„Heute ist die Stimmung in manchen Teilen der Bevölkerung radikaler als die Linke – die sich antikapitalistisch nennende Linke eingeschlossen.“ (Inprekorr März/April 2007, S. 28) Wenn die Stimmung im Land wirklich so ist, wie die Mitglieder der Internationalen sozialistischen Linken in ihrem Strategiepapier „Zum Stand der Parteifusion“ von Linkspartei.PDS (L.PDS) und WASG schreiben, dann müssten goldene Zeiten den Linken ins Haus stehen, die mutig genug sind, sich dem radikalen Volk anzuschließen. Doch ein Problem gilt es dabei vorab noch in den Griff zu bekommen. Auf seinen Lifestyle-Seiten, dem SZ-Magazin, in dem die deutsche Linke als „eher putzig als bedrohlich“ beschrieben wird, konstatiert das Hausblatt des sozialdemokratisierten Deutschlands einen bedenklichen Wettbewerbsnachteil beim Kampf um die Köpfe und Herzen der Bevölkerung: „Die einzige existierende Subkultur, das ist die unangenehme Wahrheit, kommt von rechts.“ (2.3.07, S. 12) Und das, obwohl auch nach dem SZ-Magazin die Linke eigentlich Hochkonjunktur haben müsste: „Gleichzeitig – und das ist das Paradoxe an der Situation der Linken – herrscht eine tiefe Angst vieler Deutscher vor sozialer Unsicherheit und einer beständig fortschreitenden Ökonomisierung der Lebensumstände.“ Zwar sollte spätestens seit dem Untergang der Weimarer Republik bekannt sein, dass sich mit der Bedienung von german angst kein Wasser auf linke Mühlen leiten lässt und die Niederlage von SPD und KPD nicht paradox, sondern hausgemacht war, aber solches Wissen stört nur den geschäftigen Verlauf der aktuellen Strategiedebatte. Ein Vertreter der einzigen real existierenden Subkultur kann für seine Bewegung schlüssig beantworten, wie aus Angst vor der Krise politisches Kapital zu schlagen ist. Es ist der Landesvorsitzende der NPD Brandenburg, Klaus Baier, der die Lehren von Weimar auf die BRD des Jahres 2007 übertragen kann, ohne über Paradoxien zu stolpern: „Wir wollen diejenigen erreichen, die noch etwas zu verlieren haben. Denn bei denen ist die Bereitschaft NPD zu wählen, größer als bei denen, die der Unterschicht – in Anführungszeichen – schon angehören.“ (FAZ 13.2.07) Zwar würde kein Linker die Losung ausgeben, „Von Klaus Baier lernen, heißt siegen lernen“, doch der scheinbare Todfeind ist längst zum gefürchteten Konkurrenten im Kampf um die Gunst radikaler Deutscher avanciert, dem man sein Erfolgsrezept entreissen will.
Die Linke, ob „radikal“ oder nicht, tut nichts zur Sache, ist in letzter Zeit wieder einmal damit beschäftigt, auszuloten, wie es ihr gelingen könnte, als Teil einer radikalisierten Masse dieser gleichzeitig entschlossen voranzugehen. Aus der unendlichen Serie der eigenen Misserfolge hat man gelernt, dass die Avantgarderolle nur gelingen kann, wenn man sich nicht sektiererisch den Massen entfremdet, indem man ihnen Vorschriften machen will. Wirkliche Avantgarde, die unlösbar mit den Massen verschmolzen ist, ermittelt und artikuliert vielmehr deren „objektive“ Interessen. Erst mit und in den Massen können nichtsektiererische Linke an der Macht des objektiv existenten breiten Widerstands gegen den Kapitalismus partizipieren. Deshalb ist das vornehmste Ziel linker Strategie, Spaltungen der Massenbewegung, der sie sich angeschlossen haben, seien sie nun ideologisch oder sozial, zu verhindern, bzw. zu überwinden. Wie man dabei sein unverwechselbares linkes Profil bewahrt, dieses Problem stellt sich Massenpolitikern nicht. Ihnen genügt die Gewissheit, ein Teil „der Linken“ zu sein, was man sich unabhängig von allen Meinungsverschiedenheiten in Strategiefragen gern gegenseitig attestiert. Die beständige konstruktive Arbeit an der Stärkung des widerständigen „Wir“, das konjunkturabhängig als Klasse, Ausgegrenzte, Volk, Nation oder Bewegung die Bühne der Geschichte betritt, steht immer und mit Notwendigkeit im Vordergrund, auch dann, wenn dieses „Wir“ unter faschistischem Vorzeichen agiert. Links unterscheidet sich von rechts nicht durch die Mobilisierungsinhalte, sondern durch den Verweis auf das ferne Ziel, das natürlich auch weiterhin die Weltrevolution ist, über die sich aber zu streiten genausowenig lohnt, wie über das Ob und Wann der Wiederkunft des Messias unter Christen. Es genügt, als Ersatz für das längst verlorene Ziel möglichst penetrant die Duftmarke „emanzipatorisch“ zu setzen. Was als emanzipatorisch zu gelten hat, wird wiederum streng den Bedürfnissen radikaler Bürger angepasst. In den Reihen der landsmannschaftlich organisierten „Bewegung der Bewegungen“, den No-Globals, stiftet der gemeinsame Feind, – das ist neben dem „globalen Amerikanismus“ die „Besatzungsmacht“ Israel und ihre „international agierende Lobby“ – den selbstverständlich emanzipatorischen Zusammenhalt über die Landesgrenzen hinweg. Ihr Kampf um „Befreiung“, also gegen den Amerikanismus findet angeblich auf der nationalen Bühne und im internationalen Rahmen statt. Doch die verstreuten Kräfte der No-Globals vermögen mit ihren vielfältigen Themenpatenschaften nicht ganz zu überspielen, dass ihr Spiel in Wirklichkeit im Rahmen von Standortkollektiven ausgetragen wird, an denen international nur ihr Hass auf den Internationalismus ist.
Antiamerikanismus und Antizionismus verbinden nicht nur die linken Strömungen, die über alles Trennende hinweg in der Globalisierungsbewegung zusammenfinden. Die gleichen Verschwörungstheorien sind auch geeignet, die älteste und tiefste Spaltung unter radikalen Antikapitalisten, die zwischen Linken und Nazis, zu überwinden. Denn beide Seiten sind, unabhängig von ihrem Willen zur gegenseitigen Abgrenzung, aufs Äußerste bemüht, in diesen beiden Menschheitsfragen, den Anschluss an die widerständigen Bewegungen und Völker nicht zu verlieren. Eine dem Ziel der Zerstörung angemessene Schlagkraft zu entwickeln ist das Ziel, weshalb alle Linken, auch wenn sie von der Effektivität bunter No-Global-Großveranstaltungen nicht überzeugt sein mögen, ihr Bad in der Menge suchen, das die angekündigten Proteste gegen das Anfang Juni im Ostseebad Heiligendamm stattfindende Treffen der sieben wichtigsten Industrieländer und Russlands verspricht.
Damit die Massen auch wirklich strömen, wirbt das Bündnis zur Anti-G8-Demonstration am 2.6.07 in Rostock mit den populären Politzwillingen Oskar Lafontaine und Gregor Gysi, auch optisch hervorgehoben unter dem zentralen Bündnisaufruf „Eine andere Welt ist möglich!“. Alle Freunde des Anti-G8-Protestes haben im Fraktionschef von Die Linke, Oskar Lafontaine, ihren lagerübergreifenden Sprecher gefunden. Lafontaine, von dem noch Bilder vom Antiatomprotest der 80er Jahre kursieren, wird auch im antiimperialistischen Lager als Respektsperson behandelt, weil er eine Reise, die sein häufig geäußertes Verständnis für das iranische Atomprogramm unterstrichen hätte, zwar dann doch nicht antrat, allerdings nur wegen befürchteter „Missverständnisse“ und nicht wegen der Vernichtungsankündigung des iranischen Regierungschefs gegen Israel. Die geplante Reise musste ausfallen, weil die iranische Regierung unpassenderweise gleichzeitig in Teheran das Leugnertreffen zum „Mythos“ der Judenvernichtung ausrichtete (Tsp 23.11.06).
Das Gerücht, die No-Globals seien in Fragen der Emanzipation eine einige Masse, wird sorgfältig gepflegt, weil es für ihre Außenwirkung eminent wichtig ist. Die Gegengipfel-Vorbereitung weiß um die Instabilität dieser Einheit und bangt beständig um die Geschlossenheit im eigenen Laden. Eine „AG Nazis / extreme Rechte und G8“, einberufen für den November 2006, gab noch vor, alles im Griff zu haben. Zwar stellte sie fest: „Die Aktionsfelder der extremen Rechten erweiterten sich in den letzten Jahren auf klassisch linke Themen“, gab aber sofort danach Entwarnung. Man ist sich nämlich sicher, „dass sich eine linke Kritik an der Globalisierung von der Globalisierungsgegnerschaft der Rechten unterscheidet. Keineswegs darf das dazu führen, dass sich die antifaschistische Linke aus dieser Bewegung zurückzieht.“ Unfreiwillig räumt die Arbeitsgemeinschaft ein, dass es neuerdings schon in der eigenen Bewegung ein Naziproblem gibt, das durch geduldige Antifa-Pädagogik aufgefangen werden müsse: „Vielmehr muss es um eine klare Distanzierung von rechten Parolen und Argumenten geben [sic.], für die nur innerhalb der Bewegung geworben werden kann.“
Organisierte und unorganisierte „Rechte“ werden längst und oft mit Unbehagen als Bestandteil des Protestes wahrgenommen. Nicht nur die einschlägigen Diskussionen um die Teilnahme russischer Rechtsradikaler am Gipfelprotest zum letzten G8-Treffen in St. Petersburg 2006 sind noch erinnerlich, auch die Annäherung von linkem an rechten Protest in Deutschland verursachte ein mulmiges Gefühl. Im letzten Jahr war es zum Beispiel eine Demonstration, an der unter dem Motto „1. Mai: Tag der Arbeit – Arbeit für alle Deutschen!“ über 2.000 Nazis und der gerade vom Bundesvorstand der WASG zur NPD übergewechselte Andreas Wagner teilnahmen, der auch eine Rede hielt. Wagner hatte zuvor verkündet, er wolle „den Ausverkauf an die PDS“ nicht mittragen und war zum Dank sozialpolitischer Berater der NPD-Landtagsfraktion in Sachsen geworden (Tsp 2.5.06). Die Linke gibt sich bei solchen Vorkommnissen regelmäßig „entsetzt“ und pocht auf ihren angeblich originären „Antikapitalismus“, es gelingt ihr aber immer weniger, zu vertuschen, dass sie als romantische Antikapitalisten und ausgewiesene Antiliberale aus der gleichen Quelle schöpfen wie die Konkurrenz. Hilflos werfen sie den Nazis vor, sie tarnten sich nur als „sozial und antikapitalistisch“, in Wirklichkeit seien sie jedoch, wie es im Aufruf der „Berliner G8-Koordination“ zur Rostocker 1. Mai-Gegendemonstration heißt, „Strippenzieher des Kapitals“. Dabei verhalten sich deutsche Kapitalisten gegenüber der NPD so spröde, dass man Verbindungen, die es nicht gibt, ganz antifaschistisch einfach fälscht und wahrheitswidrig mit der Unterstellung hausieren geht, der Eigentümer von Müller-Milch hätte an die NPD gespendet. Solche kläglichen linken Versuche, das Auftreten der Nazis zu erklären, verstärken noch das Gefühl, der ideologischen Übermacht der Nazis ausgeliefert zu sein.
Währenddessen wirft man bei den Nazis alten Ballast über Bord: „Der Weg über einen Griff in die verstaubte Mottenkiste der Geschichte ist nicht mehr möglich. Dies nicht einsehen zu wollen, ist die größte Schwäche der nationalen Opposition“, klagen die Jungen Nationaldemokraten (JN) in ihrem Pamphlet „Nationalismus heißt Kapitalismuskritik“ und wünschen sich Kritik statt Verklärung: „Begreifen wir doch endlich, daß sich dem Normalbürger heute andere Lebenswelten begegnen [sic.], als sich dies nationale Ideologen in ihren Elfenbeintürmen vorstellen können. Sie erleben heute eine riesige Betonwüste. Sie erleben Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, Armut, Verwahrlosung, trostlose Supermärkte und eine völlig gleichgeschaltete Gesellschaft. Sie erleben eine Ellbogengesellschaft, von welcher entfernt anonym und weit weg die ‚Bonzenschweine‘ hausen und über ihre eigenen Köpfe hinweg regieren. Ihr erlebtes Deutschland ist Kälte, Staatsgewalt, Dumpfheit, Mittelmäßigkeit, Ausbeutung und Entmenschlichung an jedem Ort. Hier ist das wirkliche Deutschland, welches eben anders aussieht als in der deutschen Romantik von ‚rechten‘ Träumern herbeigesehnt – dieser Traum ist eben nicht Wirklichkeit! Das reale Deutschland ist eben ein Grauen für Leib und Seele. Hiergegen gilt es aufzustehen, sich zu wehren, eine Entschlossenheit zu demonstrieren, diesem System keinen Fußbreit zu überlassen.“ (www.jn-buvo.de) Die Antifa hätte diesen Text wörtlich übernehmen können, und doch haben hier nicht Junge Nationaldemokraten bei den Linken geklaut, sondern nur ehrlich aufgeschrieben, was alle deutschen Antikapitalisten umtreibt: Die Sehnsucht nach nationalem Sozialismus.
Die NPD kann nicht nur glaubwürdig gegen rechte Träumer argumentieren und der Antifa den Wind aus den Segeln nehmen. Gegen den Besuch des Präsidenten der Vereinigten Staaten in Stralsund am 14. Juli 2006 kündigte die NPD ihren Protest an unter dem Motto: „Freiheit für Deutschland – Ami go home!“ und legte dazu ein Flugblatt vor, das von der Argumentation der No-Globals über weite Passagen hinweg nicht mehr zu unterscheiden ist: „Infolge der undemokratischen Strukturen der USA sind die Interessen dieses Staates nicht mit den Interessen seiner Bevölkerung identisch, sondern mit der einer kleinen superreichen Oberschicht, der es in erster Linie um eine Vermehrung ihres eigenen Kapitals geht. Zur Durchsetzung dieser Interessen bedienen sich die USA der Strategie eines dreifachen Imperialismus: des militärischen Imperialismus, des wirtschaftlichen Imperialismus und des kulturellen Imperialismus.“ Im gleichen Aufruf positioniert sich die NPD im Streit zwischen WASG und Linkspartei eindeutig auf der radikaleren Seite: Es werde „mittlerweile auch immer deutlicher, daß die Rolle der PDS in erster Linie darin besteht, US-kritisches Wählerpotential zu binden, damit dieses sich nicht einer wirklich antiimperialistischen Partei anschließt.“ Im Internationalismusteil des Papiers führt sie dann, um die Einheit aller Antikapitalisten besorgt, die ganze antiamerikanische Protest-Bewegung wieder zusammen: „Frau Merkel und Präsident Bush wollen nun im Atomstreit mit dem Iran an einem Strang ziehen, um eine Nuklearmacht Iran zu verhindern. Selbstredend ist, dass sie keine Beweise haben, dass der Iran dieses Ziel überhaupt anstrebt; einig sind sie sich jedoch im Kampf gegen ein politisches System, welches sich dem US-Imperialismus und dessen Helfershelfer widersetzt.“ Die JN hat durchaus konsequent ihre Gefolgschaft zur Teilnahme an den Aktivitäten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm aufgerufen und parallel zur Demonstration des großen Bündnisses für den 2. Juni eine eigene Demonstration unter dem Motto „Nein zum G8-Gipfel – für eine Welt freier Völker“ in Schwerin angemeldet.
Beispielhaft für die von der Ankündigung der NPD, sich am Heiligendamm-Spektakel zu beteiligen, aufgeschreckte Linke, formulierte die „No-G8-Gruppe Kiel“ in ihrem Text „Hauptsache dagegen?“ scheinbar grundsätzliche Zweifel am eigenen Bündnis: Es müsse „hinterfragt werden, ob die in Teilen der Linken auftretende Unterstützung bestimmter nationaler Befreiungsbewegungen heute noch vereinbar mit aktuellen politischen Diskussionen ist, denn Kritik an bestehenden Verhältnissen muss nicht immer fortschrittlich sein, sie kann auch reaktionär und rückwärts gewand sein“. Statt nun aber endlich die eigene Bewegung zu kritisieren, lässt man eine bisschen heiße Luft ab und bringt sich ganz konstruktiv in sie ein: „Damit wird der Widerspruch gegen den geplanten Aufmarsch von NPD und anderen Nazis gegen den G8-Gipfel nicht nur notwendig, sondern er kann bei einer breit geführten Debatte um grundsätzliche Positionen für die globalisierungskritische Bewegung auch zum Scheidepunkt zwischen emanzipatorischer und reaktionärer Globalisierungskritik werden.“ Bei einem Teil des parteiunabhängigen linken Spektrums führte der unbedingte Wille dabei zu sein, zu völliger kollektiver Hirnerweichung. Die Interventionistische Linke (IL), ein loser Zusammenhang u.a. aus dem autonomen Spektrum, zu dem auch die Antifaschistische Linke Berlin, die Redaktion Analyse & Kritik, AVANTI oder FelS gehören, ließ sich beim Formulieren ihres Aufrufs zur Teilnahme an den Aktivitäten gegen den G8-Gipfel (auf: www.g8-2007.de) von dem Wunsch nach einem „potenziellen kollektiven Ausbruch“ leiten, der wohl nur in ihren sog. herrschaftsfreien Räumen enden kann, wofür man eigentlich nicht extra „die Linke und die sozialen Bewegungen neu erfinden“ muß. Die IL träumt von einer Entindividualisierung aus der ein mystisches Etwas, das sie „das Gemeinsame“ nennt, hervorgehen soll. Aber es kommt noch besser: „‚Wir‘ meint eine globale Konstellation emanzipatorischer Politiken, die über die Linke und über die älteren und jüngeren sozialen Bewegungen hinausreicht. (...) Für eine kommende Linke wird die Kommunikation der Initiativen und der Kämpfe kein Mittel zum Zweck zu einem außer ihr liegenden Zweck sein, sondern das Mittel, das selbst ein Zweck ist zur Konstruktion des Gemeinsamen, des Kommunen“. Es folgt ein Bekenntnis, das so prägnant wie noch nie den tieferen Sinn jeder linken Strategiediskussion in nur vier Wörtern bündelt: „Join the winnig side!“.
Die Linke, die ihre Positionen zumeist gar nicht erklären kann und will, begnügt sich häufig damit, die eigene, vermeintlich emanzipative Geschichte als Leitbild zu empfehlen. Dabei gerät schon einmal aus dem Blick, dass mit einem „emanzipatorischen Erbe“ verbundene Zuschreibungen auch für die Umstände eines veritablen Pogroms Geltung beanspruchen könnten. Ein scheinbar ganz ehrbarer Theoriezirkel, der vor vier Jahren so ergreifend um Verständnis für die Beweggründe antisemitischer racailles geworben hatte, die berüchtigte jour fixe initiative berlin, knüpft in ihrer Ankündigung einer Veranstaltungsreihe zum G8-Treffen an ihrer Vorliebe für spontane Befreiungsuntaten an: „In jüngerer Zeit wurde innerhalb von Gruppen und Bündnissen wie dem Weltsozialforum, BuKo und Attac auch eine Globalisierungskritik formuliert, die den Kapitalismus in Frage stellt. Damit ist ein Diskussionsrahmen gegeben, der es – jenseits einer sozialpolitischen Zähmung des Kapitalismus – erlaubt, an linksradikalen und antiautoritären Traditionen seit der 68er-Bewegung anzuknüpfen. Ein emanzipatorisches Erbe von 1968 ist die Ereignishaftigkeit, der öffentliche Charakter erlebten Glücks, die Momente spontanen politischen Handelns und neuer Formen politischer Organisierung.“ Solche Traditionsstifter, die es auch unter nicht an der Postmoderne orientierten Linken reichlich gibt, versuchen ihr bisschen Identität trotz des Scheiterns der historischen Linken gerade aus deren zumeist unseliger Geschichte zu ziehen und können einfach nicht verstehen, dass die Nazis zurecht ihren Anteil daran reklamieren.
Alle knüpfen an verschütteter heroischer Vergangenheit an, alle arbeiten am „Wir“, niemand will ausgrenzen und antikapitalistische „Binsenweisheiten“ (Oskar Lafontaine), denen die Bundesbürger von links bis rechts zustimmen, sind gefragt: „Nicht die Gesellschaft hat dem Wohl der Wirtschaft zu dienen, sondern die Wirtschaft dem Wohl der Gesellschaft“ (Lafontaine: Das Herz schlägt Links, 1999, S. 285). Der derzeitige SPD-Vorsitzende Kurt Beck spreizte sich in Allmachtsphantasien, als er in einem Interview mit der Westfälischen Rundschau (27.10.06) zum besten gabt, „die Politik bestimmt und nicht wirtschaftliche Erwägungen“. Jürgen Gansel, Präsidiumsmitglied der NPD, wurde noch deutlicher, als er benannte, wovor man in Deutschland Angst hat, nämlich nicht vor „der Wirtschaft“, sondern vor dem „Kapital“: „Während die Linken als pseudosoziale Reparaturarbeiter des Systems die Kapitalherrschaft noch absichern, strömt in der nationalen Opposition die alte antikapitalistische Sehnsucht des deutschen Volkes zusammen. Die eiserne Wirtschaftsmaxime des Nationalismus lautet: Das Kapital hat der Wirtschaft zu dienen und nicht umgekehrt“ (J. Langehein: Ein Globus, viele Völker, Jungle World 28.2.07). „No G8 – Menschen vor Profite“ lautet auf einem Plakat der L.PDS die „Binsenweisheit“, die ihr eigenes Regierungs- und Parteiprogramm enthält, also die Forderung der Stärkung des Sozialstaates und der Volksgemeinschaft. Das ganze Programm ist natürlich eines gegen rechts. So kündigte der Wahlkampfleiter der Linkspartei in Sachsen, Rico Gebhardt, schon vor zwei Jahren an, „die Partei wolle bei der Bundestagswahl etwa 10.000 Stimmen von der NPD zurückgewinnen, die die PDS bei der Landtagswahl 2004 an die Rechten verloren habe.“ (SZ 11.8.05)
Wenn eine große Partei Nazi-Potenzial bindet, kann das sinnvoll sein, solange sie sich ihm inhaltlich nicht andient, sondern es einbindet und auch zersplittert, es ideologisch und organisatorisch neutralisiert. Ganz anders steht die Sache, wenn eine kleine Partei im rechten Potenzial ihren Jungbrunnen sieht, und sich auch noch als Agentur der Radikalisierung anbietet. Die Linken sehen in den Schwierigkeiten der Volksparteien, mit einem gestiegenen Wechselwähleranteil zurecht zu kommen, ihre Chance: Für sie sind die Wechselwähler genannten radikalen Deutschen ein zu hebendes soziales Protestpotenzial.
Die Zeitschrift marxistische Erneuerung (Z.) mahnt die Linkspartei.PDS: „Die Linke hat also beim Kampf gegen rechts eine besondere Verantwortung, was auch mit der Tatsache zusammenhängt, dass man sich um ein in Teilen gleiches Wählerklientel bemüht, zumindest was die objektive soziale Lage betrifft“ (Dez. 06, S. 67). Statt jedoch die ideologische Einheitsfront zu sprengen, sieht man sich, wie die Rosa-Luxemburg-Stiftung, als das Opfer einer Verschwörung: „Die ‚Volksfront von rechts‘ ist eine Provokation gegen die Arbeiterbewegung und die antifaschistische Einheit. Sie reiht sich ein in die gegenwärtig vielfach zu beobachtende Übernahme von Symbolen und Losungen der Linken durch die Neonazis (vom Tragen roter Fahnen über T-Shirts mit Che Guevara-Bildern, Palästinenser-Tüchern usw.)“ (rls standpunkte 3/05).
Als das entscheidende Merkmal zur Unterscheidung zwischen links und rechts werden immer wieder die Positionen zu Migration und Einwanderung angeführt. Während aber der Antirassismus zunehmend zur Gemeinschaftsideologie linker Deutscher und grüner Nazis verkommt und randständig bleiben wird, weil seine Ideologen jede Auskunft über zivilisatorische Mindeststandards verweigern, haben andere Linke inzwischen ein Ausländerproblem entdeckt. Oskar Lafontaine sprach mutig aus, was Millionen radikaler Bürger sich noch offen auszusprechen scheuen: „Die forcierte Zuwanderung wird in Deutschland einzig von den oberen Zehntausend gefordert, die von deren Folgen gar nicht oder nur am Rande betroffen sind“, schrieb er in seinem Buch „Politik für alle“. Der Staat müsse „zuallererst für diejenigen sorgen, die seine Bürger sind“. (taz 16.6.05) Ein anderes Mal formulierte er die Arbeit-zuerst-für-Deutsche-Forderung so: „Der Staat ist (…) verpflichtet, zu verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter ihnen zu niedrigen Löhnen die Arbeitsplätze wegnehmen.“ Der Tagesspiegel bemerkt dazu lakonisch: „Aber ist das nun ausgesprochen rechts? Nein, der Satz findet auch im gewerkschaftsnahen Milieu Anhänger.“ (5.7.05) Und wieder sieht sich die NPD zurecht als Gewinnerin. Ihr Präsidiumsmitglied Gansel stellte zufrieden fest: „In wirtschaftlichen Krisenzeiten mit ihren verschärften Verteilungskonflikten verdampfen Ausländer- und Auslandstümelei aber genauso schnell wie das Geld im Portemonaie des Normalbürgers.“ (Gegen Einwanderung, Europäische Union und Globalisierung, www.npd.de) Wo die meisten Linken noch zögern, erfasst der NPD-Agitator den Zusammenhang von Antiliberalismus, neuer Radikalität und nationalem Sozialismus: „Immer mehr Deutsche werden aber erkennen, daß nur die Nationalisten gegen das neoliberalistische Projekt der Liquidierung der National- und Sozialstaaten Widerstand leisten und deshalb die einzigen Vertreter ihrer Lebensinteressen sind.“ (ebd.) Der Lafontaine-Schüler Jürgen Elsässer, der herausbekommen hat, dass „die neue Barbarei, die im Unterschied zum klassischen Faschismus kein nationalistisches, sondern ein globalistisches Profil“ habe, weiß auch wie sie zu „stoppen“ sei. Zunächst lieferte er eine Analyse, von der Gansel noch lernen kann: „Im jüngsten Stadium des Imperialismus werden die Nationalstaaten vernichtet. Die Globalisierung, wie dieses jüngste Stadium euphemistisch genannt wird, geht über den klassischen Imperialismus hinaus, da auch die einst mächtigen Nationen Eropas in das supranationale Imperium der Heuschrecken eingesaugt werden.“ Dann wandte er seine besondere Sorge dem in nationaler Hinsicht schwachen Deutschland zu: „Was wie eine Wiederkehr Vorkriegseuropas erschien, dieses Vorkriegseuropas mit seinen Nationalismen, Faschismen und Pogromen, war in Wahrheit das definitive Ende dieser Zeit, nach einer etwas rauen Übergangszeit freilich (...) Statt souveräner Nationen war das Ergebnis des Zusammenbruchs ein ganzer Sack voll Übernahmekandidaten, Deutschland vorneweg.“ Und zuletzt forderte er die Konzentration aller antikapitalistischen Anstrengungen in Volk und Nation – natürlich gegen rechts: „Spätestens seit der Chemnitzer ‚Fremdarbeiter-Rede‘ Oskar Lafontaines gibt es ja einen strategischen Vorschlag für das Vorgehen der deutschen Linken, der sich wie folgt umreißen läßt: Wir brauchen einen gewissen Populismus, der sich nicht scheut, die Dinge beim Namen zu nennen, selbst wenn dies gegen die allgemeine political correctness verstößt. Dazu gehört die positive Bezugnahme auf Nation, aber auch auf Volk, Begriffe, die man nicht der Rechten überlassen darf. Dazu gehört auch die Orientierung auf die breite Mehrheit der Bevölkerung, die eben nicht durch die Summierung von Politiken für einzelne Gruppen ersetzt werden kann.“ (in: Angriff der Heuschrecken. Zerstörung der Nationen und Globaler Krieg, zit.n. Z. März 07, S. 185ff.)
Was sich in der ganz neuen Linken rund um die Globalisierungsgegner als weltweiter Aufbruch der Völker auf ihrem angestammten Territorium gegen Amerikanismus und Zionismus formiert, trifft bei der traditionellen Linken auf eine durchaus geistesverwandte Begeisterung für die Nation. Der nationale Gleichschritt wird schon seit längerer Zeit auf verschiedenen Terrains eingeübt. In einem Buch zur linken Nationaldebatte warf Erhard Crome den Siegern des Zweiten Weltkrieges vor, sie hätten den Besiegten einen „Schuld-Diskurs“ auferlegt, der die Deutschen davon abhalten sollte, den wirklichen Vorgängen auf die Schliche zu kommen. (Michael Jäger (Hrsg.): Globalisierung, Nation, Internationalismus. Orte des Widerstands – eine linke Debatte, 2002, S. 139) Crome entdeckte auch das Buch des Soziologen Ferdinand Tönnies Gemeinschaft und Gesellschaft von 1887 wieder und setzt in unschuldiger Naivität die Nation als Gemeinschaft dem Weltmarkt als Ausdruck der Gesellschaft entgegen. Für Tönnies sei „die Bildung einer Nation stets die ideelle Antizipation einer stände- und klassenfreien Gesellschaft“ gewesen, schrieb Crome, um triumphierend nachzusetzen: „Und eben darin besteht die Atraktivität und Macht der Idee der Nation.“ (S. 152) Beim Kongress der Sozialistischen Linken, einer Strömung in WASG und L.PDS am 3.2.07 in Kassel rief Diether Dehm die Linken auf, den Rechten ihre Begriffe und Methoden abspenstig zu machen. Warum sollten die Neonazis ein Vorrecht auf den Begriff „Heimat“ haben? Und welchen Grund gebe es, ihnen Zeltfreizeiten mit Lagerfeuerabenden zu überlassen? (FAZ 8.2.07) Diether Dehm knüpfte mit seinem Appell an einen Erziehungsauftrag an, der ihn schon früher umgetrieben hatte. In einem Geleitwort zu einer Sammlung deutscher Volkslieder aus dem Jahr 1984 hatte er bereits ausgeführt: „Unser Volk war die bereitwilligste Manövriermasse für die Kulturmonopolisten aus den USA. Derart intensiv ist kein Volk in Westeurropa jemals fremdbestimmt worden. (...) Das hier vorliegende Volksliederbuch ist in einer historischen Phase enstanden, die Geschichtsschreiber später wohl einmal als neuen nationalen Aufbruch bezeichnen werden. Der deutsche Wald, die Heimat können sich nur noch auf die Linke verlassen, sei sie nun rot oder grün oder am besten beides.“ (zit.n. Richard Herzinger, Mittelweg 36 Feb./März 1995, S. 12) Den „Nazis den Begriff ‚Heimat‘ wegzunehmen“ empfahl während der Konferenz in Kassel auch Sabine Kebir (FAZ 8.2.07). Die Gramsci-Schülerin hatte bereits auf einer Tagung der Marx-Engels-Stiftung mit dem Titel „Deutsche Arbeiterbewegung, Nation und Hegemonieproblem“ am 25./26. Nov. 06 in Berlin grundlegende Einsichten mitgeteilt: „Da die deutsche Linke ein Problem mit der Nation hat, fällt es ihr traditionell schwer, eine hegemoniale Position zu erringen bzw. zu bewahren.“ Sie focht für „Schwarz-Rot-Gold als Fahne“ die „der Demokratiebewegung auf dem Hambacher Fest 1832 diente“, wünschte sich für ihr Hegemonieprojekt eine „linke Bildzeitung“ und warnte eindringlich vor einer ideologischen Zersetzung, die bereits in den eigenen Reihen Einzug gehalten hätte: „Der Diskurs der ‚Antideutschen‘ (...) hat längst breite Kreise der intellektuellen Linken erreicht und wird in der Linkspartei.PDS mehr und mehr zur Waffe derer, die sich gegen die offensive Politik Lafontaines wenden, da er sich nicht scheut, auch von Volk und Nation zu sprechen.“ Auf der gleichen Tagung traten auch die alten Kämpen des DDR-Nationalismus, Jürgen Hofmann und Walter Schmidt, als Referenten auf, die ihren proletarischen Nationalismus recycelten und der gesamtdeutschen Linken antrugen. Zurück zur Nation heißt für sie zurück zur sozialen DDR. Das rasche und vollständige Verschwinden der DDR-Staatsgewalt scheint vielen als warnendes Beispiel für eine „Volksferne“ zu dienen, die man heute, im Kampf für eine soziale Bundesrepublik, deren amerikanisierten Eliten vorwirft.
Die Angst vieler Linker, sie könnte volksfern an den Bedürfnissen der radikalen Deutschen vorbei Politik machen und den Anschluss verlieren, schlägt sich in der Faszination für faschistische Massenmobilisierungen nieder, wie der für das „Modell Venezuela“ (Elsässer). Schon verleihen sie den Völkern und ihren Staaten in Analogie zur natürlichen Gleichheit der Individuen eine abgeleitete Gleichheit der Nationen und leiten daraus für die Linke einen neuen historischen Kampfauftrag ab. Unter Bezug auf Luciano Canfora und seine „Kurze Geschichte der Demokratie“, verwirft man die „Gegenüberstellung von guten Demokratien und bösen Diktaturen“. Denn „die damit verbundene Aufhebung der formellen Gleichheit der Staaten ist das ideologische Zentrum der bürgerlichen Ideologie seit 1917.“ (Z. März 2007, S. 15) Es folgt, was auf solche Neuordnung der Geschichte folgen muss: das Bekenntnis zum Gegensouverän. „Jede Opposition gegen den global aktiven Imperialismus, wenn sie ein ganzes Land erfasst, muss sich, wenn sie dauerhaft bleiben soll, auf die Staatsmacht stützen.“ (Z. März 07, S. 15)
Karl Nele (Bahamas 52 / 2007)
Frühere Aktivitäten sind im Aktuell-Archiv aufgeführt. Dort gibt es auch einige Audio-Aufnahmen.
Alle bisher erschienenen Ausgaben der Bahamas finden Sie im Heft-Archiv jeweils mit Inhaltsverzeichnis, Editorial und drei online lesbaren Artikeln.