Bekanntlich lehnen in Deutschland fast alle relevanten politischen und gesellschaftlichen Gruppen, Organisationen, Redaktionen und Einzelpersonen zwar einhellig das iranische Atomprogramm ab und mit ihm die Regierung, die es so energisch vorantreibt, nennen den iranischen Präsidenten auch einmal einen Nazi, zeihen ihn sogar gelegentlich eines auf die Vernichtung Israels zielenden Antisemitismus – und tun dennoch alles dafür, dass ihren Worten keine Taten folgen. Wie kann es sein, dass erklärte Gegner Ahmadinedschads mit ihm kollaborieren, und warum wird es, wenn es ganz schlimm kommt, einmal ihre nicht auszutilgende Schuld sein, wenn in vielleicht schon wenigen Jahren eine iranische Atombombe über Tel Aviv gezündet wird? Die Sichtung der Mainstream-Argumente trägt zur Lösung des Rätsels wenig bei – zu offenkundig spulen die Repräsentanten der öffentlichen Meinung deutschen Pazifismus, ergänzt um den obligatorischen „israelkritischen“ Antisemitismus herunter, ohne dass der einzelne Kommentator sich noch einen Gedanken zu machen braucht; es kommt ihm auch im Schlaf. Dass sie aus tiefstem deutschen Traume heraus lallen können, ohne, wie im Falle von Zeitungsmachern Abo-Kündigungen, oder, wie im Falle von Politikern Einspruch aus dem Wahlvolk befürchten zu müssen, liegt daran, dass es ein rühriges israelsolidarisches und islamkritisches Lager, das den öffentlichen Meinungsmachern das Leben ein wenig schwerer machen könnte, nicht gibt und auch nicht geben wird.
Der Herausgeber eines linken Monatsmagazins, das immer noch als israelsolidarisch durchgeht, forderte jüngst für sich und damit alle Freunde Israels ein deutsches Kritikerrecht ein, das ungefähr so neu ist, wie das völlige Missverstehen der Psychoanalyse alt: es hört auf den Namen Ambivalenz. Aus dem Munde eines berufenen Juden, der anscheinend unverzichtbar ist, wenn ein wenig an der Sicherheit des jüdischen Staates gerüttelt werden soll, klingt das so: „Die Deutschen, die er kennengelernt habe, ‚hatten eine typische Unfähigkeit, mit Ambivalenz umzugehen‘, berichtet Yaacov Lozowick, der Archivdirektor von Yad Vashem.“ (Konkret 5/07) Gremlizas Verwendung dieser richtigen Aussage zur Behauptung ihres Gegenteils folgt auf dem Fuß: „Sie brauchen eine feste Burg, ein Vaterland, dem sie sich anschließen können. Gott mit uns! Wir sind die Guten. Die Ansicht, dass es islamistische Verbrecher sind, die Hirsi Ali verfolgen, gilt, wenn sie die Tatsache nicht unerwähnt lässt, dass die Frau manch reaktionären Scheiß erzählt, als ein Zeichen verbotener ‚Äquidistanz‘. Weil man ja einem Opfer, mit dem man sich nicht ‚identifizieren‘ kann, nicht beistehen könnte.“ Es bleibt zunächst nur festzuhalten: Islamische Verbrecher sind solcher Ansicht zufolge nur dann am Werk, wenn der Verfolgung jemand ausgesetzt ist, mit dem man auch richtig solidarisch sein kann. Ist es nicht so, verschwindet mit dem Täter das Verbrechen genauso wie mit der Solidarität das Opfer, und übrig bleiben islamische Empörte und eine reaktionäre Scheißerin, die noch froh sein kann, dass man sie mit der gleichen Verachtung behandelt wie ihre Verfolger. Gremlizas jüdischer Gewährsmann hatte im Interview mit dem Herausgeber in der gleichen Ausgabe von Konkret aber Folgendes gesagt: „Als ich meine Doktorarbeit geschrieben habe über Eichmann und die Entscheidungsstrukturen bei der SS, habe ich durch Begegnungen mit Deutschen meiner Generation ein bisschen mehr begriffen von der damaligen Zeit. Nicht weil das Nazis waren. Die waren überhaupt keine Nazis, aber sie hatten eine typische Unfähigkeit, mit Ambivalenz umzugehen. Wir Juden sind Weltmeister der Ambivalenz. Und die Deutschen haben keinen Humor. (…) Noch etwas habe ich an meinen deutschen Freunden beobachtet: das Schwarz-Weiß-Denken. Man ist entweder gegen Krieg oder für Krieg. Dass Krieg eine schlechte Sache ist und man trotzdem manchmal einen führen muss, dieser ambivalente Gedanke geht nur schwer in einen deutschen Kopf. Nachdem ich das gelernt habe, haben mich die Deutschen weniger interessiert.“ Yaakov Lozowick hat, obwohl auch er sich unpräzise ausdrückt, im Gegensatz zu Gremliza verstanden, was Ambivalenz nur bedeuten kann, wenn man den im Grunde dialektischen Begriff nicht gänzlich auf eine stupide Einerseits-Andererseits-Dichotomie hinunterbrechen will.
Ambivalenz bezeichnet nämlich, anders als seine umgangssprachliche Verwendung nahelegt, nicht den höchsten Ausdruck gedanklicher Durchdringung eines Problems, sondern eine persönliche Fehlentwicklung krankhaften Ausmaßes. Lozowicks Satz müsste demnach korrekt lauten: „Dieser Gedanke, der Ausdruck bewältigter Ambivalenz ist, geht nur schwer in einen deutschen Kopf.“ Denn so lautet die Definition: „Mit Ambivalenz bezeichnet man das gleichzeitige Vorhandensein zweier gegensätzlicher Gefühle, also zum Beispiel Liebe und Hass. Dies kann zum Beispiel einer Person gegenüber der Fall sein, mit der man gefühlsmäßig in einer engen Beziehung steht. Dieses Nebeneinander widersprüchlicher Gefühle ist ein durchaus normales Phänomen und wird von psychisch stabilen Menschen bewältigt. Es gibt aber Menschen mit psychischen Störungen, die ihre widersprüchlichen Gefühle nicht abschwächen können und auf therapeutische Hilfe angewiesen sind, um diesen inneren Konflikt zu bewältigen.“ (www.sign-lang.uni-hamburg.de) Eine andere Definition: „Unter dem von Eugen Bleuler geprägten Begriff der Ambivalenz – von lat. ambo (beide) und valere (gelten) – wird in der Psychologie, Psychotherapie, Psychiatrie und Psychoanalyse das Nebeneinander von gegensätzlichen Gefühlen, Gedanken und Wünschen verstanden. Für Bleuler war die Ambivalenz das Hauptsymptom der Schizophrenie. Es handelt sich hiermit also um ein ‚Sowohl/Als auch‘ von Einstellungen, so dass Ambivalenz oft auch als ‚Doppelwertigkeit‘ bezeichnet wird. Der Begriff ‚Hassliebe‘ ist ein Beispiel für eine solche untrennbare Verknüpfung gegensätzlicher Wertungen. Dass jedes Ding seine zwei Seiten haben kann, ist mit Ambivalenz nicht gemeint, solange dadurch kein innerer Konflikt hervorgerufen wird. Vielmehr ist darunter eine Dichotomie von Sichtweisen zu sehen, die gegensätzliche Reaktionen bedingen und letztlich die Fähigkeit zu einer Entscheidung im weitesten Sinne hemmen. So sieht Karl Abraham den reifen Menschen im Gegensatz zum Kind, das durch Triebschwankungen charakterisiert ist, als frei von Ambivalenz.“ (www.wikipedia.de) (1) Ambivalenz ist also ein Krankheitsbild, das sich in zwei Ausprägungen, die einander gar nicht ausschließen müssen, manifestiert. Die Unfähigkeit, den im eigenen Ich widerstreitenden Triebkräften gemäße Entscheidungen treffen zu können, löst einen Unglücksdruck aus, der entweder zu völliger Apathie führt, oder in das andere Extrem mündet: nämlich unbedingt unter Ausschluss jeder Reflexion, unter Verleugnung jeder gefühlsmäßigen Bindung, die eigentlich dagegen sprechen müsste, sich ohne Rücksicht auf Verluste in der dadurch endlich schizophrenen Innenwelt auf eine Seite schlagen zu müssen – eine Entscheidung, die dazu drängt, den anderen Triebwunsch und die etwa mit ihm verbundenen Personen für die missglückte Triebregelung bluten zu lassen.
Die psychoanalytische Definition von Ambivalenz, die sich notwendig auf unbewältigte Gefühle, Triebregungen, also Inneres bezieht, lässt sich auf entwickelte Gedanken, also auf Objektives dann übertragen, wenn die zu Grunde liegende Weltsicht und folglich auch die konkreten Einlassungen zur Sache im unguten, überwertigen Sinne psychisch, vom unbewältigten Innen her determiniert sind. Obwohl man sich als denkender, fühlender Mensch zwar laufend entscheidet, eine Wahl trifft, es so und nicht anders zu wollen etc., kann es Situationen geben, wo die Nicht-Entscheidbarkeit eines Sachverhalts aus dem Sachverhalt selbst hervorgeht, also objektiv gegeben ist. Parteilichkeit um jeden Preis einzufordern, hieße einen Zwang zur Entscheidung zu postulieren, der irgendwann einmal dazu führen würde, nicht mehr um der Rekonstruktion des Ganzen, die nichts Wesentliches weglässt, sondern um eines blinden Schematismus’ willen den Sachverhalt in entscheidungsfähige Passform zu pressen. Was zum Beispiel für die Redakteure dieser Zeitschrift allemal zutrifft, wenn sie sich nicht für die trübe Theorie und die kaum weniger trübe Praxis liberaler oder neokonservativer Heilsgewissheiten erwärmen können, auch dann nicht, wenn aus solchen Quellen häufig mehr Aufschluss über die Verfassung der Welt und manchmal sogar die Idee von Abhilfe hervorblitzt; wenn sie sich dezidiert für eine Alternative, die keine ist, nicht entscheiden wollen, dann geschieht es um der Sache willen. Solche vom Gegenstand erzwungene Entscheidungsunfähigkeit des Kritikers hat nicht das Geringste mit der Entscheidungsunwilligkeit des Ideologen zu tun, der den gegenteiligen Weg geht. Während der Kritiker jeden Neuaufguss liberaler Theorie wegen deren vorab bekanntem, aber jederzeit im Detail nachprüfbarem Scheitern beim Versuch, das gute Leben zu verwirklichen, verwerfen muss und zugleich noch energischer jede „Alternative“ globalisierungskritischer Menschheitsbeglücker bekämpft, also aus objektiven Gründen sich nicht entscheiden kann, handelt der Ideologe wie das ambivalente Kleinkind und unterwirft die Welt seinem nach Allmacht ausgreifenden Trotz. Ihm ist die Welt schon lange feindlich, weil sie anderen Gesetzen folgt als seinem infantilen Größenwahn, weshalb er sie sich zurechtmachen muss, wie sie gerade nicht ist. Er ignoriert einfachste Fakten, konstruiert durch nichts gedeckte Vergleiche und unterstellt Kausalitäten, die keiner Überprüfung standhalten. Die Entscheidungsunwilligkeit folgt einem primitiven Schema, das scheinbar um Ausgewogenheit bemüht, in Wirklichkeit dem schlechten Prinzip folgt, jeder schweren Herzens als real anerkannten Gemeinheit im Orient einen nicht minder abscheulichen Widergänger im Okzident gleichberechtigt an die Seite zu stellen. Die Nicht-Parteilichkeit wird vom Ausnahmefall zum Prinzip erhoben, das regelmäßige Scheitern an der Welt außerhalb des ambivalenten Ichs nimmt klinische Züge an.
Bewältigte Ambivalenz, übertragen auf den Bereich der Reflexion über eine Sache, kann dagegen zum Beispiel dazu führen, obwohl man vom Urübel Krieg weiß, sich in bestimmter Konstellation trotzdem dafür zu entscheiden und das eine zu tun, ohne die ihm widersprechende Einsicht aufzugeben. Bedingung für den glücklichen Ausgang solch dialektischer Operation, also mit dem üblen Mittel des Krieges etwas für seine Abschaffung zu tun, ist die praktische Aktion, die das, soweit menschenmöglich, auch zum Ausdruck bringen muss. So folgen gerade israelische, aber auch – siehe Afghanistan und Irak – amerikanische Kriege nicht einer auf Ausrottung aller Gegner, gleich ob in Uniform oder in Zivil, zielenden Kriegslogik, auch dann nicht, wenn die Gegenseite auf verbrannte Erde setzt. Ambivalenter und im Grunde klinischer Umgang mit der Kriegsfrage ist dagegen die fundamentalistische Kriegsgegnerschaft deutscher Provenienz und ihm spiegelbildlich entsprechend der Fundamentalismus des Dar-al-Harb, des Hauses des Krieges, dem zum Beispiel Ahmadinedschad verpflichtet ist. Die stillgelegte und scheinbar intellektuelle Variante manifestiert sich etwa in der völligen Entscheidungsunfähigkeit von Politkommentatoren, die als Ausdruck eines eben doch vorhandenen inneren Konflikts sich in ihrer moralischen Überlegenheit über Gewaltopfer noch etwas auf ihre Leidenschaftslosigkeit zugute halten.
Jede Identifizierung mit den Anderen, gerade dann, wenn sie Opfer nicht zuletzt der eigenen Komplizenschaft mit den Tätern werden, nach außen lauthals zu diskreditieren, geschieht zu dem einzigen Zweck, jede Empathie im Inneren gewaltsam auszumerzen. Denn wer sich erst einem inneren Parteiordnungsverfahren unterzieht, um im ideologisch nützlichen Fall Krokodilstränen zu vergießen und widrigenfalls einem Gewaltopfer ein höhnisches „Selber schuld!“ hinterherzurufen, kann für sich nicht beanspruchen, zur Identifikation mit einem Anderen überhaupt fähig zu sein. Als einer, der ins Kollektiv verstrickt ist, dem er opponiert, wartet Gremliza mit einer sehr deutschen Selbsterkenntnis auf, die ihm so unheimlich ist, dass er, um Abgrenzung von den Landsleuten hilflos bemüht, das böse Wort in Anführungszeichen setzt: „Als ein Zeichen verbotener ‚Äquidistanz’“ würden schlechte Menschen seine gedankliche Tat werten, Hirsi Ali zunächst zu diskreditieren, um sie erst dann halbherzig vor ihren Verfolgern in Schutz zu nehmen. Äquidistanz, ein den Naturwissenschaften entlehnter, aber zumeist im politischen Kontext verwendeter Begriff meint als zutiefst ideologische Verschleierung von Parteilichkeit eben nicht die Einhaltung des exakt gleichen Abstands zu zwei Polen. Der Äquidistante in politischer und ideologischer Praxis war seit jeher der Vornehme, der sich die Hände beim Bündnis mit den von ihm als stärker Erkannten nicht schmutzig machen wollte, weil er sich für den Fall des Irrtums ein Hintertürchen offen halten wollte. Von ihm hat der wirklich Verfolgte erst dann Mitgefühl zu erwarten, wenn es gilt, vor den Mahnmalen für die Opfer der irgendwann einmal besiegten Gewaltherrschaft in widerlich distanzloser Weise Identifikationsrituale abzuhalten. Dem Äquidistanten, mithin Ambivalenten im politischen Feld, hält man zugute, dass seine Entscheidungslosigkeit nicht zu Eruptionen aggressivster Art drängt. Seine zumeist nur latente Parteilichkeit mit der irgendwann einmal siegreichen Gewalt, die sich in einem gewaltkritischen Rundumschlag in scheinbar menschheitsbeglückender Absicht äußert, muss bei Yaacov Lozowick als Angehöriger jener keineswegs nur jüdischen Minderheit, deren Angehörige die in ihnen ruhende Ambivalenz aus frühkindlicher Zeit bewältigt haben, den Ausschlag dafür gegeben haben, sich für die deutschen Antikriegsfundamentalisten „weniger zu interessieren“, wie er seine Abneigung höflich verklausuliert.
Dennoch ist Hermann Gremliza einer jener wenigen Deutschen, denen aus redlichen Gründen Israels Wohlergehen und damit auch dessen Verteidigungsfähigkeit ein Anliegen ist. Deshalb ist er zu der eigentlich sympathischen Einsicht gekommen, dass es sich beim iranischen Präsidenten und darüber hinaus dem ganzen Mullah-Regime um einen „Sprengkopf“ handele, der „zu entschärfen“ sei. Das bedeutet Krieg, in welcher Form auch immer. Und es bedeutet einen Krieg, der von den USA oder von Israel und den USA geführt werden muss, wie er auch einräumt. Gremliza aber formuliert mit Karl Marx kokettierend, den er nicht verstanden hat, einen Imperativ, den er wie jener von einem abgeschaut hat, den er im gleichen Heft von seinen Lohnschreibern als einen geistigen Wegbereiter Josef Mengeles diskreditieren ließ: Immanuel Kant, dem bekannten SS-Bonzen aus Königsberg. (2) Gremliza: „Es kömmt nicht darauf an‚ ‚das Böse‘ auszurotten, sondern bloß einem politisch-religiösen Regime das Mörderhandwerk zu legen, ohne zugleich denen, die eine solche Ordnung der Welt angerichtet haben, carte blanche zu geben. Im Kopf zu haben und zu behalten, wer die Palästinenser der Hamas, die Afghanen den Taliban und den Iran den Mullahs zugetrieben hat, und doch einzusehen, dass jetzt die übel Zugerichteten notfalls auch mit Gewalt gehindert werden müssen, die Welt nach ihrem und ihrer Götter Bild – und das heißt: noch übler – zuzurichten.“ Deshalb, so wäre hinzuzufügen, kömmt es in Gremlizas Logik erst recht darauf an, eine Abtrünnige, die aus den Niederlanden in die USA hat flüchten müssen, als Opfer djihadistischen Terrors und multikulturell inspirierten Hasses mit Dreck zu bewerfen. Deshalb kommt ein Imperativ der Lügen zustande, unter denen die eine nicht fehlen durfte, dass nämlich irgendwer nebst Afghanen, Iranern etc. auch „die Palästinenser der Hamas“, sprich den „Mullahs zugetrieben“ habe. So kann es im antiimperialistischen Überschwang einem ergehen, der eigentlich nur den USA und irgendwie dem Westen am Zeug flicken wollte und den es unfreiwillig, aber notwendig, kraft der objektiven Logik des Gedankens, direkt auf eine ordinäre antisemitische Verschwörungstheorie zutreibt. Die Islamisierung der Palästinensergebiete wird von berufener – sprich antizionistischer – Seite immer schon hämisch als originäres Werk der Israelis beschrieben, denen unterstellt wird, ihre kurzfristige Privilegierung der Hamas gegenüber der PLO in den 80er Jahren, vor allem aber ihre angeblich so unmenschliche Besatzungspolitik, habe den djihadistischen Terror, der vom Westjordanland und mehr noch vom Gazastreifen ausgeht, erst möglich gemacht. Eigentlich wollte Gremliza nur sagen: Im Grunde sind die Amerikaner und der Westen für das Zerstörungswerk der irgendwie immer noch Kolonisierten und hier vor allem der islamischen unter ihnen verantwortlich – aber de facto sagt er, dass die israelischen Juden schuld sind am eigenen Unglück. Gremliza hat mit seinem schiefen Imperativ noch nicht einmal zur Anwendung von Gewalt „gegen die übel Zugerichteten“, die sich anschickten, „die Welt noch übler zuzurichten“, aufgerufen. Als einer, der darüber wacht, dass niemand jenen, die für all das Unheil verantwortlich sind, das von Taliban und Teheran ausgeht, „carte blanche“ gibt, sieht er sich natürlich auch dazu aufgerufen, die Bedingungen für seine maßgebliche Zustimmung zum Ernstfall zu diktieren und zwar so, dass es beim ewigwährenden Bündnis mit dem deutschen Pazifismus bleibt. Einer jener traurigen Spaßvögel, die sich im Internet wichtig machen, hat Gremlizas verlogen-verbogene Einlassungen aus dem Jahr 2003 über den bevorstehenden Irakkrieg einfach für eine mögliche Iran-Expedition aktualisiert, wahrscheinlich in der idiotischen Absicht, ihm eine Mitschuld am Irakkrieg zu geben, was er nun wirklich nicht verdient hat. Der Bube also schrieb: „Wäre gewährleistet, dass Ali Khameneis Regime beseitigt und durch ein menschenfreundliches ersetzt werden könnte, ohne fünfhunderttausend oder eine Million oder mehr Iraner kollateral umzubringen und zugleich den Nahen Osten und Mittelasien atomar zu verseuchen, hätte ich keinen Einwand.“ Gremliza übernahm es wortgetreu in seine Kolumne, versehen mit dem Zusatz: „Ich fühle mich endlich verstanden“.
Ambivalenz in moralischen Fragen, also Äquidistanz gegenüber Tätern und Opfern, großen Philosophen (Kant) und kulturrelativistischen Mordbrennern, bürgerlichen Republiken und plebiszitären Radikaldemokratien iranischen oder, abgeschwächt, venezolanischen Zuschnitts, kennt die Unterscheidung zwischen Gut und Böse schon lange nicht mehr und ihre Verkünder machen sich an die Austreibung auch nur des hilflosesten Versuchs, an diesen zentralen Kategorien etwas zu retten. Den Kampf gegen das Böse zu führen, verbietet sich für Freunde der Äquidistanz spätestens, seit 2001 der amerikanische Präsident zu einer Koalition der Willigen gegen das Böse aufrief. Statt diesen Aufruf aufzunehmen, den gerade für europäische Gewohnheiten gleichermaßen naiven wie befreienden Gehalt unbefangen zu diskutieren und wo nötig auch zu kritisieren, erging ein Urteil gegen eine Nation und ihren Präsidenten, das bereits die Benennung des Bösen überhaupt als ein zu wehrendes Übel und selber schon als faschistische, auf Welteroberung ausgehende Maßlosigkeit geißelte. Gremliza fällt über die Intellektuellen des Westens, womit die Redaktion Bahamas, Henryk M. Broder und die Redakteure des Springer-Konzerns gemeint sind, folgendes Urteil: „Im Angesicht des Bösen, das aus dem Nahen und Mittleren Osten kommt, verliert für sie alles, womit der Okzident aufwartet, seine Schrecken: die alten und die neuen Nazis, der Rassismus, die Todesstrafe, die Ausbeutung, die christliche Sexualmoral.“ Wer so haltlos äquidistant lügt, hat es verdient, für alle Zukunft Hermann Ludwig Gremliza genannt zu werden. Denn: die alten Nazis sind tot, die neuen haben keinen Schrecken zu verlieren, weil sie keine Macht haben und keine bekommen werden, während die wirklichen neuen Nazis in Heiligendamm marschieren und in Konkret als Verbündete gehandelt werden. Der Rassismusvorwurf ist die zur zivilisationsfeindlichen Kampfparole kulturrelativistischer Paten des djihadistischen Terrors verkommene Warnung vor Ausländerfeindlichkeit. Die Todesstrafe ist in nur sehr wenigen westlichen Ländern überhaupt in Kraft und wird weiterhin zu bekämpfen sein, ohne die USA mit einem Regime gleichzusetzen, das jugendliche Homosexuelle an Baukränen aufknüpft, damit die der islamischen Sexualmoral unterworfenen Massen ein Gaudium haben. Die Ausbeutung ist dort am wenigsten unerträglich, wo es Arbeitsverträge, Arbeitsschutzgesetze, Gewerkschaften und Arbeitslosenversicherung gibt, ganz und gar unerträglich aber dort, wo der Knecht zum persönlichen Eigentum seines Patrons gezählt wird oder sich im Nach-Mao-Sozialismus tot arbeiten darf, also im Orient. Und die christliche Sexualmoral wäre nur dann schrecklich, wenn die Millionen, die dem Papst zujubeln, sich wirklich daran halten würden, was bekanntlich nicht der Fall ist, und womit die katholische Kirche schweren Herzens seit Jahrhunderten zu leben gelernt hat.
In einer Zeit, in der israelsolidarische Herausgeber behaupten, die Frauen im Westen seien nicht weitgehend frei und gleich und würden nicht in der öffentlichen Sphäre und in der Arbeitswelt immer neue Bastionen erobern; in der dem Kritiker jedes wahre Wort über das, gemessen an den unzulänglichen Fortschritten im Okzident, umso abscheulicher einen angrinsende Böse des Orients als eine Kollaboration mit all den hässlichen Erscheinungen eben dieses Okzidents um die Ohren gehauen wird; in einer von grassierender Äquidistanz befallenen Zeit, die zu zwanghaften Gleichsetzungen von Hatun Sürücüs schauerlichem Tod und dem Ende einer deutschen Ehe, in der der Ehemann geprügelt hat und deswegen nicht nur seine Frau verliert, sondern darüberhinaus und zurecht auch auf keinerlei Zuspruch für sein Tun zählen kann – in einer solchen Zeit kommen Äußerungen, die für etwas Besseres als die grassierende politisch moralische Ambivalenz stehen, und aus denen man noch ein wenig Trost schöpft, von Zeitgenossen, denen man Derartiges nicht zugetraut hätte.
Zu ihnen gehört in den Augen fortschrittlicher Deutscher der nach George Walker Bush schlimmste Hassprediger der Gegenwart: Joseph Ratzinger, der Papst.
Über ihn weiß Gremliza, dem ein Bahamas-Titelbild übel aufgestiegen ist, zu sagen: „Der Islam ist eine furchtbare Religion, gewiss, aber wer den deutschen Papst auf roten Pantöffelchen durchs Lagertor von Auschwitz hat trippeln gesehen und die Überlebenden beleidigen gehört, hat diesen Ratzinger als Filbinger im Fummel erlebt.“ (3) Der Papst hat in Auschwitz am 29. Mai 2006 in der Tat so dahergeredet wie sonst nur Gremlizas Lieblingshistoriker Paetzold und andere vaterländische Kommunisten, als er von „einer Schar von Verbrechern“ sprach, die mit „lügnerischen Versprechungen und auch mit Terror und Einschüchterung Macht gewonnen hatte, so dass unser Volk zum Instrument ihrer Wut des Zerstörens und des Herrschens gebraucht und missbraucht werden konnte.“ Ich weiß nicht, ob das die Überlebenden beleidigt hat. Ich bin aber sicher, dass das Folgende keineswegs die Überlebenden, sondern Gremliza und all die anderen linken Ludwigs tief beleidigt haben muss: „Wo war Gott in jenen Tagen? Warum hat er geschwiegen? Wie konnte er dieses Übermaß von Zerstörung, diesen Triumph des Bösen dulden? (…) Nein, im letzten müssen wir bei dem demütigen, aber eindringlichen Schrei zu Gott bleiben: Wach auf! Vergiss dein Geschöpf Mensch nicht! Und unser Schrei zu Gott muss zugleich ein Schrei in unser eigenes Herz hinein sein, dass in uns die verborgene Gegenwart Gottes aufwache – dass seine Macht, die er in unserem Herzen hinterlegt hat, nicht in uns vom Schlamm der Eigensucht, der Menschenfurcht und der Gleichgültigkeit, des Opportunismus verdeckt und niedergehalten werde. Wir stoßen diesen Ruf an Gott, diesen Ruf in unser eigenes Herz hinein, gerade auch in dieser unserer gegenwärtigen Stunde aus, in der neue Verhängnisse drohen – auf der einen Seite der Missbrauch Gottes zur Rechtfertigung blinder Gewalt gegen Unschuldige, auf der anderen Seite der Zynismus, der Gott nicht kennt und den Glauben an ihn verhöhnt.“ Und etwas später sagte Ratzinger zur Bekräftigung dessen, was er mit Glauben und Gott meinte: „Der Gott, dem wir glauben, ist ein Gott der Vernunft – einer Vernunft, die freilich nicht neutrale Mathematik des Alls, sondern eins mit der Liebe, mit dem Guten ist.“
Gewiss ist der theologische Überschwang, mit dem Ratzinger vom Bösen spricht, nicht minder fragwürdig als die häufigen Beschwörungen des Bösen durch den amerikanischen Präsidenten. Insofern hat auf den ersten Blick Gremlizas Einwand: „Es kömmt nicht darauf an‚ ,das Böse‘ auszurotten, sondern bloß einem politisch-religiösen Regime das Mörderhandwerk zu legen“ vieles für sich. „Das Böse“ als Kategorie ist natürlich völlig unhaltbar und verweist auf einen Idealismus, der aus jedem Urteil, jeder Relation, eine Substanz und damit ein Subjekt zaubert. Aus der Aussage X „ist böse“ wird so allzu leicht „das Böse“ als Substanz, als Sein, als Subjekt. Solche Generalisierungen sind Ideologie und keine Denkfehler, treten also notwendig auf. Denn die Rationalität des bürgerlichen Bewusstseins kann alles begreifen, nur nicht sich selbst. Und dieser Bann, diese konstitutive Befangenheit muss sich in der Bestimmung eines Feindes wiederholen: der muss ein Gegenprinzip, das Böse sein. Diese schlechte Metaphysik gibt merkwürdigerweise dennoch manchmal präzisere Auskunft über das tatsächlich Irrationale und Unfassbare eines Feindes (der Nazis wie der Islamisten) als jene scheinbar aufklärerisch-nominalistische Behauptung, „das Böse“ sei nur ein Name, das es in Wirklichkeit genauso wenig gebe wie eine verbindliche Wahrheit. Ratzingers und Bushs Beschwörung „des Bösen“ als eines zu Bannendem verrät etwas von der Irrationalität der kapitalistischen Ordnung und ihrer Todfeinde; wobei letztere nicht einfach originäre Hervorbringungen aller warentauschenden Gesellschaften sind, wie der schlechte Rationalist meint, sondern gleichermaßen den Schrecken einer nie wirklich überwundenen Vorzeit repräsentieren wie das apokalyptische Szenario der Aufhebung des Kapitalismus auf seinem eigenen Niveau.
Wenn man also den Papst und seine gläubige Vernunft mit allem Grund kritisiert, dann sollte man wenigstens nicht hinter deren Maßstäbe zurückfallen. Dass Ratzinger sehr bestimmt gegen die äquidistante neutrale Mathematik des Alls, für eine dialektische Vernunft einsteht, die die Schrecken nicht leugnet, die auch in ihrem Namen angerichtet worden sind und werden, und die er dennoch als stets parteilich, dem Menschen freundlich und als in jedem Menschen vorhanden unterstellt, eine Vernunft, die zwischen Gut und Böse zu unterscheiden weiß, und die er auch in völliger Abwesenheit Gottes, mithin eines das Handeln der Menschen leitenden Prinzips für existent und kategorisch verpflichtend hält – das macht den deutschen Papst gegenüber zynischen, opportunistischen und die Menschen fürchtende Rationalisten nicht nur moralisch, sondern eben auch als Philosoph und Kritiker unendlich überlegen.
Dieses Deutschland, das Israel kalt lächelnd der iranischen Bombe aussetzt, hält es, auch wenn der äußere Schein anderes nahe legt, keineswegs mit dem deutschen Papst, sondern mit seinem Generationsgenossen, dem deutschen Nobelpreisträger für Literatur. Mit Grass, der ein SS-Mann wurde und der gläubig staunenden Nation verkündete, dass jeder normale männliche Deutsche seiner Generation nun mal gar nicht hätte anders handeln können, als er es tat, hält man es nicht nur im Geheimen. Der späten Erkenntnis, dass in jenen Jahren mindestens halb Deutschland nach einem Bonmot von Eike Geisel so eifrig mit Juden-Verstecken beschäftigt war, dass man diese später gar nicht mehr fand, fügt sich jene andere spielend ein, dass Höllerer, Jens und Lenz natürlich in der Partei und ihr noch berühmterer Kollege in deren bewaffnetem Schild für Trutz und Ehr’ Dienst tat. Joseph Ratzinger, der natürlich nicht in die SS gegangen ist, – und beiläufig gesagt, auch die Karriere eines Marinerichters nicht eingeschlagen hat –, sondern spät und ungern Luftwaffenhelfer wurde, stammt aus einem Milieu, das es heute nicht mehr gibt, das aber damals teilweise stark genug war, seine Söhne nicht zu Kampfmaschinen zu erziehen, und das weit erfolgreicher der institutionalisierten Menschenfurcht, dem Opportunismus gegenüber der blinden Gewalt widerstanden hat als sein erfolgreicherer Widersacher in Sachen Glaube und Vernunft, der protestantisch, rationalistisch und scheinbar der Welt zugewandt, sich bis heute für fortschrittlicher hält. Der Fluch der Äquidistanz, diese schauerliche Fähigkeit, alles zu Ende zu rationalisieren und zu kalkulieren, die sich gerade an der überwiegend vom protestantischen Milieu unter Beweis gestellten Kollaboration bei der Euthanasie beweisen lässt, vermehrt um einen Nach-Kriegs-Friedens-Fundamentalismus, dem täglich zum Beispiel im Irak, wo es keine deutschen Truppen gibt, oder in Darfur, wohin keine geschickt werden sollen, Hunderte zum Opfer fallen, verweist auf ein so angeschlagenes, ambivalentes kollektives Ich, dass selbst ein lange Zeit verdienstvoller Kritiker in den Chor der Menschenschinder um des Friedens willen einstimmen muss.
Die unfassbaren Aufrechnungen, die die Äquidistanz gegenüber unvergleichbaren Übeln erst möglich macht, sind Ausdruck einer selbstzerstörerischen Verhöhnung des bisschen Freiheit, dass sich im Verlauf einiger Jahrhunderte ein immerhin großer Teil der Menschheit erkämpft hat. Der Papst – ein Judenverhöhner, Ayaan Hirsi Ali – eine Reaktionärin, die USA und Israel – Täterstaaten, die den islamischen Weltkrieg erst auf den Weg gebracht hätten – diese relativistischen Angriffe auf das, was im Westen wenigstens als Potential vorhanden ist und folglich für die ganze Welt eingefordert werden könnte, also auch für den geographisch definierten Westen, konzentrieren sich auf den Punkt, an dem die längst verratene Idee einer dezidiert westlichen Zivilisation ihren ungeliebten Außenposten hat: den Nahen Osten in Form des jüdischen Staats und seiner Bewohner.
Ratzingers theologische Vernunft hingegen nimmt die Sache der Aufklärung gerade dann ernst, wenn Gott schweigt, von ihm keine Antwort kommt und nicht mehr als ein trotziges Vertrauen bleibt, dass es das göttliche Prinzip eben dennoch gebe, als Selbstversicherung des vernünftigen, also den Menschen freundlichen Einzelnen. Nachdem der Genosse Trend versagt, der Kommunismus als stalinistisches oder maoistisches Mordsregime jede Hoffnung auf Befreiung in seinem Herrschaftsbereich ausgetilgt hat und vorher schon jene furchtbarste Form sozialistischen Plebiszits auf heimatlicher deutscher Erde jedes Vertrauen auf die Vernunft fast völlig erstickt hat, trotzdem die Sache der Aufklärung hoch zu halten – das vermögen all die Kriegsversehrten, aus denen Deutschland seit 1945 besteht, einfach nicht auszuhalten. Die Generation der 80jährigen Dichter wie Walser und Grass kommt mit den verlorenen Illusionen ihrer glücklichen Kindheit im Nationalsozialismus nicht klar; Sie zogen gleich nach 1945 in einen schier endlosen ideologischen Krieg gegen den Westen. Die nächst jüngere Generation kann es nicht verwinden, dass es mit dem Sozialismus in all den schrecklichen Parteien und Parteichen mit den diversen kämpfenden Völkern im Schlepp nichts wurde; und die noch Jüngeren scheinen sich verschworen zu haben, zusammen mit ihren Eltern den Tanz um Bruder Baum und die große Moschee von Köln solange aufzuführen, bis der große Teufel klein beigegeben hat und der kleine von der Landkarte verschwunden ist.
Das Problem heißt Ambivalenz und ist klinisch. Wer relativ gesittet, also westlich lebt und zugleich, wenn es um Freizeitprotest geht, schon einmal nachzivilisatorische Formen des Hordenlebens einübt oder doch zustimmend vor dem Bildschirm nacherlebt, dem wird die Dialektik der Aufklärung für immer ein Rätsel bleiben und die auch praktischen Konsequenzen, zu denen die Reflexion über sie drängt, ein Greuel. Der Kritiker dagegen wird nicht den Westen in toto verfluchen, wenn zum Beispiel der amerikanische Präsident öffentlich moralisiert, weil er doch weiß, dass „der Westen“ weder im Oval Office noch in einer bestimmten Weltregion zwingend zu Hause ist. Der wird sogar in der intellektuellen Zwergengestalt des amerikanischen Präsidenten, einen, gemessen am Zustand der Welt, immerhin beachtlichen Moralisten erkennen. Er wird das mit gehörigem Sarkasmus konstatieren müssen, vergliche er ihn etwa mit Franklin D. Roosevelt oder Tomas Masaryk, aber es wird ihn nicht abhalten, in bewältigter Ambivalenz dem wenigen zuzustimmen, das für das Bessere – hier erst einmal nur einen atomwaffenfreien Iran – spricht, ohne zugleich als scheinliberaler Konvertit den Standort des Kritikers zu räumen. Und er wird wissen, dass es nicht die USA sind, die mit ihrer Außenpolitik einer neutralen Mathematik des Alls zum Durchbruch verhalfen.
Die wahren Zerstörer sind wie immer jene Ambivalenten, die im Auftrag zynisch gewordener Sozialisten z.B. einen verfolgten jüdischen Philosophen stellvertretend für die von ihnen intendierte Zerstörung der Vernunft zitieren: „,Damit allein‘, so fasste Edmund Husserl 1935 die abendländische Identität zusammen, ‚entscheidet sich, … ob das europäische Menschentum eine absolute Idee in sich trägt und nicht bloß empirischer anthropologischer Typus ist, wie ‚China‘ oder ‚Indien‘; und wieder ob das Schauspiel der Europäisierung aller fremden Menschheiten in sich das Walten eines absoluten Sinnes bekundet, zum Sinn der Welt gehörig und nicht zu einem historischen Unsinn derselben.’“ Soweit Husserl. Die Autoren, die ihn zitiert haben, beenden ihren Artikel als gute arische Deutsche mit den Worten: „So vor die Wahl gestellt: Der Unsinn wäre vorzuziehen.“ Und so geschah es in Deutschland, wo Husserl 1935, als er seine Erwägung über Sinn und Unsinn niederschrieb, seine Lehrberechtigung und 1937 sein Haus verloren hat, bevor er 1938 verarmt und geächtet starb, ja dann wirklich. Man entschied sich dafür, nicht zum Sinn der Welt gehören zu wollen, sondern zum historischen Unsinn derselben. Mit der Europäisierung der Welt im emphatischen Sinne Kants oder selbst Husserls ist es spätestens vorbei, seit die Nazis die bewohnbare Welt nach ihrem Bilde formten, d.h. vernichten wollten und dieses Unternehmen nun ausgerechnet als Verdikt über jede womöglich gewaltsam durchgesetzte Verbesserung der Lebensverhältnisse missbraucht wird. Von Europa bleibt die Erinnerung an einen Erdteil, von dem die menschlichen, ökonomischen und intellektuellen Potentiale für eine vernünftigere Einrichtung der Welt, als es indisches Kastensystem oder chinesischer Bürokratismus waren und teilweise ja noch sind, ihren Ausgang nahmen. Von Europa bleibt zugleich das Wissen um die Freisetzung eines historischen Unsinns, der nicht etwa am 8.5.1945 endete, sondern seither in der pazifistischen Beschwörung kompletter Sinnlosigkeit in Verbindung mit Bannflüchen gegen jeden, der nicht „jedem bloß empirischen oder anthropologischen Typus“ huldigt, zerstörerisch fortlebt.
Die Deutschen werden weiterhin ambivalent bleiben, aus europäischer Verantwortung für eine Menschheit, die sie sich nur als Konglomerat kollektiver anthropologischer, bloß empirischer Typen vorstellen wollen. Seit der militärischen Niederlage ihres Versuchs, die Welt zu europäisieren, wachen die Meinungsmacher unter ihnen eifersüchtig darüber, dass sich niemand auch nur in der Welt der Ideen an eine Erziehung des Menschengeschlechts macht und konnten sich stets weitreichender Zustimmung sicher sein. Dass im Fall Iran, der ja längst ein Ernstfall Israel ist, die möglicherweise gar nicht so allmächtige Zunft der Experten aller Richtungen wieder unbestritten als Volkes Stimme obsiegen wird, daran hat ein Winkelschreiber mit nicht zu unterschätzendem Einfluss seinen Anteil. Die Schande teilen mit ihm nicht nur jene willigen Niedriglohnschreiber, die sich in ihrem antiimperialistischen Überschwang in ein Lob des NS hineinschrieben, sondern auch jeder, der in Konkret oder anderswo dazu beiträgt, dass die Solidarität mit Israel und eine Solidarität mit den nationalen Sozialisten aller Länder und Zeiten ganz friedlich koexistieren.
Justus Wertmüller (Bahamas 53 / 2007)
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