Titelbild des Hefts Nummer 31
Demokratischer Faschismus
Heft 31 / Frühjahr 2000
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Über die organische Zusammensetzung der Studentenschaft

Vermutlich manifestiert sich das objektive Zwangsgefüge spätkapitalistischer Gesellschaften und die damit einhergehende objektive Verblödung nirgendwo so sehr wie an der Universität. Als Ausnahme von der Regel universitären Daseins, dem stummen Leiden oder aber dem hysterisch-kreativen Mitmachen in Anpassung und Konkurrenz, dokumentieren wir diesen in Mannheim verteilten Text. Die Red.

Über die organische Zusammensetzung der Studentenschaft

Du bist in Gefahr. Im Fadenkreuz. Die Wirtschaft ist hinter dir her. Sie will dich, deine Ideen, deine Kreativität, deine lockeren Sprüche. Aber! Nur die Besten werden ausgewählt, und gehörst du zu ihnen? Die Hochschulen werden auf Vordermann gebracht, und „Autonomie, Leistung, Qualität und Wettbewerb sind die Leitbegriffe dieser Reform“, (1) meint Kultusminister Klaus von Trotha. Er schaut dir direkt zwischen die Augen ohne Wimpernschlag, und er sagt ganz leise, jedes Wort drohend betonend: „Für ihr Studium wünsche ich ihnen das nötige Glück und Erfolg!“ Viel Glück, du wirst es brauchen.

Der Landesverband der baden-württembergischen Industrie e.V. findet das Spitze, desgleichen Olaf Henkel, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Und du? „Genügt das Studium als Vorbereitung für den Beruf?“ fragst du ängstlich. (2) Besitze ich auch die nötigen Schlüsselkompetenzen: „spezifische Fachkompetenz, lerntechnische/lernmethodische Kompetenz, Fremdsprachenkompetenz, psychosoziale Kompetenz, interkulturelle Kompetenz, Medienkompetenz, sonstige Kompetenz“ wie genetisch bedingte Verehrung für Ältere und Vorgesetzte. „Ich hab Ehrfurcht vor schlohweißen Haaren.“ (3), das ist der Grundstein jeder Karriere.

Aufdringliche Arschkriecherei hast du natürlich selten nötig. Du hast in der Schule aufgepaßt und weißt: niemand kann dich zwingen, solange du nichts unterschrieben hast! Jetzt wirst du an der Universität, an der Hochschule für Verkaufologie, in der magischen Kunst der Geldvermehrung unterwiesen. Du lernst das galante Zitieren und den selbstbewußten Vortrag. Du merkst schnell, daß sich hier lächerlich macht, wer nachfragt, ob diese Wissenschaft einem guten Leben dient. Erfolgserlebnisse stellen sich ein. „Was kostet die Welt?“ rufst du, es gibt da noch ein besonderes Sparbuch. Aber du ahnst, von Semester zu Semester immer mehr, daß da etwas faul ist, daß du eben keiner Leistungselite angehörst, und daß hier auch nichts Nützliches, also Verkäufliches, hergestellt wird. Es gibt nicht genug Platz für uns alle auf dem globalen Markt, also auf der ganzen Welt. Du bluffst und hoffst dabei, daß niemand es merkt. Du merkst es selbst kaum noch, so gut ist deine Vorstellung.

Nur keine Panik, liebe Kommilitonen und Kommilitoninnen!

Hör auf einen der potentiellen zukünftigen Arbeitgeber, (4) der da sagt: „Wir haben mittlerweile, provozierend gesagt, einen gewissen Prozentsatz von Wohlstandsmüll in unserer Gesellschaft. Leute, die keinen Antrieb haben zu arbeiten, halb krank oder müde sind, die das System einfach ausnützen.“ Aber so schlimm wird es nicht werden: „Wir müssen in Kauf nehmen, einen gewissen Prozentsatz durchzufüttern, der wirklich nicht mehr fähig ist zu arbeiten.“ Der sogenannte soziale Frieden darf etwas kosten, so wenig wie möglich, so viel wie nötig. Wie teuer wird das werden?

„Wettbewerb steigert Leistung.“ (5) Natürlich haben sich ausnahmslos alle von der Idee verabschiedet, daß das irgendwie dem Wohl der Menschen dient. Das MARKET-TEAM, an der Mannheimer Universität ansässig, bringt es in seinem neuesten Plakat auf den Punkt: „Surviving USA! Deutsche Unternehmer auf dem härtesten Markt der Welt“: Überleben ist das, was der Kapitalismus dir noch zu bieten hat. Drei kommen durch, der Rest bleibt liegen. Der Klassiker der Betriebswirtschaftslehre Adam Smith sprach von der „unsichtbaren Hand“ des Marktes, die die Welt von alleine regelt – wenn wir sie nur lassen. Und das tut sie auch. Aber diese Hand hängt dir jetzt am Hals und würgt.

Oder streichelt sie dich noch, ganz locker, ganz entspannend? Bist du fit, fett dabei, mitten drin? Es wird Zeit, daß jemand dich unter das Mikroskop legt.

Nur nicht verelenden, um Gottes Willen nicht verelenden

Später willst du irgendwas mit Medien machen oder so, etwas Kreatives: Du wirst tagelang vor dem Bildschirm sitzen und Rückenschmerzen bekommen, immer freundlich und gut gelaunt dabei. Denn Höflichkeit ist das Schmiermittel der Produktion, auch Humor, da läuft es besser. Allerdings kann es bei guter Konjunktur leicht passieren, daß das Ziel aus den Augen gerät und die Menschen einfach so, ohne Sinn und Zweck, vor sich hinblödeln. Dann wird durchgegriffen, damit wieder Disziplin einkehrt. Und was diszipliniert besser als Angst?

Angst hast du genug, und das mit Recht. Du hast den festen Vorsatz, nicht sozial abzusteigen; und weil Angriff die beste Verteidigung ist, vergrößerst du den Abstand nach unten mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Mit allen Mitteln, mit den Waffen einer Frau und jeder chauvinistischen Masche, die noch Wirkung verspricht. Es ist kein Zufall, daß du nur leistungssteigernde Drogen nimmst – wenn überhaupt. Jetzt sollst du sogar noch „lebenslänglich lernen“ müssen, und der Gleichklang mit einer bestimmten Art der Gefängnisstrafe ist kein Zufall. Immer fit sein, immer alert, sich vor Viren und schlechter Laune schützen, das zerrt an den Nerven. Ständig bist du im Kommunikationsstress, brauchst eine halbe Stunde, um deine Emails zu beantworten, dann mußt du noch auf die Anrufbeantworter der Freunde sprechen, bei dem und der mußt du dich auch mal wieder melden ... Willst du nur noch elektronisch verkehren?

Du mußt jetzt nicht gleich in Selbstmitleid zerfließen, dir geht es immer noch besser als deinen „asozialen“ Altersgenossen, die du so lustig findest, bis sie dir eine – leider nicht heilsame – Ohrfeige verabreichen. Du weißt schon, warum du das Elend des studentischen Milieus (6) nicht mit dem Arbeitsamt vertauschst. Wenn du Soziologie studierst, dann redest du von Modernisierungsverlierern und Modernisierungsgewinnern (7) und unterschlägst, daß beide auf sehr verschiedene Art am selben Verhängnis leiden: Der böse Leistungsdruck macht dich fertig, aber an andere wird er gar nicht gestellt. Solche von niederer Herkunft, teilweise sind sie aus exotischen Ländern, in denen du nur Urlaub machst, aber bestimmt keine Dienstleistungsfirmen findest. Gerne würden sie zwischen eigenen Bedürfnissen und gesellschaftlichem Zwang vermitteln, aber sie dürfen nicht.

Den Konflikt zwischen eigenem Wollen und fremdem Müssen löst du jeden Tag, mal so, mal anders. In der Regel gelingt dir die Vermittlung, und das erspart dir manches. Die Schande beispielsweise. Aber bist du wirklich einverstanden damit? Gab es nicht diesen einen Augenblick auf der Demonstration während der Studentenstreiks, als ihr gemeinsam durch die Straße gezogen seid, und du überlegt hast, was du eigentlich willst? Diesen Sekundenbruchteil der Unzufriedenheit mit dem ganzen falschen Ganzen. War dieser Moment so kurz, daß er nur mit der neuen Swatch „Internet-time“ zu erfassen war? Jetzt bist du ein Streikbrecher, und das mußt du mit dir selbst ausmachen.

Mal im Ernst: was hast du denn vom Leben?

Wenn du in diesen Straßencafés sitzt und einen Cappuccino mit aufgepfropftem Sahnehaufen bestellst, bei einer anderen Studentin, die viel lieber auf deinem Platz säße und bei euch bestellen würde – geht es dir dann gut? Wenn du morgens dein Gesicht von der Tastatur erhebst, den Computer ausschaltest und aufstehst: wärst du nicht lieber irgendwo ganz anders? Deine Wohnung sieht aus wie ein Büro, und wenn du sie dir mit anderen Studenten teilst, sieht sie aus wie ein verwahrlostes Großraumbüro. Wie ihr am Wochenende zusammen schlaft, also Liebe herstellt, also Liebesmehrwert aneinander erzeugt, will ich gar nicht wissen. Du nennst das „poppen“, und so muß es sich auch anfühlen.

Du darfst dich nicht gehen lassen, wer weiß, wohin du rennen würdest. Du mußt Prioritäten setzen, unterscheiden, was wirklich wichtig ist, dich entscheiden, denn es gilt das eherne Gesetz, daß B sagen muß, wer A sagt; und wer Konsum sagt, muß auch Arbeit sagen. Natürlich auch mal sich was gönnen, was man vorher sich verdient hat! Alles in Maßen, sagt Paracelsus, was emotionales Gift ist, entscheidet die Dosis. Du betreibst Gefühlsmanagement, und sogar das wird zur Arbeit: du mußt Trauerarbeit leisten, Gefühle investieren, die Trennung wieder aufarbeiten und dann das Ganze wieder von vorn. Zum Schluß wirst du den Schmerz über dein verpaßtes Leben zulassen und den Löffel abgeben, endlich.

Sie haben dir damals die Lebensfreude nachdrücklich ausgetrieben, Mama und Papa. Und dann in der Schule hast du immer die mahnenden Beispiele vor Augen gehabt. Als sie dich dann endlich losgelassen haben, weil du langsam auf eigenen Füßen stehen mußtest, da hast du dich umgesehen in der Welt nach einem Grund zu leben, und du hast keinen gefunden.

Ich erzähle dir hier nichts Neues, du weißt es ja längst. Ich fasse nur zusammen, damit du vor dir selbst erschrickst. „Man muß den wirklichen Druck noch drückender machen, indem man ihm das Bewußtsein des Drucks hinzufügt, die Schmach noch schmachvoller, indem man sie publiziert.“ (8) Was für Munition ist nötig, um deinen Charakterpanzer (9) aufzubrechen? Du willst ein Existenzgründer werden, aber wie willst du diese freudlose Existenz begründen?

Franz Katz (Bahamas 31 / 2000)

Anmerkungen:

  1.  In: PRISMA 1999/2000, Zeitschrift für Studierende, publiziert vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg.
  2.  ebenda
  3.  Udo Jürgens in seinem gleichnamigen Song
  4.  Nestlé-Chef Helmut Maucher im STERN Nr. 47 vom 14.11.1996
  5.  Klaus von Trotha in: PRISMA 1999/2000, Zeitschrift für Studierende, publiziert vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg.
  6.  vgl. Situationistische Internationale, Das Elend der Studenten und der Beginn einer Epoche, Düsseldorf 1970
  7.  vgl. Ulrich Beck, irgendwo.
  8. Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, Einleitung, geschrieben Ende 1843 – Januar 1844. Aus: „Deutsch-Französische Jahrbücher“, Paris 1844
  9.  vgl. Wilhelm Reich, irgendwo

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