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Einladung zur Bahamas-Konferenz

Leipzig, 5. Mai 2018

Die antinationale Linke hat in den vergangenen drei Jahrzehnten einen nahezu totalen Sieg errungen, ihre „Diskurshoheit“ ist so umfassend wie unangefochten. Waren es am 12. Mai 1990 in Frankfurt noch lediglich 20.000 Demonstranten, die „gegen den deutschen Nationalismus“ – so das Demo-Motto – durch die Straßen zogen und sich mit Pöblern und Polizei herumärgern mussten, so gibt es heute keinen hochrangigen deutschen Staatsrepräsentanten mehr, der diese Losung nicht unterschreiben würde. Ja, mehr noch, die offiziellen Slogans, die von ihnen heute auf allen Kanälen zum Besten gegeben werden, wären auf der damaligen Abschlusskundgebung sicher auch gut angekommen. So rief Volker Kauder, Fraktionsvorsitzender der CDU im Bundestag, anlässlich einer Feierstunde zu 55 Jahren Élysée-Vertrag Ende Januar aus: „Europa wird nur eine gute Zukunft haben ohne Nationalismus.“ Kurz darauf bekannte sich die Bundeskanzlerin beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos in gewohnt anästhesiertem Tonfall zum Antinationalismus als Staatsräson: „Wir sehen, dass es nationale Egoismen gibt. Wir sehen, dass es Populismus gibt. Wir sehen, dass in vielen Staaten eine polarisierende Atmosphäre herrscht. [...] Haben wir aus der Geschichte wirklich gelernt oder haben wir es nicht?“

Merkel und Co. haben fürwahr gelernt: nicht aus der Geschichte des Nationalsozialismus, wie es salbadernd vorgeschützt wird, sondern aus der kapitalen Erfolgsgeschichte der vergangenen 40 Jahre, der Geschichte von „transnationaler“ Produktionsauslagerung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistung. Sie haben gelernt, dass „nationale Egoismen“ der „Haushaltsdisziplin“ der europäischen Staaten schaden; sie haben gelernt, dass „nationale Egoismen“ der USA oder Großbritanniens dem deutschen Export schaden; sie haben gelernt, dass „nationale Egoismen“ der Produktions- und Aneignungsordnung des postmodernen Kapitalismus insgesamt schaden; dass sie nicht nur zu hohe Stückkosten zu verursachen drohen, sondern auch zu hohe Ausgaben bei den Löhnen und überhaupt bei den Systemen der öffentlichen Daseinsfürsorge, von der Altenpflege bis zum Wohnungsbau – und das nicht allein in Deutschland, sondern womöglich auch in jenen Ländern, die nicht nur den industriellen Rohstoff, die einfachen Teile, den Stahl und die arbeitsintensiven Halbfertigprodukte liefern, sondern auch Billigbauarbeiter und Billigpfleger sowie, nicht zu vergessen, die Billigmöbel, Billigfernseher, Billighandys und Billigklamotten für die Prekarisierten hierzulande.

Und Merkel und Co. haben noch mehr gelernt. Sie haben gelernt, die ehemaligen Bürgerinitiativen und Antifagruppen zur Zivilgesellschaft auszubauen, was den doppelten Vorteil bietet, vormals staatliche Regulationsaufgaben auszulagern und zugleich absolut verlässliche, weil hemmungslos konformistische Claqueure des postmodernen Kapitalismus zur Hand zu haben, die als gute „Globalisten“ und „Antirassisten“ alles, was den Menschen zwecks Exportoffensive und sozialer Deregulierung zugemutet wird, entweder gleich vorbehaltlos begrüßen oder – der eigenen Selbstachtung willen – mit notwendig konsequenzlosen Floskeln von „transnationaler Solidarität“ und dergleichen mehr garnieren. Das herrschende Personal hat gelernt, dass die Außerkraftsetzung des unnütz, teuer und lästig gewordenen ehemaligen Proletariats am reibungslosesten durchgeht, wenn jede Form kollektiver Interessenvertretung als „totalitär“, „rechtspopulistisch“ oder als Bandenbildung diffamiert wird, weil sie – so wie es die postmoderne Theorie vorbuchstabiert hat – das Besondere, Minoritäre, Abweichende normiere. Dieses Personal hat gelernt, das „Patchwork der Minderheiten“ nach Kräften zu fördern und dadurch immer weiter aufzufächern, von den Anfängen der „triple oppression“ bis zum heutigen, nahezu undurchdringlich gewordenen Dickicht von Bindestrich- und Sternchen-Identitäten. So gelang es rund zwei Jahrzehnte lang, die Hartz-Reformen und den Ausverkauf öffentlicher Wohnungen und Infrastruktur fast unmerklich in den Hintergrund rücken zu lassen im Lärm des Wetteiferns um in den allermeisten Fällen angemaßte und eingebildete Diskriminierungen und Weltbesorgnisse wie den sogenannten Klimaschutz – ein Wetteifern, das mit Projektstellen, symbolischen Events und gendergerechter Grammatik billig am Laufen zu halten ist. Kurz gesagt: Die zurückliegenden Jahrzehnte waren bestimmt von der nahezu kompletten Verschmelzung von kapitalen Erfordernissen, deutscher Ideologie und ostentativem Antinationalismus.

Globalisten gegen Hinterwäldler

So weit, so furchtbar. Doch was haben diejenigen gelernt, die an die antideutschen Aktivitäten des Jahres 1990 anknüpften und die damals aufkommenden Schlagworte bis heute und damit bis zum Überdruss wiederkäuen? Haben sie je darauf reflektiert, dass sich die einst bitter berechtigten Parolen gegen den Pogrom-Mob in Hoyerswerda und Lichtenhagen zu wohlfeilen Propagandasprechblasen der Islamophilie entwickelt haben, zu regelrecht sozialdarwinistischen Kampfparolen gegen die Alten, Uncoolen, Zurückgebliebenen in den wastelands des postmodernen Kapitalismus, die nicht mitkommen können oder wollen bei all der Flexibilisierung samt Zwang zum lebenslangen Lernen? Dass Slogans, die einstmals im besseren Fall den zivilisatorischen Rückstand Deutschlands gegenüber den Nationen im Westen thematisieren sollten, heute dazu dienen, alles, was sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland mühsam zivilisierte, aufzukündigen?

Weil sie jede Reflexion darauf verweigern, wie sehr die ehemals eigenen Positionen mittlerweile integraler Bestandteil der Zivilgesellschaft geworden sind, wittern diejenigen Antideutschen, die längst zu Hilfstruppen des Staatsapparats geworden sind, immer nur „Rechtspopulismus“, sobald einmal ausgesprochen wird, was unübersehbar ist: dass die antinationale Feinderklärung in Deutschland längst nicht mehr dem völkischen Ressentiment gilt (das in seiner Haupttendenz multiethnisch, islamsensibel und selber antinational auftritt), sondern ganz unmittelbar den Prekarisierten, Abgehängten wie auch denjenigen, die zumindest noch eine Idee davon haben, was einst Kosmopolitismus, Weltbürgertum oder Individualität genannt wurde. Beide werden von den Abfeierern von „Globalismus“ und „Transnationalität“ den Unflexiblen, Unmobilen – eben den Konservativen – zugerechnet, die noch immer nicht begriffen haben, worin sich heutige Antinationale mit den Nationalsozialisten einig sind: dass Leben permanente, so blinde wie blindwütige Veränderung bedeutet. Deshalb müssen die Überbleibsel des white trash ebenso wie die unberechtigterweise weiterhin an ihren Privilegien hängenden Bürger mindestens lächerlich gemacht und diffamiert, wenn nicht gleich gesellschaftlich entsorgt werden.

Die Liebe zu multikulturell befreiten Zonen ist in solch progressiv-globalistischem Milieu längst eins geworden mit der Parteinahme fürs dort herrschende Faustrecht, solange es von den Vorfeldkämpfern des Islam und nicht von sogenannten Kartoffeln ausgeübt wird. Zugleich stellt die ach so antisemitismuskritische Parteinahme für den generalisierten „Anderen“ samt des auch in kollektivpsychologischer Hinsicht höchst bedenklichen Hasses auf jede Art von Grenze die einstmals proklamierte Solidarität mit dem Nationalstaat der Juden immer offener zur Disposition. Symbolisch schlägt sich dieser Wandel darin nieder, dass aus dem „Nie wieder Deutschland“ von 1990 inzwischen ein infantil-zerstörungslüsternes „Deutschland kaputt hurra“ (Jungle World-Partymotto, 2015) wurde, bei dem schon rein sprachlich nicht mehr zu entscheiden ist, worüber der zur Bürgergesellschaft zusammengeschlossene antinationale Mob sich denn nun wirklich freut: ob über den alliierten Sieg über den nationalsozialistischen Unstaat, der kein bürgerlicher Staat gewesen ist, ob über die Zerstörung bürgerlicher Nationalstaatlichkeit zugunsten ethnisch partikularisierten Cliquenwesens, oder ob darüber, dass es wieder einmal Deutschland selber ist, das sich erneut im Alleingang und trotzdem in der Übermacht an jener Zerstörung versucht – gegen den Widerstand der USA und Großbritanniens, gegen den Widerstand der osteuropäischen Staaten und der westlichen europäischen Nationalstaaten insgesamt. Dass der antideutsche Mainstream, der solche Zerstörungslust noch propagandistisch befeuert, auf keinen Fall „rechtsantideutsch“ sein will, drückt die Reflexionsverweigerung schon sprachlich und logisch aus, denn „linksantideutsch“ ist eine contradictio in adjecto.

Diese Selbsteinschätzung verrät nur allzu deutlich, was es mit dem Protest „gegen Deutschland“ wohl bei vielen schon immer auf sich hatte. Nicht die gängige linke Sicht auf die Welt, die Vergötzung der Natur oder der gesellschaftlichen Verhältnisse auf dem Trikont als die kurrente Form deutscher Ideologie zu kritisieren, die sie ist, war die Intention. Intendiert war der antiautoritäre Widerstand gegen ein Land, das es als solches (außer vielleicht in der abgehängten sächsischen Provinz) nicht mehr gibt und, bei genauerem Hinsehen, allerspätestens seit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr gegeben hat. Denn weder war der Nationalsozialismus unmittelbar ein Abkömmling des preussischen Autoritarismus und Imperialismus, sondern vielmehr ein dynamischer, jugendbewegter, Grenzen verachtender Bewegungsstaat, noch war die Adenauer-Ära eine Zeit politischer „Restauration“ – auch wenn kulturell ein anderer Eindruck entstehen konnte –, sondern vielmehr ein Versuch der Wiederherstellung von Grundbedingungen, die es irgendwann doch einmal möglich machen sollten, dass die Deutschen Menschen werden. Dass dieses Vorhaben misslang, hat die antiautoritäre Revolte der späten Sechziger bewiesen, die in Deutschland vor allem ein Aufstand gegen die Verwestlichung von Politik, Institutionen, Habitus und Denkweise war, auch wenn sie die Bundesrepublik in der Populär- und Unterhaltungskultur scheinbar amerikanisierte.

Restauration als Popanz

Selbst die Kohl-Ära war alles andere als „restaurativ“. Hinter all den altnationalen geschichtspolitischen Kulissen, die errichtet wurden, dem Kokettieren mit Walsers „Auschwitz-Keule“, den Bocksgesängen von Botho Strauß bis hin zu desperaten Oder- Neiße-Revisionisten, die in den ersten Jahren nach der Annexion der DDR große Töne spucken durften, vollzog sich ein völlig anderer Prozess, der nach dem Ende des ostdeutschen Sozialstaats in Windeseile nachholte, was Margaret Thatcher in Großbritannien unter allerdings signifikant anderen Ausgangsbedingungen vorgemacht hatte: Zum einen die Privatisierung der staatlichen Großinstitutionen (Bahn, Post), ja überhaupt des gesamten Systems der Daseinsvorsorge, die gleich mitprivatisiert wurde, und zum anderen die flächendeckende Deindustriealisierung bei weitem nicht nur in der angeschlossenen DDR – ein Prozess, der in den Achtzigern in der Bundesrepublik erst zögerlich begonnen hatte, wobei ganze Industriezweige wie die Uhren- oder Textilindustrie leise entsorgt wurden, die Stahlindustrie hingegen immerhin etwas lauter.

Die rot-grüne Bundesregierung schließlich war es, die diese Kulissen abräumte und die entsprechenden Sozialreformen auf den Weg brachte, aber – und das ist entscheidend – nicht gegen die Linke, sondern mit ihr und deren eigenen Prämissen folgend. Diese Regierung und ihr Milieu konnten auf all das zurückgreifen, was die Linke seit ihrem Abschied vom Proletariat auszeichnete: den Kommunitarismus der Minderheiten, den Pseudoindividualismus der Selbstverwirklichung, die „Politik der ersten Person“ samt ihrer Aufhebung der Grenzen von öffentlich und privat, die kreative Elendsselbstverwaltung der Alternativ- und Ökobewegung, die Subversion, die jede gesellschaftliche Konvention ablehnt, den Antifaschismus schließlich, der sich gegen Nazis richtete, aber eigentlich „die Spießer“ meinte. Der Kampf gegen den Faschismus, der Aufstand der Anständigen gegen die Unanständigen also, erschien so deckungsgleich mit dem Kampf gegen den alten Sozialstaat – und da zogen jene Antideutschen voll mit, die gegen ein nichtexistentes Deutschland mit der verinnerlichten Überzeugung protestierten, dass der nationale Sozialstaat es gewesen sei, der Auschwitz verursacht hatte, und nicht eine antisemitisch-obskurantistische Jugendbewegung, die schuf, was Franz Neumann als „Unstaat“ bezeichnete. Und so tragen die „Linksantideutschen“ heute auch den Angriff auf die Grenzen mit, die den neuen transnationalen Wertschöpfungsketten nicht nur produktionstechnisch im Wege sind, sondern die zugleich auch den Souverän zwingen, sich irgend mit einer gegebenen Bevölkerung zu arrangieren, sie sozialpolitisch irgend einzuhegen, und damit die notwendigen, wenngleich nicht hinreichenden Bedingungen eines halbwegs zivilen Alltagslebens zu sichern.

Soll der Begriff überhaupt einen Sinn haben, dann wäre es die antideutsche Aufgabe schlechthin (ebenso wie es das Bestreben der Kritischen Theorie war), Deutschland, den ewigen Zerstörer, endlich zu verwestlichen – und nicht, wie es gängiger antideutscher Kartoffelhass will, ausgerechnet das zu zerstören, was an Deutschland, wie oberflächlich auch immer, zu verwestlichen gelungen ist. Unter den Bedingungen des postmodernen Kapitalismus müsste solche Verwestlichung vor allem darin bestehen, den herrschenden Apparat samt seiner Claqueure wieder dazu zu zwingen, Klassenkompromisse einzugehen (was einst im Zentrum der angelsächsischen Zivilisation und der von ihr hervorgebrachten administrativen Strukturen stand). Ein erster Schritt in diese Richtung müsste sein, das Bestreben dieses Apparats, zu teure und unproduktive Bevölkerungsgruppen zu brandmarken und am liebsten politisch wie praktisch zu entsorgen, sein Bestreben, disruptiv jedes gesellschaftliche Übereinkommen zu sprengen, keine Grenze mehr anzuerkennen (sei sie logischer oder sozialer Natur), als das, was heute deutsch ist, kenntlich zu machen und ins Zentrum kritischer Intervention zu stellen. Am deutlichsten wird solche Entsorgungswut in der unverhohlenen Hetze gegen die alten Weißen, zu denen auch alle Migranten zählen, die darauf bauten und bauen, hier im Westen zu landen, und die nicht Schwungmasse des antibürgerlichen, islamophil befeuerten Ressentiments sein wollen.

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