Titelbild des Hefts Nummer 38
Der unheimliche Aufmarsch
Heft 38 / Sommer 2002
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O. Fallaci: Über den Antisemitismus

Bei dem hier in Auszügen übersetzten Text handelt es sich um einen Exklusivtext von Oriana Fallaci für die Zeitschrift „Panorama“ (16.4.2002), eine Art italienischer „Stern“. „Panorama“ ist ein übles, allerdings weit verbreitetes und durchaus für die italienische Presse repräsentatives, antisemitisches Schmierfinkenblatt, dessen Startcartoonzeichner Forattini jederzeit beim „Stürmer“ hätte anheuern können. Die Ausgabe, in der Fallacis Text erschien, wird von einem Forattini-Machwerk eingeleitet, das einen von Juden gekreuzigten Papst zeigt, der sich darüber beschwert, daß er, das Opfer der jüdischen Aggression gegen das heilige Land, des Antisemitismus (wie von Fallaci im Heft!) geziehen wird. Daß Fallaci diesen Text überhaupt plazieren konnte, verdankt sie ihrer Popularität, die wieder sämtliche Neid- und Wadenbeißer des italienischen wie europäischen Feuilletons auf den Plan gerufen hat; sie fielen noch widerwärtiger aus als die Reaktionen auf Fallacis Intervention im Gefolge des 11.9.: „La Rabbia e lÓrgoglio“ (Der Zorn und der Stolz) ausfielen, einem Text, in dem sie dazu aufrief, den Gotteskriegern mit antifaschistischer Entschlossenheit militärisch entgegenzutreten. Fallaci stand – gerade in der Linken - nicht immer so allein, wie sie es heute ist: Die 71-jährige hatte es einst zu Weltberühmtheit gebracht, als Kriegsberichterstatterin aus Vietnam und dem Libanon; in kaum einem „fortschrittlichen“ Bücherschrank fehlt „Ein Mann“, ein teils autobiographischer Roman über den Widerstand gegen das griechische Obristenregime. Oriana Fallaci:

Ich finde es beschämend, daß in Italien Umzüge stattfinden, auf denen als Selbstmordattentäter Verkleidete infame Verwünschungen Israels herausschreien, Fotographien hochhalten, auf denen führende Israelis mit einem Hakenkreuz auf der Stirn versehen sind, und die Öffentlichkeit zum Judenhaß aufstacheln. (...)

Ich finde es beschämend, daß die katholische Kirche einem Bischof, der obendrein im Vatikan residiert, erlaubt an diesem Umzug teilzunehmen, nachdem dieser falsche Heilige in Jerusalem mit einem Arsenal von Waffen und Sprengstoff, das er in Geheimfächern seines heiligen Mercedes versteckt hatte, erwischt worden war. Derselbe stellt sich auf diesem Umzug vors Mikrophon und dankt im Namen Gottes den Selbstmordattentätern, die Juden in Pizzerien und Supermärkten massakrieren, und nennt sie „Märtyrer, die in den Tod wie zu einem Fest gehen“. (...)

Ich finde es beschämend, daß sie [unsere Priester] sich auf die Seite derer stellen, die den Terrorismus beweihräuchern, der uns in Flugzeugen, auf Flughäfen, bei Olympiaden tötet und der sich heute damit beschäftigt, westliche Journalisten dahinzumetzeln, sie zu erschießen, zu vergewaltigen, ihnen die Kehle durchzuschneiden, sie zu köpfen. (Nach dem Erscheinen von La Rabbia e l´Orgoglio drohte mir ein Unbekannter an, dasselbe mit mir machen. Er zitierte Koransuren und forderte seine „Brüder“ in den Moscheen und islamischen Gemeinden auf, mich im Namen Allahs zu bestrafen, mich zu töten, sogar mit mir zu sterben.) (...)

Ich finde es beschämend, daß die staatlichen Fernsehsender zum antisemitischen Ressentiment beitragen, (...) daß in ihren Talk-Shows eben die Turban oder Pilgermützen tragenden Schurken mit großer Hochachtung und Gastfreundschaft behandelt werden, die den Anschlag von New York lobpreisen wie sie heute die Anschläge in Jerusalem, Haifa, Netanya und Tel Aviv lobpreisen. (...) Ich finde es beschämend, daß die Presse das gleiche macht (...), daß man es für richtig hält, der Zahl der seit Beginn der zweiten Intifada getöteten Israelis (derzeit 412) einen Beigeschmack von Alltäglichkeit zu verleihen, indem man in Fettdruck herausstrich, daß schließlich im israelischen Straßenverkehr mehr Juden sterben (600 pro Jahr).

(...)

Ich finde es beschämend, daß nahezu die ganze Linke, jene Linke, die vor zwanzig Jahren auf einer Gewerkschaftsdemonstration gestattete, daß eine Bahre vor die Römische Synagoge gelegt wurde (eine Warnung, wie sie für die Mafia typisch ist), den Beitrag der Juden am antifaschistischen Kampf vergessen macht, (...) von den 75 unter 350 in Fosse Ardeatine Getöteten zu den ungezählten anderen, die unter der Folter, im Gefecht oder vor den Exekutionskommandos ihr Leben ließen. Ich finde es beschämend, daß auch, ja sogar hauptsächlich die Linke daran schuld ist (man denke an die Linke, die ihre Kongresse damit eröffnet, dem italienischen PLO-Vertreter, dem Führer der Palästinenser, die die Zerstörung Israels wollen, zu applaudieren), daß die Juden in den italienischen Städten wieder Angst haben müssen. Dasselbe gilt in französischen, niederländischen, dänischen und deutschen Städten. (...)

Ich finde es beschämend, daß die üblichen Opportunisten, die üblichen Aasgeier, die wie immer der Dummheit, der Gemeinheit und der Ehrlosigkeit, also ihrer eigenen, höchst eigennützigen Form der Politischen Korrektheit gehorchen, das Wort Frieden ausbeuten. Daß sie im Namen des Friedens, eines Wortes, das jetzt schon mehr besudelt ist als die Worte Liebe und Menschlichkeit, den einseitigen Haß und die einseitige Bestialität schönreden. Daß im Namen eines Pazifismus (sprich Konformismus), der das Geschäft gefühliger Schwätzer und Hofnarren ist, die einst die Füße Pol Pots leckten, verwirrte, naive und furchtsame Menschen aufgehetzt werden. Daß diese getäuscht, verdorben und ein halbes Jahrhundert zurückversetzt werden, d.h. in die Ära des gelben Sterns am Mantel. Den Scharlatanen bedeuten dabei die Palästinenser genausoviel wie mir die Scharlatane. Nämlich nichts.

Ich finde es beschämend, daß so viele Italiener, so viele Europäer sich zu Vasallen des Herrn Arafat machen (...) Diese Null, die dank der Gelder der saudischen Königsfamilie den Dauer-Mussolini gibt und der in seinem Größenwahn glaubt als der George Washington Palästinas in die Geschichte einzugehen. Dieser Halbanalphabet, der, wenn man ihn interviewt, nicht in der Lage ist, einen kompletten Satz, geschweige denn eine sinnvolle Aussage fertig zu bringen (...) Dieser Pseudo-Guerillero, der wie Pinochet immer nur Uniform und niemals Zivil trägt, und der dessen ungeachtet noch niemals an einem Gefecht teilgenommen hat. Er ließ immer und läßt noch Krieg führen. Nicht zuletzt gegen die armen Seelen, die an ihn glauben. Dieser pompöse Stümper, der sich in der Rolle des Staatsoberhaupts gefällt, ließ die Verhandlungen von Camp David scheitern, die Clinton-Initiative: Nein-Nein-Jerusalem-das-ich will-alles-haben-für mich. Dieser notorische Lügner, den ein Hauch von Glaubwürdigkeit nur dann umgibt, wenn er (im Privaten) Israel das Existenzrecht bestreitet (...) Dieser ewige Terrorist, der sich nur auf Terrorismus versteht, der damals, als ich ihn interviewte, RAF-Terroristen ausbildete. (...) Heute bildet er Kinder zu Selbstmordattentätern aus. Dieser Räuberhäuptling, der seine Frau nach Paris schickt, ausgestattet und hofiert wie eine Königin, der hingegen sein Volk in der Scheiße hält. Aus dieser Scheiße holt er einzelne nur, um sie zu Sterben, zum Töten und Sterben, zu schicken.

(...)

Ich finde all das beschämend und sehe darin den Ursprung eines neuen Faschismus, eines neuen Nazismus. Ein Faschismus, ein Nazismus, umso finsterer und abscheulicher, wie er von jenen angeführt und hochgepäppelt wird, die scheinheilig auf Gutmensch, auf fortschrittlich, auf kommunistisch, auf pazifistisch, auf katholisch und christlich machen und die die Stirn haben, mich, die die Wahrheit herausschreit, Kriegstreiber zu nennen. Ich bin niemals sanft mit dem tragischen, geradezu shakespearianischen Sharon umgegangen. („Ich weiß, daß Sie gekommen sind, um sich einen Skalp an den Gürtel zu hängen“, murmelte er fast traurig, als ich ihn 1982 interviewte). Mit den Israelis bin ich oft hart ins Gericht gegangen, und habe die Palästinenser in der Vergangenheit manches mal verteidigt. Vielleicht mehr als sie es verdient hatten. Aber ich stehe auf Seiten Israels, auf Seiten der Juden. Dort stehe ich, wie ich es von klein auf tat, d.h. in der Zeit, als ich mit ihnen kämpfte, und die Anne Marias erschossen wurden [A.M. Enriques Agnoletti, eine jüdische Freundin Fallacis, wurde am 12.6.1944 in Florenz von Deutschen getötet]. Ich verteidige ihr Existenzrecht, ihr Recht zur Selbstverteidigung, ihr Recht, sich nicht ein zweites Mal vernichten lassen zu müssen. Angeekelt vom Antisemitismus so vieler Italiener, so vieler Europäer, schäme ich mich für diese Schande, die mein Land und Europa entehrt. Im besseren Falle ist es nicht eine Staatengemeinschaft, sondern ein Sumpf voller Gestalten wie Pontius Pilatus. Und auch, wenn alle Bewohner dieses Planeten darüber anders dächten, werde ich weiterhin so und nicht anders denken.

(aus dem Italienischen übersetzt von Uli Krug)

(aus dem Italienischen übersetzt von Uli Krug)

(Bahamas 38 / 2002)

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