I. Ein übler beleumundetes Vergehen gegen die Allgemeinheit als „Abzocken“ kann man sich in Deutschland kaum zu Schulden kommen lassen. „Den Spitzenpolitikern ging jeglicher Anstand verloren. Der Ärger hat sich bei den Leuten zutiefst eingefressen. Dies ist der Dauerschaden“, befand Rudolf Augstein (Spiegel 3/2000). Wie im Rest der Republik empört man sich auch in Rathenow, einer Kleinstadt im Braungürtel um Berlin. Kaum anders als die Schlagzeilen staatstragender Organe, nur etwas rustikaler im Ton, geht Claudia R., Wirtin des „Super-Snack“ am Bahnhof, mit den „Abzockern“ ins Gericht: „Manche zocken wirklich ab. Was soll man sagen, wenn einem da mal die Faust ausrutscht.“ Das ist allerdings nicht als Aufforderung zum Abwatschen von Helmut Kohl oder Roland Koch gemeint, sondern richtet sich nur mittelbar gegen die „Politiker“, den „Staat“: In Rathenow „läßt der Staat alles verkommen“, schimpft Claudia R., denn „ das ganze Geld geht an irgendwelche Erdbebenopfer in der Türkei“. Das „ganze Geld“ wird also an Ausländer verpulvert, und die „zocken“ derart „ab“, daß dem gesunden Durchschnitts-Rathenower schon mal die Galle übergeht. Wagen es doch 47 in Rathenow untergebrachte Asylbewerber glatt, einen offenen Brief zu schreiben, in dem sie um Verlegung aus Ostdeutschland (früher DDR) bitten, nur weil einige von ihnen auf offener Straße krankenhausreif geschlagen wurden. „,Die wollen nach Westdeutschland, weil es dort mehr Sozialhilfe gibt‘, sagt ein junger Mann mit beigem Anorak und dünnem Schnurrbart, Michael der Bauarbeiter. ,Unverschämt‘, fällt ihm Rainer, der Bestatter, ins Wort. ,Wir nehmen die auf, und die beschweren sich auch noch. Die kriegen hier alles.’“ „Alles“ reduziert sich im weiteren Gespräch zwar bloß darauf, daß „die tütenweise die Kleider aus dem Sozialamt schleppen“ (Tagesspiegel, 21.2.2000), was dem Volkszorn allerdings keinerlei Abbruch tut.
So unverhältnismäßig, ja absurd sich das Ausmaß des Neides zu seinen Objekten – Erdbebenopfern und Asylbewerbern, die Kleiderhilfe plus 80 DM Taschengeld monatlich beziehen – verhält, so wenig bedeuten die diversen Polit-Affären einen tatsächlich nennenswerten Schaden für all diejenigen, die sich über Bargeldspenden und (unterstellte, aber unbewiesene) Korruption ereifern. Was heute eine „Staatskrise“ (Augstein) auslöst, die „Fundamente des Gemeinwesens erschüttert“, war und ist nicht nur auf kommunaler Ebene gang und gäbe, die fraglichen Summen liegen auch bei weitem unterhalb der Marke, die mit der sogenannten Flickaffäre gesetzt wurde. Schätzungsweise 214 Millionen DM an Spenden deutscher Industriekonzerne und Bankkonsortien hatte die von Adenauer 1954 ins Leben gerufene „Staatsbürgerliche Vereinigung“ (SV) allein zwischen 1969 und 1980 am Fiskus vorbei (vermutete Steuerersparnis der Unternehmen ca. 100 Millionen DM laut „Spiegel“ 4/2000) über Schweizer und Liechtensteiner Konten und Gutachtensfirmen der CDU und der FDP zukommen lassen.
Die Proportionen zwischen den zur Verhandlung stehenden Summen und dem Grad der öffentlichen Skandalisierung haben sich aber seit 1985 erheblich verschoben. Diente damals die Flickaffäre gerade mal zwei Spielzeiten lang als Stoff, aus dem zweit- und drittklassige Kabarettisten Kalauer und verschwörungsbesessene Journalisten Enthüllungspaperbacks schnitzten, so ist heute allein schon der Verdacht etwas ungeraden Finanzgebarens ein politischer Genickbrecher. Doch irgendetwas, das tatsächlich an das Chicago der späten 20er Jahre erinnern würde, so wie es der „Stern“ mit seiner „Don-Kohleone“-Kampagne suggeriert, ist seit dem medienträchtigen Haftbefehl vom 5. November des vergangenen Jahres gegen den ehemaligen Schatzmeister der CDU, Walter Leisler-Kiep, bis jetzt nicht ans Tageslicht gekommen, wenn auch die veröffentlichte Meinung nach einem ähnlich frei-assoziierenden Muster verfährt wie die öffentliche Meinung, der man im Rathenower „Super Snack“ lauschen kann: „Nicht nur die etwa zwei Millionen Mark an Barspenden, über die Kohl bisher berichtet hat, sind aufklärungsbedürftig. Ebenso unklar ist, wo die anfänglich acht Millionen Mark herkamen, die von der Hessen-CDU in der Schweiz angeblich so gewinnbringend angelegt wurden. Und auch für die nun entdeckten rund zehn Millionen Mark der Bundes-CDU fehlt die Quellenangabe.“ So weit, so eigentlich unspektakulär; den richtigen Mafia-Beigeschmack muß der „Spiegel“ höchstselbst an die Suppe geben: „Merkwürdig (!) passend dazu gab es jedenfalls (!) anderswo Millionenbeträge, über deren Verbleib derzeit noch immer die Staatsanwälte rätseln. 13 Millionen Mark waren verschwunden, als 1984 die alte Spendenwaschanlage der Konservativen, die ,Staatsbürgerliche Vereinigung‘ von den Ermittlern trocken gelegt wurde.“
Daß Kanther selber das alpenländische Startkapital der hessischen CDU als aus „Spenden“ stammend benennt – und nichts anderes als eben Industriezuwendungen waren die Gelder der Staatsbürgerlichen Vereinigung –, ignorieren der „Spiegel“ wie die „Zeit“, um die Assoziation zum Mafiosen herstellen zu können: „Plausibel erscheint nur ein Grund für Kanthers und des Prinzen Angst vor ordentlicher Buchführung: Das Geld war nicht sauber.“ (Zeit 4/2000). Der Spiegel kümmert sich nicht einmal mehr um die chronologische Anordnung des Nicht-Zusammengehörigen: „Und mindestens 85 Millionen Mark soll ab 1993 die französische Firma Elf Aquitaine für den Deal mit der Raffinerie Leuna und den Minoltankstellen nach Deutschland gesandt haben.“ (Spiegel 4/2000) Ob es einen tatsächlichen Zusammenhang zwischen möglicher Bestechung im Fall Leuna und den undeklarierten (Alt)Spenden an die CDU inklusive der 100.000 Mark-Posse um das Duo Schreiber/Schäuble, die in der Kolportage wenige Zeilen später auftaucht, gibt bzw. überhaupt geben kann, interessiert den „Spiegel“ ebenso wenig wie es den Rathenower kümmert, daß 80 DM im Monat wohl kaum als „Abzocke“ zu bezeichnen sind.
Mag sein, daß Staatssekretäre und Lobbyisten bei der Privatisierung, sprich beim Verkauf des Petrochemiekombinats Leuna an Elf Aquitaine, Bares abgegriffen haben, ein Grund dafür, sich wieder einmal „belogen und betrogen“ zu wähnen, besteht speziell für die Bewohner der Region Sachsen-Anhalt in keiner Weise: Ohne staatliche Subventionierung für die Sanierung der Anlagen und die Draufgabe des Minoltankstellennetzes gäbe es heute in Leuna immer noch einen bloßen Industrieschrotthaufen postsozialistischen Zuschnitts statt einer funktionstüchtigen, wenn auch unter marktanalytischen Gesichtspunkten völlig überflüssigen, standortbenachteiligten Erdölverarbeitungsfabrik, einer, wenn man so will, schwerindustriellen ABM-Maßnahme unter französischer Beteiligung. Aber dafür ist – und da spricht natürlich Gregor Gysi dem repräsentativen „Super Snack“-Besucher aus der Seele – ist „die Affäre katastrophal für das Bewußtsein der ostdeutschen Arbeiter, etwa in Leuna. Während die sich mit winzigen Sozialplänen begnügen müßten, flossen womöglich Millionen Mark Schmiergelder.“ (SZ, 29./30.1.2000) Wer ein Recht auf eine saubere, heißt „national befreite“ Nachbarschaft reklamiert, verlangt eigentlich nur einen sauberen Staat, dessen Großreinigung man sozusagen in die eigenen Fäuste, nimmt; denn was soll „katastrophales Bewußtsein“ anderes bedeuten als offenes Nazitum? Der Geist, dem Gysi zwar hier noch den PDS-typischen Persilschein ausstellt, wird der Partei aber doch zusehends unheimlich. Die Enttäuschung bei den kurz zuvor abgehaltenen Kommunalwahlen in Thüringen, die zeigten, daß „die PDS keineswegs Nutznießerin der Affären bei CDU und SPD sei ... und es bislang keine automatischen Gewinne für die PDS gegeben habe“, veranlaßte die stellvertretende Parteivorsitzende Zimmer zur bemerkenswerten Einsicht: „Als Folge der Parteien- und Finanzaffären sieht die PDS die Gefahr einer ,Haiderisierung‘ der deutschen Politik. Die Strukturen dazu sind bereits vorhanden.“ (Tagesspiegel, 21.2.2000)
Und das nicht nur beim neidbeißerischen Durchschnittspublikum: Die „Thüringer Allgemeine“ lamentiert über „eine dem Verfall preisgegebene Gesellschaft“; in einer im Auftrag der „Leipziger Volkszeitung“ durchgeführten repräsentativen Befragung gaben 68% an, ihr „Vertrauen in die Demokratie“ verloren zu haben, gar 82% der Leser der „Magdeburger Volkszeitung“ wollten Parteispenden gänzlich abschaffen (damit letztlich die Parteien selber). (Presseschau im Tagesspiegel, 7.2.2000). Auf allseitig frenetische Zustimmung dürfte Jörg Haider demnach hier rechnen, wenn er – wie in Böhmes n-tv-Talkshow am 6.2.2000 geschehen – den Vorwurf Ralf Giordanos, er sei ein „Zwangsdemokrat“, lächelnd kontert: „Das ist doch kein Vorwurf. Wir leben in einer Zwangsdemokratie und wollen jetzt eine echte Demokratie, keine Parteienherrschaft.“
Daß die abgelehnte „Zwangsdemokratie“, in die die Befragten der „Leipziger Volkszeitung“ mit Sicherheit nur allzu gern ein nie vorhandenes Vertrauen verlieren, tatsächlich ein von außen aufoktroyierter „Zwang zur Demokratie“ bedeutet, kann man auch einfühlsam formulieren: „,Über das zarte Pflänzchen der Demokratie im Osten weht ein Eiswind‘, sagt der Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt.“ Weil der „Skandal“ bei nüchterner Überlegung dem „kleinen Mann“ keinerlei Schaden zufügt, grenzt es eigentlich an ein Wunder, daß Menschen, die sich, wie sie selbst gern sagen, für Politik gar nicht interessieren, überhaupt davon Kenntnis nehmen. Warum sie es dennoch tun, erklärt Patzelt völlig zutreffend: „Das ist der erste richtig große Skandal, das hagelt richtig rein. Und die Menschen haben hier einen viel tieferen moralischen (!) Anspruch.“ (SZ, 29./30.1.00).
Ein Moralempfinden, das ungerührt einen gehetzten Ausländer in Hauseingang verbluten läßt und den noch lebenden die Kleiderhilfe neidet, rührt wahrlich aus tieferen Schichten des Charakters, nämlich dessen analen Zügen, kurz pathologischem Neid und Geiz. Man mag – vielleicht sogar mit einem gewissen Recht – die besondere „moralische“ Empfänglichkeit im Osten für Politikerkorruption und Parteiskandale bestimmten Charakteristika des DDR-Alltags zur Last legen, der wohlvertraute deutsche Charakterzüge kontinuieren ließ statt ihnen den Garaus zu machen. Das ewige, wahrscheinlich häufig selbstzweckhafte „Organisieren“ und das stete, wahrscheinlich oft unangebrachte Gefühl der „Knappheit“ trug sicherlich dazu bei, daß der Neid eine Lebenshaltung bleiben konnte, die nie mehr danach fragte, ob es für sie überhaupt einen vernünftigen Anlaß gibt. Wenn Claudia R. vom „ganzen Geld“ spricht, sieht sie darin eine feststehende Menge, ein Kontingent von etwas unmittelbar Brauchbarem: Jeder außer ihr, der etwas abbekommt, hat sie übervorteilt – im Land der „Belogenen und Betrogenen“ sicherlich eine prototypische Erscheinung.
Mit diesem Neid hat auch die monströs aufgeblähte Haßfigur „Politiker“ ungemein viel zu tun. Das Bejubeln Kohls als neuem Führer und das alsbaldige Umkippen der Stimmung in apolitische Gehässigkeit, die der zu unterstellenden Anfälligkeit für den Typus Haider zugrundeliegt, verweist auf die Ambivalenz der Vater-Führer-Figur für den autoritären Charakter, der sich selbst als „ehrlicher Malocher“ gegenüber dem „verlogenen Angestellten-Wessi“ sieht. Der Führer-Politiker macht das, was alle wollen, dies aber von ihm (nicht vom papierenen Gesetz) verboten bekommen: Steuerhinterziehung beispielsweise. Solcher Neid in Moral gekehrt spiegelt sich in den maßlosen Phantasien über Reichtum, Komplotte und gern auch Ausschweifungen, die dem „Politiker“ angedichtet werden.
II. Auf den ersten Blick jedoch scheint zumindest ein großer Teil der Alt-Bundesbürger sich von diesem, autoritären Traditionsmodell beträchtlich entfernt zu haben. Der demokratische Musterknabe Alt-BRD (d.h. abzüglich seines „rückständigen“ Anhängsels) kann mittlerweile auf Vorwürfe, besonders autoritär, besonders nationalistisch oder besonders rassistisch (deutsch eben) zu sein, mit dem ausgestreckten Finger (und das mit einer gewissen Vorliebe) nach Frankreich zeigen. Dort sitzen die wahren Etatisten mit ihrem elitären Bildungssystem, ihrem Anti-Amerikanismus, ihrer „Front National“. Das, was sozialdemokratische Historiker einmal als integralen Bestandteil des „deutschen Sonderwegs“ bezeichneten, sozusagen die hardware von Antisemitismus und Rassenwahn, ein „gestörtes Verhältnis“ zur Marktwirtschaft und zur Spekulation, mit einem Wort zum Finanzkapital, und ein übermäßiger Etatismus, ein Versessen-Sein auf Regulierung – wird das heute nicht in größerem Maße links des Rheines praktiziert? Als ob da nichts gewesen wäre mit dem historisch einmaligen Versuch, sich des „jüdischen Prinzips“, der Spekulation, der Zinsknechtschaft, des Gewinns ohne Mühe und Rücksicht aufs Gemeinwohl zu entledigen, jagt eine Privatisierungswelle die andere und hat die Volksaktie (Telekom) den Volkswagen als nationales Symbol ersetzt.
Der Aktionärskapitalismus, der die faschistische Planwirtschaft endgültig in die Rumpelkammer der Geschichte gestellt zu haben scheint, setzt dementsprechend ein für deutsche Verhältnisse neuartiges Gegenprinzip, nicht mehr die Börse, sondern den defizitären Staat, nicht mehr die Rendite, sondern die Steuern und Abgaben. Gerade darin, in dieser Dichotomie zwischen der Produktivgemeinschaft und dem von ihr als äußerlichem, rein privativem Störenfried wahrgenommenen Staat hat sich trotz der Tatsache, daß die Dichotomie wie das liberale Gegenmodell aussieht, der strukturelle Faschismus des Tauschsubjekts durchgehalten. Wie zum Hohn auf jene Historiker, die noch im Spätkapitalismus auf die zivilisierende Kraft des Universals Geld setzten, hat in Deutschland die frei konvertible D-Mark bloß zu einer Verschiebung des faschistischen Ressentiments, das im Namen der ehrlichen Arbeit gegen die Zirkulationssphäre opponierte, geführt. Es hält fest an dieser Spaltung, verlagert sie aber zusehends ins Geld selber und iin dessen Quellen: Die D-Mark ersetzte den Reichsarbeitsdienst als Garant, sich gesichert reproduzieren zu können kraft der „Natureigenschaft“, Deutscher zu sein. Deutsches Geld im Gegensatz beispielsweise zur italienischen Lira verkörperte zusehends in einer Art Transsubstantiation das Stabilitäts- und Schutzversprechen des faschistischen Staates. Je weniger sich der Bürger sicher sein kann, sich gegen die Tücken der Spekulation unter staatlicher Prokura in den Öffentlichen Dienst oder in die industrielle Massenarbeit zurückziehen zu können, desto tiefer in die Höhle des Löwen verschiebt er den DM-Fetischismus. Selbst an der Börse müssen Aktien deutscher Unternehmen anders sein – mit vaterländischer Sozialbindung, naturrechtlich renditebringend und krisenverhütend.
Damit entsteht aber auch ein neuer Typ des zirkulären Wahns, der eines autoritären Anti-Etatisten, dessen Konjunktur mit dem Auftauchen des „Steuerrebellen“ Mitte der 70er Jahre ihren Anfang nahm. Der Quasi-Automatisierung der Reproduktionsgarantie durch das Deutschsein des Geldes wie das seiner Derivate, des Zinses und der Rendite, eine Auffassung, die durch Arbeitsverausgabung zunehmend bloß mehr rationalisiert denn begründet wird, zeitigt jenes oben beschriebene Verhältnis zum Staat.
Einerseits wird dieser mitsamt seiner technischen und administrativen Infrastruktur und der von ihm erwarteten Überlebensgarantie zu einer selbstverständlichen, wie selbsttätigen Naturgegebenheit. Die Wiener „Neue Kronenzeitung“ gibt einen prägnanten Eindruck dieser Wahrnehmung: Angesichts der sich hinziehenden Regierungsbildung in Österreich fragte sie ihre Leser, „ob wir überhaupt eine Regierung brauchen, wo doch auch ohne sie die Busse fahren und Polizisten Verbrecher jagen“. (zitiert nach Spiegel 5/2000).
Andererseits tritt der Staat, statt bloß kostenlose Lebensvoraussetzung zu sein, Natur eben, auch als Fordernder auf. Er übernimmt damit im Bewußtsein die Rolle des Beschneiders des gerechten Ertrages, des verschwenderischen Wucherers. Daß er, um weiterhin die gesellschaftliche Naturbedingung darstellen zu können, notwendig defizitär wird und deswegen notwendig stets fordernder, erscheint als willkürliche Anmaßung. Der einfache Gedankengang, daß die technologische Rente, auf die mit der Telekommunikationsaktie spekuliert wird, durch den nächsten Rationalisierungsschub die Sozialversicherungssysteme und damit Beitrags- und Steuerzahler belastet, leuchtet weder Otto-Normalsteuerzahler noch der „FAZ“ ein. Diese freut sich über den bevorstehenden Untergang des etatistischen Molochs in Österreich nach gelungener ÖVP/FPÖ-Regierungsbildung mit unterschwelliger, aber deutlicher antisemitischer Stereotypie: Die SPÖ „hat ihre Tentakel in so gut wie alle Bereiche des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens ausgestreckt – von den Banken, den Versicherungen, den gemeinwirtschaftlichen Unternehmen, der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt bis in das Schul- und Hochschulwesen und in die Bundestheater. Eine ganze Generation von Österreichern, Unternehmer eingeschlossen, wurde im Geist des paternalistischen sozialdemokratischen Etatismus erzogen und verbogen. Es entstand eine riesige, sündteure Umverteilungsmaschinerie, welche die Unternehmen wie die Bürger auf unzumutbare Weise belastet, die Sozialbürokratie aufbläht und die Gelder von Hinz zu Kunz und von Kunz zu Hinz verschiebt.“
Der „kalkulierte Wahn“ der Europäer, von dem hier die Rede ist, die Aufregung um Haider, dient nur dazu, zu verhindern, daß das neue Österreich „die Überlegenheit einer liberalen wirtschaftlichen Ordnung gegenüber dem kontinentalen Etatismus vor Augen führen (könne) (...). Die durch die unverhohlene Mißachtung der demokratischen Willensbildung zustande gekommene ideologische Überregulierung der EU durch die Paladine des Etatismus von Chirac bis Schröder (...) ist eine vorzügliche Waffe des seinem Wesen nach totalitären Machtanspruchs der Linken.“ (FAZ, 12.2.2000.)
In der Abwehr des „totalitären, kontinentalen Etatismus“ erscheint Haider gar als liberaler Racheengel, als Verwalter des Erbes von Montesquieu, Say und Tocqueville, das die Franzosen verraten haben: „Und dann ist da noch ein dritter Grund für die französische Entrüstung: die Abneigung gegen den Liberalismus, in der Regel als ,Ultraliberalismus‘ geschmäht. Lang vorbei sind die Zeiten, in denen Jean-Baptist Say für den Freihandel und die Laissez-faire-Wirtschaft eintrat, Montesquieu für die Gewaltenteilung und Tocqueville für eine Demokratie nach amerikanischem Muster. Weder die Sozialisten noch die Gaullisten wollen vom paternalistischen Vorsorgestaat lassen. Daß es sich Haider in den Kopf gesetzt hat, die österreichische Proporzbürokratie zu zerschlagen, kann in einem Land, in dem jeder vierte Beschäftigte aus dem Staatssäckel besoldet wird, nur Widerwillen erregen.“ (Tagesspiegel vom 16.2.2000) Gegen den französisch-belgischen Anti-Haider-Kurs setzten beide Blätter auf die sonst wegen notorischer Deutschfeindlichkeit gescholtene angloamerikanische „politische Kultur“ – eine Strategie, die aufgehen könnte.
Die deutsche „Parteienkrise“ wie der Aufstieg Haiders erscheinen als Startsignal dafür, mit denen aufzuräumen, die den „Staat zur Räuberhöhle“ (Augstein), zum Augiasstall ausufernder Steuern und Sozialabgaben verkommen ließen: paternalistischen Politikern, subventionierten Parteien, lobbyistischen Verbandsfunktionären.
Insbesondere die Hessen-CDU mit ihren Schweizer Konten steht im Zentrum dieses nicht abreißen wollenden Furiosos. Dessen in diesem Fall unüberbietbar groteske Züge hat aber meines Wissens nur ein einziger Kommentator bemerkt: „Die CDU mag dabei sein ihre Glaubwürdigkeit zu verspielen; ihre Wirtschaftskompetenz hat sie abermals eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Einer Partei, die ,sieben, acht Millionen vielleicht‘ (Kanther) von Mitgliedern und Spendern – mit anderen Worten Sparern (...)“ – besser noch Investoren – „(...) entgegennehmen und durch geschickte Anlagepolitik in ,Erbschaften‘ von 13 und einen Restsaldo von 17 Millionen Mark verwandeln kann, möchte man die Sanierung der verunsicherten Sozialversicherungssysteme lieber heute als morgen anvertrauen.“ (FAZ, 17.1.2000) Da hat der hessische Landesverband nicht nur quasi seine eigene Privatisierung betrieben, sondern genau die Eigenschaften an den Tag gelegt, die sonst gegen die öffentliche Steuer- und Subventionsmentalität ins Feld geführt werden: „Dank seiner Umsicht habe sich der heimliche Schatz beständig vermehrt. (...) Wittgenstein: ‚Auf diesen Teil der Geschichte bin ich heute noch stolz.’“ (Spiegel 3/2000)
Solches Verhalten könnte glatt als Testlauf für die Umsetzung der kursierenden Vorschläge, die öffentlichen Rentenkassen als Fonds in Kombination mit privater Altervorsorge zu bewirtschaften, durchgehen. Doch gedankt wurde es Sayn-Wittgenstein nicht. Der autoritäre Anti-Etatist, nur scheinbar das Gegenteil des klassischen deutschen Sozialcharakters, beerbt diesen vielmehr: In traditioneller wie in modernisierter Form wähnt dieser sich von Verschwörern und Räubern umstellt, spätestens dann, wenn es ums Geld geht. Strukturell antisemitisch ist nicht nur der Versuch, die Fondserlöse als „jüdische Vermächtnisse“ zu tarnen, sondern auch die Empörung über diese Fondserlöse. In der Hysterie von Leuten, die sich selber höchstwahrscheinlich ebenso am Internet-Broking beteiligen wie sie über die Kapitalertragssteuer schimpfen, scheint sich ein tiefsitzender Widerwille gerade auch gegen das eigene Tun am Skandalobjekt zu entladen.
III. Die Ressentiments des ostdeutschen Neidbeißers und die seines ach so weltoffenen neudeutschen Landsmannes sind seelenverwandter, als man es auf den ersten Blick meinen möchte. Das Ammenmärchen von Erich und den Räubern, allen voran Alexander Schalk-Golodkowski, die sich derart bereichert hätten, daß es in der Endphase der DDR zwar wenig Videorekorder, dafür aber umso mehr Schlaglöcher und Stromausfälle gab, ist zu urtümlich, um in identischer Form auch die öffentliche Wahrnehmung des westdeutschen Parteienskandals bestimmen zu können. Dennoch wird diese für die CDU so prekäre Parallele in den Medien gern gezogen: „Waffenhändler Schreiber ist der Schalk-Golodkowski der CDU.“ (Tagesspiegel, 23.1.2000).
Das Bedienen des Korruptionsphantasmas nämlich ist seit 1989 der Eckpfeiler der deutschen, aber auch insgesamt westlichen Welt-, d.h. Weltkrisenerklärung geworden. Schalk-Golodkowski treibt sein Unwesen mittlerweile überall: Die von ihm zum Schaden der DDR angeblich veruntreuten Summen sind nicht nur in der Zone, sondern auch auf den Titelseiten ins Astronomische geschossen, um zu erklären, woher innerhalb von 20 Jahren ein derart großer Rückstand entstehen konnte. Diese Argumentation kehrt beständig wieder, ganz egal wie Schalk-Golodkowski im jeweiligen Falle tatsächlich heißt. Die Funktion,die sie erfüllt, bleibt stets die gleiche, ganz egal, wie real oder irreal der Korruptionsverdacht ist: Der ökonomische Kollaps Indonesiens beispielsweise, so wird suggeriert, wäre durch die byzantinische Kleptokratie des Ex-Diktators Suharto verursacht worden .
Daß der Sozialismus nicht mehr mitkam, da ist man sich einig, lag an der „Planwirtschaft“. Daß die postsozialistische Welt im Elend versinkt, das liegt selbstverständlich am illegitimen Fortbestand der Planwirtschaft, im selbstherrlichen politischen Eingriff in den an sich segensreichen Selbstlauf der Marktkräfte; daß sogar die „Tigerstaaten“ abstürzen, liegt demnach an deren staatlichem Dirigismus, mit dem untrennbar die Korruption und die individuelle Bereicherung des Staatspersonals verbunden wird. Aber auch die mit westlicher Billigung sich vollziehende Entmachtung ehemals verbündeter Autokraten ändert selbstverständlich nichts am Problem: Bloße man-power, und sei sie noch so katastrophal entlohnt, ist nach Weltmarktmaßstab definitiv nicht mehr konkurrenzfähig mit der höchst technisierten Arbeit der Metropolen. Daß gerade der daraus resultierende Kampf aller gegen alle um die letzten noch verbliebenen Plätzchen in den für den Weltmarkt arbeitenden Produktionsinseln der größte nur vorstellbare Korruptor ist, in diesem Sinne der gerechte und freie, deregulierte Wettbewerb alles andere als einen Gegenpol zur Korruption darstellt, daß also die Krise die Korruption befeuert und nicht umgekehrt, will niemand sich eingestehen. Die Bekämpfung der „Korruption“ ist zum einzigen Muster geworden, mit dessen Hilfe man die Wirkung der Abstraktionen, unter deren Folgen die Metropolen selber stöhnen, überhaupt noch personalisieren kann.
An allen Fronten wird gegen Windmühlen gekämpft: Die OECD verabschiedete 1997 eine Anti-Korruptions-Konvention, mit der die „bad governance“ gebannt werden soll; die Weltbank verfolgt seit 1994 ein Antikorruptionsprogramm; der EU-Kommissions-Skandal in Kombination mit dem Näherrücken der Zusammenbruchsökonomien Osteuropas ans Kernland führte im letzten Jahr zur Einrichtung der „Multidisziplinären Gruppe für Korruption“ (GMC), des Europarates (FAZ 24.12. 1999). Nicht nur die ehemalige Zweite und die Dritte Welt versinken im Schuldenchaos, auch die Krise des heimischen Sozialstaats äußert sich in der Staatsschuld. Entsprechend ähnlich sind die Rezepte, die die Weltbank den Dritt-Weltstaaten als Konditionen der Kreditgewährung abverlangt, jenen der Systemreformer der Ersten Welt – natürlich mit dem Unterschied, daß „Sparen“ dort Hungern heißt und „Selbständigkeit“ Ghettoökonomie und Kinderarbeit bedeutet. Abzuschaffen gilt es in beiden Fällen den Staat als Monopolhalter wie auch als faktischen Regulierer des Arbeitskraftverkaufs. Diese von der offiziellen Politik und Bürokratie ununterbrochen verkündete Maxime aber leitet Wasser auf die Mühlen der „Proporzstaatszerschlager“. Deren Perhorreszierung des intervenierenden Staates läßt ebendiese Politik, d.h. ihr tragendes Element, die Parteien, die per definitionem außerökonomische Gruppeninteressen vertreten, dem auszutreibenden Gespenst allzu ähnlich sehen. Die Parteien werden Gefangene ihrer eigenen Erfindung.
Wenn mit dem volkstümlichen Haß auf Korruption und Abzocke, der sich trifft mit dem offiziellen (und einzigen) Krisenerklärungsschema, „linke Politik“ gemacht werden soll, zeugt das von geradezu verbrecherischer Naivität. Oskar Negt, dem die „Haben-Gesellschaft“ ein Greuel ist, sieht in dem „Moral-Verfall“, der „das Gemeinwesen zur Beute betriebswirtschaftlicher Kalkulation (macht)“, auch eine Chance, nämlich auf „einen Lernprozeß (durch) Wiederherstellung eines autonomen öffentlichen Raumes politischer Handlungsperspektiven“. Wie man mit Betrügern und „Abzockern“ ganz autonom und in aller Dreistigkeit öffentlich umgeht, das müssen (Ost-)Deutsche nicht erst lernen – das praktizieren sie seit 1989. Daß „der gegenwärtigen rot-grünen Koalition diese Skandale wie ein Geschenk des Himmels vorkommen“, dürfte sich bewahrheiten: „Die sollte die Chancen wahrnehmen; denn die Wirtschaftsrepräsentanten sind dabei, sich auf eine längere rot-grüne Regierungszeit einzustellen“ (Freitag, 4/2000).
Nicht ein Revirement des integralen Etatismus, sondern die Befreiung von der Last seiner Kosten steht allerdings auf dem Programm – nicht den Gewerkschaften, sondern den Unternehmern kommt der Skandal gelegen: Diese hatten unverhohlenes Mißvergnügen bereits an der traditionssozialdemokratischen Einfärbung des Berliner CDU-Wahlkampfs geäußert; spätestens die zeitgleich lancierten Steuerpläne der CSU in Richtung staatlicher Konjunkturankurbelung haben das Feindbild des BDI längst verschoben.
Daß „diese Chance“ genutzt werden wird, das müssen in der Tat sowohl (noch) tariflich bezahlte Arbeitnehmer wie (noch nicht zur Zwangsarbeit herangezogene) Arbeitslose fürchten. Als Kohl- und Schäuble-Doubles, die das „Gemeinwesen“ durch Besitzstandswahrung bzw. Arbeitsscheu abzocken, wird ihnen der konzertierte Reformeifer der Unternehmerverbände wie der Schröder-Regierung gelten. Daß „Moral“ als Waffe gegen die Senkung toter Kosten der gesellschaftlichen Produktion keinesfalls zu gebrauchen ist, sondern vielmehr die passende Maske der antisozialen Aggressionen gegen Fremdlinge und Schmarotzer aller Art darstellt, das macht sich der moderne Sozialdemokrat zunutze – und der Alt-Sozialist wird es wohl nie verstehen.
Gleiches gilt in noch größerem Maß für die Koalition aus Soft-SEDlern, Blockflöten und Bürgerrechtlern, die jetzt publizistisch nachtritt gegen Kohl und die CDU, um sich für den schmachvollen Abgang zu rächen, der der Reform-DDR bereitet wurde. Pars pro toto erzählt Hans Modrow: „Die Machtausübung einer Person über lange Zeiträume ordnete er als ,systemübergreifendes Problem‘ ein, das ,wir schon in der DDR erlebten.’“(Tagesspiegel, 30.1.2000).
Statt sich provoziert zu fühlen, wird diese Parallele vom BRD-(Medien)-Establishment dankbar aufgegriffen: „Der Kronprinz wartet zu lange. Er hätte den Alten, den Übervater (!), den langjährigen Parteichef stürzen müssen. Um der Zukunft des Landes willen. (...) Dies ist also die Geschichte von Egon Krenz. Und die Geschichte von Wolfgang Schäuble. Die Parallelen zwischen der Krise der SED 1989/90 und der Krise der CDU 1999/2000 sind zu offensichtlich, man muß sie aussprechen, auch wenn einige den Vergleich empörend finden. .. Waren sie nicht wie feindliche Schwestern? Die Kalte-Kriegsparteien? (...) Sie sind beide nach 1945 entstanden, mit den beiden Staaten. Die feindlichen Schwestern beriefen sich beide auf den Antifaschismus, und beiden steckten die Traditionen des deutschen Obrigkeitsstaates in den Knochen.“ (Tagesspiegel, 23.1.2000).
Dem enttäuschten Abschied von einem Paternalismus, der zur Last geworden ist, fügt der „Merkur“ (11/99) das analytisch interessante Bild der Überwältigung bzw. „Überwucherung“ des Staates/Gemeinwesens durch Parteien/Paternalismus hinzu: „Weil ,die Parteien in den letzten Jahrzehnten sich mehr und mehr den Staat angeeignet haben‘, ist ,der lange Abschied von Vater Staat‘ unabdingbar“, das Ferment neuer Bürgerallianzen „ist die Ablehnung des väterlich-vormundschaftlichen Staates“. Da dürfen dann die notorischen Scheuchs, Erwin K. und Ute, auch nicht fehlen; sie empfehlen den aufständigen Steuerbürgern Bewährtes, nämlich die Guillotine: „Hohe Beamtenschaft und insbesondere die Führung der Politik (...) sind nicht länger Steuerleute von Teilsystemen im Dienste unserer Gesellschaft, sondern sie sind der neue Adel. Gemessen an den Praktiken des Feudalismus, ist in den meisten Fällen auch gar nichts an dem auszusetzen, was bei uns noch als Korruption beanstandet wird. Allerdings sollte die neue, noch illegitime Feudalkaste daran denken, wie es dem Ancien Régime erging, als die Führungsschicht nur noch aufwendig und nicht mehr nützlich war.“ (FAZ, 24.12.99)
Nicht nur, daß man mit Auftischen des SED=CDU-Vergleichs an der letzten, zuverlässigen Stütze des Sozialpaternalismus sägt und damit hilft, den „Reformstau“ zu lösen, der, einmal losgebrochen, sicherlich Resultate zeitigen wird, die jedem Altsozialisten, der nicht ausschließlich von „Arbeit“ um und vor allem zu jedem Preis träumt, angst und bange machen werden. Schlimmer noch leistet er der antitotalitären Depotenzierung des Antifaschismus weiteren Vorschub. Wenn Faschismus gleich Sozialismus gleich staatliche Regulierung ist, dann verschwindet der Faschismus als populäre Bewegung aus dem Blickfeld; dann wird vergessen, daß der keynesianisch/paternalistische Sozialstaat und der Realsozialismus tatsächlich eine Parallele aufwiesen: Sie mißtrauten der Bevölkerung bestimmt nicht wegen deren kommunistischer Sympathien; der Nicht-Faschismus in Fall eins und der Antifaschismus in Fall zwei hatte Bestand, weil und solange die Bevölkerung ruhigstellt und von den Entscheidungen ferngehalten wurde. Der Faschismus als populistische Bewegung kann auch im anti-etatistischen Gewand auftauchen, nicht um die Herrschaft selber in Frage zu stellen, sondern um ihre institutionelle Mäßigung abzuschütteln.
IV. Eine Liquidationslust, wie sie sich früher nur gegen die DDR richtete, rückt nun der alten BRD, der betulichen „Bonner Republik“ zu Leibe. Die „Taz“ (14.1.2000) postuliert in der Überschrift: „Das System selbst ist der Fehler“, und fährt munter fort: „Der Osten führte vor, wie schnell die Erosion eines Systems dieses auch beenden kann. Warum also nicht die Bundesrepublik von ihrem Ende her denken? Auch das Wirtschaften und Dienstleisten hat mit dem alten rheinischen Kapitalismus nichts mehr gemein. Warum sollte sich nicht auch das politische System drastisch verändern? Warum soll es für den Politiker alten Typs einen Bestandsschutz geben, den der herkömmliche Facharbeiter schon lange nicht mehr hat?“Wie ganze Industriezweige die Verfallszeit ihrer ökononomischen Daseinsberechtigung durch staatliche Subventionen zum Schaden der (steuerzahlenden) „Allgemeinheit“ überschreiten, so handhaben es auch die Parteien: „Ihre schwindende Verwurzelung in der Gesellschaft haben die deutschen Parteien in den vergangenen Jahrzehnten durch die Umwandlung in halbstaatliche Subventionsbetriebe kompensiert.“ (Zeit 5/2000) Wer denkt da nicht an Altlasten, Kohlepfennig, Politbürokratie und Planwirtschaft?
Als ein solcher Hemmschuh des Fortschritts erscheint auch der „Parteienstaat“. Die allgemeine Abneigung gegen ihn hat schon längst nichts mehr mit den ursprünglichen Tatbeständen des „Skandals“ zu tun; nein, „Parteienstaat“ ist zum Synonym des langen Siechtums des Sozialkorporatismus, zum Synonym auch der Sehnsucht nach Durchlüften, nach dem Zerhauen des gordischen (Schulden)Knotens, die die Bürger umtreibt, geworden. (1) Eine denk- wie merkwürdige Allianz aus staatsproletarischem Bonzenhaß und steuerbürgerlichen Deregulierungswünschen im Zeichen des „unverfälschten“ Volkswillens scheint sich abzuzeichnen.
Als „eine Therapie gegen die Staatsgläubigkeit“ erscheint T. Straubhaar, Präsident des HWWA-Instituts in Hamburg, der „CDU-Politskandal (...) (Er) beinhaltet eine zwar schmerzhafte, aber notwendige Lehre (...) Sie kann übereifrige Staatsgläubigkeit eindämmen. Sie kann gesundes (!) Mißtrauen wachsen lassen gegenüber dem leichtfertigen Delegieren von Kompetenzen an Politiker, Funktionäre oder Interessenvertreter. Sie kann Vorbehalte gegenüber einem schleichenden Zentralismus in der Europäischen Union wecken (...) Möglicherweise gewinnen damit auch in Deutschland Eigenverantwortung, Privatvorsorge, das individuelle Versicherungsprinzip oder auch die kommunale Steuerhoheit stärkeres Gewicht. Vielleicht beginnen sich auch mehr Arbeitnehmer zu fragen, welchen Interessen eigentlich nationale Gewerkschaftsbünde heute noch dienen (...) Könnte es nicht hier – wie in der Politik – sein, daß die Vertreter zwar vorgeben, die Interessen ihrer Mitglieder zu verfolgen, letztlich aber primär ihre eigenen Interessen im Auge zu haben? Auch hier dürften persönliche Einkünfte, Wiederwahl, Macht, Prestige wichtige Rollen spielen (...).“ Damit aber gerade für die von den Gewerkschaftsfunktionären verratenen Arbeitslosen „in Bedienung, Beratung, Wartung und Reparatur neue Jobs entstehen, bedarf es einer flexiblen Lohnfindung, die sich an der tatsächlichen individuellen Produktivität orientiert und nicht an den abstrakten Kompromissen, die an fernen runden Tischen von Funktionären vereinbart werden.“ (SZ, 17.2.2000)
Die Struktur des Ressentiments gegen das Abstrakte als Quell des Übels samt ihrem Widerpart, dem Glauben an die eigene Verwertbarkeit, wird genau getroffen: Die Bestätigung des Nichtüberflüssigseins durch Niedriglohn, aber immerhin doch Beschäftigung, wiegt schwerer als die halbstaatliche Bestandsgarantie von Tariflöhnen um den Preis der Arbeitslosigkeit – das zeigt die Leichtigkeit, mit der der Flächentarifvertrag in Ostdeutschland quasi abgeschafft werden konnte. Es spricht einiges dafür, daß zumindest dort eine Neuauflage der Deutschen Arbeitsfront im hire-and-fire-Niedriglohnsektor der Konstitution des verstaatlichten Tauschsubjektes besser entspricht als die Alternative ausreichender Bezahlung oder Randständigkeit.
Der „Parteienstaat“ schadet nämlich der Allgemeinheit nicht nur durchs „Abzocken“, die Funktionärsbereicherung, sondern auch durch die Entscheidungsschwäche, die ewige Kompromißlerei. Wenn der „Staat (zur) Beute der Parteien“ geworden ist, wenn also „Amtsträgern im Zweifel aber das eigene Hemd näher ist als der gemeinwohlorientierte Rock, verliert die bisher übliche einseitige Herausstellung des Repräsentationsprinzips ihre Schlüssigkeit. Dann gilt es, nach wirksamen Kontrollmechanismen Ausschau zu halten, und diese liegen eben in einer Aktivierung des common sense der Bürger.“
Hinweg die exklusiven Schwatzbuden, dem Volk das Wort: „Ohne Aktivierung des Volkes als der Reservepotenz in der repräsentativen Demokratie wird eine wirkliche Reform kaum zu Stande kommen.“ (FAZ, 11.2.2000) Das Volk, der reale Gesamtstammtisch, wäre sicherlich nicht skrupulös, „Reformstau“ wäre unbekannt (das Verbot der Todesstrafe vermutlich aber auch). „Wir sind das Volk“ krakeelt die „Zeit“ (9/2000) auf der Titelseite: „Ein Bündnis“ täte not „gegen das lastende und lasterhafte Übergewicht der Parteien. Das Wahlvolk kann auf diese Weise das Kartell der Parteien überspringen (...). Es kommt gar nicht darauf an, ob das Wahlvolk alle Gesetze selber beschließt, sondern lediglich darauf, daß auf politische Problemlagen überhaupt zügig reagiert wird. Allein die Möglichkeit eines Plebiszits würde dem Gesetzgeber Beine machen. Ein solches Modell würde gewiß dazu beitragen, die parteipolitischen Blockaden jeder größeren Gesetzgebung – etwa in der Steuerreform oder bei der Umstellung des Rentensystems – aufzubrechen.“
Am lautesten aber ruft der alternde Basisdemokrat Claus Leggewie nach der österreichischen Lösung, ohne jedoch das Unwort „Haider“ in den Mund zu nehmen. Der „Bruch mit dem Staat der Eltern“, den Leggewie fordert, bezieht sich natürlich nicht auf den Staat seiner eigenen Eltern, ganz im Gegenteil. Nein, Leggewie macht sich zum Fürsprech der „Generation Berlin“, zwang- wie lachhaft als 50jähriger nochmals die Losung seiner eigenen Jugend „Trau keinem über 30“ vor sich her tragend: „Dem ,System Kohl‘ (...) gehörten viele an, die das jetzt ebenso rasch vergessen machen wollen wie die Profiteure des ,Systems Honnecker‘. Gleich waren, überflüssig zu sagen, nicht die Systeme, wohl aber der Opportunismus, der aus Kohls weit gespanntem Netzwerk nachträglich eine One-Man-Show macht.“ Mit den Bequemlichkeiten müsse nun in Berlin aber Schluß sein: „Nötig ist aber ein scharfer Bruch mit der politischen Kultur der alten Bundesrepublik (...) Überholt ist der historische Dauerkompromiß vor allem in der Renten- und Gesundheitspolitik und die Beharrung der Sozial- und Tarifpartner im ,Bündnis für Arbeit‘ auf vermeintlich angestammten Rechten. Der Proporz, dessen Agonie man in Österreich gerade beobachten kann, darf nicht weiter durchgefüttert werden.“ (Taz, 28.1.2000)
Haiders Agitation – wie die der so ungleich respektierlicheren Politwissenschaftler – gegen den „Parteienstaat“ kombiniert und variiert zwei Grundkomponenten: Die volkkstümliche Konkretiesierung von Herrschaft, das Abstellen auf ihre Unmittelbarkeit im Gegensatz zur repräsentativen Demokratie und den Rückzug des paternalistischen Interventionsstaates. Basisdemokratisch im Sinne von „Volkes Stimme“, „populistisch“, war der Faschismus von jeher. Der Verzicht auf die Staatskonjunktur aber widerspricht dem Bild des klassischen Faschismus. Haiders Erfolg liegt gerade darin begründet, daß es ihm gelingt, den Haß auf das Abstrakte zu nutzen, gleichzeitig aber den Faschismus von seinem sozialdemokratischen Vexierbild zu lösen, den militarisierten Interventionsstaat durch den militanten „schlanken Staat“ zu ersetzen.
Dieser neuen Synthese entspricht, daß der „ehrliche Jörg“ sich zum einen „weniger als Vertreter einer Partei als einer Bewegung“ (Spiegel 5/2000) präsentiert, zum anderen einen Traditionsbegriff enteignet und umdeutet: „Wir sind Österreichs neue soziale Demokratie“ (Zeit 6/2000). Massenwirksamkeit gewinnt diese Synthese, weil der korporative, interventionistische Parteienstaat, der genau darauf abgestellt war, die Bedürfnisse, die der klassische Faschismus rabiat befriedigt hatte, in zivilere Formen umzugießen (letzlich also den Rassismus durch Vollbeschäftigung zu sistieren), unterm Schuldenberg erstickt ist. Übrig bleibt allein das Bedürfnis, das nur allzu genau weiß, daß es nicht mehr sistiert werden kann und deswegen aufs Abreagieren drängt. Glaubte ein Großteil der Deutschen und Österreicher tatsächlich, daß der „jüdische“ Finanzkapitalismus ihr Unglück wäre, so hat sie 50 Jahre später die Verschiebung des „deutschen“ Gegenprinzips vom schützenden Staat zum guten Geld dessen belehrt, daß nicht die Rendite an sich, sondern die Staatsschuld und die Abgabenlast das Problem seien.
Die klassische Projektionsfläche „Jude“ ist deswegen in keiner Weise vergessen worden; dennoch scheint das modernisierte, auf den Abgabenstaat konzentrierte Ressentiment anders justiert zu sein als sein historischer Vorläufer: Nämlich auf die „übermäßige“ Konsumtion der vom Staat jenseits des a) unbedingt Lebensnotwendigen und der b) „richtigen“ Volkszugehörigkeit subventionierten Klientel: Ausländer, Künstler, Parteien (hier tauchen dann auch die vom Staat „gehätschelten“ Juden wieder auf). So funktioniert die zeitgemäße, negative Bestimmung des Völkischen („Wer ruiniert den Steuerzahler?“), gegen die „multikulturelle Überfremdung, gegen die Bonzen in Bürokratie und Parteienkartell, gegen die freischwebenden Intellektuellen“ (Zeit 8/2000). Besonders perfide formuliert es die „FAZ“: „Die Protestaktionen auf den Straßen Wiens geben Marx recht, der das gesellschaftliche Bewußtsein auf das gesellschaftliche Sein zurückführte: Staatskünstler bangen um Subventionen, Sozialingenieure um staatliche Aufträge, Projektbeauftragte um bereits genehmigte Projekte, und das alles im Zeichen des Kampfes gegen den Faschismus.“ (FAZ, 12.2.2000)
Der direkte Volkswille regiert nicht mehr im Sinne der „positiven“ Benutzung von Staat und Geld, sondern ausschließlich im Sinne ihrer „negativen“ Benutzung als Erfüllungsgehilfen des Ressentiments – statt großangelegten Beschäftigungsprogrammen gibt es die Abschaffung des Asyls.
Unbedingt zum Totschlagrassismus der „sozialen Demokratie“ gehört die symbolische Befriedigung des asozialen Neides. Dazu gehört, daß parteiintern eine Höchstgrenze von umgerechnet 8.600 DM/Monat für vom Staat ausbezahlte Saläre gilt (was man privat, „selbständig“ verdient, ist natürlich davon entbunden). Die „Partei der Anständigen, Tüchtigen, Fleißigen“ geht noch weiter: Die FPÖ verpflichtet per „Demokratievertrag“ jeden einzelnen Mandatsträger zur Einhaltung der Wahlversprechen der Partei – „ jeder haftet im Einzelfall sogar mit seinem Privatvermögen“. (Tagesspiegel, 1.3.2000)
Dafür scheint die Volksseele sogar gewillt zu sein, soziale Auslese zu ertragen. Geschickt macht Haider sich das Phänomen zunutze, daß gerade diejenigen, die vom sozialen Abstieg am meisten gefährdet sind, jene verabscheuen, denen ein solcher bereits offensichtlich widerfahren ist. Der Kultus der „Tüchtigkeit“ tritt in die Fußstapfen der nazistische Verfolgung von „Asozialen“. Welcher „Populist“ außer Haider würde es wagen vorzuschlagen, die gesetzlichen Renten- und Krankenkassen in ein offenes Mehrklassensystem zu überführen? Und dabei ständig von „Eigenverantwortung“ und „Selbständigkeit“ zu sprechen, ohne zu kaschieren, daß wer viel Risiko vermeiden wolle eben auch viel bezahlen müsse? (so Haider sinngemäß im Info-Radio Berlin, 24.2.00).
V. „Seien Sie froh, daß wir in einer Demokratie leben, sonst würden Sie an die Wand gestellt“, rief Umberto Bossi im Sommer 1993 in Richtung der gespaltenen Democrazia Cristiana. Daß der Spiegel (3/2000) in seiner Story über den Zerfall der DC den Schlußkommentar ausgerechnet dem Führer der Lega Nord überläßt, zeugt davon, wie sehr dessen geradezu mörderischer Haß auf den bürokratischen Kompromißstaat der großdeutschen Gemütslage entgegenkommt: In Italien (wie in Frankreich und Spanien) werden diejenigen, die glauben, daß der „keynesianische Leviathan“ die Erfüllung des Wunsches nach der gerechten Strafe genauso behindert, wie er den Diebstahl an den Fleißigen befördert, nicht von klassisch faschistischen Bewegungen, sondern vom Regionalismus angezogen.
Was sich in „Padanien“ (oder Katalonien) bereits abzeichnet – die Kombination von völkischer Abschottung nach außen und Deregulierung im Innern, zusammengehalten von einer autoritären Basisdemokratie – ist die Blaupause des „neuen“ Österreichs wie der „Berliner Republik“. Was in Italien (in Frankreich sowieso) immer noch als Angriff auf den republikanischen Nationalstaat begriffen wird – wenn dessen Beharrenskraft auch immer schwächer wird –, präsentiert sich in Deutschland und Österreich hingegen als gesamtnationale Reformbewegung, welche vom staatstragenden Personal (minus Kohl und Klima) selbst getragen wird. Es gibt in Deutschland wie in Österreich weder einen nennenswerten Regionalismus à la Bossi noch einen Gegenpol gegen die autoritär-anti-etatistische Hysterie aufgrund der die gesamte Nachkriegszeit überdauernden, nur oberflächlich „zwangsdemokratisierten“ Einheit von homogenem Volk, Staat und Nation.
Die Sorge, die „Atze“ Brauner, Chef der Filmstudios Grunewald und der Constantin-Film, dazu bewog, einen Leserbrief unter dem Titel „Begrenzt die Epidemie! – Stoppt die Hysterie!“ als großflächige Anzeige in der „Welt“ zu plazieren, ist begründet. Er erahnt mehr, als daß er erkennen würde, daß das völlig Unverhältnismäßige, in dem die Skandal-Emotionen zu ihrem Anlaß stehen, eng zusammenhängt mit drastischem Antikommunismus und Lynchstimmung gegenüber „Widernatürlichen“, des Kindsmords Verdächtigen: „Ich bin kein CDU-Fan, schon gar nicht, nachdem ich vor kurzem erfuhr, daß der CDU-Mann Dregger intensive Initiativen entfaltet, um den Kriegsverbrecher Priebke (...) auf dem Gnadenweg der deutschen Gesellschaft zuzuführen. Ich finde es ebenso skandalös, wie die Justiz mit Egon Krenz umgeht. Unverhältnismäßig schlimmere Täter genießen ungeniert die Freiheit (...) (und) nicht weniger tragisch ist das Schicksal der Frau Weimar zu bewerten ..., denn die juristische Komponente, wonach im Zweifel zugunsten des Angeklagten zu entscheiden sei, scheint hier im Lande vergessen worden zu sein.“
Brauner versteht die Welt nicht mehr, die ihn so lange nach Art des „Hänschen“ Rosenthal als Muster-Versöhnungsjuden der BRD ausgestellt hatte; das Insistieren auf den formalen Rechtsweg und das Fernhalten „volksnaher“ Elemente aus dem politischen wie juristischen System der BRD, das Mißtrauen gegen Verfolgungswut und Strafhysterie – das alles wird von Brauner, ohne es explizit zu sagen, als notwendige Überlebensbedingung von Juden im Nachkriegsdeutschland erkannt. Unter dem Eindruck, daß diese Bedingung schwindet, wendet er sich ans Volk: „Es gibt keinen Grund, warum der einfache Mann sich durch solche Vorgänge betroffen fühlen sollte. (...) Aber welche Tragödie erleben wir in diesem Zusammenhang? Als ob die Finanzen des Landes vergeudet würden und der Bundesrepublik ein unermeßlicher Schaden zugefügt wird (...).“ (Die Welt, 12.2.2000)
Brauners Appell an den kühlen Verstand kann bei einem Volk, das von jeher das Kalkül verachtete, nichts bewirken. Deutschland hielt – im Gegensatz zu Italien – dem Faschismus noch unverbrüchlich die Treue, als er keine sozialen Benefizien mehr zu bieten hatte. Für den Nationalsozialismus war eines noch viel prägender als Staatskonjunktur und Vollbeschäftigung, die natürlich zurecht als klassische Kennzeichen des Faschismus der 30er/40er Jahre betrachtet werden müssen: Das Bündnis von Mob und Elite, die gewillt sind, sich gemeinsam dem Untergang zu weihen, wenn nur genug andere vorangehen müssen.
Der schreckliche Kern, den der repräsentativ-demokratische Korporatismus ummantelte, liegt wieder offen zutage. Das Bündnis zwischen dem sozialneidischen Mob und der Elite, die es nach direkter, unrestringierter, nicht durch Kompromißlerei behinderter Durchsetzungsgewalt gelüstet, wird als „Berliner Republik“ oder „neues Österreich“ wieder geschmiedet. Das Ende der „Zwangsdemokratie“ läßt eine plebiszitär durchgesetzte Deregulierung erwarten, zu deren Kompensation immer neue Opfer für den mordlüsternen Neid und das Ressentiment gebracht werden: Symbolisch müssen Berufsbeamte ( „Bild“ titelte am 1.3.2000: „Skandal: Beamte schon mit 55 in Rente – nur 7,5% weniger“), Politiker und Verbandsfunktionäre herhalten; real, d.h. an Leib und Leben, trifft es „Tschuschen“, sexuell „Abartige“ und sozial „Minderwertige“.
Die Wünsche von Mob und Elite fließen im Haß auf den „Parteienstaat“ zusammen. Vorbei die Zeiten, als die Leitartikel die Quintessenz der Sozial- bzw. Staatsbürgerkunde echoten und sowohl betulich auf den Vorbehalt des GG gegen direkte Demokratie hinwiesen als auch auf der Formalisierung des staatlichen Handelns bestanden; das Plebiszit fordern nun auch die Sprachrohre von Bildungsbürgertum und BDI. Der geforderte Kein-Parteien-Staat ist in Wahrheit die Reprise des Ein-Parteien-Staates des Nationalsozialismus, mit all seinen informellen, plebiszitären Strukturen, die Staat und Volk tatsächlich werden ließen – zum Gemein-Wesen.
Uli Krug (Bahamas 31 / 2000)
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