Es gibt Männer, die sich gerne schlagen. Dazu verabreden sie sich auf irgendwelchen Blutwiesen, gehen dort in Gruppen aufeinander los und hauen sich so lange, bis die einen besiegt sind, oder schlicht keiner mehr kann. Einige müssen danach ins Krankenhaus, doch wenn alle wieder frisch sind, ein paar Wochen oder Monate später, ist es dann wieder so weit. Das war so auf ländlichen Volksfesten, während derer Schausteller und Teile der regionalen Jugend in der Regel für den letzten Tag der Veranstaltung nach dem offiziellen Betriebsschluß sich ihr nächtliches Stelldichein gaben, und das ist so bei einer gar nicht unbeträchtlichen Zahl sogenannter Hooligans, die es für unsportlich halten, die Vitrinen der Innenstädte zu zerdeppern oder einfach unbeteiligte Passanten niederzuschlagen. Auch sie verabreden sich nach dem Spiel irgendwo in der Nähe zum eigentlichen Nahkampf, Fan gegen Fan. Diesen im Grunde friedlichen Menschen kommt häufig die Polizei in die Quere, die der schönsten Schlägerei einfach ein Ende bereitet und nicht wenige Kraftsportler auch noch den Gerichten überantwortet, was diese Hooligans für sehr unfair halten. Warum, so argumentieren sie, darf man sich nicht hauen, wenn in die Schlägerei nur Leute verwickelt sind, die sich aus freiem Willen eben hauen wollen und dabei meist auch noch darauf achten, daß keiner schwere Verletzungen erleidet?
Die Mehrheitshooligans halten sich an solche Regeln nicht und ziehen es vor, statt sich nur untereinander zu schlagen, als das Gesindel, das sie sind, auch unbeteiligter Leute Eigentum oder Gesundheit zu beschädigen und manchmal sogar deren Leben auszulöschen. Vom Mehrheitshooligan unterscheiden sich bestimmte männliche Bewohner französischer Trabantenstädte nicht. Sie leben ihren Drang noch weniger unter sich aus als diese und gehen stattdessen gemeinsam gegen Schwächere vor, rauben sie aus, belästigen, terrorisieren sie und manchmal schlagen sie sie tot, besonders Juden, Frauen und Mädchen. „Von mir aus sollen sie sich gegenseitig totschlagen, wenn sie nur andere, die sich ihrer Bandenkultur, ihrer Religion und ihren prima Ehrvorstellungen nicht unterwerfen wollen, zufrieden lassen.“ Ich gebe zu, das vom Redemanuskript abweichend am 19. November 2005 vor gut 300 Leuten in einer Kirche in Kreuzberg gesagt zu haben. Es war keine wichtige Bemerkung, sondern nur eine auf dem vorläufigen Höhepunkt des mörderischen Wütens eines Vorstadtgesindels notwendige kleine Ansage an jene im Publikum, die friedliche Hooligans, die sich nur gegenseitig verprügeln, empört als schlimme Nazis denunzieren und zugleich darüber wachen, daß keiner unter Verweis auf deren unbeteiligte Opfer die Ehre eines ziemlich großen Teils der männlichen Jugend aus Clichy-sous-Bois oder Neukölln verunglimpft.
Mit einem halben Jahr Verspätung – sie recherchieren etwas langsam – haben sich viel schlimmere Hooligans, als die Schüler der Rütli-Schule es je gewesen sind, und die selbst noch Frankreichs marodierende Vorstadtbanden in den Schatten stellen, zum Befreiungsschlag zusammengetan: Scheinbar nur gegen die Antideutschen, die Bahamas und gegen den, von dem man weiß, daß er die Fäden zieht, in Wirklichkeit aber gegen den immer gleichen neighborhood bully, von dem sich inzwischen fast die ganze Welt belästigt wähnt. Kein Wort hätten wir über eine am 11.5.06 in Indymedia von einem postkolonialen Kim il Pot veröffentlichte Anklageschrift verloren, wäre nicht diesmal eine antirassistische Querfront offenkundig geworden, die von der jungen Gemeinde eines antisemitischen Netzwerkes für die Freundschaft der Völker zu einem völkischen Organ deutschen Selbstschutzes gegen jüdische Zumutungen reicht, deren Bestehen wir immer schon prophezeit und manches Mal auch schon bewiesen haben. In der „Offener Rassismus in der Bahamas-Redaktion“ betitelten Abrechnung mit Antideutschen und der deutschen Sprache wird in umso gesinnungstüchtigerem Betroffenheitsdeutsch ausgeführt: „Laut mehreren übereinstimmenden Augen[!]zeugenberichten von anti-deutschen Sympathisanten versuchte Wertmüller bei seiner Kommentierung der Aufstände [!] in den französischen Vorstädten die Stimmung im Saal per [!] Sarkozy-Stil mit einer Brandrede aufzuheizen, die darin gipfelte muslimische Jugendliche als wertloses ‚Gesindel‘ herabzuwürdigen. Da diese Menschen für ihn offenbar nur menschlichen Müll darstellen, wünschte er sich, daß sie ‚sich einfach gegenseitig umbringen‘ (...) Das Level der rassistischen Imaginationen im ‚antideutschen‘ Dunstkreis nähert sich bedrohlich einer ideologischen Traummaschine an wie sie im Zeitalter des westlichen [!] Imperialismus gewöhnlich war, als Vernichtungswünsche und Genozide wie selbstverständlich als Bestandteil der deutschen Alltagskultur ernsthaft verhandelt und kollektiv begangen wurden. Es war die Zeit als weiße Siedler [!], Hasardeure und Kolonialbeamte indigene [!] Menschen wie Tiere aus weltanschaulichen Überzeugungen, aus zweckmäßigen Gründen der Profitmaximierung und Aneignung oder auch nur zum Spaß ‚auszurotten‘ versuchten. (...) Es ist Zeit, daß alle Organisationen, die sich für eine offene, nicht-diskriminierende Gesellschaft einsetzen, sich dieser Sonderform des Rassismus entgegenstellen, der [!] als Sublimierung antisemitischer Tendenzen fungiert [!].
Kien Nghi Ha (Postkolonialer Autor und Politikwissenschaftler)“
So nicht-diskriminierend kommentiert man die Qualen und das Trauma einer behinderten Frau, die im November 2005 von moslemischen Mordbuben mit Benzin übergossen und angezündet wurde. So geht man über den Tod eines Hausmeisters hinweg, der in der gleichen Woche einige Trabantenstädte weiter hat sterben müssen, weil er versucht hatte, junge und sehr männliche Opfer des Postkolonialismus vom Autoabfackeln abzuhalten. So spricht nicht die Sonder- sondern die Mehrheitsform des Antirassismus, wenige Wochen nach dem Foltertod Ilan Halimis, der, weil er Jude war, von moslemischen Jungmännern aus den Banlieues „aus zweckmäßigen Gründen der Profitmaximierung und Aneignung oder auch nur zum Spaß“ ausgerottet wurde. Unvorsichtigerweise hat der postkoloniale Politikwissenschaftler, als er davon sprach, daß da etwas als „Sublimierung antisemitischer Tendenzen“ fungiere, eine Spur gelegt, die auf killing fields verweist, auf die ihm ganz deutsche Deutsche, die es schon lange mal wieder so richtig fungieren lassen wollen, jederzeit folgen. Der Autor ist übrigens kein ganz unbekannter. Kien Nghi Ha ist seit Jahren strebend bemüht, in einem an Mark Terkessidis anschlußfähigen Diskursjargon hanebüchene Banalitäten mit einem guten Schuß zivilisationsfeindlichem Ressentiment in linken Kleinverlagen und antirassistischen Journalen unterzubringen. (1)
Auf ihrer Kulturseite veröffentlichte eine freiheitliche Wochenzeitschrift nur wenige Tage nach dem Erscheinen des Aufsatzes von Kien Nghi Ha direkt unter einem durchaus postkolonialen Artikel zum 500. Todestag von Christoph Kolumbus, der „nie von reinem Entdeckergeist erfüllt gewesen sei, sondern von Geld und Geldgier“, eine Glosse mit dem Titel „Das antideutsche Sektensyndrom – der Zeitschrift Bahamas wird Rassismus vorgeworfen.“ Darin heißt es: „Zum allgemeinen Verständnis: Indymedia ist ein ‚Antifa‘-Nachrichtendienst im Internet und Bahamas die führende Zeitschrift der ‚Hardcore-Antideutschen‘, einer besonders durchgeknallten Fraktion der extremen Linken, deren ganze Liebe Israel und den USA gilt. Nun soll auf einer ‚Antideutschen Konferenz‘ in Berlin Bahamas-Redakteur Justus Wertmüller, von seinen nicht ganz so ‚antideutschen‘ Genossen ziemlich lieblos als ‚Wertmullah‘ verhohnepiepelt, die brandschatzenden und plündernden Nachwuchs-Kriminellen der Pariser Vorstädte als ‚wertloses Gesindel‘ bezeichnet und gewünscht haben, ‚daß sie sich einfach gegenseitig umbringen‘. (...) Mag Indymedia ihnen auch‚ ‚Rassismus‘ vorwerfen – wenn es gegen den ‚Islamo-Faschismus‘ und andere ‚vorzivilisatorische Schrecken‘ geht, laufen die ‚Antideutschen‘ regelmäßig zur Höchstform auf. In dieser ‚antideutschen‘ Hirntragödie fungiert der praktizierte bodenlose Anti-Antisemitismus in der Tat nur noch als ‚Sublimierung antisemitischer Tendenzen‘. Das immerhin haben die entsetzten Traditions-Linken nun scheinbar begriffen. Diesem vor allem auf der psychopathischen Ebene ablaufenden Trauerspiel endlich ein Ende zu machen, gelingt ihnen jedoch schon deshalb nicht, weil sich Linke und ‚Antifa‘-Bewegung in inhaltlicher Geiselhaft der ‚Antideutschen‘ befinden.“ (Werner Olles, Junge Freiheit, 19.5.06)
Olles hat gelernt, daß seiner Vision eines entkolonialisierten Deutschlands integrierte, laizistische Mitbürger nichtdeutscher Herkunft, die weder dem Mullah, noch dem völkischen Auftrag, noch deutschen Freunden autochthonen Volkstums gehorchen und deswegen eben nicht als Araber oder Moslems oder sonstwie Neokolonisierte zur Vernichtung Israels oder zur Folterung von Juden aufrufen, am nachhaltigsten schaden könnten. Diese Bedrohung vor Augen, nahm er sich zusammen und verkniff es sich, „Deutschland den Deutschen“ auszurufen, obwohl es ihm offensichtlich schwerfiel, nicht in Höchstform zu kommen. Er lernt noch und setzt als berufsmäßiger Warner vor Überfremdung das Wort Rassismus weiterhin in Anführungszeichen – zum Bündnis mit allen Antirassisten ist er aber schon bereit. Wie in Frankreich Jean-Marie Le Pen und in Deutschland die NPD weiß er nur zu genau, daß die Kritik am islamischen Umma-Sozialismus einen im Grunde doch nationalen Mann wie von selbst in inhaltliche Geiselhaft der USA und letztlich sogar Israels treibt. Islamische Identität und Antisemitismus gehören schließlich so eng zusammen wie völkische Erweckung und der Aufruf zur Befreiung vom jüdisch-amerikanischen Finanzkapital bei deutschen oder französischen Nazis. Islamische Identität anzugreifen, um so die eigene, angeblich originär nationalsozialistische zu retten, führt zu schrecklichen Verrenkungen, die im schlimmsten Fall die Fahnenflucht zur Folge haben könnten. Warnend stehen Olles wie Le Pen die Wandlung der Alleanza Nazionale unter dem Druck von Finis Mehrheitsflügel in eine westlich-konservative Partei vor Augen, die der Entsendung italienischer Truppen in den Irak zugestimmt und, vertreten durch ihren Vorsitzenden, schließlich auch Israel die Reverenz erwiesen hat. Um den nationalsozialistischen Boden nicht unter den Füßen zu verlieren, müssen postkoloniale Autoren und Demagogen den Kern ihrer Lehre, dem zufolge die Juden unser Unglück seien, nicht nur gegen jede Form „bodenlosen Anti-Antisemitismus’“ bzw. jede „Sonderform des Rassismus, die als Sublimierung antisemitischer Tendenzen fungiert“ verteidigen. Sie wissen sehr genau, daß Juden in Westeuropa seit spätestens 9/11 weit eher die Opfer moslemischer Jungmänner werden als von Olles Kameraden. Den Olles, die dauernd vor der Zersetzung deutschen Volkstums warnen, ist das Zweckbündnis mit der islamischen Straße ein notwendiges Übel, das einzugehen letzte Garantie für das Überleben des eigenen völkischen Gedankens ist. Weil nicht nur dezidierten Nazis, sondern auch den intellektuellen Vermittlern nationaler Tradition die Reinheit von Rasse und Ideologie Kampfauftrag ist, auch wenn sie sich da vorsichtiger ausdrücken würden, blicken sie neidvoll auf die islamische Formierung. Die Erfolgsgeschichte der grünen Bewegung ist ihnen Vorbild für die eigenen stagnierenden Organisierungsbemühungen und zugleich Gewähr für die leichte Unterscheidbarkeit verschiedener Rassen und Völker – eine notwendige Voraussetzung für die dereinst vorzunehmende Entmischung. Damit aus dieser Dialektik von gefühlter Nähe und Xenophobie eine verbindliche Partnerschaft auf Zeit wird, bedarf es ideologischer Anleihen bei den einzigen Rassenkundlern, die ungestraft ihre Geschäfte betreiben können: Europäische Rechtsradikale können ihre Ausländerfeindlichkeit nur erhalten, wenn sie mit der antirassistischen Linken ein Bündnis gegen jene eingehen, „deren ganze Liebe Israel und den USA gilt“. Mit den Antirassisten im Bunde wird aus der brüchigen Achse zwischen Islam und Deutschtum jener Stahlpakt, der, von den Rändern des politischen Spektrums ausgehend, die Mitte in den Zangengriff nimmt. Vermischung im Zeichen von Integration, das Aufgehen partikularer Kulturen in einer westlichen Gesellschaft und Kultur, deren Mitglieder ihre Händel nach gesetzten Regeln untereinander ausmachen und kein einigendes Feindbild brauchen, ist nicht nur rechtsradikalen Kulturrelativisten ein Greuel. Dort, wo der Ausländer schlicht verloren geht, weil er sich vom Inländer partout nicht mehr unterscheidet, triumphiert die bürgerliche Republik, die, wo sie funktioniert, unter anderem friedliche Hooligans hervorbringt, die sich sportlich prügeln, eine Republik, die zugleich den Mehrheitshooligans, seien es nun marodierende Freunde des Fußballs, des wahren und einzigen Gottes oder Voigts braune Burschen mit größter Strenge heimleuchtet. Einig in ihrem Haß auf eine Staats- und Gesellschaftsform, die jeder Form spontaner Gemeinschaftlichkeit mißtraut, setzen völkische und antirassistische Abenteurer auf das Recht des kollektiv agierenden Stärkeren und statten ihre stellvertretend agierenden Hooligans mit dem unveräußerlichen Recht aus, Unbeteiligte zu nötigen, mit dem Tode zu bedrohen und gegebenenfalls auch zu töten. Den Übergriff auf völlig Unbeteiligte als Notwehrhandlung anzuerkennen, den Verfolgten eine geheimnisvolle Mitschuld an ihrem Schicksal zu unterstellen und für die Täter eine höhere Sache, für die sie einträten, in Anschlag zu bringen, dieses Setzen auf Schicksalsgemeinschaften, deren Identität die brutale Tat verbürgt, einigt ganz links und ganz rechts in Deutschland und darüber hinaus in ganz Old Europe mit den wirklich Grünen.
Als peer groups einer gesamtdeutschen Hooligan-Bewegung machen sie sich nach der bewährten Strategie: getrennt marschieren, vereint schlagen, auf den langen Marsch auf die Zentralen der Macht. Dabei stoßen sie seltsamerweise nicht auf die kritischen und repressiven Bataillone der Republik, sondern auf einen Swinigel, der schon all hier ist: Zum Beispiel in der Pommernschule in Berlin-Charlottenburg, wo den Maiks des Landes, allen anderen Landsleuten zur warnenden Belehrung, ein für allemal klar gemacht wird, auf welcher Seite sich deutsche Pädagogik und deutsche Toleranz einrichtet, wenn einer gegen die repressive Mehrheit aufsteht. Zum Neighborhood Bully (Bob Dylan) werden in der Pommernschule nicht etwa jene erklärt, die sich als Gesindel gegen von ihnen als artfremd diskreditierte Lebensführung und artfremdes Leben überhaupt zusammenschließen, sondern die Abweichler, die es wagen, statt schamhaft ihre „Abartigkeit“ zu verbergen, diese offen zeigen und damit notwendig die Klassengemeinschaft, die jederzeit eine Religions- oder Volkstumsgemeinschaft sein könnte, so sehr provozieren, daß es kein Wunder ist, wenn sie „ganz viel negative Aufmerksamkeit auf sich ziehen“. Im O-Ton der am 3.5.06 ausgestrahlten Folge der beliebten ZDF-Doku-Soap, „SOS-Schule“ klingt das so: (2)
Sprecher: Er (Adriano, 17) hat ein Problem mit dem Maik (16), der schafft es nicht, sich in die Klasse zu integrieren und eckt immer wieder an. Außenseiter Maik soll mit Hilfe der Sitzordnung besser in die Klasse integriert werden. Er ist erst seit ein paar Monaten an der Schule und hatte sich gleich zu Anfang als schwul geoutet. Seitdem wird er gemobbt. Jetzt will (Vertrauenslehrerin) Sabine Deutschmann für ihn einen Platz zwischen anderen Schülern finden. Einziges Problem: Keiner will neben ihm sitzen. Die Aggression der Klasse gegen Maik ist deutlich spürbar. Grund der Ablehnung: Er hat sich in Mitschüler Adriano verliebt und das auch offen rumerzählt. In der von Machogehabe geprägten Klassenatmosphäre ein schwerer Fehler. Für Adriano ist das eine Kampfansage. Um die Situation zu klären, werden die beiden aus dem Unterricht geholt. Gemeinsam mit der Vertrauenslehrerin führt Coach Hendrik Stoya Einzelgespräche.
Einblendung Maik: Und zwar ist das so gewesen, daß wenn ich halt ein Liebeslied höre, daß ich dann die ganze Zeit immer an Adriano gedacht hab und dann halt auch die ganze Zeit Gefühle bekommen hab, obwohl ich schon oft von ihm gehört hab, daß ich ihn in Ruhe lassen soll und dadurch wurde er dann richtig sauer am Montag.
Einblendung Adriano: Demütigend sozusagen, weil das halt jeder mitbekommt und weil man dann auch als – keine Ahnung – so als Schwuchtel auch selber bezeichnet wird.
Einblendung Klassenzimmer. Florian (16): Der, der, geh einfach weg von mir. Verschwinde! Ich will dich nicht sehen einfach. Ich will keine schwulen Menschen sehen einfach. Ist man selber schuld. Schülerin: Zu seinem Wohl wäre das doch eigentlich auch, wenn er allein sitzen würde. Dann würde ihn keiner anmachen und er könnte auch nicht so ... na ja. Sozialarbeiter Stoya: Ich geb dir da in Teilbereichen recht, aber das Problem vorher war, er hat hier alleine gesessen und alle haben ihn von hinten beschmissen, das geht so nicht. Es geht ja nicht darum, daß hier Freundschaften gepflegt werden sollen, auch mit Maik, es geht um eine gegenseitige Akzeptanz. Jeder ist, wie er ist, fertig. Florian: Ich komme mit schwarze Neger zu mein Schule und hier ein (faßt sich an die Nase und macht ein Zischgeräusch) Pissfleck (Schülerin korrigiert: ein Stein) oder was weiß ich, was das hier ist, Augenbrauen geschminkt, auf den Wimpern auch.
Stoya: Wenn einer Scheiß baut, ist es akzeptiert. Wenn einer Sachen durch die Gegend schmeißt, ist es akzeptiert, wenn einer es auf diese Art und Weise macht (zeigt dabei auf Maik), ist es nicht akzeptiert. Ich denke, das mag auch in Maiks Geschichte begründet sein, daß er oft eine Art und Weise an den Tag legt wo er oft ganz viel negative Aufmerksamkeit auf sich zieht. Wenn ich mir das so angucke, was hier in der Klasse gelaufen ist, der ist hier rein gekommen und hat sich gleich komplett geoutet. (...)
Florian: Warum sucht der sich nicht eine Schule, wo mehr wie ihn gibt? Ja, ganz ehrlich. Vielleicht ham die dann da das zu sagen, wo mehr Schwule drauf sind.
Stoya: Findest du das eine Lösung?
Florian: Ja das ist eine Lösung, dann wird er da nicht unterdrückt wie hier. Egal was er hier macht. Er hat so angefangen, es wird so enden, er ist selber schuld daran.
Stoya: Ich möchte euch einfach bitten, ihn auch als Mensch zu respektieren und auch zu akzeptieren. Er ist kein Aussätziger.
Einblendung Adriano: Ehrlich gesagt, es ist auch nicht richtig, was wir mit ihm machen, aber ich halt mich auch zurück jetzt mittlerweile, aber es ist halt seine eigene Schuld.
Sprecher: Normalerweise sollen bei Mobbingfällen die Täter und nicht die Opfer die Klasse verlassen, doch der Direktor sorgt sich um Maiks Sicherheit. Im Fall Maik gibt es eine Entscheidung: Schulwechsel ab sofort.
Direktor: Er hat gezittert am ganzen Leib und hat mir gegenüber auch gesagt, daß er schlichtweg Angst hatte, daß irgendetwas passieren könnte. Er hat diese bedrohliche Situation auch so empfunden, wie wir sie eben auch sofort erkannt haben, und er hat jetzt die Chance, völlig unbelastet in der anderen Schule seine schulische Laufbahn zu beenden.
Klassenlehrer: Ich habe meine kleinen Tränen auch schon ein bißchen geschluckt. Man gibt doch unheimlich viel Energie und Emotion da rein. Es war immer ein Kampf und wir haben diesen Kampf beinah gewonnen. Maik, wir haben ihn beinahe gewonnen und überleg dir gut, das war dein Versagen in dem Fall.
Beim Abschied unter Tränen vor der Klassenzimmertür hinter der man den üblichen Krawall und gelegentliches Johlen hört (u.a. eine Mädchenstimme: ,fliegt Maik von der Schule?‘), sagt Deutschmann, während Maik ihr ein Tempotaschentuch reicht: Es ist besser für dich, es ist wirklich besser. (...) Du machst es schon Maik. Paß auf dich auf. Mach den gleichen Fehler nicht nochmal. Mach einen Neuanfang. Paß dich an ein bißchen, dann werden dich die Menschen auch mögen, aber hier kriegst du keinen Fuß mehr an den Boden.
Bezeichnenderweise war der Sozialpädagoge Stoya nicht in der Pommernschule unter Vertrag, dafür aber beim ZDF. Seine Tätigkeit vor Ort beschränkte sich auf die Auftritte vor laufenden Kameras. Der Mann, der als anerkannter Fachmann maßgeblich dafür verantwortlich war, daß aus dem Opfer der Mittäter wurde, handelte im öffentlichen-rechtlichen Auftrag.
Wenige Tage nach der Ausstrahlung dieses deutschen Dokuments wurde im dritten Programm, im RBB, ein langes, ruhiges und sehr instruktives Gespräch mit Paul Spiegel aus dem Jahr 2000 wiederholt. Darin erzählt Spiegel, der schon wenige Monate nach Kriegsende als kleiner Junge mit seiner Mutter aus den belgischen Verstecken kommend, zusammen mit seinem Vater, der die Lager überlebt hatte, nach Deutschland zurückgekehrt war, zwei Anekdoten: Bereits Anfang 1946 machte sein Vater, der seinen Beruf als Viehhändler sofort wieder aufgenommen hatte, am Bahnhof der westfälischen Heimatgemeinde der Spiegels, Warendorf, eine unangenehme Erfahrung. Ein konkurrierender, nichtjüdischer Viehhändler begrüßte ihn mit den Worten, „ach, der Jude ist auch schon wieder da“, woraufhin Spiegel senior einen Knüppel ergriff und begann, den Antisemiten zu verprügeln. Von herbeigeeilten Passanten festgenommen, wurde er einem britischen Militärpolizisten übergeben, der sich den Fall schildern ließ und, bevor er ihn freiließ, sich bei Spiegel senior verwundert erkundigte: „Warum hast du ihn nicht totgeschlagen?“
Die Kollegen dieses uniformierten Republikaners taten schon ein Jahr später nicht weniger einseitig auf dem Schulgelände von Warendorf Dienst, wo sie den Schüler Paul Spiegel, der versucht hatte, wie der Papa sich gegen die erdrückende Übermacht seiner offen antisemitischen Mitschüler auch unter Einsatz körperlicher Gewalt zu wehren, über Monate hinweg durch ihre Präsenz schützten und ihm so dazu verhalfen, als jüdischer Schüler in einer zwar feindseligen, aber nachhaltig verwarnten Umgebung seinen Weg zu machen. Wovon Paul Spiegel im Interview diskret nicht sprach, weil er vom exemplarischen Charakter seiner Familiengeschichte wußte, war dies: Die britischen MPs müssen sich gedacht haben, daß, wenn es nach ihnen gehen würde, die Krauts sich gerne gegenseitig totschlagen könnten. Wenn dieses Gesindel aber glaubte, sich ungestraft gegen Juden oder andere von ihnen erst kürzlich displaced persons zusammentun zu dürfen, dann waren sie nur allzu gerne bereit, den big stick herauszuholen. Solch repressive Praxis gegen die Mehrheit und für den einzelnen von ihr Verfolgten war nicht nur die Voraussetzung für die Rückkehr selbstbewußter Juden nach Deutschland, sie ist darüberhinaus die Grundlage jeder Pädagogik, die vermitteln will, daß niemand wegen seiner Herkunft oder seiner sexuellen Vorlieben „zum Aussätzigen erklärt werden darf“, wie der öffentlich-rechtliche Familiencoach sich ausdrückte, bevor er Maik seine gelebte Homosexualität als Verstoß gegen die Klassengemeinschaft zum Vorwurf machte und so mithalf, ihn wie einen Aussätzigen von der Schule zu verbannen.
Die Pädagogen, die da den Florians der Pommernschule, die nicht zufällig genau so aussehen und sprechen wie die Ahmeds von der Rütlischule, ihre Rolle als Obersturmbannführer der Klasse nicht bestreiten, weil sie den Einsatz disziplinarischer Mittel vom Schulverweis bis hin zu denen des Jugendstrafrechts scheuen, sind wahrscheinlich weder dezidiert homophob noch antisemitisch. Deutschlands Deutschmanns und Stoyas sind demokratisch und mulitkulturell erzogen worden und haben an anderen Einsatzorten prima Erfolge damit erzielt, Schulklassen nahe zu bringen, daß Homosexuelle auch Menschen seien. Genau dort nämlich, wo die Mehrheit der Schüler aus bildungsnäheren Schichten stammt und dergleichen Belehrungen nicht braucht, weil sie das schon von klein auf weiß. Wenn die Mehrheitsverhältnisse auch an der Pommernschule gestimmt hätten, wäre es den beiden Pädagogen ein Vergnügen gewesen, dem homophoben Florian eine Grenze zu ziehen.
Doch: einmal Demokrat, immer Demokrat. Die Voraussetzung für die weitgehende Liberalisierung der BRD-Gesellschaft, das von Amerikanern, Engländern und Franzosen ausgesprochene und von ihnen überwachte Verbot über die Deutschen also, sich weiter wie die Nazis aufzuführen, die sie im tiefsten Herzen geblieben sind, haben die Bundesbürger als Kolonisierung und Fremdbestimmung stets verabscheut. Selbstbestimmung, ausgelebt als unmittelbare, plebsizitäre Demokratie, war den scheinbar Antiautoritären unter ihnen auch damals schon Vorsatz, als sie sich für die Rechte von Homosexuellen gegen die herrschende bigotte und repressive Moral einsetzten. In den 70er Jahren hat nur keiner merken wollen, daß die populäre Forderung nach plebiszitärer Demokratie und dem Abzug der in der BRD stationierten alliierten Truppen sich mit dem Schutz vor repressiven Gemeinschaften, den Juden, Homosexuelle und vielfach auch Ausländer nun einmal zum Überleben brauchen, auf Dauer nicht vertragen würde. Heute ist man dank Wiedervereinigung und eines erfolgreichen, zwar nur rhetorisch geführten, dafür aber ganz dem Frieden verpflichteten Waffengangs gegen den letzten Imperialisten in Sachen Selbstbestimmung bis hinunter in die Schulen einen guten Schritt vorwärts gekommen. Beziehungslos nebeneinander stehen seither die aus den „kolonialen“ Zeiten vor 1990 stammende Regel, daß niemand, von welcher Gemeinschaft auch immer, zum neigborhood bully abgestempelt werden darf und das Gebot, endlich einmal ganz antiautoritär dem Volk bei der Bestimmung seiner Identität freie Hand zu lassen. Keiner will in diesem längst und anerkanntermaßen aus einer Multitude identitärer Gemeinschaften zusammengesetzten Volk die Hooligan-Versammlung erkennen, die sich niemals selbst genügen kann, sondern sich ihrer Identität dadurch stets aufs Neue versichern muß, daß sie Außenstehende terrorisiert. Folglich entdeckt niemand das diesem sich ausbreitenden Unwesen zugrundeliegende Problem in einer zunehmend schrankenlosen Demokratie, die sich von der Herrschaft des Gesetzes, der Gewaltenteilung und der Achtung des dissidenten Individuums lossagt. Was immer die Gemeinschaften auch untereinander unterscheidet, stillschweigend sind sie darin übereingekommen, daß niemand sich anmaßen dürfe, eine über dem Faustrecht aller Banden stehende Ordnung, oder gar eine sie begründende Moral in Anschlag zu bringen. Das einigt die Junge Freiheit mit Indymedia, das ist der Grund, warum die vom jeweiligen Gesindel als gemeinschaftsgefährdende Elemente verunglimpften Einzelnen mit immer weniger Schutz rechnen können. Die unbeteiligten, außenstehenden Opfer der immer mächtigeren Gemeinschaften werden in der unvermittelten Demokratie, die in den jeweils kulturell definierten Segmenten längst fast ungehindert ausgelebt wird, zu den eigentlichen, den inneren Frieden störenden Tätern erklärt. Und es sind nicht zufällig die immer gleichen, die es als erste trifft. Wenn nicht nur in der sich islamisierenden Kiezschule, sondern zunehmend auch in der mehrheitlich authochthonen wieder das Halali gegen Schwule geblasen wird, und keiner etwas dagegen unternimmt, bestätigt sich, daß die Stützen einer als Patchwork der Minderheiten apostrophierten Gesellschaft sich schon damit abgefunden haben, daß der wahren Demokratie eben hie und da Dankesopfer dargebracht werden müssen, auch wenn es einem damit als Vertrauenslehrerin oder Familiencoach nicht immer so gut geht.
Was in Deutschlands Schulen vorläufig nur den schwulen Maiks und den westlich orientierten Fatmas, die sich weigern, sich den Gesetzen ihrer älteren Brüder zu unterwerfen, widerfährt, weil wegen der Wahrung des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland im Ausland peinlich darauf geachtet wird, daß jüdische Kinder nicht auf die Pommern- geschweige denn die Rütlischule gehen müssen, ist in einem für seine Liberalität berühmten Nachbarland schon ganz demokratisch Realität für alle „Aussätzigen“. Nicht genug damit, daß in Holland jüdische Schulkinder ihren moslemischen und manchmal auch autochthon-niederländischen judenhassenden Mitschülern ausgeliefert werden und der Staat sich weigert, seine Verantwortung als Exekutivorgan einer Republik wahrzunehmen, die alle Klassengemeinschaften zu zerschlagen hätte, in denen Hatz auf den „Kankerjod“ gemacht wird. (3) In Holland ist man seit Mitte Mai dieses Jahres noch einen entscheidenden Schritt weiter gekommen. Während Maik aus der Pommernschule hoffentlich nicht in die nächstbeste Sudetenschule versetzt wurde, sondern möglicherweise Gelegenheit bekommt, unangefeindet als Schwuler unter Heterosexuellen dort lernen zu können, wo die Eltern seiner Mitschüler ihren Kindern beigebracht haben, daß Schwule genauso Menschen sind wie Du und ich, hat man in den Niederlanden ganz demokratisch – also ohne auf Recht und Gesetz falsche Rücksichten zu nehmen – beschlossen, das Feld in den Schulen und in der Öffentlichkeit nunmehr gänzlich den Streitern Allahs und anderen Homophoben und Antisemiten zu überlassen. Was dem Mörder Theo van Goghs nicht gelungen ist, schaffte ein entsprechend aufgehetzter Mob namens öffentliche Meinung spielend und ganz ohne Gewalt: Die kalte Abschiebung der prominentesten und konsequentesten Republikanerin und deswegen auch vornehmsten Kritikerin der zunehmend totalitären Auswüchse im Land. Zuerst verurteilte ein Zivilgericht in Amsterdam Ayaan Hirsi Ali zur Räumung ihrer Wohnung und gab damit den klagenden Nachbarn recht, die durch die prominente, unter Polizeischutz stehende Mieterin den Wohnwert ihrer Häuser gemindert sahen. Wenige Tage nach diesem ungeheuerlichen Rechtsbruch war es ein „Dokumentarfilm“ geheißenes Propaganda-Machwerk mit dem denkwürdig höhnischen Titel „Die heilige Ayaan“, das Anfang Mai in einem linken TV-Kanal ausgestrahlt wurde, und mitbewirkte, daß mehr als 40 Prozent der Holländer bekundeten, Hirsi Ali sei als Lügnerin, die sich die holländische Staatsbürgerschaft erschlichen habe, des Landes zu verweisen. In „Die heilige Ayaan“ wurde nicht nur eine in ganz Holland bekannte Geschichte wiederaufgewärmt, die Hirsi Ali höchstpersönlich vor drei Jahren in einem Fernseh-Interview bekannt gemacht hatte, wonach sie unter falschem Namen und falschem Geburtsdatum eingereist ist – was damals niemanden gestört hatte. Zu einsamer Höhe der Recherchekunst gelangten die Filmmacher dadurch, daß sie in Kenia und Somalia Angehörige der durchwegs umma-sozialistisch gesinnten Familie Hirsi Alis vor die Kamera holten, die überraschenderweise bekundeten, Ayaan sei gar nicht zwangsverheiratet worden, sondern hätte in die Ehe, vor deren Vollzug sie geflohen ist, aus freien Stücken eingewilligt. Gegen solche Zeugen der Anklage vermag die Aussage einer „Exmuslimin aus Somalia“, wie ein Jungle-World-Redakteur Hirsi Ali schon vor zwei Jahren vorausschauend denunziert hatte, nichts mehr auszurichten. Als die Justizministerin und Parteifreundin Hirsi Alis, Rita Verdonk, sich öffentlich dem Kesseltreiben anschloß und die Ausländerbehörden anwies, zu prüfen, ob Ayaan überhaupt Niederländerin sei, warf diese das Handtuch und wanderte in die USA aus, wo sie ohne jede bürokratische Prozedur mit offenen Armen empfangen wurde. Noch 2004 zur zweitpopulärsten Politikerin des Landes erklärt und schon 2006 rausgemobbt – das sind europäische Karrieren, die sich so lange wiederholen werden, bis keiner mehr wagt, seinen dissidenten Mund öffentlich aufzumachen, oder endlich Theo van Goghs dringender und mit dem Leben bezahlter antifaschistischer Appell an alle Niederländer und darüber hinaus an alle Republikaner, geschlossen gegen den grünen Totalitarismus und seine antirassistischen Komplizen aufzustehen, sich durchsetzt. „Die in Somalia geborene Politikerin verläßt, nein, flüchtet aus ihrer Wahlheimat, weil die Niederlande und große Teile Europas eine traditionelle moslemische Frau, die ihren Mund hält, einer Frau vorziehen, die sich gegen islamische Intoleranz zur Wehr setzt. Frau Hirsi Ali konnte die Morddrohungen gegen ihre Person aushalten. Aber sie konnte es nicht länger ertragen, von den Holländern gerade deswegen im Stich gelassen zu werden, weil sie einfach für die Werte, die sie ihr beigebracht haben, kämpfte, Werte, die sie jetzt nicht die Courage haben zu verteidigen. Die Holländer haben sich der gefährlichen Illusion hingegeben, daß wenn nur Ayaan Hirsi Ali fortginge, zusammen mit ihr alle Probleme im Zusammenhang mit dem radikalen Islam ebenfalls aus dem Land verschwinden würden. (...) Frau Hirsi Ali ist vielleicht die erste, wird aber nicht die letzte Nach-9/11-Dissidentin sein, die Zuflucht imLand der Tapferen und derFreien suchen wird. Genauso wird jede Erholung der Grundstückspreise in Frau Hirsi Alis Nachbarschaft von kurzer Dauer sein. Wo die Verteidiger der Demokratie fliehen müssen, während die Feinde der freien Gesellschaft sich auf den Straßen herumtreiben, werden nicht nur die Grundstücke notwendig sehr billig werden. Das gleiche wird für das Leben, die Freiheit und das Streben nach Glück gelten.“ (Daniel Schwamenthal, Wall Street Journal, 20.5.06)
In Frankreich spielt die 9/11-Connection – und um die geht es, wann immer es gilt, den „islamophoben“ Dieb zu halten – als Vorwand zur innerstaatlichen Feinderklärung gegen die letzten Republikaner eine noch bedrohlichere Rolle als in den Niederlanden. Hier agiert man sein Ressentiment nicht an einer Politikerin aus, die den für sie vorgesehenen Job als Quotenmuslima nicht machen wollte – so etwas aus der Art geschlagenes gibt es in Frankreich gar nicht – sondern ging ganz pazifistisch auf die Suche nach den wahren Störern des demokratischen Konsenses, die schnell ausgemacht waren. (4) Es waren nicht irgendwelche einschlägigen Trotzkisten oder Maoisten, sondern die hochseriöse Tageszeitung Le Monde, die im März 2003 mit einer Abschußliste aufwartete, die unter dem Schandtitel: „In Frankreich sagen diese Intellektuellen ja zum (Irak-)Krieg“ veröffentlicht wurde. Völlig unabhängig von ihren zum Teil konträren Standpunkten wurden als Kriegstreiber André Glucksmann, Pascal Bruckner, Romain Goupil, Bernard Kouchner, Alain Finkielkraut, Jacky Mamou, Pierre Lellouche, Michel Taubmann und Shmuel Trigano aufgelistet, alle ganz zufällig Juden. Etwas irritiert über die dann doch vereinzelt öffentlich geäußerten Antisemitismus-Vorwürfe änderte Le Monde im Oktober des gleichen Jahres die Taktik, nicht aber das Target. Damals publizierte das Intellektuellenblatt eine weitere Namensliste von potentiellen Störern, die diesmal nicht die Redaktion, sondern ein indigener, postkolonialer und schon deshalb unangreifbarer Intellektueller zusammengestellt hatte: Tariq Ramadan. Der präsentierte Leute, die die Sünde begangen hätten, die universellen Werte der französischen Aufklärung zugunsten der partikularistischen Interessen jüdischer Communities verraten zu haben. Es handele sich bei den genannten durch die Bank um Agenten Ariel Scharons, die einer jüdischen Zelle in die Hände arbeiteten, die die amerikanische Außenpolitik kontrolliere. Die Liste vereinigte Alain Finkielkraut, Alexandre Adler, Bernard Kouchner, André Glucksmann, Bernard-Henri Levy und als einzigen Nichtjuden Pierre-André Taguieff.
Nichteuropäische Intellektuelle vermögen das französische Hooligan-Problem in ruhigem Ton zusammenzufassen: „Aktuell ficht eine Handvoll französischer jüdischer Intellektueller in einer Schlacht, in der sie offensichtlich die einzigen Stimmen des Dissenses gegen einen lahmen liberalen Konsens repräsentieren, den man auf Französisch die „pensée unique“ nennt. Das ist eine Bewegung des Denkens, die in rigider Weise die Bandbreite von Standpunkten einengt, die sowohl in der französischen akademischen Welt, der französischen Presse und der französischen politischen Kultur erlaubt sind. Diese jüdischen philosophes sind zumeist rechtsgerichtet, obwohl sie in keiner Verbindung mit Frankreichs traditionell konservativen Ideologien stehen, die, weil sie in Frankreichs alten konterrevolutionären Traditionen wurzeln und für immer durch die antisemitische Dreyfus-Bewegung und Vichy besudelt sind, Juden keine Heimat bieten. Sie sind eher, Amerikas Neokonservativen nicht unähnlich, abtrünnige Linke, die einst an den Studentenprotesten von 1968 teilgenommen haben, und heute die Linke im Namen der Werte der Aufklärung kritisieren, die, so argumentieren sie, die Linke allzu eilfertig verraten habe. Sie definieren sich selber als geschworene Feinde des Totalitarismus in allen Formen und rufen, anders als die Neocons es nötig haben, eine Form des Liberalismus in Erinnerung, der Amerikanern und Briten vertraut ist, aber südlich des Kanals niemals Wurzeln geschlagen hat (...). Zuletzt, und das möglicherweise fatalerweise für die französisch-jüdische intellektuelle Tradition, haben diese neuen Intellektuellen einen Hauch von dem, was man das Pim-Fortuyn-Syndrom nennt, an den Tag gelegt: Eine Furcht vor dem Islam und dem Islamismus, die auf die Bedrohung, die beide für die liberale Kultur darstellen, zurückgeht.“ (Zeek, 05/06) In den sicheren und freien USA, aus denen diese kluge Analyse stammt, klingt manches überspitzte und auch unüberlegte Wort von Finkielkraut und anderen vielleicht fatal. Wer aber in einem Land lebt, in dem die Hooligans der pensée unique Juden noch die Vorbereitung zur Flucht vor der moslemischen Straße nach Israel als besonders perfides Manöver ankreiden, die Grande Nation in Mißkredit zu bringen, dessen Warnungen vor der sich abzeichnenden Identität von pensée unique und pensée musulmane mögen sich manchmal in Worten äußern, die den Anforderungen einer durchdachten Polemik nicht standhalten.
Ist man in Holland nach der Flucht Ayaan Hirsi Alis teilweise ernsthaft bestürzt über die eigene objektive Kollaboration mit dem islamischen Totalitarismus, den man duldet, weil man seine Ruhe haben möchte, und streitet man in Frankreich immerhin noch auf den Debattenseiten der großen Tageszeitungen mit jüdischen Republikanern, so herrscht in Deutschland fast vollständige Ruhe. Es gibt keine dissidenten Stimmen, schon gar keine intellektuellen. Bei allen Verdiensten, Necla Kelek und Seyran Ates reichen an Ayaan Hirsi Ali nicht heran, weil beide den Zusammenhang zwischen europäischem Antiamerikanismus und Israelhaß und der zunehmenden islamischen Gewalt höchstens am Rande bemerken und weder ein Theo van Gogh noch ein Alain Finkielkraut hierzulande die pensée unique stören. Über Antisemitismus empören sich in Deutschland hierzulande am lautesten die garantiert zahnlosen „Freunde“ Israels, die an einer Demonstration gegen Ahmadinedschads möglichen WM-Besuch nicht teilnehmen wollen, weil der bayerische Innenminister zu den Erstaufrufern zählt. Es sind Leute, die zugleich jederzeit und gerne mit Antisemitismuskritikern vom Schlage eines Klaus Holz diskutieren, der sein großes Herz für die französische racaille schon lange vor dem Mord an Ilan Halimi entdeckt hat. Mit der ganzen Nation emanzipieren sich die akademisch oder pädagogisch mit dem Antisemitismus Befaßten Schritt für Schritt von einer „inhaltlichen Geiselhaft“, durch Antideutsche, womit – so sehr man uns auch haßt – zu keinem Zeitpunkt in erster Linie diese Zeitschrift oder ihre Leser gemeint sind, sondern vor allem amerikanische oder israelische Kritiker und vereinzelt auch deutsche jüdische Verbände oder Einzelpersonen, die wie Paul Spiegel gelegentlich noch daran erinnern, daß nur eine von westlichen „Kolonisatoren“ aufgezwungene und vom jüdischen Staat schärfstens beobachtete pseudorepublikanische Ordnung deutschen Hooliganismus einige Jahrzehnte lang in die Schranken verwiesen hat.
Antikoloniale Demagogen wie Kien Nghi Ha von Indymedia und Werner Olles von der Jungen Freiheit sind sich mit der Mehrheit im Land, deren Credo kurz und bündig „Bush ab nach Den Haag“ lautet, völlig einig, auch wenn es zuletzt auf einem Transparent der NPD zu lesen war (Foto in der Europa-Ausgabe der türkischen Milliyet vom 2.6.). Sie sind mit ihrem Alarmismus im Grunde völlig überflüssig, denn noch der Hinweis auf den bei bedingungslosen Freunden Israels vorhandenen „sublimierten Antisemitismus“ stammt nicht von ihnen, sondern von in der Mitte der Gesellschaft angesiedelten Antisemitismuskritikern, die sich wie Dr. habil. Klaus Holz und Dr. phil. Martin Kloke ihr Einkommen als Lohnschreiber und Podiumsgäste beim Verfassungsschutz ein wenig aufbessern. Alles weitere regeln in Deutschland nicht „Extremisten von links und rechts“ und auch nicht der Geheimdienst, sondern der Familiencoach, der zusammen mit der Vertrauenslehrerin die schwulen Maiks oder Mehmets vor den homophoben Florians und Ahmeds nur dann schützt, wenn die Mehrheit der Klasse sich nicht als Gemeinschafts-Hooligans gegen, sondern als Verein freier Schüler vor ihre schwulen Mitschüler stellt.
Auch wenn es nichts nützt: Beruhigender ist die Vorstellung doch, daß sich antikoloniale und moslemische, völkische und antirassistische deutsche Bedenkenträger statt Israel der iranischen Bombe, Hatun Sürücü ihren Brüdern und Maik dem Florian auszuliefern, sich in ihrem geballten Haß auf individuelle Freiheit und nicht minder individuelle Emanzipation gegenseitig an die Gurgel gingen. Von mir aus sollen sie sich ruhig gegenseitig... Aber das soll ich ja nicht mehr sagen.
Justus Wertmüller (Bahamas 50 / 2006)
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