Reprint Band 3

Vorwort

Die Jahre 2002 bis 2005, in denen die hier nachgedruckten Ausgaben der Bahamas erschienen sind, waren außenpolitisch durch den zweiten Irak-Krieg 2003 (die berüchtigte Redaktionserklärung Bush – the Man of Peace findet sich in Nr. 41 auf Seite 34) und innenpolitisch durch die 2005 erfolgte Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe durch die Hartz-Gesetzgebung geprägt. Daran dürfte man sich noch erinnern. In Vergessenheit geraten ist, dass am 3. März 2004 in der Londoner U-Bahn sowie parallel in einem Bus 58 Menschen und am 7. Juli 2005 in zwei Pendlerzügen auf dem Madrider Hauptbahnhof fast 200 Menschen im Namen des Islam ermordet wurden. Vier Monate später am 2. November 2004 wurde in Amsterdam Theo van Gogh auf offener Straße bestialisch ermordet. Die Ausgaben Nr. 44 und Nr. 46 widmen sich schon auf der Titelseite den Hintermännern dieser Untaten: nicht den Funktionären von Al Quaida, sondern den Repräsentanten der multikulturellen Gesellschaft, die das Grauen weg- oder schönreden und damit für die vielen Anschläge seither Mitverantwortung tragen.

Eine antideutsche Szene gab es damals noch und das Angebot der Redaktion Bahamas an die zumeist kurzlebigen Grüppchen und Zeitschriften, auf den Umschlaginnenseiten Werbe- oder Austauschanzeigen zu platzieren, wurde lebhaft genutzt. Zu der Demonstration „Flagge zeigen! Für Israel – gegen Old Europe“ (siehe Bahamas Nr. 44, S. 60 f.), die am 24.4.2005 in Hamburg nur unter erheblichem Polizeischutz überhaupt stattfinden konnte und dennoch mehrmals angegriffen wurde, waren gerade einmal 200 Leute gekommen, obwohl inklusive der Redaktion stattliche 24 „Organisationen“ aus dem ganzen Land dazu aufgerufen hatten. Die Attacken antiimperialistisch motivierter Steinewerfer und das ostentative Nicht-Verhalten der an der Zeitschrift Konkret orientierten „israelsolidarischen“ Linken (siehe Bahamas Nr. 45, S. 54 f.), die am Wegesrand standen, markierte das herannahende Ende einer interventionistisch agierenden antideutschen Szene.

Die Bahamas, die es sich mit Konkret endgültig und bald auch mit der Wochenzeitung Jungle World verdarb, nachdem sie die antisemitisch grundierten Narrative gegen Israel von Moshe Zuckermann in Konkret und die von Klaus Holz, Elfriede Müller und Enzo Traverso in der Jungle World rigoros angriff, verlor dann bald auch Autoren wie Thomas von der Osten-Sacken, Ralf Schröder, Matthias Küntzel oder Felix Riedel und später noch manche andere, die sich, jeder auf seine Weise, mit den deutschen Verhältnissen arrangiert hatten und sich als irgendwann gelittene Israel-Freunde bzw. Kritiker des „radikalen Islamismus“ etablierten wollten. Auch in den Jahren von 2002 bis 2005 begann die Auseinandersetzung mit Kombattanten, die es schon lange nicht mehr sind, die sich auf der einen Seite mit dem Liberalismus anzufreunden begannen und auf der anderen immer derbere Bekenntnisse zum Kommunismus heraushauten. Dagegen hatte sich die Redaktion, die Zeit seit 9/11 reflektierend, in der Ankündigung der Berliner Bahamas-Konferenz am 18. und 19. November 2005 so geäußert: „In frisch-fröhlicher Manier den Liberalismus abzufeiern; anzunehmen, dieser habe etwa in den USA oder Großbritannien ein angestammtes Vaterland, ein solides Fundament, eine überwältigende Anhängerschaft und sei gegen autoritäre Anfechtungen immun; daraus gar noch Hoffnungen auf eine menschenfreundliche Erneuerung der spätkapitalistischen Ökonomie abzuleiten, ist zum einen blanker Zynismus angesichts der Tatsache, dass ein Bezieher des britischen Mindestlohns an seinen Zahnlücken zu erkennen ist oder ein zum dritten Mal rückfälliger amerikanischer Straftäter für immer einfährt. Vor allem aber bedeutet es ein fast schon vorsätzliches Sich-dumm-stellen gegenüber der Ambivalenz des Liberalismus und impliziert eine grundsätzliche Verkennung der existierenden liberalen Potentiale, die in der gegenwärtigen Lage nicht nur naiv, sondern fast schon fahrlässig ist. Was einem in der heutigen Weltlage noch Luft zum Atmen verschafft, ist die Tatsache, dass es sich bei den USA und Großbritannien um zwei zum Glück zurückgebliebene Gemeinwesen handelt, in denen die negative Dialektik des Liberalismus bislang keine Chance hatte, an ihr totalitäres Ende zu kommen, und die im naturwüchsigen Fortschritt kapitaler Vergesellschaftung hin zur Barbarei im Vergleich mit Europa deshalb arg hinterherhinken – und hoffentlich nie aufschließen werden – und in denen deshalb immerhin beachtliche Restposten instrumenteller Vernunft anzutreffen sind. In diesem engen Sinn ist liberal organisierte bürgerliche Herrschaft, wie man sie in den USA und Großbritannien vorfindet, aktuell das einzig wirkungsmächtige Potential gegen den Faschismus, wie er im Namen von Islam, UN und Europa den ewigwährenden Djihad gegen Juden und Amerikaner zu führen sich anschickt.

Zugleich ist dies ein logisch unmögliches Unterfangen, weil der Liberalismus hier gegen etwas in Stellung geht, was er selber konstitutiv hervorgebracht hat – ein logischer Missstand, der umso erfreulicher jedoch ist, eben weil das logisch Unmögliche praktisch getan wird und es so unzeitgemäß und herausfordernd wirkt in seiner Zuversicht, gesellschaftliche Entwicklungen umgestalten zu können. Der beliebten Projektion des Feuilletons, bei den ,Neo-cons‘ handele es sich um verkappte Kommunisten, ist in diesem Sinn unbedingt zuzustimmen.

Diesen Zusammenhang zu benennen, sich über das stets Gefährdete liberaler Errungenschaften wenigstens nicht in die eigene Tasche zu lügen, gebietet intellektuelle Redlichkeit auch dann, wenn man weitergehende Aspirationen auf Emanzipation fahren gelassen hat: Das wäre ein entschieden realitätsgerechteres Verhalten, als sich die Kritische Theorie als Legitimationsanstalt für einen endlich richtig erkannten Liberalismus zurechtzulegen oder deren Erkenntnisse gleich ganz zu verleugnen. Umso mehr steht sie allen an, die aus wohlverstandenem Selbsterhaltungsinteresse mit Winston Churchill den bürgerlichen Verfassungsstaat zwar als die am wenigsten unangenehme Herrschaftsform anerkennen, aber zu Herrschaft als solcher auf Konfrontation gehen, weil sie die Bedingung dafür ist, dass gesellschaftliche Konflikte in kollektive Amokläufe übersetzt werden. Zu retten ist nicht die Kläglichkeit liberaler Ideologie und schon gar nicht ihre Praxis, die notwendig auf die Auslöschung jeglicher utopischen Ideen zielt. Vom Bürgertum bleibt lediglich, was die Option auf Befreiung einmal war, die in seinem Namen erstmals eingefordert wurde. Die Hinterlassenschaft des bürgerlichen Zeitalters ist das Streben nach ungeschmälertem Glück, das sich gerade im unglücklichen Bewusstsein, im Zerfallensein mit der scheinbar selbstbewusst geschaffenen gesellschaftlichen Realität manifestiert und in der Philosophie, wo sie triftig gerät, das Selbstbewusstsein, und in der Kunst, wo sie dicht und gespannt gelingt, Ausdruck verleiht. Was da die Klage über nicht eingehaltene Versprechungen auf Glück war, muss antideutscher Kritik Ansporn in ihrem Eintreten für eine Gesellschaft ohne Angst sein.“ (Bahamas Nr. 48, S. 35 f.)

Die Selbstetikettierung als kommunistisch, die Redakteure besonders bei Redebeiträgen auf kleinen Kundgebungen gerne benutzten, war der hilflose Versuch, das eigene Anliegen gegen die sich mehrenden Vorwürfe aus der Linken, man sei bellizistisch, imperialistisch etc., mithin „nach rechts abgedriftet“ abzusichern. In der eben schon zitierten Erklärung der Redaktion zur 2005er Konferenz „Kritik und Parteilichkeit“ wurde dieses Dilemma aufgegriffen: „Antideutsche Kritik muss und wird notwendig jeden scheinbaren Parteigänger verunsichern, der nach einer positiven Bezugsgröße fahndet, an die man sich halten kann. Antideutsche Kritik kann sich keines gesicherten Fundus’ versichern, am allerwenigsten jener Schlagworte aus den frühen 90er Jahren, als man jede ungeliebte Erscheinung mit dem Etikett ,völkisch‘ versah und unverdrossen einen waffenstarrenden deutschen Imperialismus mit eigenem Hinterhof in Südosteuropa wähnte. Sie wird vielmehr, gerade weil sie ideologiekritisch und nicht ideologisch ist, sich weder den Fakten und noch weniger der eigenen Erfahrung des Kritikers verschließen – eine Erfahrung, der deutlich vor Augen tritt, dass Deutschland nicht mehr militaristisch zerstört, sondern pazifistisch zerstören lässt, das aber von den alten Freunden. Gerade die realitätsvergessene Verachtung solcher Fakten, der empirischen Wirklichkeit, die stille Übereinkunft, sich auch generell mit Realität nicht befassen zu wollen, weil man das gar nicht nötig habe, zeichnet deutsche Ideologie in so niederschmetterndem Maße aus. Die Kritik am Islam – nicht an Übertreibungen, bedauerlichen Auswüchsen, Extremismus, sondern genau am Islam – hat in den letzten zwei Jahren unter Beweis gestellt, wie antideutsch es ist, sich mit der Sache selber in ihrer ganzen Rohheit und Schmutzigkeit zu befassen statt den Ideologen zu lauschen oder selber Ideologien zu zimmern. Dieser scheinbar nüchterne Zugang zum Erlebten, zum Material, eben zur Sache selbst, ist der einzig mögliche Zugang zur Empathie mit den vom Islam für Dreck Erklärten und in den Dreck Geworfenen. Empathie mit Theo van Gogh und Hatun Sürücü ist deshalb überhaupt nicht zufällig hierzulande hauptsächlich eine antideutsche Angelegenheit geblieben.

Diese Auseinandersetzung um die Sache, dieser daher nicht nur in Deutschland notwendig fremde Standort des Kritikers, der doch zugleich der einzig mögliche ist, muss man – ohne mit Stalinisten, Wertkritikern und anderen Missbrauchern über Eigentumstitel zu streiten – kommunistisch nennen. Das gilt auch trotz des Umstandes, dass der Versuch, sich durch ein bestimmendes Adjektiv – als antideutscher Kommunist also – hinreichend abzugrenzen, die Verbindung zwischen kommunistischer Sache und Parteigeschichte nicht ganz aus der Welt zu schaffen vermag. Gerade weil antideutsche Kritik sich nicht verabschieden kann von einem Anspruch, den zu Unrecht ‚die Linke‘ stets für sich verbucht hat, kann sie, auch wenn sie nie konstruktiv sein kann und wird, die Überzeugung nicht aufgeben, dass es etwas Besseres gibt als die jämmerlichen Verhältnisse, unter denen die Menschen auch in der liberalsten bürgerlichen Republik ihr Dasein fristen müssen.“

Dem hat die Redaktion bis heute nichts hinzuzufügen. Um den K-Gruppen-Jargon der 1970er und 80er Jahre aufzugreifen: die Bahamas hat sich in den Jahren seit 2003 von der vagen Hoffnung verabschiedet, innerhalb eines Bündnisses antideutscher Gruppen und Einzelpersonen agieren zu können, und hat sich zu einer Zeitungsorganisation mit Referentenbetrieb gewandelt, was wiederum zu einem sich beschleunigenden Generationswechsel bei den Lesern führte, die nun nicht mehr 40 plus mit langer und unrühmlicher linker Biographie waren, sondern unter 30 und immer häufiger ohne einschlägige Erfahrungen mit „linken Strukturen“. Der Auflage hat das nicht geschadet – im Gegenteil. Zur Verbesserung des Blattes hat die Emanzipation aus dem linksradikalen aber auch aus dem sich irgendwie antideutsch nennenden Solidarverband jedenfalls beigetragen.