Titelbild des Hefts Nummer 56
weiße Rasse – schwarze Klasse
Heft 56 / Herbst 2008
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Islamkritik und Politik im Namen des Volkszorns

Die FPÖ und das postnazistische Österreich

Die FPÖ hat bei der Nationalratswahl 2008 17,54, das BZÖ 10,70 Prozent der Stimmen gewonnen und es wäre rein rechnerisch möglich, dass die beiden Parteien Teile der nächsten Regierungskoalition werden. Ihr Erfolg ist zu einem maßgeblichen Teil einem Rassismus geschuldet, der sich in Aussagen ausdrückt wie „Wir lehnen das Errichten von Symbolen eines fremden Herrschaftsanspruchs über unsere Heimat unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit und von politisch-religiösen Siegeszeichen wie Minaretten ab“ (FPÖ-Wahlprogramm 2008) und der von seinen Kritikern allzu gern als „Antiislamismus“ charakterisiert wird. Doch kann die auf Heimatschutz bedachte Agitation, kann die rassistische Weltanschauung einer FPÖ oder des BZÖ mit Begriffen wie „Antiislamismus“ oder gar „Islamophobie“ sinnvoll kritisiert werden?

Materialistisch fundierte Islamkritik sieht sich immer wieder der Vorhaltung ausgesetzt, etwa dasselbe zu betreiben wie die FPÖ und andere Rechtsextremisten, oder deren rassistischer Mobilisierung zumindest in die Hände zu spielen. Kritik am Islam, so die Ausführungen, mit denen Ideologiekritik immer wieder konfrontiert wird, sei per se rassistisch, kulturchauvinistisch oder auch „imperialistisch“. Sieht man sich das Ganze jedoch etwas genauer an, stellt man rasch fest, dass FPÖ und BZÖ mehr Gemeinsamkeiten mit der islamischen Erweckungsbewegung und auch mit deren kulturrelativistischen Verteidigern haben, als alle an dieser falschen Kontroverse beteiligten Seiten es wahrhaben wollen. Diese Gemeinsamkeiten zu kritisieren und zu zeigen, dass sie alles andere als zufällig sind, ist die Voraussetzung einer aufklärerischen und emanzipatorischen Islamkritik.

Lediglich auf den ersten Blick nämlich, wenn etwa die FPÖ-nahe Zeitschrift „Wir Wiener“ in ihrer Septemberausgabe 2008 unter Bezug auf Seyran Ates gegen „Zwangsheiraten“ polemisiert, kann man manche FPÖ-Verlautbarungen mit den Ausführungen emanzipatorischer Kritik verwechseln; diese Verwechslung allerdings bewusst aufrecht erhalten zu wollen, zeugt von denunziatorischer Absicht. Denn: Worin soll etwa die Argumentation der Freiheitlichen, dass das „Kopftuch [...] ein Symbol des Islamismus und der Unterdrückung der Frau (ist)“, Österreich aber „kein muslimisches Land“ sei, weswegen „sich strenggläubige Moslems an unsere Lebensweise anzupassen (haben) und nicht umgekehrt“ (Eduard Schock, Klubobmann der FPÖ-Wien) mit einer Kritik identisch sein, die das Kopftuch als sexualitätsfeindlichen und Frauen unterdrückenden Ausdruck einer politisch-religiösen Bewegung erkennt und kritisiert und nicht Kultur- und Heimatschutz fordert, sondern die Bekämpfung solch antiindividualistischer Vorstellungen zugunsten der gequälten Einzelnen zu ihrem Programm macht? Entspricht eine Argumentation, die die „Befreiung für Frauen und Mädchen“ von ihrer Reduzierung „zum Objekt“ als „Maßnahme zum Schutz unserer Kultur“ vor dem Islamismus betrachtet (ders.) einer kritischen Gesellschaftstheorie, die eine trennsichere Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus allein schon deshalb den überall aus dem Boden schießenden Islam-Experten überlässt, weil sie dagegen die Kritik einer religiösen Ideologie setzt, die im Namen des Friedens die Unterwerfung unter ein von Gott offenbartes Buch fordert, das letzte und ewiggültige Wahrheit beansprucht? Ideologiekritik, die auf die Abschaffung gesellschaftlichen Zwangs abzielt und sich demgemäss auch als Religionskritik artikuliert, erkennt die Trennung von Islam und Islamismus allein schon deswegen als eine immer auch willkürliche, weil die islamische Erweckungsbewegung, genauso wie der orthodoxe und der konservative Islam, den Koran ! buchstabengetreu und damit seinen immanenten Ansprüchen gemäß korrekt auslegt und zu Recht behauptet, ihre Herrschaftspraxis sei über dieses Buch vermittelt.

Kultur und Fremdbestimmung

Die Vorstellung, dass die FPÖ im Namen des westlichen Fortschritts dem Islam prinzipiell den Kampf ansage, weshalb aufklärerische Islamkritik mit Anti-Ausländer-Hetze identisch sei, blamiert sich schon daran, dass die FPÖ gegen Praktiken wie die Steinigung von Ehebrecherinnen oder die Todesstrafe gegen Apostaten nicht das Geringste einzuwenden hat, solange sie außerhalb von Europa stattfinden. In ihrem Positionspapier „Wir und der Islam. Freiheitliche Positionen zur Religionsfreiheit, zur islamischen Welt und zur Problematik des Zuwanderungs-Islam in Europa“ heißt es nämlich: „Wir Europäer müssen daher jenen Kulturen, die einen islamischen Hintergrund haben, durchaus Respekt zollen.“

Der Islam als solcher wird also nicht nur nicht kritisiert; es wird ihm vielmehr analog der Leitkultur des „christlich europäischen Abendlands“ (Strache) als Kultur auf seinem eigenen Boden Respekt gezollt: „Von Nigeria bis Kasachstan, von Marokko bis Indonesien sind die Mehrheitsbevölkerungen vom Islam – wenn auch in sehr unterschiedlichen Ausrichtungen – entscheidend geprägt. Vor allem für die arabische Welt stellt der Islam die bedeutende Klammer für ein selbstbewusstes Auftreten in der Zukunft dar. [...] Als identitätsbewusste Bewegung unterstützt die FPÖ die Bestrebungen der islamischen Welt, sich von Fremdbestimmung zu emanzipieren. Eine verantwortungsvolle europäische Außenpolitik muss den Ausgleich mit der islamischen Welt suchen und darf sich nicht von den USA instrumentalisieren lassen. Dem Selbstbestimmungsrecht der Völker muss gegenüber Weltmacht-Interessen endlich mehr Gewicht eingeräumt werden; nicht zuletzt um eine friedlichere Zukunft zu ermöglichen und die Sicherheit vor kriegerischen Auseinandersetzungen zu erhöhen.“

Bei der Pressekonferenz zur Publikation dieses von Andreas Mölzer erstellten Positionspapiers führte Heinz Christian Strache weiter aus: „Wir sind nicht Gegner einer Religionsgemeinschaft. [...] Was wir nicht wollen, ist eine Islamisierung Europas.“ Andreas Mölzer legte nach, als er völlig zu Recht prahlte, der Respekt vor dem Islam als Religion und Kulturkreis führe dazu, dass die FPÖ schon aus Tradition die besten Beziehungen zur islamischen Welt pflege, „insbesondere im Kampf für Selbstbestimmung“ – etwa gegenüber „US-Imperialismus und ähnlichen Dingen“.

Was aus den ideologischen Verlautbarungen und der politischen Praxis der Heimatschützerpartei spricht, ist also keine Kritik an einer von Frauenfeindlichkeit, Hass auf Homosexuelle sowie von Antisemitismus geprägten politisch-religiösen Bewegung, die in den letzten Jahren in mehrheitlich islamischen Ländern, aber auch in Europa einigen Zulauf gewonnen hat, und der es in einem Wechselspiel zwischen „radikalen“ Terrornetzwerken und „moderaten“ Dialogführern gelingt, weltweit immer mehr ihrer repressiven Forderungen durchzusetzen. Vielmehr stellt sich die FPÖ der Zuwanderung „kulturfremder“ Immigranten entgegen, weil diese ihrer Meinung nach in der angestammten „Heimat“ der Österreicher nichts zu suchen haben. Die Hetze der Freiheitlichen gegen Zuwanderung ist dementsprechend keineswegs auf Moslems beschränkt: Noch vor wenigen Jahren waren „die nigerianischen Drogendealer“ der Hauptfeind der Volksgemeinschaft.

Susanne Winter forderte in ihrer Neujahrsansprache 2008 deshalb auch nicht etwa, die unterdrückten und verfolgten Einzelnen gegen die islamische Erweckungsbewegung zu unterstützen, sondern sie warnte vor einem „Einwanderungs-Tsunami“ und verkündete, dass der Islam, „dorthin zurückgeworfen“ gehöre, „wo er hergekommen ist – hinter das Mittelmeer.“ Mit solchen Aussagen gibt Winter pars pro toto zu verstehen, dass die FPÖ mit der Herrschaftspraxis islamischer Gemeinschaften kein Problem hat. Vielmehr gelte es, diese Praxis dorthin zu verweisen, wo sie hingehöre: in den „islamischen Kulturkreis“. Dass in diesem Kontext jede Polemik gegen das Kopftuch oder andere Momente des islamischen Unterwerfungsanspruchs gegen den Einzelnen bloß instrumentellen Charakter hat, versteht sich von selbst. Die Frauen in der islamischen Welt, die das Kopftuch tragen müssen – das Ausdruck der Frauenverachtung auch dann bleibt, wenn Frauen ihre Unterwerfung dermaßen internalisiert haben, dass sie es freiwillig und selbstbewusst tragen – sind den Freiheitlichen ein Ausdruck der Selbstbestimmung der islamischen „Mehrheitsbevölkerung“. Der Islam wird nicht als eine gewalttätig-regressive Ideologie kritisiert, sondern im Sinne des Heimatschutzes als „fremde Kultur“ behandelt, die das, was für die FPÖ unter „österreichische und europäische Leitkultur“ (Mölzer) oder „christlich europäisches Abendland“ (Strache) firmiert, auszuhöhlen und zu verdrängen im Begriff sei. Der Slogan der FPÖ-Plakatserie zur Nationalratswahl 2006, „Daham statt Islam“, steht genau hierfür. Wenn die FPÖ gleichzeitig von der europäischen Außenpolitik fordert, die „Kulturen islamischen Hintergrunds“ in ihrem „Selbstbestimmungsrecht“ und ihrem Kampf gegen äußere Einmischungen zu verteidigen, widerspricht das dem quasi-zoologischen Heimatschutzprogramm nicht, sondern ist nur dessen konsequente Anwendung auf die internationale Arena.

... wie immer Leitkultur?

Jener Antirassismus dagegen, der ähnlich wie die FPÖ das Festhalten an einem universalen Begriff von Emanzipation als „versteckte Form der Kolonial- und Missionseinstellung“ denunziert, wie dies exemplarisch Michael Leezenberg, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Programms „Islam in the Modern World“ an der Universität Amsterdam, tut, muss die ethnopluralistische Leitkulturideologie der FPÖ und ihre notwendigen internationalen Implikationen als „Islamophobie“ charakterisieren, schon um die Nähe des eigenen Multikulturalismuskonzepts zu diesen Positionen nicht zu Bewusstsein kommen zu lassen. Dieser Antirassismus nämlich nimmt „Leitkultur“ ebenso – wenn auch in abwertender Weise – als gegeben an und greift bloß die FPÖ-Vorstellung an, dass Zuwanderer sich dieser zu assimilieren hätten. Dagegen setzt er den Versuch, die „mehrheitsösterreichische Leitkultur“ zu durchbrechen und einen Multikulturalismus zu implementieren, in welchem die verschiedenen Kulturen gleichberechtigt nebeneinander und in fruchtbarem Dialog miteinander stehen. Ihm ist also der Begriff der Kultur im Sinne eines unbedingt zu respektierenden Konglomerats von Eigenheiten eines Kollektivs kein zu kritisierender, sondern vielmehr ein zu affirmierender. Dementsprechend richtet er sich nicht gegen die Zumutungen der als Kulturen begriffenen Kollektive, sondern versucht stattdessen, die in Österreich ausgemachte Leitkultur zu bekämpfen. Emanzipatorische Kritik dagegen erkennt nicht an, dass es eine bestehende Leitkultur, die durch die „Mehrheitsösterreicher“ – durch deren Schnitzel- und Bierkonsum etwa, wie die Gegner der Leitkultur sarkastisch anmerken – bestimmt sei, als etwas Substantielles überhaupt gibt.

„Was österreichisch ist“, lässt sich nicht folkloristisch bestimmen. Denn Schon in der Frage lauert, so sie nicht ideologiekritisch gestellt wird, die Rationalisierung und damit Pseudoerklärung eines irrationalen gesellschaftlichen Zusammenhanges, der nicht in belanglosen Essgewohnheiten und anderen lokalen Zufälligkeiten besteht, sondern allein darin, dass die zusammenhangslosen, vereinzelten Individuen, wenn sie leben wollen, gezwungen sind, sich auf irgendeine Art und Weise in den Prozess der Kapitalverwertung, also in den durch Ware und Geld vermittelten, im Produktions- und Austauschprozess zu realisierenden Verwertungsprozess zu integrieren. Die staatliche Gewalt, die den unverstandenen Gesamtprozess repräsentiert und seinen Fortgang garantiert, steht notwendigerweise, ganz unabhängig vom Verhalten irgendwelcher Politiker, als eine fremde Macht über den Einzelnen; notwendig deshalb, weil für die Individuen in der über den Wert synthetisierten Gesellschaft gilt: „Ihre eigene gesellschaftliche Bewegung besitzt für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, statt sie zu kontrollieren.“ (Marx) Wenn nun jemand sagt „Ich bin Österreicher“ und damit mehr meint, als dass er einen Pass besitzt, dann heißt dies, egal ob er es nun mit Stolz oder mit Naserümpfen sagt, dass eben diese äußere Zwangsgewalt, der Staat, zum innersten Wesen der Einzelnen gemacht und der Zwang, sich ihm zu unterwerfen, als Staatsloyalität zur fixen Charaktereigenschaft erklärt wird, die sich dann irgendwie im Schnitzel materialisiert.

Die permanente Fragestellung selbst ist es, die hier die bestimmende Rolle spielt und nicht die finale allgemeingültige Beantwortung; diese kann vielmehr im Spiegelspiel von Links und Rechts erscheinen. Der Versuch nämlich, danach zu fahnden, was Rasse, Volk, Kultur, Mehrheitsgesellschaft etc. ausmache, ist nicht dadurch bestimmt, Vergangenes, geschichtlich Festmachbares finden zu müssen oder gar zu können, in dem Leitkultur sich positiviere. Die permanente Suche ist vielmehr Selbstzweck, sie ergeht als Auftrag an die Einzelnen, sich kapitalproduktiv und staatsloyal zu verhalten, sich also als in unauflösbarem, quasi natürlichem Zusammenhang mit der Wert verwertenden Gesellschaft und ihrem Staat zu begreifen.

Deutsche Form der Krisenlösung

Wenn es dennoch etwas gibt, das österreichisch (und deutsch) ist, dann ist dies eine gesellschaftliche Konstellation, in der die Differenz zwischen dem Individuum einerseits und zwischen Kapital und Staat andererseits, die die bürgerliche Gesellschaft kennzeichnete, im nationalsozialistischen Volksgemeinschaftsstaat aufgehoben und in der postnazistischen Gesellschaft, die daraus hervorging, nur oberflächlich wiederhergestellt wurde. Der Drang zur Gleichmachung des Individuums mit dem, was Marx Charaktermasken nennt – dem loyalen Staatsbürger, der produktiven Arbeitskraft und dem Agenten der Wertverwertung – ist der bürgerlichen Gesellschaft als solcher immanent, doch enthält sie in ihrem liberalen Zustand noch einen revolutionären Überschuss: Die liberalen Versprechungen weisen insofern tendenziell über die Gesellschaft hinaus, als in ihnen der Anspruch sich äußert, eine Gesellschaft freier Individuen zu etablieren. Dieser Überschuss wird markiert durch die Ideen von Autonomie und größtmöglichem persönlichen Glück, die versprechen, was die bürgerliche Gesellschaft als solche aufgrund ihrer Konstitution nicht einhalten kann. Wenn aber in der Krise – die schon damit gesetzt ist, dass der Warentausch aufgrund des Gegensatzes von Wert und Gebrauchswert und des daraus resultierenden Auseinanderfallens von Kauf und Verkauf immer eine unsichere und ungewisse Sache ist – der Augenblick verpasst und die Möglichkeit einer Revolution, die den Namen verdient, nicht realisiert wird, verändert sich die bürgerliche Gesellschaft in sich; sie bringt aus sich ein Krisenlösungsmodell hervor, in dem die Individuen das, was sie vorher nur abstrakt waren – Staatsbürger, Arbeitskräfte und Agenten der Wertverwertung – mit allen Fasern ihres Wesens werden. Dabei verändert sich auch das Individuum: Es verliert seine Nichtidentität mit der Charaktermaske und wird zu einem Volksgenossen, der für Führer, Volk und Vaterland lebt. Die Ideen des Glücks und der entfalteten Individualität werden verworfen, und was an den Einzelnen eventuell noch an selbständigen Regungen vorhanden sein sollte, wird unterdrückt und an anderen verfolgt. Die in der Krise von Panik Ergriffenen sehnen sich einen Staat herbei, der ein Staat des ganzen Volkes sei, ein Staat, der die gesellschaftlichen Widersprüche eliminiert und die in ihm Aufgehenden vor der Krisenhaftigkeit der Gesellschaft schützt. Den barbarischen Kulminationspunkt solch fetischistischer Krisenlösung markiert der nationalsozialistische Volksgemeinschaftsstaat: Die Trennung von Staat und Gesellschaft war hierin völlig abgeschafft und die Einzelnen zusammengeschweißt im antisemitischen Verfolgerkollektiv, an dessen „Wesen die Welt genesen“ sollte.

Diese Transformation war eine objektive, die Volksgemeinschaftsideologie also keine bloße Lüge der Nazis, weswegen allen Mythen der „Stunde Null“ zum Trotz diese gesellschaftliche Entwicklung 1945 nicht einfach zum Stillstand gekommen ist. Vielmehr ist die österreichische Gesellschaft eine postnazistische, in der zentrale Elemente des NS in der Demokratie aufgehoben sind, so auch das unmittelbare Verhältnis der Einzelnen zu „ihrem“ Staat. Der Versuch der Beantwortung der Frage nach der nationalen Identität ist die Identifikation mit dem Souverän. Da diese selbstbewusste Identifikation aber lediglich der Wunsch ist, die unmittelbare Staatlichkeit der Einzelnen zu verewigen, kann die Frage danach „was österreichisch ist“ niemals positiv beantwortet werden, sondern immer nur über die Verfolgung derer, die beschuldigt werden, die vermeintlich harmonische Einheit permanent zu hintertreiben. Sie ist von notwendig negativer Bestimmung, die an denen sich festmacht, die – vermeintlich oder tatsächlich – die souveräne Handlungsfähigkeit des Staates untergraben. Der Wunsch nach kultureller Identität ist der Aufruf zur permanenten Fahndung nach den „Wesensfremden“ und „Nicht-Dazugehörigen“, nach den Sozialschmarotzern und Gemeinschaftsschädlingen.

Eine ganz ähnliche Entwicklung wie Deutschland und Österreich haben die islamischen Länder in den zwanziger und dreißiger Jahren durchgemacht, weshalb die damals zuerst entstandenen islamischen Erweckungsbewegungen, welche den Islam als moderne Krisenideologie auf den neuesten Stand brachten, so viele Affinitäten zur nationalsozialistischen Bewegung haben, mit der sie auch nicht zufällig ein strategisches Bündnis eingingen. Sowohl die Betriebsamkeit und der Erfolg von FPÖ und BZÖ als auch der weltweite Aufstieg des Islamismus sind Ausdruck davon, dass die nationalsozialistische Dynamik nach dem Zweiten Weltkrieg nicht aufgehört hat, sondern nur sistiert wurde – im Nahen und Mittleren Osten ist der Weltkrieg sogar bruchlos in den Vernichtungskrieg gegen den jüdischen Staat übergegangen, auf dessen Vorläufer, den Jischuw im britischen Mandatsgebiet Palästina, es schon die Nazis im Bündnis mit dem Mufti von Jerusalem, Haj Amin Al Husseini, abgesehen hatten. Wenn sich heute diese Bewegungen stärker regen, dann ist dies sowohl Ausdruck als auch treibendes Moment der sich abzeichnenden weltweiten Krise.

Dementsprechend sind die Ausführungen der diversen FPÖ-Politiker etwa zur islamischen Sexualmoral auch nicht durch Kritik an einer Ideologie gekennzeichnet, die ihre Trieb- und Lustfeindlichkeit an den Frauen ausagiert, die als Verführerinnen, welche die Moral der Männer untergraben, unters Kopftuch, den Hijab oder den Tschador gezwungen werden. Vielmehr genügt ein Blick auf die Position der Freiheitlichen zur Homosexualität, um zu sehen, dass diese sich mit derjenigen des Islam, wie sie von dessen öffentlichen Proponenten mehrheitlich vertreten wird, deckt und ebenso wie diese von Hass auf die Triebe und ihre selbstbestimmte Befriedigung bestimmt ist. Wenn Heinz-Christian Strache im Wahlkampf im „Standard“-Chat etwa formulierte, dass die FPÖ „Nein zur Homoehe, nämlich Nein zur Förderung und Subventionierung reiner Sexualität“ sagt, dann deckt sich dies mit der islamischen Ablehnung der Homosexualität. Genauso wie der FPÖ gelten den islamischen Erneuerern die Homosexuellen als verkommene Menschen, die, von den Verlockungen der „reinen Sexualität“ in Versuchung geführt, den wahren Glauben verraten. Sie werden imaginiert als Menschen, die sich bloß ihren Gelüsten überlassen, welche sie ohne die Bindung an die Sittenkodices des islamischen Rechts nicht mehr zu kontrollieren in der Lage sind.

Aufgrund dieser Homologie können die Freiheitlichen notwendigerweise keine Kritik der repressiven Sexualmoral leisten, da der Hass auf die Triebe ja die Basis ihres eigenen Ressentiments abgibt. Folgerichtig werden stattdessen diese Triebe als von außen in das Kollektiv eindringende projiziert, womit ein Bedrohungsszenario gezeichnet wird, das darin besteht, dass, wie Strache es formuliert, „unsere Töchter den gierigen Blicken und Händen ganzer Zuwandererhorden ausgesetzt sind, weil diese keinerlei Verständnis für die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft haben.“ Dementsprechend bestehen die Forderungen der FPÖ nicht in der Abschaffung der repressiven Zwangsmoral, die der Islam in seiner weltweit dominierenden, auf einer strikten Koranauslegung basierenden Form seinen Unterworfenen aufbürdet, sondern die FPÖ verkehrt die Akte sexueller Rohheit, die aus dieser Zwangsmoral resultieren mögen, in ein natürliches Merkmal jedes einzelnen Moslems. Michael Winter etwa, der Obmann des Ringes Freiheitlicher Jugend (RFJ) Steiermark, forderte im Januar 2008 laut „Rassismus-Report“ von ZARA im RFJ-Magazin „Tangente“ unter dem Titel „Lieber Sodomie als Vergewaltigung“ das „Einrichten“ einer Schafherde im Grazer Stadtpark als „Sofortmaßnahme gegen muslimisch-türkische Vergewaltigungen“.

Projektive Feinderklärung

Wer in solchen Aussagen Islamfeindschaft erkennen möchte, weil gegen „muslimisch-türkische“ Vergewaltiger gehetzt wird, der verkennt, dass den Projektionen, die sich hier Bahn brechen, eben keine Entsprechung in der Realität zugrunde liegen muss. Das reale Verhalten oder Nichtverhalten muslimischer Männer ist ebenso unwesentlich für die projektive Welterklärung wie die repressive Zwangsmoral des Islam – beides steht zur weitgehend frei flottierenden Projektivität nicht wie Ursache zur Wirkung: Der Islam ist nicht der Grund, sondern vordergründiger Anlass des Ressentiments, der zur Rationalisierung herangezogen wird. Dies zeigt sich daran, dass die Hetze gegen „tschetschenische Asylmissbraucher“ oder „kriminelle Rumänenbanden“, gegen die „Lumpen von Dealern und Gewalttätern“ (Jörg Haider) keineswegs von der gegen „nicht-integrationswillige muslimische Männerhorden“ abgelöst, sondern lediglich zeitweise in den Hintergrund gedrängt wurde. Vielmehr verweist solch ressentimenthafte Agitation auf den Grad, in dem Projektivität und daraus erwachsende Verfolgungswut die postnazistische Gesellschaft prägen und den fähigen Agitator macht es aus, dieses projektive Potential immer mobilisiert zu halten: Dass in das Visier des Heimatschutzes nun ausgerechnet der – nicht nur – potentielle Partner auf der internationalen Bühne geraten ist, ist wohl in den (medialen) Erfolgen des weltweiten Jihadismus begründet, denen mit Angstlust begegnet wird.

Das Erstaunliche ist, dass die Projektionen dabei wechselseitig stattfinden: Während die FPÖ den ihr ideologisch so ähnlichen modernen Islam als Religion von Sexualverbrechern halluziniert, sehen die islamischen Eiferer im Westen die Verkörperung niederer Triebe und ungezügelter Sexualität, die den Islam als universelle, gottgegebene Friedensordnung bedrohen. Einen Schein von Plausibilität bekommen die Projektionen der FPÖ gerade aufgrund dessen, was ihnen vordergründig widerspricht; des islamischen Sitteneifers nämlich, der dazu führt, dass die Belästigung und Vergewaltigung von Frauen in islamischen Gesellschaften tatsächlich alles andere als unüblich ist. In der Verfolgung der als „Huren“ beschimpften unzulänglich verschleierten oder sonstwie als unzüchtig geltenden Frauen darf der verbotene Trieb straflos ausgelebt werden, schließlich fordere eine Frau durch freizügige Kleidung und aufreizendes Gebaren den islamischen Erneuerern zufolge solches Verhalten geradezu heraus. Das spricht kein Stück für die FPÖ. Eben die gleichen verdrängten Vergewaltigungsphantasien kommen dort zum Vorschein, wo sich österreichische Tugendwächter zu Beschützern der sittsamen Frau aufschwingen: Das eigene Bedürfnis muss am „Triebtäter“ – und der ist in der Feindbildphantasie der FPÖ heute vorzugsweise ein Moslem – abgestraft werden. Vielleicht ist es gerade die Ähnlichkeit zwischen islamischer Bewegung und FPÖ, die erstere zur idealen Projektionsfläche für letztere macht. Dabei mag auch ein Stück Neid auf den Schneid von al Qaida oder Muslimbruderschaft dabei sein, denn von den weltweiten Massenerfolgen, welche der Islam als politische Bewegung erzielt, kann die FPÖ derzeit nur träumen. Jörg Haider hat einmal – als er noch Parteivorsitzender der Freiheitlichen war – diesen Zusammenhang in die Worte gefasst, die FPÖ sei die PLO Österreichs. Was PLO oder Hamas dürfen: Juden umbringen und von der halben Welt dafür bejubelt werden, das darf die FPÖ nicht.

In den Aussagen wie sie – nicht nur – für die FPÖ kennzeichnend sind, wird, durch keinerlei Reflexion mehr gebremst, das ausgelebt, was das Subjekt unter spätkapitalistischen Verhältnissen aus sich selbst heraus in die Außenwelt projiziert. Das nachbürgerliche, postnazistische Subjekt, das zwischen sich und dem gesellschaftlichen Ganzen keine Vermittlung mehr kennt, ist weithin zur Erfahrung unfähig geworden. Was es sieht, ist so stereotyp wie es selbst; sein auf wenige Reaktionsweisen reduziertes Innenleben erscheint ihm, da es innen und außen nicht mehr auseinander halten kann, in der Gestalt starr festgelegter Eigenschaften anderer, in denen ihm die eigenen widerstreitenden inneren (Trieb-)Ansprüche entgegentreten. Diese Verkehrung, in der das, was im Subjekt selbst entstanden ist, ihm als Fremdes entgegentritt, entspricht jener Verkehrung, die laut Marx beim Warentausch stattfindet: Hier verwandeln sich gesellschaftliche Verhältnisse in Natureigenschaften von Dingen. „Das Geheimnisvolle der Warenform“, schreibt Marx, „besteht also einfach darin, daß sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften der Dinge zurückspiegelt. [...] Durch dies Quidproquo werden die Arbeitsprodukte Waren, sinnlich übersinnliche oder gesellschaftliche Dinge.“ Das in der nachbürgerlichen Gesellschaft allumfassende Phänomen der reflexionslosen Projektion vollendet diese Verkehrung, indem gesellschaftliche Eigenschaften der Menschen zu Natureigenschaften biologisiert werden.

Das gilt besonders für den Rassismus, der ja neben offensichtlich sexuellen und aggressiven Projektionen auch solche enthält, in denen die unerwünschten potentiellen Zuwanderer, vor denen „wir Österreicher“ oder „wir Europäer“ geschützt werden sollen, als minderwertig, zur produktiven Verwertung im kapitalistischen Produktionsprozess von Natur aus ungeeignet vorgestellt werden. Wie wenig dies selbst von denen ganz geglaubt wird, die solche Vorstellungen hegen, zeigt schon das gleichzeitige entgegengesetzte Szenario, wonach dieselben Zuwanderer kommen, um „uns Österreichern die Arbeitsplätze wegzunehmen“.

Beide Projektionen sind Ausdruck des alles erfassenden Krisenzustands. Mit dem Übergang in die volksgemeinschaftliche Krisenökonomie verschwindet die Konkurrenz nicht, die in der liberalen Periode zwischen den Individuen herrschte, sondern verschärft sich vielmehr noch. Was die Einzelnen in jener Phase nur virtuell waren, Überflüssige in einem Prozess, in dem jede Individualität nur Material für die Verwertung ist, werden sie nun weithin reell: Auf reine Funktionen im Verwertungsprozess, die jederzeit ersetzbar sind, zusammengeschrumpft, können sie sich selbst nicht erklären, warum sie „die Glücklichen“ sind, die noch mit produktiven Aufgaben betraut werden; ihre völlige Überflüssigkeit fürs gesellschaftliche Ganze ist ihnen permanent bewusst. Setzt dann Kapitalentwertung größere Teile der Lohnarbeiter frei und verwandelt sie in arbeitslose Unterstützungsempfänger, die froh sein können, wenn vom magerer gewordenen, einer zerrütteten Ökonomie abgeschöpften Staatseinkommen überhaupt noch etwas für sie abfällt, während diejenigen, die noch in den Verwertungsprozess integriert sind, jederzeit damit rechnen müssen, in dieselbe elende Lage zu geraten, schreitet die zur Panik sich auswachsende allumfassende Angst zur Tat. Das Hauen und Stechen zwischen den Einzelnen, die sich um die weniger gewordenen Einkommensquellen erbitterte Kämpfe liefern, wird mittels teils zur Schau getragener, in weitem Ausmaß aber auch verinnerlichter Loyalitäts- und Willigkeitsbekundungen ausgetragen, die eingeübt und zu angeborenen Qualitäten verdinglicht werden; und ebenso, wie die eigene Tauglichkeit für den Verwertungsprozess biologisiert wird, so wird es die angebliche Untauglichkeit anderer. Die Einzelnen rationalisieren ihre Verpflichtung zur Verwertung – einen gesellschaftlichen Zwang also – als ihre angeborene Bestimmung, als eine Bestimmung, die sie von den für die Reproduktion Überflüssigen, der Minderwertigkeit in Menschengestalt unterscheidet. Die nationalsozialistische Gesellschaft hat die Verwirklichung dessen vorexerziert, was einzig legitimerweise als „Rasse“ bezeichnet werden kann: die „Selbstbehauptung des bürgerlichen Individuums, integriert im barbarischen Kollektiv.“ (Adorno/Horkheimer)

Das als Rassismus erscheinende Ressentiment ist also eine Ideologie der gesellschaftlichen Konkurrenz und entspringt dem Hass der Einzelnen auf die gesellschaftlich realisierte Gleichheit – auf die Gleichheit der Subjekte als doppelt freie Lohnarbeiter und ihre Gleichheit als potentiell Überflüssige im gesellschaftlichen Ganzen. Es ist ein Appell an den Staat, gegen diejenigen vorzugehen, die diese Überflüssigkeit des Einzelnen fürs gesellschaftliche Ganze handfest vor Augen führen könnten, und zugleich ein Versuch, die Krise auf andere abzuwälzen. Die in der nachbürgerlichen Gesellschaft allumfassende Angst, selbst zum Aussortierten zu werden und damit zum bloßen Almosenempfänger auf Widerruf, wird auf die nicht zum nationalen Kollektiv Dazugehörigen projiziert, die solcherart als „Minderwertige“ erscheinen, die von Natur aus nicht zu Kapitalproduktivität und Staatsloyalität tauglich seien. Vielmehr seien sie aufgrund ihrer Unzulänglichkeit in Sachen Arbeitswille und -fleiß geradezu naturnotwendig dazu geschaffen, mafiöse Autoschieber, Trickbetrüger, Betteltouristen oder Sozialschmarotzer zu sein. So lägen sie – wenn sie nicht gerade dabei sind, alten Omas ihre ehrlich erarbeiteten Ersparnisse abzuknöpfen – dem Staat auf der Tasche; etwa durch die ihnen über die zugeschriebene Natur- und Triebhaftigkeit konzedierte hohe Geburtenrate, die sie in die Lage versetze, die Sozialsysteme zu missbrauchen und so die arbeitende Bevölkerung um ihre Zukunft zu betrügen. In diesem Zusammenhang ist der Slogan „Soziale Sicherheit für unsere Leut’“ zu sehen, mit dem die FPÖ im vergangenen Wahlkampf Werbung für sich machte.

Im Visier des Volkszorns

Im Rassismus grenzen die Subjekte sich ab von den zu Unmenschen Projizierten, die zur Verwertung nicht tauglich und somit Repräsentanten der ersten Natur seien, die für Unproduktivität, Faulheit und Triebhaftigkeit stehen und eine Bedrohung für die nationale Gemeinschaft darstellen. Wenn also Susanne Winter in ihrer Rede auf dem Neujahrstreffen der FPÖ im Januar 2008 ausführte, dass der islamische Prophet Mohammed die Ehe mit einem sechsjährigen Mädchen einging, so ist das keine Kritik am Islam, sondern fügt sich ein in die rassistische Agitation, für die Fakten nur beliebig handhabbare Mittel darstellen, die benutzt oder auch ignoriert werden, wie es gerade passt. Dies zu begreifen waren diejenigen unfähig, die sich über Winter empört haben, ohne nur im mindesten angeben zu können, was an ihrer Aussage falsch war, und ohne den Rassismus der FPÖ auch nur annähernd realitätsgerecht kritisieren zu können. So bezeichnete die mittlerweile zur Vorsitzenden der Grünen in Österreich avancierte Eva Glawischnig laut „Spiegel“ Winters Äußerungen als „noch nie dagewesende [sic!] anti-religiöse Attacke“. Die Antwort auf Winters Ausführungen bestand hauptsächlich darin, lauthals Lüge zu schreien, wie es etwa der SPÖ-Gemeinderat und Abgeordnete zum Wiener Landtag, Omar Al-Rawi vorexerzierte, als er einem ORF-Bericht zufolge Winters Äußerungen als „respektlos und unwahr“ bezeichnete. Es scheine, so Al-Rawi weiter, „die Respektlosigkeit mache nicht einmal vor dem Propheten des Islam halt.“ Mit „lauter unwahren Behauptungen“ werde versucht, „auf unterstem Niveau die Muslime Österreichs zu provozieren.“

Sachlich wäre gegen solch geradezu naturwüchsig einschnappende Apologie des Islam, die eben keine Kritik der Position von Winter und Co ist, festzuhalten, dass Aischa bint Abi Bakr, jene Lieblingsfrau Mohammeds, auf die Winter anspielte, laut Hadithen bei ihrer Heirat mit Mohammed sechs und beim Vollzug der Ehe neun Jahre alt gewesen sein soll. Die Hadithsammlungen bilden in Summe die Sunna, welche nach dem Koran die zweite Quelle der islamischen Jurisprudenz (Fiqh) darstellt. Weiters gilt es darauf zu verweisen, dass die islamische Tradition, wie sie etwa von saudi-arabischen Offiziellen verstanden wird, das Leben Mohammeds als das Vorbild ansieht, dem auch heute noch jeder Gläubige Folge leisten muss, um ein gottgefälliges Leben zu führen, womit jede Kritik etwa an der Praxis der Verheiratung junger Mädchen als Beleidigung des Propheten und damit als Hetze gegen den Islam, als Islamophobie angesehen wird, auf die die Todesstrafe steht. Auch Ayatollah Ruhollah Khomeini, der verstorbene Oberste Geistliche Führer der Islamischen Republik Iran erklärte, dass lediglich der Beischlaf mit einem Mädchen unter neun Jahren verboten sei, was ein expliziter Hinweis auf das Alter Aischas ist, in welchem Mohammed die Ehe mit ihr vollzog. Dementsprechend ist im Iran die Verheiratung junger Mädchen staatlich und religiös legitimiert, wenn auch das Heiratsalter der Mädchen vor einigen Jahren offiziell von 9 auf 13 Jahre angehoben wurde.

Ihrer eigenen Argumentation als Heimatschützerin gemäß forderte Winter nicht, wie Kritik am islamischen Herrschaftsverhältnis es täte, dass es gelte, im Interesse des bedrängten und gequälten Individuums gegen diese frauenfeindliche und gewalttätige Ideologie vorzugehen. Worauf es im Zusammenhang der Neujahrsrede vielmehr ankam, war der nächste Satz, in dem die Grazer FPÖ-Vorsitzende und nunmehrige Nationalratsabgeordnete ausführte, dass Mohammed „im heutigen System“ ein „Kinderschänder“ wäre.

Auch an dieser Stelle ist das Zentrale an der Agitation die Bedienung eines Klischees; das des Kinderschänders, der eine Vergegenständlichung der eigenen unterdrückten, verdrängten und projektiv abgeleiteten Triebregungen darstellt. Auch hier findet also jene pathologische Verkehrung statt, die den Hass auf die unerfüllten – weil gesellschaftlich nicht erfüllbaren – und nicht integrierten eigenen Wünsche und Triebe als Naturmerkmal einer ganz besonders verkommenen Bestie in Menschengestalt wahrnimmt. Es ist also wiederum die Trieb- und Sexualfeindlichkeit, die sich in der manischen Beschäftigung mit „internationalen Kinderpornoringen“, „Lustmördern“ und der korrupten Gesellschaft, die all das auch noch befördere, Ausdruck verleiht. Und auch hierin stimmt die lustvolle Beschäftigung mit der Verkommenheit der Welt, gekoppelt mit Vernichtungswut, mit dem Weltbild der islamischen Erweckungsbewegung überein. Diese begreift den Westen, das „Freudenhaus der Bourgeoisie“ (Ali Schariati), als jene Gesellschaft, in der sexuelle Ausschweifung und Wollüstigkeit zu Promiskuität, Homosexualität und Pädophilie führen. Dementsprechend gelte es, die islamische Umma rein von solchen Verführungen zu halten, bzw. die Reinheit dort wieder herzustellen, wo westliche Unzüchtigkeit die Gläubigen bereits erfasst habe. Dies äußert sich nicht nur in der oft vor iranischen Gerichten vorgebrachten Anschuldigung, Homosexuelle seien Kinderschänder, die Minderjährige vergewaltigen würden, sondern auch in der Vorstellung, es gelte, Frauen, die besonders anfällig dafür seien, den westlichen Verlockungen zu verfallen, vor den in die Umma eindringenden Trieben zu schützen, indem man sie besonderen Restriktionen unterwirft. Weit entfernt davon, solche Praxis als das zu bezeichnen, was sie ist, als gewalttätig sich ausagierende Sexualfeindlichkeit, wird ihr von den postnazistischen Subjekten Verständnis und Wohlwollen entgegengebracht. So ließ etwa der frühere Bundesgeschäftsführer der SPÖ, Josef Kalina, laut „Standard“ über das Kopftuch verlautbaren: „Ich empfinde es als Bereicherung, dass man in Wien Leute mit Kopftuch oder Turban sieht. Außerdem gibt es viel anstößigere Kleidung“.

Wie die genussfeindlich-masochistische Feinderklärung gegen den nichtarbeitenden Sozialschmarotzer die selbst vorgenommene Verpflichtung auf Kapitalproduktivität und Staatsloyalität in Szene setzen soll, so gilt dies auch für die sexuell-sadistische Strafphantasie gegen die nur ihren Trieben gehorchenden Unmenschen. Dass auch dieses Ressentiment sich nicht durch Verweis auf seine Wahnhaftigkeit in seinem Tun beeindrucken lässt – und damit sein Losgelöstsein von der Empirie unter Beweis stellt –, mag schon ein kurzer Blick in die einschlägigen Statistiken zeigen: Während etwa die Verurteilungen wegen „Beischlaf bzw. Unzucht mit Unmündigen“ im Zeitraum von 1975 bis heute kontinuierlich abgenommen haben und im Jahr 2006 laut „Gerichtlicher Kriminalstatistik“ 135 Fälle ausmachten, während sie im Jahr 1975 noch 300 betrugen, stieg die Anzahl von Anzeigen in den letzten Jahren sprunghaft an – ein Zeichen für die reflexionslose Projektivität dieser Vorstellung einer überall lauernden „Gefahr für unsere Kinder“.

Die Kinder müssen stellvertretend jene Unschuld verkörpern, jenes Bild völliger Reinheit und Unbeflecktheit, als die sich die in der Gemeinschaft aufgehenden Einzelnen wähnen: Innerlich makellos und ohne Fehl, aber beständig von schrecklichen Gefahren und überwältigenden Drangsalierungen bedroht. Die Kinder als Opfer triebgesteuerter Unmenschen gelten als die reinen, unschuldigen, von der Verruchtheit der Welt gedemütigten Opfer, für welche sich die postnazistischen Subjekte permanent halten: Immerzu zu kurz gekommen, immerzu betrogen, immerzu bedrohlichen Übergriffen aus der Außenwelt ausgesetzt, gegen die es sich zu wehren und in präventiver Notwehr zurückzuschlagen gelte. Hier kann sich die beständige Lust an der Abstrafung Bahn brechen; hier kann dem verpönten Trieb gefrönt werden, solange klar ist, dass es seiner Verfolgung gilt: Kein Verfolgungswütiger, der nicht bildreich und wollüstig sich ausmalte, was der „Triebtäter“, mit seinen prospektiven Opfern anstellt, um dann umso lauter die „Todesstrafe für Kinderschänder“ zu fordern.

Dass die subjektive Disposition zur notwendig pathologischen Abspaltung der eigenen verhassten, weil die Identifikation mit Kapital und Staat störenden Triebe und ihrer Verfolgung am Ersatzsubjekt tatsächlich gesellschaftsübergreifend und nicht auf die FPÖ und ihre Klientel zu beschränken ist, zeigte sich etwa im aktuellen Wahlkampf der ÖVP. In einer Presseaussendung des ÖVP-Parlamentsklubs beschuldigte Sicherheitssprecher Günter Kössl die SPÖ-Justizministerin Maria Berger, „das Gewaltschutzpaket und somit auch höhere Strafen bei Kindesmissbrauch“ zu blockieren. Berger schütze „Kinderschänder mehr als die Opfer. Das ist eine äußerst bedenkliche Situation.“ Und Innenministerin Maria Fekter setzte nach: „Durch Strafanhebungen würde die Politik ein klares Signal setzen, dass bei Sexualstraftätern Toleranz fehl am Platz ist.“ Dementsprechend startete die ÖVP eine neue Plakatkampagne gegen Kinderschänder: Auf einem Sujet, das im Wahlkampf 4.000 Mal plakatiert wurde, prangte der Slogan „Volle Härte bei Kindesmissbrauch. Wir schützen Opfer, nicht Täter“.

Der Verfolgungswahn, der sich in solchen Ressentiments äußert und der zusätzlich besonders in Immigranten die Verkörperung des „Triebtäters“ sehen möchte, ist bestimmt durch den Hass auf die Zivilisation und durch die Sehnsucht nach einem widerspruchsfreien Kollektiv, in dem alle Anfechtungen durch die moderne Gesellschaft stillgestellt sind. Die als Eindringlinge von außen betrachteten Elendsflüchtlinge, die permanent an das jedem Einzelnen in der nachbürgerlichen Gesellschaft drohende Schicksal erinnern, werden zu Objekten des projektiven Hasses, der sich periodisch an ihnen entlädt. Die Subjekte, die darum wissen, dass ihnen jederzeit ähnliches widerfahren könnte, gewinnen ihre narzisstische Gratifikation aus dem Wissen und der tagtäglichen Bestätigung, dass es anderen noch schlechter geht, dass diese zu reinen Verfügungsinstrumenten der politischen Herrschaft degradiert sind. So fordert die FPÖ in ihrem Wahlprogramm 2008 ganz offen die materielle und rechtliche Schlechterstellung von Nicht-Österreichern, vermittelt über die Einführung eines eigenen Sozialversicherungsträgers für Zuwanderer. Die bestehenden zweiundzwanzig Sozialversicherungsträger sollen, wie Strache in der Presse zitiert wird, auf zwei reduziert werden, um so eine Verschlankung des Staates herbeizuführen. Einer dieser Träger solle für alle Österreicher zuständig sein, der zweite für Ausländer. Für diese Gruppe soll es nur noch Basisleistungen geben, und Transfers wie Familienbeihilfe und Kindergeld sollen für sie entfallen.

Noch einen Schritt weiter geht die ÖVP, die gleich das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit für Asylbewerber aufheben will. Innenministerin Maria Fekter präsentierte Ende August 2008 den Plan, straffällig gewordene Asylbewerber künftig abzuschieben, ohne die Rechtskräftigkeit von Urteilen abzuwarten. Einen Tag später präzisierte eine Sprecherin Fekters diesen Vorschlag: Asylwerber sollten künftig nicht erst nach einem rechtskräftigen Urteil, sondern schon ab „Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft“ beschleunigt abgeschoben werden; und zwar auch bei leichteren Delikten wie etwa „Diebstahl oder Raub“. Dass eine Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft – einem Exekutivorgan – keineswegs ein Schuldspruch ist; dass ein solcher lediglich durch eine rechtskräftige gerichtliche Verurteilung der unabhängigen Justiz erreicht werden kann – diese rechtsstaatliche Teilung der Gewalten, die allein dem Einzelnen relative Sicherheit vor der Willkür des Staates bieten kann, soll für Asylbewerber nicht mehr gelten. Sie werden völlig zu Objekten degradiert, an denen sich bestätigt, was mit den Einzelnen passiert, denen der Schutz des Kollektivs nicht zukommt.

Jörg Haider, der soeben tödlich verunglückte Spitzenkandidat des BZÖ, brachte seinerseits im August in einem Interview mit der Wochenzeitung Profil die Frage aufs Tapet, ob es denn nicht ein denkbarer Umgang mit potentiell straffälligen Asylbewerbern wäre, diese in Zukunft elektronische Fußfesseln tragen zu lassen. Auf den Einwand von „profil“, dass er damit die Unschuldvermutung außer Kraft setze und dass diese Idee der Europäischen Menschenrechtskonvention widerspreche, antwortete Haider lapidar: „Ja, da kriegt der liberale Gutmensch wieder Sodbrennen, wenn wir Sicherheit für Österreich fordern.“ Diese „Sicherheit für Österreich“ hat es auch der SPÖ angetan, wenn etwa der sozialdemokratische oberösterreichische Landeshauptmann-Stellvertreter Erich Haider ausführt: „Die jahrelangen Beschönigungen und Ausreden der ÖVP ändern nichts daran, dass das subjektive Sicherheitsgefühl der Österreicherinnen und Österreicher stark gesunken ist.“ Es sollen also nicht die offiziellen gerichtlichen Kriminalstatistiken sein, die Auskunft darüber geben, ob eine Steigerung der Straftatbestände vorliegt oder nicht. Stattdessen wird das „subjektive Sicherheitsbedürfnis“ inthronisiert, jene ressentimenthafte, in Verfolgungswut sich entladende Paranoia, die sich ständig bedroht fühlt und damit nie ihre Erfüllung finden kann. Wofür Erich Haider hier also plädiert, ist ein Staat, der als Erfüllungsgehilfe des Volkszorns fungiert. Solcherart ist der postnazistische Staat zu charakterisieren: als Einheit von Mob und Staatsraison. Es gibt keinen Staat als eigenständige Instanz mehr, der zu irgendetwas erst noch gebracht werden müsste. Während der Mob beständig den Staat dazu anhält, die Ressentiments in Politik umzusetzen, bildet die Raison des Volksstaates in quasi vorauseilendem Gehorsam immer schon die Grundlage für das Ressentiment.

Begriffsloser Antirassismus als Moment der Barbarisierung der Verhältnisse

Ein Antirassismus, der nicht in der Lage ist, sich solch einen ideologiekritischen Begriff von Rassismus in postnazistischen Gemeinschaften zu bilden, ist dementsprechend dazu verurteilt, in Anschluss an Stuart Hall, Etienne Balibar und Edward Said gebetsmühlenartig die ewig gleiche Nullaussage herunterzuspulen, dass Rassismus über einen „rassistischen Diskurs der Differenz“ entstehe, er sich also Münchhausen gleich am eigenen Zopf aus dem Sumpf ziehe. Dieser Zirkel ist nicht nur logisch inkonsistent, er macht ebenso aus dem Ressentiment einen Ursprung, der um seiner selbst willen besteht, worin jegliche Vermittlung mit einer kritischen Theorie des gesellschaftlichen Ganzen gekappt ist: „Die Gesellschaft ist rassistisch, weil sie rassistisch ist“, lautet die Einsicht, die übrig bleibt. Das ist zwar insofern richtig, als das Ressentiment keinen guten Grund hat, nur entzieht man es mit einer solchen Argumentation eben auch der Kritik.

An verfolgungswütiger Agitation wird von solcherart verfasstem Antirassismus immer nur die Schmähung „fremder Kultur“ – als „Islamophobie“ etwa – kritisiert, als wäre jede Kultur als solche etwas Schützenswertes, während die einzelnen Menschen muslimischen (Migrations-)Hintergrunds – wie es im dazugehörigen Jargon heißt – einzig als Verkörperungen oder Repräsentanten jener als organisch vorgestellten Kulturen wahrgenommen werden. Damit wird der beschriebene Prozess der Formierung zur Rasse als barbarischem Kollektiv, unter das die Einzelnen subsumiert sind, ohne etwas darüber zu vermögen, affirmiert. Nicht etwa wird der Anspruch des Islam, ausnahmslos alle seinem Herrschaftsbereich zugehörigen Einzelnen zu vertreten, kritisiert, vielmehr soll dieser Anspruch durch die Verleihung kollektiver Rechte auch noch gestärkt werden. Solche Weltanschauung impliziert notwendig, dass auf Individualrechten bestehende Menschen aus dem islamischen Raum selbst unter Rassismusverdacht gestellt werden, wie man an den Vorwürfen gegen prominente Kritikerinnen wie Ayaan Hirsi Ali oder Necla Kelek immer wieder beobachten kann, die als nützliche Idiotinnen der europäischen Rechten oder als „Frau(en) der weißen Männer“ (Taz) denunziert werden. Kein Wunder, dass der Multikulturalismus, der in solchen Aussagen sich äußert, nicht zwischen Ressentiment und Kritik an der islamischen Ideologie unterscheiden kann. Wie FPÖ und Konsorten auf Seiten der repressiv-regressiven Gemeinschaft des Islam stehen, indem sie dessen Ideologie zur angeborenen Eigenart der Einzelnen naturalisieren, so stehen auch ihre vermeintlichen Gegner, die ebenfalls nicht zwischen den einzelnen Individuen und dem Islam als politisch-religiöser Erweckungsbewegung zu unterscheiden vermögen, auf Seite des Kollektivs, das als Kultur unter Naturschutz gestellt wird.

Als etwa der Inhalt der Ansprache der Grazer FPÖ-Vorsitzenden Susanne Winter zum FPÖ-Neujahrstreffen 2008 bekannt wurde, in der sie den Islam ein „totalitäres Herrschaftssystem“ nannte und die Verhinderung bzw. Rückgängigmachung von Migration aus dem islamischen Raum forderte, setzte genau diese reflexhafte, quasi-naturwüchsige Verteidigungshaltung ein, die am rassistischen Kern der FPÖ-Argumentation konsequent vorbeizielt: Allen voran Bundespräsident Heinz Fischer, der laut ORF beim Neujahrsempfang des Diplomatischen Corps’ in der Hofburg proklamierte: „Das war nicht die Stimme Österreichs, das war eine Stimme, von der wir uns distanzieren. Denn Österreich bekennt sich aus Überzeugung zum friedlichen und respektvollen Dialog der Kulturen und Religionen, zur Achtung unserer Mitmenschen.“ Alexander Van der Bellen, der damalige Bundessprecher der Grünen sekundierte ihm mit dem Paradespruch aller „Islam-Experten“ und erklärte laut Wiener Zeitung: „Der Islam mit seinen fast 1,3 Milliarden Anhängern [...] kann auf Traditionen und Errungenschaften zurückblicken, die unser christliches Abendland wesentlich mitgeprägt haben.“ Das ist nur eine Variation dessen, was von islamischen Ideologen wie dem europäischen Aushängeschild der Muslimbrüder – der 1928 von Hassan al-Banna gegründeten, bis heute einflussreichsten modernen islamischen Massenbewegung – in Europa, Tariq Ramadan, seit Jahren propagiert wird: Die Anerkennung des Islam als eines konstitutiven Beitrags zur europäischen Kultur, die aufgrund ihrer eigenen Traditionen prädestiniert sei, in einen Zustand der Versöhnung mit den „islamischen Prinzipien“, der Sharia, überzugehen. An welche Errungenschaften Van der Bellen konkret dachte, wäre interessant zu erfahren: Falls er die Aufklärungstendenzen innerhalb des Islam gemeint haben sollte, wie sie mit Namen wie Avicenna oder Averroes verbunden sind, so vergaß er leider zu erwähnen, dass sie eben in einer Abkehr von der islamischen Tradition und einer Zuwendung zum Rationalismus bestanden; und dass sie auch nur für äußerst kurze Zeit bestanden, da die Orthodoxie im Laufe des 12. Jahrhunderts wieder die Oberhand gewann und die zur Häresie erklärten Vorstellungen dieser Aufklärung militant verfolgte und ausrottete, weswegen sie heute in der islamischen Welt kaum mehr Bedeutung besitzen.

Der Grazer Vizebürgermeister und SPÖ-Chef Walter Ferk bezeichnete die Äußerungen Winters laut Wiener Zeitung als „puren Rassismus und eine klare Volksverhetzung gegen eine seit vielen Jahren in Österreich anerkannte Glaubensgemeinschaft.“ Er fühlte sich in die „Zeiten des Dritten Reichs zurückversetzt, wo der Fremdenhass in der Bevölkerung über Angehörige von Minderheiten und anderen Glaubensgemeinschaften ungestraft geschürt wurde“ – ganz so, als sei der Antisemitismus der deutschen Volksgemeinschaft aus der Ablehnung und Verfolgung einer „anerkannten Religionsgemeinschaft“ durch „europäische Christen“ (Robert Purkiss, Vorsitzender des EUMC) erwachsen, also eine religiöse Auseinandersetzung gewesen. Unter dem Vergleich mit dem Nationalsozialismus tat es auch die Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialdemokratie (ACUS) nicht und verglich die Aussagen Susanne Winters mit antisemitischen Äußerungen aus der NS-Zeit: „Waren es in den 1930er Jahren auch und gerade in Graz die Juden und Jüdinnen, gegen die das Volk auf ähnliche Weise verhetzt wurde, so dienen jetzt die Moslems als Zielscheibe einer bisher nicht für möglich gehaltenen Hetzkampagne“, so der ACUS-Bundesvorsitzende Gustav Posch. Das Charakteristische an solcher Argumentation ist, dass im selben Atemzug, in dem die in der Tat dem Antisemitismus verwandten Projektionen der FPÖ verurteilt werden, der Islam als „Glaubensgemeinschaft“ jenseits aller Kritik positioniert wird, als sei die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden Kritik an ihrer Religion gewesen, und als seien es nicht die islamischen Erweckungsbewegungen, die heute das Erbe des Nationalsozialismus angetreten haben. Die Freunde von „Dialog und Respekt“ bringen also das Kunststück fertig, die einflussreichste heutige Inkarnation des nationalsozialistischen Vernichtungswahns mit antifaschistischen Argumenten in Schutz zu nehmen.

Auch die Kirchen, in denen die Warner vor „Islamophobie“ immer die Vorkämpfer der „abendländisch-christlichen Leitkultur“ schlechthin erkennen möchten, pflichteten Winter nicht bei – im Gegenteil: Weihbischof Helmut Krätzl etwa, der Präfekt der Kommission für den Dialog mit den Weltreligionen der Österreichischen Bischofskonferenz meinte in einem Gespräch mit dem ORF-Radio, er „hoffe, dass durch diesen Eklat das Gespräch zwischen Christen und Muslimen in Österreich, das in den letzten Jahren erfreuliche Fortschritte gemacht hat, nicht belastet wird.“ Also auch hier weit und breit keine Islamkritik zu sehen, sondern der Aufruf zum Dialog.

Selbst die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ), deren Führern mehrmals öffentlich ohne juristische Folgen ein Naheverhältnis zur Muslimbruderschaft nachgesagt wurde, schoss sich lediglich auf die FPÖ ein, behauptete aber niemals, dass es ein allgemein islamfeindliches Klima in Österreich gebe. Sie zeigte sich vielmehr erfreut über die Reaktionen und begrüßte, „dass sich hier sowohl die Katholische Aktion, als auch die Evangelische Kirche zu Wort gemeldet haben, um sich gegen eine derartige Wahlwerbung als Gefahr für den religiösen Frieden und das in Wien gelebte Miteinander zu verwahren.“ Ihr Präsident Anas Schakfeh betonte zu mehreren Anlässen, dass er mit der „beson­dere(n) Wahrnehmung des Islam in Österreich“ sehr zufrieden sei und bei Gesprächen mit Staatsoberhäuptern immer wieder darauf zu sprechen komme, „dass Österreich als Modell im Umgang mit dem Islam gelten könne.“

Allein diese kurze Aufzählung lässt es durchaus kurios erscheinen, wenn von kritisch sich verstehenden Sozialwissenschaftlern unbeirrt behauptet wird, dass die gesamte österreichische und europäische Gesellschaft zusehends einen „islamophoben Diskurs“ führe, „in dessen Zentrum [...] die Frage der Zivilisation (steht), der Gedanke, dass der Islam eine Weltsicht mit sich bringt, die grundsätzlich inkompatibel mit der westlichen Kultur und ihr unterlegen ist“, wie es in einem Aufsatz Matti Bunzls in dem von John Bunzl und Alexandra Senfft herausgegebenen Buch „Zwischen Islamophobie und Antisemitismus“ heißt. Dieser Gebrauch des Begriffs „Islamophobie“ unterschlägt erstens, dass der Begriff ein Kampfbegriff ist, mittels dessen jede Kritik an der Ideologie der „Religion des Friedens“ unterbunden werden soll. Der Vorwurf der Islamfeindschaft wurde nach der iranischen Revolution 1979 von den dortigen Mullahs gegen jene Frauen erhoben, die sich der Zwangsverschleierung widersetzten und daraufhin mit dieser Begründung verfolgt wurden. Islamophobie wird in dieser Logik als „Missbrauch der Rechte Gottes“ definiert und umfasst alle Verstöße gegen die islamische Moral, wie Blasphemie, Beleidigung und Karikierung Mohammeds, aber auch Homosexualität, Ehebruch, Alkoholkonsum etc.

Zweitens ist solcher Argumentation die Identifikation „judeophober [sic!] Aspekte [...] des Diskurses“, wie John Bunzl, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Österreichischen Institut für Internationale Politik, den Antisemitismus in seiner Einleitung zum Buch bezeichnet, mit der „Islamophobie“ immanent. Diesen Erläuterungen ist es angelegen, Kritik am Islam mit Antisemitismus gleichzusetzen, solcherart erstere zu unterbinden und gleichzeitig die Beschäftigung mit letzterem für unerheblich zu erklären, da er „sich ausgelebt“ habe, in die „Bedeutungslosigkeit“ versunken sei und damit lediglich eine Kategorie der Vergangenheit darstelle, wie Matti Bunzl in seinem Beitrag weiter ausführt: „Europa muss sich dem Problem des Antisemitismus stellen, und zwar unter Anerkennung seiner besonderen Geschichte. Dringlicher ist jedoch die Frage der Islamophobie, sowohl hinsichtlich der Zukunft Europas wie auch der geopolitischen Gesamtlage“, da sonst „eine weitere Zunahme des Antisemitismus [...] unser geringstes Problem“ wäre.

Staat gewordener Volkswille

Wendet man sich der Weltanschauung der Freiheitlichen einerseits und der Antirassisten solchen Schlages, wie sie etwa von der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) vertreten werden, andererseits zu, so wird schnell klar, dass ihr Streit zwischen abendländischer Zivilisation und kollektiven Minderheitenrechten, die beide auf der Idee natürlich gewachsener sozialer Organismen beruhen, viel eher dazu beiträgt, die Gemeinsamkeiten zu verdecken. Von der IGGiÖ etwa kann man erfahren, dass Israel planmäßige „Aggression“ „gegen die libanesische und palästinensische Zivilbevölkerung“ betreibe, um dadurch eine bewusste „Destabilisierung der Lage in Palästina“ herbeizuführen, was eine Apologie der von Vernichtungswillen bestimmten Kriegsführung von Hisbollah und Hamas darstellt. Die FPÖ wiederum findet „die iranische Sichtweise bezüglich der akuten Krisenherde im Nahen Osten, besonders im Libanon und im Irak“ und die „Erläuterungen iranischer Regierungsvertreter hinsichtlich des Staates Israel und des ,Palästinenserkonfliktes’“ besonders bedenkenswert, wie man einer Presseerklärung anlässlich einer Iranreise der Freiheitlichen Akademie entnehmen kann.

Mit dem iranischen Regime verbindet die FPÖ nicht nur das Feindbild Israel, sondern auch der Hass auf die USA: So warnte Andreas Mölzer unter Rückgriff auf die Diktion der Islamischen Republik davor, dass mit dem „Umschwenken auf den aggressiven Kurs der US-Außenpolitik“ die EU Gefahr laufe, sich „zum Feindbild der islamischen Welt, zum ,kleinen Satan‘ neben dem ,großen Satan‘ USA zu entwickeln.“ Dementsprechend fordert er ein von „gegenseitigem Respekt getragenes Verhältnis zum Iran“, was ganz im Sinne Heinz-Christian Straches sein dürfte, der immer wieder gegen eine „radikale Ausgrenzung des Iran nach dem Vorbild der USA“ wettert. Die Freiheitlichen unterscheiden sich also in ihrer Erklärung, wer Schuld sei am islamistischen Terror auch nicht groß von Hisbollah, Hamas oder den iranischen Revolutionsgarden, welche sich als unschuldige Opfer sehen, die sich lediglich gegen den zionistischen und US-amerikanischen Imperialismus zur Wehr setzten. Nicht die antiwestliche, gegen Individualismus und Aufklärung gerichtete Ideologie und der darüber sich legitimierende Kampf, sondern der Weltherrschaftsanspruch der USA seien die wahre Bedrohung. Insofern erzählt wohl auch Straches Rede vom Islamismus als dem „Faschismus des 21. Jahrhunderts“ mehr über den Charakter der Freiheitlichen Partei – die ihre Staatsunmittelbarkeitsideologie im Unterschied zu den Terrorrackets nicht gegen die postnazistische Demokratie durchzusetzen gewillt ist und dies auch gar nicht nötig hat – und über die Anziehungskraft, die die Bewegung islamischer Selbstbestimmung – der im FPÖ-Positionspapier Respekt gezollt und Unterstützung zugesagt wird – auf die postnazistischen Rechtsextremen ausübt, als die kulturrelativistischen Antirassisten es wahrhaben möchten. Diese müssen solche Aussagen allein schon deswegen perhorreszieren, um die Offensichtlichkeit der Nähe der eigenen Kulturschutzbestrebungen zu den Positionen der Vertreter des Heimatschutzes mit antifaschistischen Durchhalteparolen zu verschleiern.

Wenn die Freiheitlichen Arbeitnehmer hinsichtlich der „relativ starken politischen und militärischen Position“ des Iran „im Nahen und Mittleren Osten“ erklären, dass dafür ausschließlich die USA verantwortlich seien; dass erst die „völlig ungerechtfertigte [...] Zerstörung der dortigen staatlichen Ordnung“, womit die militärische Niederschlagung des baathistischen Terrorstaat Saddam Husseins gemeint ist, am iranischen Vernichtungswahn, der nach der Atombombe strebt, die Schuld trage, dann stehen sie mit ihrem Antiamerikanismus keineswegs allein da. Peter Pilz, der Sicherheitssprecher der Grünen und die Nummer vier auf der grünen Wahlliste zur Nationalratswahl 2008, wünscht den USA ein „arabisches Vietnam“ im Irak, was darauf hinausläuft, den islamistischen Mordbanden, die in ihrem „Widerstand gegen die Besatzung“ vornehmlich irakische Zivilisten in die Luft sprengen, den Sieg zu wünschen.

Die Ressentiments gegen die USA, die nicht zu verwechseln sind mit einer Kritik an der Rolle der Vereinigten Staaten im globalen Prozess von Ausbeutung und Herrschaft, sind Ausdruck des postnazistischen Verhältnisses von Staat und Gesellschaft; eines Verhältnisses, in dem die Differenz von Staatsvolk und Volksstaat aufgehoben ist. Das antiamerikanische Weltbild ist Ausdruck der alle Parteien übergreifenden österreichischen Staatsraison, der auch die sozialen Bewegungen in ihrer Agitation gegen „neoliberale Politik“ und für „Umverteilung von oben nach unten“ verpflichtet sind. Der Kampf für einen „Staat, in dem nicht eine kleine Gruppe von UnternehmerInnen und Reichen die Macht hat“, für einen Staat also, „der sich an den Bedürfnissen der Menschen nach sicheren und ordentlich [!] bezahlten Jobs“ und „so eigentlich (an) uns allen“ orientiert (Wahlbündnis Die Linke), ist der Kampf für gerechte Herrschaft, die aber an sich ein Ding der Unmöglichkeit ist und deshalb der permanenten Mobilmachung und Kampagnendemokratie gegen die inneren und äußeren Feinde bedarf, denen zum Zweck der Volksgesundheit der Kampf angesagt wird. Dieser Kampf kann auch der Verscherbelung Österreichs an „blutleere EU-Bürokraten“ gelten, der mit geeinter Anstrengung in einer Abstimmung des Volkes, welches ja schließlich der Souverän sei, entgegengetreten werden muss.

Der Souverän ist aber nicht das empirische Volk oder der empirische Einzelne, wovon die bürgerliche Vertrags- und Staatstheorie noch eine, wie auch immer verkehrte Vorstellung hatte, während das nachbürgerliche Subjekt davon nichts wissen möchte. Der Souverän ist der abstrakt-allgemeine Mensch, der „sterbliche Gott“ (Hobbes) bzw. die volonté générale (Rousseau), jene durch die repressive Vergleichung des Kapitals gesetzte Abstraktion, die den empirischen Einzelnen als Material benötigt, an dem sie überhaupt erst erscheinen kann. Ebenso wenig wie der Einzelne und seine Bedürfnisse der Antrieb für die Ökonomie sind, sondern vielmehr der Wert des Subjekts bedarf, um prozessieren, also als Kapital fungieren zu können, und folglich die Einzelnen mitschleift, solange sie sich als kapitalproduktiv erweisen; genauso wenig ist der empirische Einzelne der Anlass für die Politik, sondern vielmehr die Staatlichkeit, jenes abstrakt-allgemeine Wesen, das notwendig der rechtlich vermittelten freien und gleichen Subjektform bedarf, um erscheinen zu können, der „Wertform des Individuums“ (Joachim Bruhn) also, die sich am Einzelnen lediglich darstellt, wenn auch über dessen individuelle Tätigkeit vermittelt. Die konkrete Darstellung von Staatlichkeit und Kapital äußert sich im Gegensatz von Bourgeois, der auf seine egoistischen Eigeninteressen verwiesen ist, und Citoyen, der auf das Allgemeine der Staatsraison verpflichtet ist. Diese auseinander fallenden, aber doch zusammenhörigen Momente, die in einem krisenhaften Verhältnis zueinander stehen und daher permanent der Vermittlung bedürfen, sind die zwei Seiten der Medaille des bürgerlichen Subjekts.

Genau diesen ambivalenten Charakter bürgerlicher Subjektivität versucht die pathologische Krisenlösung, die sowohl die islamische Erweckungsbewegung als auch die postnazistische Politik charakterisieren, zu liquidieren. Genau gegen diesen Charakter wendet sich die direkte Demokratie, die den unmittelbaren Volkswillen vermittelt über den Verfolgungs- und Vernichtungswahn in Politik umsetzen möchte. Nur und gerade weil in der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft die Vermittlung von Einzelwille und Allgemeinwille, von Volkszorn und Staatsraison abgeschafft wurde, indem beide unmittelbar ineinander überführt wurden, kann in der postnazistischen Gesellschaft die direkte Demokratie gegen die repräsentative, wie sie für liberale Staatstheorie bestimmend war, mobilisiert werden. Die repräsentative Demokratie mit ihren intermittierenden Instanzen der checks and balances steht zunehmend im Verruf, ein Machwerk von Systempolitikern zu sein, die abgehoben vom Volk einer fremden Macht und ihren eigenen Interessen dienen. Sinnbildlich wird das an dem FPÖ-Wahlkampfslogan „Volksvertreter statt EU-Verräter“. Es ist genau dieses Bewusstsein, das die postbürgerlichen Subjekte so gut sich in die islamistischen Rackets und deren Weltanschauung einfühlen lässt und sie dazu bringt, den „kritischen Dialog“ mit diesen zu führen.

Der Kern postnazistischer Politik, der Kern des Staat gewordenen Volkszorns ist es, das Kollektiv als Wehrgemeinschaft gegen den Westen und den Zionismus, gegen Liberalität und Vermittlung, gegen Aufklärung und rule of law in Stellung zu bringen. Die Opposition gegen die FPÖ – komme sie nun von den Grünen, der viel gepriesenen Zivilgesellschaft oder den sozialen Bewegungen – ist zu keiner Reflexion über die Bedingung ihrer Möglichkeit, sprich: über die nationalsozialistischen Grundlagen der Zweiten Republik bereit, weil diese auch die Grundlagen ihres eigenen Daseins sind; und sie allein schon deswegen beredt darüber schweigt, um sich nicht um die Illusion der emanzipatorischen (Massen-)Politik bringen zu lassen. Aus genau dem gleichen Grund ist sie auch nicht willens, die Bedrohung durch die islamische Erweckungsbewegung auch nur ins Auge zu fassen, sondern denunziert vielmehr jede Kritik an deren regressiver und vernichtungswütiger Zwangsmoral als Islamophobie, womit sie ihre Komplizenschaft implizit eingesteht.

Café Critique (Bahamas 56 / 2008)

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