus der Taufe gehoben wurde, inzwischen aber immer dann zum Einsatz kommt, wenn irgendeiner Scheußlichkeit unter strikter Absehung von Wahrheitskriterien das Wort geredet werden soll.
Nur wenn das Tragen der „religiösen Bekleidung“ eine „hinreichend konkrete Gefahr“ für den Schulfrieden und die Neutralität des Staates darstelle, sei die Grundlage für ein Verbot gegeben. (4) Was nach der bescheidenen Ausgewogenheit eines bloß noch wohlwollend moderierenden Staates klingt, hintertreibt in Wirklichkeit die Sicherstellung eines einigermaßen rationalen und kalkulierbaren Schulablaufs. Dass durch renitenten Protest von außen in den schulischen Ablauf eingegriffen werden kann, werden insbesondere Eltern, die bei der Erziehung ihrer Kinder ein als Glaubensfreiheit kostümiertes ideologisches Interesse verfolgen, sehr schnell begreifen. Zusätzlich zur falschen Entscheidung, das Kopftuch überhaupt zuzulassen und dadurch das Repressionsbestreben sowie die Propagandamittel der islamischen Orthopraxie zu unterstützen, ermuntert das Urteil potentielle Krawallmacher dazu, ihren niedrigsten Instinkten freien Lauf zu lassen.
Das Gericht, das en passant an den Schulen das Recht des Stärkeren einführt, stellt es den Schulen oder Schulbezirken frei, zu unterschiedlichen Regelungen zu kommen: in den besser situierten Gegenden werden die Schüler von Kopftüchern verschont, weil es dort erstens kaum Lehrerinnen mit Kopftuchwunsch gibt und zweitens die Einheimischen den hochgeschätzten fremden Kulturen ihre bedrohlichen Gebräuche doch lieber selbst überlassen, um sie aus der Ferne umso toleranter konsumieren zu können. (5) In den islamisch geprägten Bezirken, wo islamische Sittenwächter ihren Seelenfrieden jetzt schon konkret gefährdet sehen, wenn ihnen freizügig gekleidete Frauen, Juden oder als ungläubig Verschmähte über den Weg laufen, werden die autoritären Einpeitscher samt Gefolgschaft so lange Zirkus machen, bis das Kopftuch auch in der Schule durchgesetzt ist. Sie werden auch keinen Grund sehen, nicht auch für weitere Islamisierungsmaßnahmen in den Ring zu steigen. Zum Beispiel dann, wenn ein Kreuz oder gar ein Davidsstern an einer Halskette oder eine unzüchtig gekleidete Lehrerin einen weiteren Anlass liefert, das Faustrecht des Glaubenskampfes für sich in Anspruch zu nehmen.
Der Verband Bildung und Erziehung, der zu den Kritikern des Kopftuchurteils zählt, weil die dort organisierten Lehrer die teils bedrohlichen Schulrealitäten aus eigener Erfahrung kennen, gibt denn auch zu bedenken, „dass bereits heute im Alltag von Schule und Unterricht erhebliche Schwierigkeiten durch unangemessenes bzw. unduldsames (und das heißt: intolerantes) Eintreten für radikal-religiöse Überzeugungen z. B. durch Eltern entstehen, wie sie u.a. durch traditionelle muslimische Gruppen propagiert werden.“ (6)
Unduldsamen Anhängern radikal-religiöser Überzeugungen wird das Erziehungsgeschäft künftig auch dahingehend erleichtert, dass sie unter Hinweis auf die sittsame Lehrerin mit Kopftuch die eigenen Töchter noch stärker unter Druck setzen können als bisher. Die Praxis, schon Minderjährige unters Kopftuch zu zwingen, ihnen alles zu untersagen, was in diesem Alter Spaß macht, und möglichen Widerstand durch autoritäres Drohen und religiös autorisiertes Angsteinflößen niederzuhalten, kurz: das systematische Verderben der Kindheit von Mädchen aus muslimischen Familien, erhält durch das Karlsruher Urteil den verfassungsrechtlichen Segen. Auch Eltern, die ihren Kindern die Freiheit lassen wollen, nicht sittsam herumzulaufen, werden so dem sozialen Druck religiöser Eiferer ausgeliefert.
Wer der Selbstermächtigung islamischer Kiezpolitiker das Wort redet, hat freilich auch kein Problem mit dem Tragen von Kopftüchern im Unterricht, von dem „für sich genommen noch kein werbender oder gar missionierender Effekt“ ausgehe, so die Richter. Dass ein Kopftuch auch dann eine Bedeutung hat, wenn ihre Trägerin nicht unverhohlen zum Konvertieren aufruft, übersteigt die Vorstellungskraft postmodern verblödeter Verfassungsstrategen. Abgesehen vom objektiven Bedeutungsgehalt, den ein politisches Symbol auch unabhängig von den Eigenschaften seines Trägers hat, wirkt eine Lehrerin als Person und wird von ihren Schülern, ob sie will oder nicht, als Repräsentantin der herrschenden Ordnung wahrgenommen. Gerade bei jüngeren Schülern firmiert sie anders als das Holzkreuz an der Wand als Identifikationsobjekt und Projektionsfläche unbewusster Triebimpulse. Trägt sie ein Kopftuch, vermittelt sie unabhängig von dem, was sie sagt, nicht nur die dem staatlichen Schulerziehungs-Auftrag zuwiderlaufende Ungleichheit zwischen Mann und Frau, sondern auch die Botschaft, dass es normal ist, unterworfen zu sein.
In der Taz erfährt man von einer muslimischen Lehrerin, die sich zwecks Ausübung der Lehrertätigkeit immerhin dazu durchringen konnte, das Kopftuch im Unterricht abzulegen, wie islamisch-orthodox sozialisierte Frauen ticken: „Plötzlich musste ich Bereiche zeigen, die für mich zur Intimsphäre gehören. Eine Bekannte sagte zu mir: Du hast bestimmt schönes Haar. Den anderen wird das gefallen. Okay. Aber für mich ist das in etwa so, als würde jemand sagen: Du hast bestimmt tolles, gewelltes Schamhaar. Zeig es mir doch mal!“ (7)
Das zutiefst schambesetzte Selbstbild dieser Lehrerin ist kein individueller Spleen, sondern das originäre Produkt einer auf weibliche Jungfräulichkeit fixierten Erziehungspraxis, die das Ziel verfolgt, Mädchen und Frauen so lange zu dressieren, bis sie als keusche Vorzeigefrauen der Familienehre parieren. Dadurch, dass dem islamischen Mädchen nicht nur dauernd eingeredet wird, dass sowohl sein Geschlecht als auch seine Lust allem zuwider läuft, was heilig ist, sondern die eingeforderte Unverdorbenheit auch Gegenstand permanenter Überprüfung ist, erlebt es unter der systematisch verängstigenden Kontrollpraxis der zum Überwachungskollektiv formierten Familie den restlosen Verlust von Selbstkontrolle und Autonomie. Aus dem Empfinden der Schlechtigkeit und Schmutzigkeit des eigenen Körpers, des eigenen Begehrens und der eigenen Wünsche resultiert jenes im Kopftuchwahn zum Ausdruck kommende Schamempfinden, das sich durch die in der islamischen Gemeinschaft allgegenwärtige Dämonisierung der Frau zur virulenten Störung radikalisiert. Das Gefühl des Kleinseins, das islamvernarrte Kulturrelativisten zuweilen als besonders schätzenswerte Form weiblicher Dankbarkeit propagieren, ist begleitet von einer misstrauisch bis feindlich gesinnten Wahrnehmung der Außenwelt, wozu auch das paranoide Gefühl zählt, unter Dauerbeobachtung zu stehen und bei jedem Ausgang tendenziell alle Männer anzugeilen. Das gewellte Schamhaar auf dem Kopf ist das Sinnbild einer Religion, deren Anhänger vor lauter Fixierung aufs Sexuelle notorisch verstört sind und gerade deswegen allen anderen mit ihrer deformierten Sittlichkeit zu Leibe rücken.
Man muss unterdessen kein passionierter Sexualpädagoge sein, um zu wissen, dass es im Lehrerjob sicher nicht unvorteilhaft ist, eine gewisse Gelassenheit gegenüber den pubertären Provokationen und der kollektiv ausagierten Triebhaftigkeit von Schülern an den Tag legen zu können. Das setzt jedoch voraus, nicht schon in der Bewältigung der eigenen Triebkonflikte vollends überfordert zu sein und an den islamischen Psychoticks manifest zu leiden, ohne auch nur auf die Idee zu kommen, dass der Grund fürs irre Schamerleben nicht in den eingebildeten Lustblicken der anderen, sondern in den islamischen Zumutungen zu suchen ist, denen man sich mit Haut und Haar verschrieben hat. Schüler und Eltern, die nicht nur das Kopftuch selbst, sondern auch seine gesellschaftlichen Voraussetzungen und individualpsychologischen Nebenwirkungen als fremd und bedrohlich erleben, sind nicht kleinkariert oder gar rassistisch, sondern haben sich die Mündigkeit bewahrt, die die Verfassung den Gesellschaftsmitgliedern für gewöhnlich unterstellt. Eltern, für die das Mittel der Saalschlacht nicht infrage kommt, die aber keinesfalls Komplizen der islamischen Ideologie und ihrer Träger sein wollen, und die auch dann ein Problem damit haben, dass ihre Kinder an die Barbarei gewöhnt werden sollen, wenn diese als gemäßigt und verfassungskonform erscheint, werden sich im Ernstfall nach schulischen Alternativen umschauen müssen.
Weil man die in manchen Problemschulen allgegenwärtige Asozialität islamisch sozialisierter Jungmänner, die sich sowohl gegen Lehrer als auch gegen Mitschüler richtet, mit den gängigen pädagogischen Mitteln nicht mehr in den Griff bekommt, setzt man ihnen demnächst ein paar Lehrerinnen im Kopftuch vor die Nase und hofft, dass die interkulturelle Pädagogik aus erster Hand zur Beruhigung des Unterrichts beiträgt. Ein bisschen islamische Tradition und Erziehung in Form islamischer Mutterersatzfiguren kann auch an deutschen Schulen nicht schaden, sofern es um die Unterschichten geht, so die implizite Botschaft derjenigen, die nun auch in den Schulen mehr Kopftuch wagen wollen. Dass die methodisch versierten und demokratisch sich gebenden Unterrichtsmaßnahmen und schulischen Erziehungsideale der Berliner Republik mit dem islamischen Erziehungsdirigismus punktuell zusammengehen sollen, mag irritieren. Doch der Islam, dessen erzieherischer Auftrag in erster Linie darin besteht, den Nachwuchs zum Gehorsam gegenüber Allah anzuhalten und die Heranwachsenden in die vom Schöpfer vorgesehene Ordnung einzufügen, unterscheidet sich in der Forderung nach grundsätzlicher Anpassungsbereitschaft nicht wesentlich von der besinnungs- und wunschlosen Hingabe an das als unveränderbar abgehakte Elend, die den Menschen im Spätkapitalismus abverlangt wird.
Auch in der Zeit vertraut man auf die pädagogische Wirksamkeit gezielt verabreichter Dosen Islam und unterlegt den Ruf nach einer Ausweitung des Islamunterrichts mit aufdringlicher Onkelhaftigkeit: „Ihr seid willkommen, ihr gehört zu uns, wir nehmen euren Glauben ernst. Außerdem ist er ein Mosaikstein in der Präventionsarbeit gegen Extremismus, wenn die Moscheen Jugendliche auf Sinnsuche nicht erreichen, und diese dann den Islam nur von Djihadisten im Internet beigebracht bekommen.“ (8) Die herrschende pädagogische Vorstellung, dass man vollends verrohte Sadisten, die sich an Hinrichtungsvideos von Djihadisten im Internet aufgeilen anstatt altersgemäßen Beschäftigungen nachzugehen, dadurch auf den richtigen Weg zurückführen könne, dass man ihnen mit akzeptierender Sozialarbeit in korangemäßer Fassung kommt, lässt sich anscheinend durch nichts widerlegen. Nicht mal vom eklatanten Misserfolg der gerade sehr angesagten Präventionsarbeit. (9)
Bei der marketingstrategischen Aufrüstung, die der bundesdeutsche Verbandsislam zwecks Imagewechsel aktuell betreibt, spielt das Bild der Akademikerin mit Kopftuch eine herausragende Rolle. In Zeiten, in denen die militanten Vollstrecker der reinen Lehre der Welt täglich die Abgründe ihres Glaubens vor Augen führen und so die Mär vom prinzipiell toleranten Islam gründlich widerlegen, wird die Vorführung besonnener Islamvertreter mit Hochschulabschluss immer wichtiger. Anders als die Einkaufstüten schleppende Hausfrau, die in Kopftuch und Second-Hand-Kleidung ihrem Mann hinterhertrottet, steht die kopftuchabwärts modisch gekleidete und eloquent parlierende Repräsentantin des Islam für Fortschritt, der je nach Kultursparte auch als Rebellion der Bitches daherkommen kann: „Oft schwirrt das Bild der mit Aldi-Tüten bepackten Kopftuch-Türkin mit langem Mantel im Kopf herum – das ist vorbei, Bitches! Wacht auf! Das Kopftuch ist längst kein Zeichen der ungebildeten Kanaken-Putzfrau mehr – das Kopftuch ist Punk!“ (Lady Bitch Ray)
Nicht Punk, aber ein bisschen Hipster sind auch die paar Frauen, die das Kopftuch mit Accessoires, Röhrenjeans oder Hornbrillen kombinieren, um auf diese Weise dem dunklen Image des Kopftuchs entgegenzuwirken, dabei aber in erster Linie die Verträglichkeit von islamisch präformierter Ich-Verpanzerung und buntem Kopftuch samt modischem Style unter Beweis stellen: „Gerade in Deutschland denken viele Menschen, dass Kopftücher dunkel sein und zu langen, weiten Mänteln getragen werden müssen. Meine bunte und fröhliche Weise, damit umzugehen, überrascht.“ (10) Was mehr überrascht, ist, wie mühelos es den Kopftuchideologen zu gelingen scheint, auch modische Kleidung restlos zu assimilieren und in den Dienst einer bunt aufgehübschten Uniformierung zu stellen.
Die islamische Jugendorganisation JUMA – jung, muslimisch, aktiv tritt etwas seriöser auf, will aber ebenfalls darauf hinaus, dass die Zeit der Kanaken-Putzfrau vorbei ist. (11) Mitinitiatorin Sawsan Chebli, die inzwischen im Auswärtigen Amt als Vizesprecherin Dienst tut, muss wissen, was gut für Deutschland ist: „Achtzig Prozent unserer JUMA-Mädchen tragen ein Kopftuch, sind sehr gebildet und eine Ressource für Deutschland.“ (12) Möglich, dass man gerade als junger, muslimischer und aktiver Mensch eine Ressource für Deutschland sein kann, was genau genommen weder für die einen noch für die anderen spricht. Schlichtweg unbegründet aber ist die Behauptung, dass selbstbewusste Kopftuchträgerinnen für die Harmlosigkeit des Kopftuchs oder gegen Unterdrückung sprechen, sobald sie auf eine „bunte und fröhliche Weise“ damit umgehen und sich eine Hornbrille aufsetzen.
Um in Erfahrung zu bringen, dass sich die um demokratische Kompatibilität bemühten Vorzeigemuslima von Vertretern des militanten Flügel ihrer Religion meist nur graduell unterscheiden, genügt es manchmal, ihnen einfach zuzuhören. Fereshta Ludin, Deutschlands populärste Kämpferin fürs Recht auf Kopftuch, die schon vor Jahren mit der Aussage glänzte, dass sie sich vor lauter Diskriminierung „wie kurz vor dem Holocaust“ vorkomme, und die alleine wegen dieser moralisch verkommenen Selbstviktimisierung in keiner Schule etwas verloren hat, wird heute von ganz anderen Sorgen geplagt: „Schon immer hat es mich irritiert, wenn Frauen sich für fremde Männer übertrieben hübsch machten.“ (13) Der weibliche Bonus fürs Mitmachen in der patriarchalen Zwangsgemeinschaft ist der libidinöse Lustgewinn, der aus der eigenen Unterwerfung gezogen wird. Das passiert, indem sich die Korantreuen zur Kompensation des Verzichts auf selbstgesetzte Triebziele als Hüterinnen der Moral aufspielen und sich anderen Frauen überlegen wähnen, die sich – was immer das heißen mag – übertrieben hübsch machen. (14)
Möglicherweise ist es Ludins Gang durch die Bildungsinstitutionen zu verdanken, dass sie ihrer Irritation nicht auch noch dadurch Nachdruck verleiht, dass sie die ihrer Ansicht nach übertrieben Hübschen als westliche Schlampen tituliert, wie es in Schulen mit hohem Islamanteil bereits Usus unter den „gläubigen“ Schülern geworden ist. Viel mehr als lediglich etwas gemäßigte Böswilligkeiten im Namen von kollektiver Ehre und Sittlichkeit kann man aber auch vom gebildeten Islam nicht erhoffen. Den Gläubigen gilt auch Wissenserwerb als bloßes Mittel zum rechten Glauben, Erkenntnisgewinn soll nichts anderem dienen, als die zu Höherem Berufenen zum intensiveren Koranpauken anzuhalten. Abgesehen davon, dass Bildung noch nie ein Garant für gute Absichten war und der Hang zu Kulturgütern zuweilen sowohl mit lächerlichem Dünkel als auch mit der Bereitschaft zur Brutalität harmoniert, belegt das blinde Vertrauen aufs demonstrative Bildungsgeschwätz scheinbar emanzipierter Kopftuchfrauen auch, dass keiner mehr einen Begriff vom Ideal individueller Freiheit zu haben scheint, das im klassischen Bildungsbegriff steckt.
Auch wenn die Bildung der Persönlichkeit, die von allem Gesellschaftlichen abstrahierende Rückwendung des gestaltenden Willens auf sich selbst, zur „Verhärtung der einzelnen Menschen, zum Hochmut, zum Privilegbewusstsein und der Verdüsterung der Welt“ (15) beigetragen hat, taugt das im klassischen Bildungsbegriff explizierte Versprechen von Zivilisation und Humanität auch heute noch als Einspruch gegen die Freiheitsverachtung und Einförmigkeit der islamischen Alltagskultur. Warum etwa Wilhelm von Humboldts Aufforderung an die Einzelnen, die herrschende Kultur zwar anzuerkennen, mittels „proportionirlichster Bildung“ aber auch über sie hinauszudenken, im Islam keine Rolle spielt, hat einen einfachen Grund: wer die Aufforderung annähme, hätte Allah abzuschwören.
Was Lehrer heute intensiver beschäftigt als die Frage nach den Möglichkeiten von Bildung in der verwalteten Welt, sind die Probleme, die der Sexus aufwirft. Der Konsum von Internetpornos oder frühreifes Verhalten gehören zu den beliebtesten Themen auf Pädagogikkonferenzen, wo die neuesten Schrecknisse aus der sexualisierten Gesellschaft mit einer finsteren Miene vorgetragen werden, die man sonst nur in Katastrophenfilmen sieht, wenn der Präsident vor die Kameras tritt und der von den Bildschirmen versammelten Menschheit verkündet, dass es gleich zum letzten Mal knallt. Während die einen zur Abwehr animalischer Gefahren auf sexualpädagogisch geschulte Notfallhelfer setzen, die mit Dildos und Kondomen bestückt in die Schulen einrücken, um vorzuführen, wie man’s richtig macht und als Zugabe die Kinder dazu auffordern, Überlegungen über Bordelle, Stellungen oder Analverkehr anzustellen, gehen die anderen bei der Vorstellung auf die Barrikaden, dass die Kinder etwas anderes kennenlernen könnten als die Tristesse der Ehe, die man ihnen täglich vorlebt.
Ein Würzburger Gymnasium, das nicht mehr länger gewillt ist, der grassierenden Schamlosigkeit tatenlos zuzusehen, hat unlängst eine Kleiderordnung erlassen, in der die unterfränkischen Lolitas präventiv zur Ordnung gerufen werden: „Auch wenn dein Bauchnabel ein Hingucker ist, solltest du ihn nicht der Schulöffentlichkeit präsentieren.“ (16) Abgesehen davon, dass solche Auskünfte im Zweifelsfall mehr über die besorgten Hingucker verraten, als über die Mädchen, die mit bauchfreien Shirts herumlaufen: Das Bedürfnis, potentielle Erregungsquellen aus der Öffentlichkeit zu verbannen, teilt der verklemmte Lehrer aus Würzburg mit dem überzeugten Moslem, der allerdings eine Religion hinter sich hat, die noch über genügend Vitalität und Einfluss auf die eigene Anhängerschaft verfügt, um körperliche Reize aus der Öffentlichkeit zu relegieren. Die Erziehungsregeln und Familienstrukturen jedoch werden auch für Nicht-Moslems attraktiv, sofern diese zu nichts anderem mehr in der Lage sind, als die bloß noch in perhorreszierter Gestalt wahrgenommene kindliche und fremde Sexualität mit heiligem Eifer zu befehden. Das Appeasement gegenüber dem Islam rührt auch an die über das Schulische hinausgehende Frage der Sexualität im Spätkapitalismus. Die islamische Absage an Individualität, Lasterhaftigkeit und sexuelle Konkurrenz scheint die zivilisationsmüden Europäer nicht zu schrecken, sondern zuweilen anzuziehen. Die unheimliche Liebe der Regredierenden zum Islam speist sich nicht zuletzt daraus, dass der Islam in ihren Augen für eine Welt steht, in der es scheinbar auch dann noch Zuspruch gibt, wenn man weder ökonomische noch zwischenmenschliche Erfolge vorzuweisen hat, und in der solcherart das Kopftuch die negative Aufhebung der sexuellen Konkurrenz versinnbildlicht.
Das überdrehte Interesse am Körperlichen und Sexuellen ist Folge eines Wirtschaftssystems, das alle Dimensionen des Daseins in Regie nimmt. Durch die Verschmelzung von Arbeit und Alltag übertragen sich die Regeln und Konkurrenzmuster des Betriebs auch auf die arbeitsfreie Zeit, in der mit der Ausweitung der Freizügigkeit und der kompetitiven Sportifizierung der Sexualität eine Kampfzone entstand, in der sich repressiv Entsublimierte, die ihr verbissenes und im Dienst der Entsagung stehendes Gerödel als urbane Lust- und Genussorientierung missverstehen, zu Höchstleistungen treiben lassen, um der Schwäche und dem Altern ihres Körpers ein Schnippchen zu schlagen – sei es durch Gesundheitswahn, Fettabsaugen oder manisch betriebenes „work-out“. Der unbedingte Wille, auch außerhalb der Arbeit erfolgreich zu sein, das ehrgeizige und mit buchhalterischer Disziplin bewerkstelligte Zurechtmachen für potentielle Partner und deren Zuspruch oder mehr noch: der selbstbezügliche Beweis des eigenen Erfolges noch bis in die Poren des Körpers hinein gleicht der Pseudoaktivität im Betrieb aufs Haar. Das auf Dauer genauso freudlose wie anstrengende körperliche und sexuelle Abgestrampel im Zeichen des Narzissmus, der gesellschaftlich adäquaten Form der Regression, korrespondiert mit quälender Ermüdung. Irgendwann will das krisengeschüttelte und von jedem kritischen Gedanken, jeder Hoffnung und Utopie befreite nachbürgerliche Subjekt nur noch auf die Couch oder phantasiert sich auf die Insel der Unglückseligen, deren Begehren von Anbeginn ausradiert wird wie das der Kopftuchträgerinnen.
Vom Zivilisationsfortschritt des Erotischen, vom Reiz des Fremden, das man im anderen sucht, ist nur die trübe Beziehungsarbeit physiognomisch und geistig Gleichgeschalteter geblieben. Statt Glück sucht man Anerkennung und Bewunderung in der nächstbesten Wohlfühlgemeinschaft, die genauso gut die Yoga-Gruppe wie die Diskobekanntschaft sein kann. Die Welt, mit der die narzisstischen Monaden nichts mehr anzufangen wissen, wird nur noch unter dem Gesichtspunkt der Stärkung oder Kränkung des verkümmerten Selbst katalogisiert. Spätestens dann, wenn den emsigen Freizeitmalocher im dauernden Vergleich mit anderen klar wird, dass man in der aufs Körperliche und Jugendliche abonnierten Kampfzone alleine schon deswegen nicht auf ewig mithalten kann, weil man älter wird, kann sich die zunehmend von Sexualneid geprägte Sicht auf die Welt in den stieren Blick des Hassenden verwandeln. Ihn drängt es dazu, sich von den Anforderungen des Denkens abzuschotten und die eigene Unzulänglichkeit bei der Bewältigung der triebökonomischen Überforderung und narzisstischen Frustration durch übersexualisierende Desexualisierung aufzuheben. Kehrseite der repressiven Entsublimierung ist die pathische Projektion, der Drang, die gesellschaftlichen Formen hinter sich zu lassen, um an den halluzinierten Verursachern der tief sitzenden Unzufriedenheit Rache zu nehmen.
Dass die Sexualtabus bei aller Sexshop-Libertinage nicht gefallen sind und am anderen immer noch wild bekämpft wird, was man selbst begehrt, bezeugen die ständig wiederkehrenden Verfolgungsrituale gegen sogenannte Kinderschänder, die kollektive Entrüstung über die Vorlieben anderer, oder die gehobene Häme gegen die Flachheit und Unnatürlichkeit kulturindustrieller Hervorbringungen. Prinzipiell kann es alles und jeden treffen, wenn dem aus der Fassung geratenen Deutschen die passenden Stichworte geliefert werden. Die abgrundtiefe Hässlichkeit des gesunden Volksempfindens zeigte sich zuletzt im kollektiven Aufstand gegen die Fernsehsendung Germanys Next Topmodel (GNTM), in der junge Frauen mit dem Berufswunsch Model in albernen Spielchen und teils entwürdigenden Szenarien um die Gunst der Juroren werben. So weit, so harmlos. Dass ausgerechnet diese eine Modelsendung, die sich ja von vielen weiteren Fernsehbanalitäten nicht unterscheidet, in regelmäßigen Abständen aufs Giftigste befeindet wird, liegt daran, dass das von den Juroren schadenfroh kommentierte konkurrenzgetriebene Gezänk ganz ungewollt offenlegt, wie es in der flexibilisierten Arbeitswelt zugeht. Jeden Unsinn mitmachen zu müssen und dabei noch dem Hohn der Kollegen ausgesetzt sein, die sich gegenseitig umso mehr anwidern, je drastischer ihnen der betriebsgemeinschaftliche Teamklamauk aufgedrückt wird, das kennen auch die auf Selbstbehauptung dressierten Kritiker von GNTM, sie wollen es aber nicht auch noch hören und sehen. Die dargebotenen Gehässigkeiten der Konkurrenz wären aber auszuhalten, wenn die Frauen, um die es geht, nicht hübsche Mädchen wären, die – wie naiv auch immer − davon träumen, nach Mailand oder Paris zu kommen, statt mit vierzig noch auf irgendeiner Dorfkirmes rumzuhängen. Im Modelgeschäft kann der bodenständige Deutsche nichts als Eitelkeit und Gefühlskälte erkennen. Lieber umgibt er sich mit seinesgleichen, als sich den Gefahren von Schönheit und oberflächlicher Verführung auszusetzen, deren Unerreichbarkeit er als Kränkung empfindet, die Vergeltung verdient.
Nachdem das Finale der diesjährigen Staffel wegen einer Bombendrohung abgebrochen werden musste, zeigte sich das kollektive Vergeltungsbedürfnis in rüdester Gestalt. Dass den als „Kotzmodels“ titulierten Frauen die Show vermasselt wurde, versetzte den Kommentarspaltenmob in freudige Erregung. Kotzmodel ist dabei die twitterkompatible Variante der laienmedizinischen Ferndiagnose Magersucht, die Laufstegmodels für gewöhnlich im Feuilleton ausgestellt wird, weil sie der deutschen Vorliebe für fruchtbare Landmädchen nicht entsprechen. Eine Manu, die auch nichts anderes als Kalorien im Kopf hat, fantasierte sich im Eifer der Katastrophengeilheit in die Rolle der Amokläuferin im Feldzug gegen dünne Mädels und steht dabei auch stellvertretend für den erschreckend heruntergekommenen Humor der Durchschnittsdeutschen: „Ich habe ne Kalorienbombe reingeworfen. Jetzt flüchten alle dünnen Mädels aus der Halle“ (17) Ob Manu einfach so garstig ist, weil die Kandidatinnen Sachen tragen können, die für sie nicht infrage kommen, weiß man nicht. Was man aber mit Gewissheit sagen kann, ist, dass die in Form missglückter Ironie ausagierte latente Gewaltbereitschaft nicht das Privileg kommentierender Wutbürgerinnen ist, sondern auch unter ausgebildeten Journalisten zum guten Ton gehört. Das nämlich stellte Jörg Thadeusz unter Beweis, der nach etlichen Jahren als braver Moderator und Reporter der Öffentlich-Rechtlichen in der Frankfurter Rundschau nun doch noch seine rebellische Seite entdeckte, indem er sich gegen die 17 bis 19-jährigen Mannequins heroisch in Pose schmiss: „Solange niemandem etwas passiert, ist eine Bombendrohung für die Topmodel-Sendung wie ein Wiener Schnitzel für ein Mannequin nach drei Tagen kalorienfreier Photosynthese: Verboten, aber einfach herrlich.“ (18)
Einfach herrlich soll es sein, ein paar Tausend Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen. Einfach herrlich finden so etwas auch die Islamisten, die seit Jahren gegen Schönheitswettbewerbe auf dem Kontinent mobil machen. Immerhin: Anders als die Islamisten will Thadeusz, dass niemandem was passiert, aber in Bündnissen wie diesen sind die Mittel bekanntlich Verhandlungssache, solange der Feind steht. Bisher konnte nicht ermittelt werden, wer die Drohung verursacht hat. Dass es tendenziell alle gewesen sein könnten, ist ein Grund zur Besorgnis.
Dass die zeitgenössische Gesellschaft dem Islam nicht mehr viel entgegenzusetzen hat, kommt jenseits der Feuilleton-Häme darin zum Ausdruck, dass auch die deutsch-konservativen Islam-Gegner bei der Feindbestimmung in die Bredouille geraten. In der Zeitschrift Tumult, wo schwerpunktmäßig im Carl-Schmitt-Duktus rechtsintellektuell über Werteverfall und Orientierungslosigkeit geraunt wird, bestimmt Gerd Koenen den Islam standesgemäß als Feind in eigener Gestalt und kommt dabei in psychosozialen Stress: „Wir können sogar mit Sicherheit sagen, dass die Befreiung der Frauen aus ihrer subalternen Stellung und die Entfaltung ihrer produktiven Potentiale der Schlüssel zur Entwicklung vieler und gerade der islamischen Länder ist. Was allerdings unterschätzt wird, ist die Tragweite dieser sozialkulturellen Umwälzungen und der sehr reale psychosoziale Stress, der mit der völlig selbstbestimmten und potentiell schrankenlosen Partnerwahl oder mit dem vollen Eintritt der Frauen in das professionelle Berufsleben und in die gesellschaftliche Öffentlichkeit verbunden war und ist.“ (19) Vermutlich ist der sehr reale psychosoziale Stress auch der Grund dafür, dass man sich in die Motive der Islamisten, deren Vitalismus man insgeheim bewundert, so problemlos einfühlen kann, auch wenn man ihnen das Instinkthafte noch Übel nimmt: „Die islamistische Gegenreaktion speist sich vielleicht weniger aus Puritanismus und Prüderie (die eher ein christliches Erbteil ist), sondern fast im Gegenteil: aus einer instinkthaften, aggressiven Abwehrreaktion gegen die tendenziell abstumpfenden Wirkungen, die eine permanente sexualisierte Infrarotbestrahlung ja in der Tat hat.“
In der bürgerlichen Gesellschaft ist es die vornehmliche Aufgabe der Schule, ihre Mitglieder zum selbständigen Verkauf ihrer Arbeitskraft anzuleiten und ihnen die nötigen staatsbürgerlichen Tugenden beizubringen. Die schulische Praxis erschöpft sich jedoch nicht im Zurichten auf Kapitalproduktivität und Staatsloyalität, sondern stellt den Einzelnen in gewissem Grade auch die begrifflichen Mittel zur Verfügung, das Verhängnis in kritischer Absicht reflektieren zu können. Im besten Fall wird beim Schüler der Wunsch geweckt, durch Anstrengung und Reflexion die eigene Beschränktheit zu überwinden und sich aus der Borniertheit von Familie und anderen Herkunftsgemeinschaften herauszuarbeiten.
Der im Widerspruch von Zurichtung und Befähigung steckende zivilisatorische Mehrwert droht aktuell kassiert zu werden: Das Schulkind ist zum sozialpädagogisch betreuten Fall geworden, dem vom Bündnis aus Eltern und Lehrern jeder Eigensinn ausgetrieben wird, und das irgendwann so kaputt ist, dass es gemeinsam mit Lehrern und Eltern für die Umwelt und gegen Amerika demonstriert, während die herrschende praktische Bildungspolitik und Unterrichtsgestaltung darauf abzielt, aus ihm einen flexiblen Bürotrottel zu machen.
So lange aber die Schule auch Räume eröffnet, in denen in Ruhe zugehört und gelernt werden kann, und so lange die institutionellen Regeln dafür sorgen, dass der Schutz der Unterrichteten vor physischer Gewalt und unmittelbarer Indoktrination gewährleistet ist, bewahrt sie den als Verheißung gegenwärtigen zivilisatorischen Überschuss. Nicht nur, aber ganz besonders, für Schüler aus streng islamisch geprägten Familien bietet die Schule oftmals die einzige Möglichkeit, Klügeres und Zivilisierteres kennenzulernen als das, was man von zu Hause gewöhnt ist: Eine Atmosphäre, die nicht vollends von Enge, Hass und Angst geprägt ist. Die gängigen Unterrichtsfächer, so beschränkt sie auch sein mögen, kennenzulernen, ohne dauernd mit Familienehre und stumpfem Koranzeug genervt zu werden, ist in ihrem Fall eine evident wichtige Erfahrungsmöglichkeit. Indem die Karlsruher Verfassungsrichter dazu beitragen, dass dieser Erfahrungsraum sukzessive schwindet, tragen sie aktiv dazu bei, die letzten Reste des schulischen Aufklärungsbeitrags zu zerstören.
Die bildungstheoretischen Schriften Adornos und Horkheimers, denen es nicht nur um die Rettung individueller Bildung, sondern auch um die Grenzen und Möglichkeiten von Mündigkeit und Reeducation ging, offerieren zwar keine Handhabe gegen den aktuellen Aufklärungsverrat, bei ihnen kann man aber Satz für Satz nachlesen, was derzeit so sträflich versäumt wird. Wie wenig die entscheidenden Texte von ihrer Aktualität eingebüßt haben, wird auch in den Thesen zum Verhältnis von Schule und Familie deutlich. Manche Passage liest sich, als sei sie als Gegenrede aufs Karlsruher Urteil konzipiert: „In Fällen, wo vom Elternhaus starker Gegendruck ausgeübt wird, dürfte ein Erzieher auch vor Konflikten mit den Eltern nicht zurückschrecken. Er müsste die Kinder lehren, dass das, was sie zu Hause hören, nicht lauteres Gold ist, dass ihre Eltern irren können, und warum.“ (20)
Aufgabe wäre neben der dringenden gesellschaftlichen Solidarität mit Schülern, die auf den Trichter kommen, dass das, was sie zu Hause hören, nicht lauteres Gold ist, den Familientyrannen, die es zum Einmischen in die Schulen treibt, konkrete Grenzen aufzuzeigen. Im Umgang mit den politisierenden Moslems wäre aufzugreifen, was Adorno in den Sechzigern gegen die Antisemiten empfahl: „Wo sie sich ernsthaft vorwagen […], müssen die wirklich zur Verfügung stehenden Machtmittel ohne Sentimentalität angewandt werden, gar nicht aus Strafbedürfnis oder um sich an diesen Menschen zu rächen, sondern um ihnen zu zeigen, dass das einzige, was ihnen imponiert, nämlich wirklich gesellschaftliche Autorität, einstweilen dann doch noch gegen sie steht.“
Die zur Verfügung stehenden Machtmittel gegen die reaktionärste Bewegung dieser Tage anzuwenden, das hieße selbstverständlich auch, das Kopftuchverbot für Lehrerinnen und Schülerinnen ohne Wenn und Aber durchzusetzen. Es gibt nur ein Problem: dass die gesellschaftliche Autorität offenkundig nicht gegen den Islam steht, sondern dabei ist, ihm überall dort, wo er sich vorwagt, den Weg freizumachen.
David Schneider (Bahamas 71 / 2015)
Frühere Aktivitäten sind im Aktuell-Archiv aufgeführt. Dort gibt es auch einige Audio-Aufnahmen.
Alle bisher erschienenen Ausgaben der Bahamas finden Sie im Heft-Archiv jeweils mit Inhaltsverzeichnis, Editorial und drei online lesbaren Artikeln.