Titelbild des Hefts Nummer 46
Preisgegeben von der multikulturellen Gesellschaft
Heft 46 / Winter 2005
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Der Protest der frühen Punkbewegung war Ausdruck des Lebensgefühls einer Generation, die der Erbärmlichkeit des Alltagslebens mit Spott und Verachtung begegnete. Punk war die Verweigerung einer durch die gesellschaftlichen Institutionen vorgefertigten eigenen Zukunft. War das Handeln der Protestbewegung der 60er Jahre noch auf die Veränderung der Gesellschaft gerichtet, fehlte den Punks der Optimismus, der die Aktivitäten der Studenten gekennzeichnet hatte. Statt auf die Zerstörung der als unerträglich empfundenen Verhältnisse hinzuwirken, präsentierte sich die Punkbewegung selbst als Ausdruck der gestörten Verhältnisse. Die Punks stilisierten sich zu gesellschaftlichem Abschaum, zu menschlichem Abfall: Mülltüten und Lumpen wurden zu Bekleidungsgegenständen umfunktioniert, Sicherheitsnadeln, Hundehalsbänder, Rasierklingen usw. als schmückende Accessoires benutzt. Die Protagonisten der frühen Punkbewegung setzten sich nicht mehr der Alternative „Sozialismus oder Barbarei“ aus; sie lebten in dem Bewußtsein, daß diese Frage längst beantwortet war. Unter dem Eindruck der Integration der Protestbewegung der 60er Jahre in die Gesellschaft, dem man mit dem zentralen Slogan „Never trust a Hippie“ Ausdruck verlieh, hatte sich Punk mit der Unveränderlichkeit der Zustände zwar abgefunden, sich aber nicht mit ihnen arrangieren wollen. Statt gute Miene zum bösen Spiel zu machen, lieferte die Punkbewegung die „Soundtracks zum Untergang“ – so der Titel einer beliebten deutschen Samplerreihe. Punk gewann seine Energie vor allem aus dem Vergnügen an einer konsequenten Anti-Haltung, die sich dem Ethos und der Gesinnung gesellschaftlicher Mehrheiten aus Prinzip verweigerte. Unter der Voraussetzung, sich weder rechts noch links zu verorten, bezog Punk seine Legitimation daraus, den Bürgern permanent die Sinnlosigkeit und Erbärmlichkeit ihrer eigenen Existenz vor Augen führen zu wollen.

In eben dieser Form wurde Punk von den Bürgern verstanden: Sie erkannten in der Ansammlung von Müll, der inszenierten Asozialität und dem demonstrativen Kaputtsein der Punks, kurz: im Slogan „No Future“, sich selbst – bzw. das, was immer mühseliger hinter Fassonschnitt, Kleinwagen und Eigentumswohnung versteckt gehalten wurde – wieder. Mit ihrer Selbstinszenierung als wertlose Abfallprodukte persiflierten die Punks einen Zustand, in dem sich die Menschen in entbehrliche, wirr vor sich hin brabbelnde Witzfiguren verwandelt hatten; im Müll-Fetisch der ersten Punkgeneration spiegelte sich die Unbrauchbarkeit der Welt für die Menschen wider; und die Selbstverstümmelung durch Sicherheitsnadeln usw. war das Punkrock-Pendant zu Deformationen, die tagtäglich im Eheleben der Eltern, in ihrem persönlichen Umgang miteinander oder ihren heimlichen Marotten zu beobachten waren. Die Punkbewegung ließ die Bürger vor sich selbst erschrecken, ohne daß diesem Erschrecken die Erkenntnis der eigenen Asozialität, Deformation und Entbehrlichkeit gefolgt wäre. Ihren Haß richtete sie stattdessen gegen die Überbringer der Nachricht, welche als wertloser Menschenmüll und Abschaum begriffen wurden, den sie am liebsten aus dem Straßenbild entfernt hätten. Punk war insofern kein Gegenbild zu den etablierten Lebensentwürfen, Wertvorstellungen und Umgangsformen; Punk war vielmehr zugleich Ablehnung und ästhetische Entlarvung des elterlichen Lebens, Symbol für das Scheitern ihrer Erziehungsbemühungen und zugleich Absage an einen positiven Gegenentwurf. Es ging nicht mehr darum, durch schonungslose Entkleidung der gesellschaftlichen Zustände zu ihrer Überwindung beizutragen, sondern sich gleichermaßen der familiären Tradition wie auch dem zukunftsfrohen Utopismus der Linken zu entziehen.

„Into the Future“

In der ersten Hälfte der 80er Jahre änderte sich dies jedoch. Punk wurde – insbesondere in Deutschland – plötzlich optimistisch, „positiv“, „politisch“ und „kämpferisch“. Der Slogan „No Future“ wurde in „Into the Future“ umgewandelt, und die populäre Hamburger Band Slime forderte: „Schluß mit Eurem No-Future-Scheiß“. Ein Teil der Bewegung, der später als Hardcoreszene bezeichnet wurde, stellte dem offensiven Kaputtsein und der demonstrativen Verletzlichkeit des frühen Punk kurzhaarige, durchtrainierte und sportlich gekleidete junge Männer entgegen. Andere behielten zwar den Punkrock-Look bei, wandelten sich aber in sogenannte Politpunks und übernahmen die infantile Welterklärung der Hausbesetzer- und Autonomenszene. Indem sie deren politisches Programm vertonten, verabschiedeten sie sich zugleich von der Selbstironie und der Destruktivität des frühen Punk. Die Songtexte waren entsprechend vom moralisierenden Niveau von Gruppen wie „Ton Steine Scherben“ und deren Nachahmern nicht mehr zu unterscheiden. Entsprechend volksnah agitierten beispielsweise Slime, die sich sukzessive in den Dienst der Linken stellten, gegen „sie da oben in ihren Palästen“, die „Poker um die Welt“ spielten. Politpunkbands, die textlich oftmals gar nicht mehr weit von den Altvorderen des Protestsongs der 60er Jahre entfernt waren, entblödeten sich Anfang der 80er Jahre noch nicht einmal, mit sogenannten Liedermachern zusammen aufzutreten. Gruppen wie Toxoplasma, Normahl, Hass, Chaos Z oder eben Slime lieferten gemeinsam mit Hannes Wader, Franz-Josef Degenhardt und den Bots die Begleitmusik für die Aufmärsche der Friedens- und Anti-Atomkraftbewegung.

Punk’s not dead?

Über Umwege erfolgte so eine Annäherung an jenen penetrant positiven gesellschaftlichen common sense, gegen den die frühe Punkbewegung mit gutem Grund angetreten war. Wenn es den Punks trotz dieser Anbiederung an den Mainstream weiterhin gelang, den Volkszorn auf sich zu ziehen, dann liegt das an ihrem weiterhin gebrochenen Verhältnis zur Volkstümlichkeit, und dem daraus resultierenden Bedürfnis, sich gelegentlich in gar nicht so konstruktiven Ausbrüchen Luft zu machen. So fabrizierten Slime nicht nur stammtischkompatible Lynchaufrufe gegen „Bonzen“ oder Oden an die Freude darüber, daß „wir viele“ seien, die etwas gegen die „Yankees“ hätten („Yankees raus“). Zugleich agitierten sie gegen Law and Order („Legal, illegal, scheißegal“), Neonazis („Nazis raus“) und die Grausamkeiten des Alltagslebens („Das kotzt mich an“). Andere Bands stellten ihren antiamerikanischen Haßpredigten Lieder gegen Arbeitswahn (Canal Terror: „Lieber’n Bauch vom Saufen, als’n Buckel vom Arbeiten“), faschistoide Spießer oder die Verdrängung der NS-Vergangenheit zur Seite.

Spätestens seit den 90er Jahren ist diese Zwiespältigkeit des deutschen Politpunks jedoch ideologischer Eindeutigkeit gewichen. Mittlerweile sind nicht mehr nur der Haß auf „Bonzen“, „Spekulanten“ und „Multis“, die traditionelle Bierseligkeit und Unternehmungen wie die Anarchistische Pogo Partei Deutschlands (APPD), welche sich nur in Nuancen von einem deutschen Karnevalsverein unterschied, mit der deutschen Mehrheitsmeinung kompatibel. In den 90er Jahren haben auch diejenigen Momente des Punk ihren provokativen Charakter verloren, die lange Zeit auf gesellschaftliche Ablehnung stießen: Ihre Gegnerschaft zu den Neonazis als notorische Volksschädlinge teilen die Punks spätestens seit dem Sommer 2000 mit der Mehrheit der Deutschen. Der kritische Verweis auf die nationalsozialistische Vergangenheit – „wegen Auschwitz“ – ist zur Legitimationsgrundlage deutscher Außenpolitik geworden. Und die Agitation gegen „Spießer“, „geplante Biographie“ und lebens­­lange Ehe hat in der Zeit von „Flexibilität“, „Nonkonformismus“, „Lebensab­schnitts­gefährten“ und „gebrochenen Lebensläufen“ (Trittin, Fischer usw.) mehr staats­tragenden denn provokativen Charakter.

Punk ist immer mehr zum unkritischen Abbild deutscher Zustände geworden und hat sich vor diesem Hintergrund zu einer etablierten Institution erlaubten Distinktionsgewinnes gemausert. Die traditionellen deutschen Moralvorstellungen und Umgangsformen, gegen die Punk in Deutschland antrat, sind weitgehend Anachronismus. Der rauhe Umgangston dagegen, der in der Punkszene aus Gründen der Abgrenzung gepflegt wurde, ist mittlerweile selbst im TV-Vormittagsprogramm erwünscht, wo er ironisiert und bejubelt wird. Darüber hinaus bekennen sich Jugendliche wie Erwachsene in Zeitgeistmagazinen und Talkshows stolz dazu, nur als selbstinszenierte Außenseiter und bunte Vögel etwas „wert“ zu sein, wie am Trash-Style, Body-Piercing usw. deutlich zu sehen ist. Diese Annäherung in der Form ist gleichwohl die Umkehrung dessen, was die frühe Punkbewegung intendierte: Statt sich als wertloser Müll zu präsentieren, um andere vor sich selbst erschrecken zu lassen, inszeniert man sich heute als Edel-Müll, um noch etwas Distinktion und damit gesellschaftliche Anerkennung zu erhaschen. Die Vorformen dieses Prozesses individualisierter Anpassung umschrieb Wolfgang Pohrt 1973: „Die nur als Kritik richtige Erkenntnis, ein jeder sei einstweilen ein armer Teufel, dumm und unterdrückt, führt nicht mehr zu verletztem Stolz und wütendem Aufbegehren, sondern sie wird schamlos breitgetreten und als beglückendes Erlebnis einigender Verbundenheit in gemeinsam ertragener Unterdrückung genossen.“(1) Das freimütige Einbekenntnis der eigenen Nutz- und Wertlosigkeit macht die ästhetische Entlarvung durch Punk überflüssig. Doch statt Einsicht in die eigene verfahrene Situation zu zeigen und entweder neue Wege der Provokation zu beschreiten, oder einfach den Laden dicht zu machen, beschreitet Punk längst den entgegengesetzten Weg: Je mehr die Punks sich dem gesellschaftlichen Mainstream annähern, um so mehr halluzinieren sie die eigene konformistische Position als eine von volksfeindlichen Außenseitern und Störenfrieden.

Lautsprecher der Mehrheit

Im Verhältnis zur Bevölkerungsmehrheit spielt der deutsche Politpunk inzwischen jene avantgardistische Rolle, von der die K-Gruppen der 70er Jahre nur träumen konnten: Er ist die Speerspitze einer Volksbewegung. Während der Haß auf die USA und Israel in den bürgerlichen Medien zumeist noch – wenn auch immer liebloser – kaschiert wird, lassen Punkrockbands und -magazine längst die Sau raus. Vor allem nach 9/11, im Verlauf des Afghanistan- und Irakkrieges, wurde die Punkszene zum Lautsprecher des deutschen Mehrheitsempfindens: Punkkonzerte verwandelten sich in faschistoide Gemeinschaftserlebnisse, bei denen Fäuste gereckt, „Amis raus!“ und „Fuck Bush!“ gerufen wurde. Punks uniformierten sich mit T-Shirts, die das Konterfei George W. Bushs und die Aufschrift „International Terrorist“ trugen. Und die Plattenfirma Impact brachte einen Anti-USA-Sampler mit dem Titel „Peace Attack“ heraus, auf dem die Slime-Nachfolger Rubberslime „Yankees raus“ fordern, Destruction „Fuck the USA“ skandieren und Oi Polloi „George Bush, Fuck you“ anstimmen durften. Insbesondere das Plastic Bomb (PB), neben dem Ox-Fanzine das größte deutsche Punkmagazin (Auflage bis zu 10.000 Exemplare), entwickelte sich zum antiamerikanischen Kampfblatt, in dem Kolumnisten, Interviewer und Rezensenten im Vierteljahrestakt ihre Aufnahmeanträge in die Volksgemeinschaft formulierten.

Zwar wiesen Herausgeber und Mitarbeiter des Magazins nach 9/11 regelmäßig darauf hin, daß sie den Islamisten der Al Quaida keine Sympathien entgegenbrächten. Sie ließen jedoch keinen Zweifel daran, daß die Attentäter die eigentlichen Opfer, die Amerikaner die eigentlichen Täter seien: „Tja,“ so erklärte einer der Redakteure kurz nach den Anschlägen, „wie schreiben einige PDSler aus Hamburg in einem Flugblatt: ‚Sowas kommt von sowas‘. Geschmacklos? Finde ich gar nicht.“ (PB 37, S. 5)(2) Man müsse, wie ein weiterer Autor behauptete, zugeben, daß der Anschlag auf das World Trade Center „durchaus kein überraschendes, grausames Phänomen ist, sondern daß es sich hier nur um die logische Konsequenz, bezogen auf das arrogante und ungerechtfertigte Law-and-Order Verhalten der USA handelt“. (Ebd., S. 69) Für den Haß auf die Vereinigten Staaten, so wurde das Massaker schließlich in derselben Ausgabe weiter legitimiert, gebe es „tausend und einen Grund“: „Zu arrogant“ sei der „Weltpolizist“ in den letzten Jahren aufgetreten, „zu respektlos behandelte er alles, was nicht amerikanisch ist“. (ebd., S. 56)

Für dieses „arrogante Auftreten“ hatten die Mitarbeiter des Magazins auch gleich die passende Bezeichnung parat: Faschismus. Ebenso wie in der restlichen Punkszene – Rubberslime etwa setzten die USA in einem ihrer Lieder in den Kontext von „SS, SA“ – wurden die Vereinigten Staaten nach dem 11. September auch im Plastic Bomb regelmäßig mit dem Dritten Reich verglichen. Ein Bild des kalifornischen Gouverneurs Schwarzenegger wurde neben einem NS-Propagandaplakat platziert (PB 45, S. 31), der Krieg gegen Afghanistan mit der Formel „auf dem Weg zum Endsieg“ umschrieben (PB 40, S. 5); und die Vernichtungswünsche der Islamisten auf die USA projiziert: Die Vereinigten Staaten würden die „Vernichtung der irakischen Bevölkerung“ planen (ebd., S. 5), gefangene Taliban seien in ein „amerikanisches KZ“ eingeliefert worden. (PB 38, S. 5)

Während die Mitarbeiter der großen deutschen Tageszeitungen und Magazine nach 9/11 immer wieder behaupteten, ihre amerikafeindliche Hetze sei kein Antiamerikanismus, sondern legitime Kritik der derzeitigen US-amerikanischen Politik, verzichteten die Mitarbeiter des Plastic Bomb ganz avantgardistisch auf entsprechende Floskeln. Im Vorwort zu einem Interview mit der Politband Anti-Flag, die in der amerikanischen Antikriegsbewegung aktiv ist, empörte sich der Autor darüber, daß die Band ihre damalige LP mit dem Slogan: „Anti-Flag means not Anti-America“ bewarb. Von dieser Stellungnahme war der Autor zunächst „irritiert“ und erklärte schließlich: Wäre dieses Statement nach 9/11 formuliert worden, „wäre die Band hundert pro von mir schon beerdigt gewesen“. (PB 37, S. 18 f.) Auch andere Mitarbeiter des Blattes waren nicht mehr bereit, einen Unterschied zwischen Amerikakritik und Antiamerikanismus bzw. der amerikanischen Regierung und der amerikanischen Bevölkerung zu machen – eine Sichtweise, die sich im restlichen Deutschland erst mit der Wiederwahl George W. Bushs endgültig durchsetzte. Die notwendige Auflehnung gegen die Politik der USA, so verkündete ein Autor in der Sommerausgabe 2003, „betrifft aber auch ganz klar den Umgang mit den normalen amerikanischen Bürgern. Klar, nur weil man Ami ist, heißt das noch lange nicht, daß man automatisch die Linie der Bush-Regierung teilt, aber es gibt auch in der Punk Szene genügend Leute aus den Staaten, die genau diese Linie teilen.“ (PB 43, S. 5 f.)

Wenn im Plastic Bomb überhaupt Kritik an der antiamerikanischen Hetze innerhalb der Punkszene geäußert wurde, dann lediglich aufgrund der mangelnden Konsequenz der entsprechenden Aussagen: „Ach fuck,“ so erklärte ein langjähriger Mitarbeiter in der Sommerausgabe 2004, „jedenfalls fangen die Anti-Bush-Shirts und Anti-Bush-Aufkleber und Anti-Bush-Kopfkissenbezüge, die sich in ‚unserer Szene‘ immer noch so großer Beliebtheit erfreuen, langsam an mir auf die Nerven zu gehen.“ Denn: „Das ist einfach zu wenig...“ (PB 47, S. 4)

Haßobjekt Israel

Neben ihrem „arroganten Auftreten“ und der „Law-and-Order-Politik“ warfen die Mitarbeiter des Plastic Bomb und die zahlreichen Interviewpartner des Magazins den USA nach 9/11 vor allem die Unterstützung Israels vor. Der jüdische Staat, so wurde in der Winterausgabe 2001/2002 erklärt, „wird von den USA mit Waffen vollgepumpt, um ein Bein im Nahen Osten stehen zu haben. Und mit diesen Waffen werden Palästinenser ermordet und von dem Land vertrieben, welches ihnen rechtmäßig zusteht.“ (PB 37, S. 57)

Einzelne Autoren des Magazins betonten zwar gelegentlich, daß sie das Existenzrecht Israels anerkennen. Auch die Selbstmordattentate, so wurde von Zeit zu Zeit ausgeführt, seien „durch nichts“ zu rechtfertigen. Diese Äußerungen waren jedoch lediglich Zugeständnisse an die aktuelle linksdeutsche Diskussionskultur, in der Israel bekanntlich um so freier und vehementer angegriffen werden kann, wenn zuvor ein formales Bekenntnis zu seinem Existenzrecht erfolgt ist. So ergänzten Autoren des Plastic Bomb ihre Kritik der Selbstmordattentäter nicht nur sofort um die Erklärung, daß die Suicide Bombers „oft genug selbst Opfer“ seien. (PB 39, S. 5) Auch dem Bekenntnis zum Existenzrecht Israels folgte prompt der Hinweis, daß dieses Recht selbstverständlich nur zeitlich begrenzt sei: „Ich möchte aber noch anmerken,“ so erklärte ein Redakteur, „daß ich den Satz eines freiwilligen Plastic-Bomb-Mitarbeiters, Israel sei wirklich der letzte Nationalstaat, der aufgelöst werden sollte, nur unterschreiben kann.“ (PB 45, S. 102) Wenn der Autor der israelischen Politik an gleicher Stelle „völkische Züge“ unterstellt und bei anderer Gelegenheit behauptet, die Regierung Sharon sehe „zwischen der Führung eines Staates und der eines gutgehenden Metzgereibetriebes (wahrscheinlich) keine nennenswerten Unterschiede“ (PB 39, S. 5), wird eines deutlich: Die Erklärung, Israel sei der letzte aufzulösende Nationalstaat, deutet mittlerweile weder auf eine Gegnerschaft zum Antizionismus hin, noch verweist sie auf den Umstand, daß Staaten im Falle des Kommunismus überflüssig würden. Anscheinend soll mit dieser Formel den Feinden Israels vielmehr bedeutet werden, daß die Vernichtung des jüdischen Staates nicht ad acta gelegt, sondern vorerst lediglich nach dem Motto: „aufgeschoben ist nicht aufgehoben“ vertagt worden sei.

Verglichen die Mitarbeiter des Blattes bereits die USA regelmäßig mit dem Dritten Reich, setzten sie Israel geradezu zwanghaft mit dem Nationalsozialismus gleich. „Israelische Möchtegern-Faschisten“, so wurde behauptet, würden auf ein „Palästinenserfreies Palästina“ hinarbeiten (PB 42, S. 5); eine israelsolidarische Band – bezeichnenderweise keine wirkliche Punkrockband – wurde in einem Interview scheinheilig gefragt, warum Sharon denn nicht als Faschist bezeichnet werden dürfe (PB 40, S. 110); und auch kurze Ausführungen über die russische Tschetschenien-Politik dienten vor allem dem Zweck, Israel zu denunzieren. So wurde bezüglich des russischen Vorgehens in Tschetschenien zunächst behauptet, die Regierung Putin beabsichtige eine „Endlösung des Problems“, um folgende Frage hinzuzufügen: „Kann Herr Sharon hier noch etwas lernen?“ (PB 41, S. 5)

Aus Liebe zu Deutschland

Die Vergleiche der israelischen mit der nationalsozialistischen Politik sowie die Faschismusvorwürfe an die USA verdeutlichen, daß sich die Protagonisten der hiesigen Punkszene dem deutschen Volk stärker verbunden fühlen als das traditionelle Wettern gegen „Spießer“ vermuten ließe. Nicht etwa aus Ablehnung des Volkes bekennt man allenthalben seine Abneigung gegen den „Scheißstaat“, sondern um die staatliche „Unterdrückung des Volkes“ anzuprangern. Zwar wird innerhalb der deutschen Punkszene nach wie vor kritisiert, daß nach 1945 kein Bruch mit dem Nationalsozialismus stattgefunden hat; auch die Parole „Deutschland verrecke!“ erfreut sich weiterhin großer Beliebtheit. Doch Deutschland ist für Punks nicht der Volksstaat, der genauso zu bekämpfen sei wie der von ihm ausgehende Pazifismus und Antiimperialismus. Wie die Lektüre zahlreicher Punk-Magazine, LP-, EP- und CD-Booklets zeigt, basiert die Parole „Deutschland verrecke“ kaum auf der Abscheu vor der Volksgemeinschaft und ihrem mörderischen Selbstfindungsakt – Auschwitz und das Zusammenspiel von Mob und Elite werden in den Anti-Deutschland-Liedern der einschlägigen Politpunkbands zumeist nicht thematisiert. Deutschland soll, wie aus den entsprechenden Texten zu erfahren ist, vor allem „verrecken“, weil „Multis“ das Land regierten, „Bonzen“ gegen die Interessen des Volkes agierten, Steuern verschwendet würden und die „kleinen Leute“ der Willkür von Beamten und Spekulanten ausgesetzt seien.(3) Als hätte es seit 1968 keine Veränderung gegeben, beschränkt sich die Auseinandersetzung mit Deutschland wie zu Zeiten der ersten Punkgeneration – die durchweg negative Erfahrungen mit dem Vernichtungs- und Strafbedürfnis ihrer Familienmitglieder, Nachbarn und Kollegen („Euch sollte man vergasen!“, „Ab ins Arbeitslager!“ usw.) machen mußte – in der Regel auf das empörte Aufzeigen personeller Kontinuitäten im Justiz-, Polizei- und Verwaltungsapparat.

Deutscher Kulturkampf

Die Verbundenheit mit der Heimat spiegelt sich jedoch nicht nur im hartnäckigen Bedürfnis wider, die deutschen Verbrechen durch Vergleiche Israels bzw. der USA mit dem Dritten Reich zu relativieren. Auch in Kommentaren zu tagespolitischen Ereignissen finden sich schlecht getarnte Bekenntnisse zum Vaterland: So empörte sich ein Mitarbeiter des Plastic Bomb im Herbst 2002 – ohne dafür in den Leserbriefspalten oder in anderen namhaften Punkrock-Fanzines kritisiert zu werden – zunächst über den Bau einer „superschnelle(n) S-Bahn für superreiche Sonst-BMW-Fahrer“ und erklärte dann im Stil der Initiative Pro-DM: „Man muß doch wirklich kein Genie sein, um zu erkennen, daß man mit den 10 Milliarden für den Metrorapid einiges bewirken könnte, was dieses Land voranbringen könnte.“ (PB 40, S. 6) Ein anderer Mitarbeiter des Magazins erlebte im Verlauf des Irakkrieges ein regelrechtes politisches Coming Out: „Auch wenn ich die Politik der Bundesregierung oft für totalen Mist halte,“ so formulierte er im Frühjahr 2003, „rechne ich es Schröder hoch an, daß er sich offen gegen das Kriegstreiben der USA ausgesprochen hat.“ (PB 42, S. 5) In der folgenden Ausgabe wurde diese Zustimmung zur deutschen Außenpolitik noch einmal bekundet und um eine Klage über die vermeintliche Bedeutungslosigkeit Deutschlands auf der weltpolitischen Bühne ergänzt: „Willkommen zur neuen Weltordnung, in welcher Deutschland nur noch zum Spielball degradiert vorkommt. So sehr mir die bundesdeutsche Regierung auch auf die Nüsse geht, bin ich zum ersten Mal froh, daß Schröder und Co. standhaft geblieben sind und nicht mit in den Krieg gezogen sind.“ (PB 43, S. 5)

Wenn sich Autoren des Plastic Bomb schließlich über eine vermeintlich amerikanische „Fassadenmalerei, hinter der sich kaum Inhalt und Tiefe befindet“ (PB 37, S. 58), beschweren, dann geschieht das nicht allein aus der Überzeugung heraus, daß Deutschland den Vereinigten Staaten aufgrund „amerikanischer Kulturlosigkeit“ auf moralischer Ebene haushoch überlegen sei. Sie fühlen sich den Amerikanern auch in intellektueller Hinsicht weit voraus: „Wir in Europa, vor allem in Deutschland (sic!)“, so faßte eine Interviewpartnerin des Magazins diese Auffassung noch einmal zusammen, „sind viel kritischer und politischer als die Amis.“ (PB 40, S. 93)

Im Sommer 2003 ergänzte ein Plastic-Bomb-Autor diesen Größenwahn um die dazugehörigen Verfolgungs- und Unterwanderungsängste: „Mich wurmt es schon seit Jahren, daß man in Deutschland den Ami-Bands von vorne bis hinten in den Arsch kriecht, weil ja Ami-Punk angeblich so megageil ist. (...) Habt Ihr Euch schon mal gefragt, was die Amis daran interessiert, hier in Deutschland zu sein. Außer ‚having a good time‘ kommt da meistens nicht viel rüber. Man spricht hierbei über den ‚amerikanischen Kultur-Merchantilismus‘ (sic!), das bedeutet, daß der Kulturaustausch nur in eine Richtung stattfindet, von den USA nach Europa, aber nichts geht zurück im Austausch.“ (PB 43, S. 6) Bei einer solchen Ungerechtigkeit fällt auch dem deutschen Punkrocker nur noch der Ruf nach dem Staat und neuen Gesetzen ein: „Da finde ich es hervorragend, wie die Franzosen mit diesem Thema umgehen. Dort ist es gesetzlich geregelt, daß man von der Ami-Kultur nicht erschlagen wird. Die Franzosen sind mir in dieser Hinsicht sehr sehr angenehm, muß ich ganz klar und deutlich sagen.“ (ebd.) Deutsche Punkrocker entpuppen sich damit als ordinäre Kämpfer für die Reinhaltung der deutschen Kultur; ihr bisweilen vorgetragenes „Deutschland verrecke!“ ist lediglich das Resultat der Enttäuschungen, Mißverständnisse und Eifersüchteleien, die jede leidenschaftliche Liebesbeziehung von Zeit zu Zeit zu überstehen hat.

Conservative Punk

Während innerhalb der deutschen Punkrock-Community nahezu einhellig gegen das amerikanische Engagement im Irak agitiert wird und die Anschläge vom 11. September als legitime Reaktion auf das Verhalten der Vereinigten Staaten gewertet werden, bietet die US-amerikanische Punkszene kein Bild freiwilliger kollektiver Gleichschaltung. Zwar wird die Politik der USA auch dort einer vehementen Kritik unterzogen: Zahlreiche namhafte Bands beteiligten sich an einer Konzerttour mit dem Titel „Rock against Bush“, steuerten Lieder zu einem gleichnamigen Sampler bei und engagierten sich in der Initiative Punkvoter (www.punkvoter. com) für die Abwahl George W. Bushs. Auch finden sich in Stellungnahmen, Interviews und Liedern verschiedener Punkvoter-Mitglieder Forderungen nach dem Staat als Krisenmanager, Rechtfertigungen der Anschläge vom 11. September und Vergleiche der amerikanischen Politik mit dem Nationalsozialismus.(4) Mit Conservative Punk existiert jedoch auch eine Initiative, die den Ressentiments und den Anti-Bush-Statements der Punkvoter entgegentritt. Conservative Punk – nach eigenen Angaben die „right side of punk“ – hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Gerüchte und Verschwörungstheorien innerhalb der Punkszene mit Fakten zu konfrontieren. Anders als in deutschen Punkrockmagazinen regelmäßig unterstellt wird, ist Conservative Punk keine rechtsradikale Initiative. Der überaus heterogene Zusammenschluß erinnert in seiner Kombination aus liberalem und klassisch wertkonservativem Denken vielmehr an die amerikanischen Neocons. Auf der Homepage der Initiative (www.conservative­punk.com) findet sich entsprechend auch jede Menge reaktionären Schunds. So wurde die gleichermaßen staatssozialistische wie wirtschaftsliberale Unmenschen-Losung, „wer nicht arbeitet soll auch nicht essen“ (Lenin) in penetrantem Infantilsprech als „no workie, no foodie!“ ausgegeben, Klagen über „Werteverfall“ und „Amoralität“ veröffentlicht und antikommunistische Stellungnahmen präsentiert – es kann u.a. ein T-Shirt erstanden werden, auf dem das Gesicht Lenins, die Aufschrift „Commie“ und die Forderung „Not in my Country“ abgebildet sind. Andererseits distanzieren sich die Conservative Punks jedoch auch deutlich von der christlichen Rechten um Pat Buchanan, beziehen klar Stellung gegen Kollektivismus und Etatismus, unterstützen die Studentenbewegung im Iran – eine Benefiz-CD ist in Planung – und bekennen sich emphatisch zu Individualität und pursuit of happiness: „Ich glaube nicht“, so schildert ein Mitglied der Initiative seine Vorstellungen von „good governance“, „daß die Regierung in den persönlichen Angelegenheiten der Bürger ein Mitspracherecht haben sollte, solange sie niemandem Schaden zufügen. Ich glaube, die Regierung sollte zwei Aufgaben haben, 1) unsere nationale Sicherheit aktiv verteidigen, und 2) die Bürger davon abhalten, die privaten und ökonomischen Freiheiten anderer zu verletzen.“ (www.conservative­punk.com)

Der emphatische und zugleich naive Bezug auf das „Prinzip Amerika“ läßt die Conservative Punks die Ursachen des weltweiten Hasses auf die Vereinigten Staaten zumindest erahnen: „Was die Idee Amerikas so wundervoll macht“, so ihr Sprecher Michael Graves, der ehemalige Sänger der Horrorpunk-Legende Misfits, „ist die Tatsache, daß alles möglich ist. (...) Wir sind das Ideal. Wir sind Utopia. Wir sind näher am Paradies, als sie jemals sein können. Näher als vielen bewußt ist. Und dafür hassen sie uns.“ (Ebenda) Mit dieser Erkenntnis haben die Conservative Punks der Mehrzahl aller Amerikaexperten – und erst recht der deutschen Punks – eine wichtige Einsicht voraus: Die Vereinigten Staaten werden weniger aufgrund ihres konkreten außenpolitischen Engagements angefeindet. Sie werden vielmehr gehaßt, weil das „Prinzip Amerika“ für seine Feinde die Absage ans Kollektiv und den individuellen Verzicht symbolisiert. Zwei Kolumnisten der Initiative traten den pazifistischen Hirngespinsten der Punkvoter und ihren offen antiamerikanischen deutschen und islamischen Freunden so entgegen: „We face mass death brought to us from radical thinking people bent on a mission from God that will stop at nothing to destroy us.“ (Ebenda)

Es verwundert kaum, daß das Conservative-Punk-Movement zu einem der zentralen Haßobjekte einer deutschen Punkszene geworden ist, die sich dem vorherrschenden gesunden Volksempfinden nahezu vollends unterworfen hat. Im Ox-Fanzine wurde unter den Überschriften „Americans are stupid“ bzw. „Und noch ein dummer Ami-‚Punk’“ über die Initiative berichtet (www.ox-fanzine.de); im Plastic Bomb wurden die Gedanken von Michael Graves auf eine „fast schon kindische Naivität“ (PB 48, S. 27) zurückgeführt und die Initiative als „Schwachsinn“ (PB 47, S. 95) bezeichnet. Einer der vorläufigen Höhepunkte: Graves’ Konzertagentur Avacado-Booking sagte eine Europatournee von Gotham Road, dem derzeitigen Bandprojekt des Conservative-Punk-Sprechers, aus politischen Gründen gleich ganz ab.

Jan-Georg Gerber (Bahamas 46 / 2005)

Anmerkungen:

  1. Wolfgang Pohrt: Nutzlose Welt. Ohnmacht im Spätkapitalismus [1973], in: ders.: Theorie des Gebrauchswerts. Über die Vergänglichkeit der historischen Voraussetzungen, unter denen allein das Kapital Gebrauchswert setzt, 2. Auflage, Berlin 2001, S. 27.
  2. Rechtschreibung und Grammatik der Zitate wurden aus Gründen der Leserlichkeit korrigiert.
  3. Ein Verweis auf das wohl bekannteste und beliebteste Lied dieser Art – „Deutschland“ von Slime – soll genügen. Strophe eins: „Wo Faschisten und Multis das Land regiern/ wo Leben und Umwelt keinen interessiern/ wo alle Menschen ihr Ich verliern/ da kann eigentlich nur noch eins passiern: Deutschland muß sterben, damit wir leben können.“ Strophe zwei: „Rot ist der Himmel, schwarz ist die Erde/ gold sind die Hände der Bonzenschweine (in einer späteren Variante: ‚Treuhandschweine‘)/ doch der Bundesadler stürzt bald ab/ denn Deutschland, wir tragen dich zu Grab.“ Strophe drei: „Wo Raketen und Panzer den Frieden sichern/ AKWs und Computer das Leben ‚verbessern‘/ bewaffnete Roboter überall/ doch Deutschland, wir bringen Dich zu Fall.“ Die Band beklagt sich damit nicht nur über Law and Order („bewaffnete Roboter“) u.ä.; sie beschwert sich vor allem auch darüber, daß der Staat nicht dem Volke diene sowie Staat und Gesellschaft nicht in eins fielen.
  4. Die Politpunk-Ikone Anti-Flag beschwerte sich etwa darüber, daß keine Gesetze existieren, „die eine Einflußnahme des Kapitals auf die Politik tatsächlich unterbinden“ (PB 43, S.; Youth Brigade äußerten in einem Interview, daß ein Anschlag wie am 11. September „zu erwarten war, nachdem die verschiedenen US-Regierungen den Rest der Welt so lange wie Dreck behandelt haben“ (PB 45, S.; und „Fat Mike“ Burkett, Sänger von NoFx und Gründer von Punkvoter, erklärte: „Amerika ist in diesen Tagen ein bißchen wie Deutschland 1937 oder 38. George Bush hat schon eine gewisse Ähnlichkeit mit Hitler.“ (PB 48, S.

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