In memoriam Theo van Gogh
Und an seinen gescheiterten Versuch ungläubig zu leben
Theo van Goghs gemeinsam mit Ayhaan Hirsi Ali produzierter Film „Submission“ wurde nur ein einziges Mal in voller Länge (11 Minuten!) gezeigt und zwar im September 2003 im Rahmen einer Reihe des holländischen Senders VPRO, in der Prominente ein eigenes Programm gestalten durften. Van Gogh und Hirsi Ali waren beide so prominent, daß ihnen sogar Sendezeit zur Präsentation ihrer „antiislamischen Provokationen“ zugestanden wurde, aber in Holland ist man ja bekanntlich auch besonders stolz auf die Meinungsfreiheit. Auf eigene Kappe wollte allerdings auch in den liberalen Niederlanden keine Sendeanstalt die Ausstrahlung dieses Streifens nehmen – das ist auch heute noch so, 10 Tage nach dem Mord an Theo von Gogh.
Rühr ihren Glauben nicht an!
Eine im Rahmen des Programms tolerable Meinung, so die Botschaft der holländischen Medienwelt, transportiere „Submission“ nämlich nicht. Wie in Holland so in Deutschland. Hierzulande war der Film jedoch bloß in Fragmenten als Teil einer ARD-Reportage zum Mord an van Gogh sowie in Spiegel TV zu sehen. Das NRC Handelsblad berichtet: „Eingeklemmt zwischen einem Stück über den sozialen Dienst und einen deutschen Vergnügungspark verarbeitete Spiegel TV zwei nachsynchronisierte Filmfragmente in einer Straßenreportage über den Mord. Keines der beiden Programme ging auf die Koranverse ein, die Gewalt gegen Frauen zulassen.“
Man darf eben alles kritisieren, nur nicht den Islam und schon gar nicht sein heiliges Buch. Katajun Amirpur, die als laizistische „Muslimin“ einen bemerkenswert radikalen Artikel für die Süddeutsche Zeitung (11.11.2004) schreiben durfte, geht bei aller Kritik an den islamischen Communities genau vor dem Islam-Tabu in die Knie und liefert der multikulturellen Bande in Holland wie in Deutschland – vielleicht unfreiwillig – die Stichworte: „Muslime – gerade hier in Europa – täten gut daran, sich mit der Tatsache der Frauenunterdrückung auseinander zu setzen anstatt mit dem Provokateur. Denn es gibt diese Frauenunterdrückung in großem Maße; und auch wenn ihre Ursache eher im Patriarchat liegt, als Argument herhalten muß meist der Koran.“
Das Patriarchat also soll schuld sein an allem Leid des weiblichen Geschlechtes. Angewandt auf islamische Gesellschaften bedeutet diese Nutzanwendung: Die Ursache der Gewalt gegen Frauen sind die Männer, die sie ausüben. Die tun das, so wäre der Diskurs fortzuspinnen, weil in der Menschheitsgeschichte und damit in der Geschichte aller großen Kulturen die Frauenunterdrückung konstitutiv war und bis heute nicht überwunden ist. Womit sich jede und jeder erleichtert zurücklehnen kann mit dem Stoßseufzer auf den Lippen: Sind sie nicht alle Frauenunterdrücker, unsere westeuropäischen Machos genauso wie die moslemischen Paschas? Ist es nicht völlig egal, wie sie ihr Tun begründen, ob im Namen der stärkeren Faust und der dickeren Lohntüte oder im Namen eines heiligen Buches? Ist es nicht Ausdruck der gleichen patriarchalen Gewalt, wenn ein Mann seine Freundin dauernd bevormundet oder seine Frau gleich schlägt, vergewaltigt und ihr das Recht, Verhütungsmittel zu nehmen, bestreitet?
Womit auch schon beantwortet ist, warum Theo van Gogh, den sie gerade geschlachtet haben und Ayhaan Hirsi Ali, die die Todesliste der islamischen Djihadisten in Holland anführt, wie ehemals Pim Fortuyn, der von einem Djihadisten von der Tierrechtsfront seinem „gerechten“ Schicksal zugeführt wurde, nicht als Kritiker des islamischen Mordprogramms und damit als Antifaschisten gelten, sondern als Provokateure. Wenn das multikulturelle Gewissen sich meldet, der antirassistische Reflex den Körper durchzuckt, dann vergessen gerade die Vorkämpfer des Multikulturalismus, wofür sie einst sehr zu Recht und häufig mit Erfolg stritten: für das Recht von Frauen und Mädchen auf freie Berufswahl, selbstbestimmte Sexualität inklusive des Rechts auf Abtreibung und sexueller Verweigerung gegenüber dem rechtmäßig Angetrauten; für die Ahndung jeder Gewalt in der Ehe, für die Beweislastumkehr im Vergewaltigungsprozeß, überhaupt gegen jede religiös oder kulturell begründete Zuweisung einer geschlechtsspezifischen Rolle. „Das Weib sei dem Manne untertan“, diesen und ähnliche Sprüche aus einem heiligen Buch wagt heute kein Pfarrer mehr in der Kirche zu verkünden, da er von der Gemeinde und seinen Kollegen empört zur Rede gestellt werden würde.
Die Befreiung der Frau im Sinne ihrer Gleichstellung in Gesellschaft und Ökonomie ist auch im Westen noch immer nicht ganz erreicht. Nennt diese Ungleichheit von uns aus Patriarchat, aber hört endlich auf, das Schicksal von Ayhaan Hirsi Ali und Millionen ihrer Leidensgefährtinnen mit dem von – sagen wir – Kerstin Bergmeister aus der Kreuzberger Graefestraße auf eine Stufe zu stellen. Sagen wir, diese Kerstin hat ihren Lebensgefährten Paul aus der gemeinsamen Wohnung geworfen, als er gewalttätig wurde, weil sie nicht mit ihm schlafen wollte, und als er zurückkehrte, holte sie die Polizei, die ihm Hausverbot erteilte. Alle ihre Freundinnen und Freunde, ihre Eltern und Geschwister und auch der Pfarrer unterstützen sie bei der Trennung und bei dem Prozeß wegen Körperverletzung und sexueller Nötigung. Keiner fragt – sagen wir – Suzan Yildiz, die eigentlich auch in der Graefestraße wohnt, aber das Frauenhaus bevorzugt, warum niemand sie bei der Trennung von Metin unterstützt hat, oder Fatma Husseini, warum sie immer noch mit Abdullah zusammenlebt, den sie haßt, seit sie mit ihm verheiratet wurde.
Sind wir nicht alle Islamisten?
Theo van Gogh hat öffentlich darauf hingewiesen, was jeder weiß, aber niemand ausspricht, weil niemand in den Verdacht geraten will, ein Provokateur zu sein, der das friedliche Zusammenleben der Kulturen gefährdet. Van Gogh und auch Hirsi Ali haben – wie vor ihnen schon Pim Fortuyn – ausgesprochen, daß sich im Namen des Islam eine zunehmend gewalttätige Abschottungsbewegung großer Teile der Migranten aus islamischen Ländern vollzieht; daß im Namen eines kritiklos heilig gehaltenen Buches voll finsterer Verbote – des Koran – und einer ihm abgelauschten Rechtsordnung voll der drakonischen Strafen – der Scharia – die Lizenz zum Zuschlagen, Einsperren, Vergewaltigen und in letzter Konsequenz die zum Töten erteilt wird. Es ist nicht das Patriarchat, sondern jene im Namen des heiligen Buches sanktionierte Männerherrschaft, die von der Klitorisbeschneidung, über die Zwangsverheiratung bis zur Vergewaltigung in der Ehe alles im Angebot hat, was aus Frauen und Mädchen Arbeits- und Sexsklavinnen macht. Es ist nicht die perhorreszierte „europäische Leitkultur“, die es nicht gibt, in deren Namen die Moslems in Holland oder Deutschland zu gedemütigten und verhöhnten Menschen zweiter Klasse gemacht werden, denen noch die Religionsausübung beschnitten oder das Recht, kulturelle Attribute aus ihren Herkunftsländern zu tragen, verweigert werden würde, wie der islamische und multikulturelle Alltagsverstand zu wissen vermeint. Nein, es ist eine identitäre Bewegung, die unter dem Slogan „zurück zur wahren und einzigen Religion“ tiefste Unfreiheit verkündet und wo man sie läßt, auch durchsetzt. Mit der Folge, daß nicht die multikulturelle Mehrheitsgesellschaft „den“ Moslems irgend etwas aufherrscht, sondern die dauernd wachsende fromme Minderheit unter ihnen immer mehr frustrierten Männern, Frauen und Jugendlichen das Selbstbewußtsein vermittelt, auserwählt und einem Auftrag verpflichtet zu sein. Der Auftrag heißt: Reinigt erst Euch selbst und dann die eigene Umma, die sich zunächst auf zwei oder drei Stadtteile in Den Haag beschränken mag, von allem Eurer Religion nicht gemäßen Ungeist. Nehmt nicht nur das Recht auf freie Rede und auf freie Religionsausübung für Euch in Anspruch, sondern pocht auf die Bewahrung Eurer kulturellen Identität, ein Recht, das nicht nur in Holland ungeschriebenes Verfassungsgebot ist, und holt Euch, was das islamische Zwangskollektiv für die Zurichtung seiner Mitglieder braucht: Moscheen, am besten mit Minaretten und plärrenden Muezzins, islamische Kindergärten, Schulen, Kulturzentren und Koranschulen und laßt Euch das am besten vom multikulturell ausgerichteten Staat finanzieren. Erzwingt im nächsten Schritt Toleranz für Euren gott- und kulturgegebenen Umgang mit Frauen und Mädchen, Eure gottgegebene Abscheu vor Homosexualität, freier Liebe oder Pornographie und fordert schließlich von Euren multikulturellen Bündnispartnern, was sie nur allzu gerne gewähren: Partnerschaft beim weltweiten Auftrag, die islamischen Völker vom vorzugsweise zionistischen oder us-amerikanischen Kolonialismus zu befreien.
Haltet den Provokateur!
All das funktioniert wundervoll. Nicht nur in den Niederlanden scheint man der Meinung zu sein, daß zur Integration des migrantischen Neuankömmlings nichts angemessener sei, als Verhältnisse bereit zu stellen, in denen dieser sich wie zu Hause fühlt. Nach dreißig Jahren stellt man fest, daß sich in der Tat viele Migranten zu Hause fühlen, nur nicht in den Niederlanden, sondern im islamisierten Kiez. In jenen Vierteln, in denen, wie in Den Haag und Amsterdam schon Realität, nachts viele „Weiße“ den Fuß nicht mehr setzen. So weit ist es in Deutschland nur deshalb noch nicht, weil die Mehrheit der Migranten aus islamischen Ländern Türken sind und nicht wie in den Niederlanden Marokkaner. Soll heißen: Nur weil ein eurozentristischer Provokateur namens Kemal Atatürk und seine Nachfolger in der Türkei einen ganz der westlichen Zivilisation verpflichteten Kulturkampf geführt haben, der wenigstens einiges vom islamischen Unheil aus der Gesellschaft gerissen hat, und die Staatsbürger auf laizistische Werte verpflichtete, ist die Re-Islamisierung unter Türken auch heute noch von vergleichsweise moderatem Ausmaß. Jedenfalls im Vergleich zu den qua selbst zugeschriebener Kultur und Rasse Auserwählten in der islamischen Welt, den bekennenden Arabern, zu denen sich fromme – nicht alle, sondern fromme – Marokkaner zählen, die in den Niederlanden die Mehrheit in den islamischen Communities stellen.
Pim Fortuyn wurde von der multikulturellen Gesellschaft stigmatisiert und zum Abschuß freigegeben, lange bevor ein durchgeknallter Tierschützer als Speerspitze der Bewegung den Finger am Abzug hatte. Mit Fortuyn, dessen Ansichten in vieler Hinsicht sehr unangenehm waren, aber eben weder faschistisch noch rassistisch – er sprach nämlich abfällig vom Islam und der islamischen Kultur und nicht von Rasseeigenschaften, die Bewohner islamischer Länder angeblich hätten –, mit Fortuyn hat das multikulturelle Holland nicht diskutiert und gestritten, es hat ihn als unverbesserlichen Populisten und Provokateur rechts liegen gelassen. Sein Mörder sei natürlich nur ein Einzeltäter gewesen, ganz ähnlich wie Josef Bachmann, der 1968 Rudi Dutschke schwer verletzte. Dabei liegt der Unterschied nur in der Lektüre. Der Dutschkemörder entnahm den Mordaufruf damals der Springerpresse, der Fortuynmörder hat politisch äußerst korrekte antirassistische Zeitungen von der Art der Süddeutschen Zeitung oder der Frankfurter Rundschau gelesen.
Theo van Gogh wird ähnlich wie Fortuyn als unverantwortlicher Schreier gehandelt. Einer, der so sehr provoziert hätte, daß sich nachträglich keiner wundern dürfte, wenn... Sein Mörder konnte auf das ideologische Backing multikultureller Gutmenschen gut verzichten, wurden doch die Fatwas gegen van Gogh viel ansprechender in der örtlichen Moschee verkündet als in der notorisch linksliberalen Trouw. Aber natürlich war auch dieser Täter ein Einzeltäter, wer dächte schlimmes über den zuständigen Imam oder nähme die im Internet kursierenden Mordaufrufe ernst? Hinter ihm steht niemand, außer eben der Provokateur van Gogh, der die Community jenes 26-jährigen Vollstreckers aus Marokko „bis aufs Blut gereizt“ hätte, wie die Berliner Zeitung es in einem Nachruf so unverbesserlich multikulturell ausdrückte.
Antifa heißt Blasphemie!
Im Jahr 2000 formulierte Theo van Gogh ein Minimalprogramm in Fragesätzen: „Haben Sie schon einmal etwas mitbekommen davon, daß der Sozialismus und damit die Sozialdemokratie aus der Aufklärung hervorgegangen sind, so etwa vor 200 Jahren, als man jedermann das Recht einräumte, ungläubig zu sein, das heißt, nicht zu knien vor Gott, Jahwe, Allah – oder wer auch sonst dem menschlichen Aberglauben entsprungen ist? Und daß damit auch das Recht des Ungläubigen sich über den Glauben lustig zu machen ein Recht für alle Menschen geworden ist?“ (zit. n. Welt, 8.11.) Manche aus der multikulturellen und antirassistischen Gemeinde haben davontatsächlich nichts mitbekommen – sie beschimpfen zwar den angeblich rächenden Gott derJuden und machen Witze über Mariä unbefleckte Empfängnis, an der mörderischen Rache-Religion der unterdrückten Völker oder ihrem geschäftstüchtigen Propheten mit, wie auch Theo van Gogh feststellte, seiner Vorliebe für kleine Mädchen, die er „befleckte“, nehmen sie keinen Anstoß.
Gerade gegen die Freunde des multikulturellen Kiezfriedens und ihre unmenschlichen Lebenslügen, die andere den Kopf kosten, gilt: Wer hinter das von Theo van Gogh formulierte Recht auf Ungläubigkeit für alle und das damit verbundene Recht auf auch höhnende Religionskritik zurückfällt, verdient es, öffentlich der Kollaboration mit den Mördern von Antifaschisten wie Theo van Gogh einer war, geziehen zu werden!
Wer van Goghs Minimalprogramm aber teilt, ist aufgerufen, alles dafür zu tun, daß sein gemeinsam mit Ayhaan Hirsi Ali gedrehter Film „Submission“ möglichst bald synchronisiert in Deutschland gezeigt wird und zwar in memoriam Theo van Goghs und in antifaschistischer Solidarität mit Ayaan Hirsi Ali, die sich im eigenen Land verstecken muß, weil niemand – außer den staatlichen Organen, deren Aufgabe dies ist – sie vor den islamfaschistischen Mördern schützen kann oder will.
Das ist eine Grundlage, auch dem neofaschistischen Mob hierzulande entgegenzutreten. Denn so wie in dem Slogan des Lesbisch Schwulen Verbandes Deutschland (LSVD), „Kai ist schwul, Murat auch“, eine Hoffnung liegt, so liegt in der Botschaft, die keiner plakatiert, die aber Realität ist, „Mirko steht auf Hitler, Ahmed auch“, eine Bedrohung, die kein Dialog mit diesen Nazis zu mildern vermag.
Redaktion Bahamas (12.11.2004)
Frühere Aktivitäten sind im Aktuell-Archiv aufgeführt. Dort gibt es auch einige Audio-Aufnahmen.
Alle bisher erschienenen Ausgaben der Bahamas finden Sie im Heft-Archiv jeweils mit Inhaltsverzeichnis, Editorial und drei online lesbaren Artikeln.