Bundesjustizminister Heiko Maas, der vom Lifestyle-Magazin GQ wegen seiner „ausnahmslos perfekt“ sitzenden Anzüge Anfang des Jahres zum bestangezogenen Mann in Deutschland gekürt wurde, besticht nicht nur durch seine Kleiderwahl. Auch im entschlossenen Kampf gegen die nach seinen Worten nationalistische, autoritäre und frauenfeindliche AfD zeigt er sich als smartes Kerlchen, das weiß, was angesagt ist: „Bleiben wir ein modernes und weltoffenes Land, oder werden wir eine Nation verkniffener Spießer, die ihr Heil in der Vergangenheit sucht?“
Die nationale Schicksalsfrage, die Maas am 17.05. via Spiegel Online der Zukunft stramm zugewandt ans Volk gerichtet hatte, wurde knapp zwei Wochen später in seinem Sinne beantwortet. Als die Fehleinschätzung des AfD-Politikers Alexander Gauland (AfD), dass der Fußballspieler Jérôme Boateng von vielen Deutschen als Nachbar unerwünscht sei, publik wurde, brachte er damit nahezu das gesamte Land gegen sich auf. Die Deutschen, die natürlich alles andere als verkniffene Spießer sein wollen, erklärten den Fußballhipster Boateng prompt zum „Lieblingsnachbar“ und Gauland zum Depp der Nation. Zum Ergebnis, dass die AfD und ihre Vorturner in allen Belangen eine antiquierte Spießertruppe auf dem Neid-Trip sei, kam auch WELT-Autor Ulf Poschardt, der in Stilfragen mindestens so bewandert ist wie das GQ-Magazin. Der „AfD-Senior“ wohne wie die „Drombuschs“ in den Achtzigern, sehe in seinen britischen Sakkos aus wie ein „Edelmann vor den Zeiten der Globalisierung“ und gehe damit bloß noch als Vorbild für das muffiges Kleinbürgertum durch, dessen kleines Spießerglück längst aus der Mode gekommen sei: „Das körperliche und spielerische Genie Boatengs dagegen verkörpert etwas Unerreichbares: Physisch, zeitgeistig, ökonomisch. Und so sehr Boateng auch mit einfarbigen T-Shirts und nüchternen Turnschuhen die Wucht seines Reichtums dimmt, so sehr nervt es den Fertighausbesitzer in bald entvölkerten Landkreisen, dass sich diese neue Elite weder für ihr Deutschsein noch ihr bescheidenes kleines Glück interessieren muss.“ (Welt, 31.05.2016)
Abgesehen davon, dass diese neue Elite, als deren Klassensprecher Poschardt sich aufführt, beim Betonen der eigenen Weltläufigkeit entschieden provinzieller wirkt als Tante Erna mit Hut beim Sonntagsspaziergang um den Fertighausblock: Die AfD wird hier nicht wegen ihrer ideologischen Ausrichtung oder einfach deswegen angegriffen, weil sie darauf zielt, notorischen Futterneidern die miesesten Instinkte zu entlocken. Das Establishment der Berliner Republik bekämpft die AfD als Partei der Ewiggestrigen und Abgehangenen, die beim permanenten Flottmachen im Dienste des Kapitals als potentielle Hemmnisse beunruhigen. Die Zurückgebliebenheit der Krethis und Plethis aus entvölkerten Landkreisen wird zum Anlass genommen, ganz Deutschland auf Trab zu bringen: Wenn ihr euch „physisch, ökonomisch und zeitgeistig“ nicht anstrengt, endet ihr wie die Loser von der AfD, so die unverhohlene Botschaft.
Derweil haben sich die guten Deutschen im Kampf gegen die AfD zur Antifaschistischen Aktion Deutschland zusammengeschlossen und führen sich seit Monaten auf, als bestünde die Gefahr, dass sie morgen schon gegen den aufziehenden Faschismus an die Gewehre müssten. Was beim ganzen Nazipopanz jedoch auf der Strecke bleibt, ist eine einigermaßen realistische Einschätzung der neuen Problempartei. Ihr Erfolg basiert darauf, dass sie den in der infantilisierten Gesellschaft sich ausbreitenden Typus des streitsüchtigen und zunehmend enthemmt agierenden Narzissten mit den passenden Sprüchen im Glauben bestärken, zu den betrogenen Durchblickern zu zählen. Das nachbürgerliche Subjekt, das es zum rechthaberischen Politisieren treibt, kompensiert seine reale Ohnmacht durch die affektive Besetzung der eigenen Meinung, deren triumphale Inszenierung das Gefühl verschafft, zu denen zu gehören, die wissen, wo es lang geht. Ihre größte Fanbase hat die AfD gegenwärtig im Osten, wo das Bedürfnis, konformistisch zu rebellieren, besonders hoch ist. Dort wetteifert sie mit der Linkspartei um das volksnaheste Heimatschutzprogramm und hat gegenüber der parteipolitischen Konkurrenz den Vorteil, den fremdenscheuen Ossi mit Ausländer-Raus-Sprüchen umschmeicheln zu können, ohne parteiintern Widerspruch zu provozieren.
Unter den vielen angeknacksten Spinnern, die es zur AfD zieht, befinden sich auch antisemitische. Einer von ihnen ist der ehemalige AfD Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon, ein politisch verwahrloster Ex-Maoist, der einen Fimmel für Holocaustleugner hat, das „Talmud-Judentum“ als inneren Feind des christlichen Abendlandes halluziniert und im letzten Gefecht gegen den jüdisch unterwanderten Amerikanismus auf das deutsch-russische Kampfbündnis setzt. Nach einem langwierigen Hin und Her zum Fall Gedeon innerhalb der baden-württembergischen AfD Landtagsfraktion, das in dem lächerlichen Unterfangen gipfelte, Gedeons Hardcore-Antisemitismus mithilfe eines wissenschaftliches Gutachtens auf Echtheit zu prüfen, musste dieser schließlich doch gehen – nicht zuletzt auf Druck der Öffentlichkeit. Ein Druck, den die aktivistischen Antisemiten, die sich in der Linkspartei tummeln, noch nie zu befürchten hatten. Die im Bundestag sitzenden Gazagroupies Inge Höger und Annette Groth lassen seit Jahren keine Gelegenheit aus, die Palästinenser oder wahlweise sich selbst als Opfer zu inszenieren, um die Weltöffentlichkeit gegen Israel aufzuwiegeln, ohne dass es jemanden stört, wenn zwei deutsche Berufspolitikerinnen ihren Judenhass mit Friedenssticker am Wollpulli und antizionistischer Tarnkappe ausleben. Denn nach wie vor gilt linker Antisemitismus, so lange er als Antizionismus im demokratischen Jargon vorgetragen wird, als ehrenwertes Engagement für das unterdrückteste aller Opfervölker, während alle Bilderburchdemokraten die Reihen schließen und kollektiv entrüstet sind, wenn ein isolierter Rechter vom Talmud-Judentum schwadroniert.
Zum Lieblingsfeind der Deutschen wurde die AfD, weil sie den Islam nicht ausnahmslos als beglückende Bereicherung betrachtet, sondern auf die Scheußlichkeiten hinweist, die seine Anhänger fortwährend anrichten. Die Wahlerfolge der Rechten haben hierzulande endgültig dazu geführt, dass der Islam in einer Mischung aus Selbstekel und kulturrelativistischer Dummheit aufs Wahnsinnigste verteidigt wird. Schließlich will keiner mitschuldig sein, wenn hässliche Deutsche gegen Ausländer mobil machen – ganz so, als könne eine pointierte Kritik der islamischen Gewalt die Triebökonomie intellektuell und charakterlich vollends deformierter Ausländerhasser in irgendeine Richtung entscheidend beeinflussen.
Momentan zerlegt sich die AfD selbst. Die frustrierten und bis vor kurzem auf einsamem Posten streitenden Grantler, die nun auf Parteitagen, in Programmgremien oder Parlamentsfraktionen aufeinandertreffen, kommen nicht nur mit dem versifften System und angepassten Gutmenschen nicht klar, sie können sich offenkundig auch untereinander nicht ausstehen. Hinzu kommt, dass ihnen zur notwendigen Konfliktvermeidung die Soft Skills abgehen, die ihnen der Poschardt gerne als Integrationsmaßnahme zum besseren Klarkommen in der globalisierten Welt verordnen würde.
Ihr Abgang wäre gewiss kein Verlust. Aber was machen dann die Schönredner der fortschreitenden Islamisierung, denen als Entgegnung auf jede Islamkritik nicht wesentlich mehr einfällt als der inzwischen obligatorische Satz „Dann geh' doch gleich zur AfD“, der besonders authentisch klingt, wenn er mit leicht erregter Stimme und fuchtelndem Zeigefinger vorgetragen wird?
Eine Veranstaltung des Referates für Antirassismus und Antifaschismus im AStA der Universität Trier