„Iran: Die Betrogenen“, nannte Alice Schwarzer 1979 einen Bericht über die Situation der Frauen im Iran, dem Reiseerfahrungen zugrunde liegen, die sie nur wenige Wochen nach dem Sturz des Schahs gemacht hat. Von sich betrogen fühlenden Frauen konnte Schwarzer allerdings kaum berichten, denn nur eine kleine Minderheit sei überhaupt beunruhigt gewesen, „die weite Mehrheit der Perserinnen aber ist tief im islamischen Glauben verwurzelt und hat volles Vertrauen zu den neuen Herren“. Im Kopftuch erkannte sie ein „Zeichen des Kampfes gegen die Zwangsverwestlichung“ und erklärte es „zum tragischen Symbol“. Schwarzer beugte sich dem damals unter Linken dominanten Vorurteil, dass die Beseitigung des Schah-Regimes ein revolutionärer Fortschritt sei und gestand wohl gegen die eigenen Überzeugungen ein, dass „nicht alles schlecht (ist) was islamisch ist“. Zum Beleg präsentierte sie ausgerechnet eine in einen Tschador gehüllte Funktionärin der islamischen Frauenunion, die ganz feministisch gestimmt als Grund für ihre Körperverhüllung angab: „Weil ich kein sexuelles Objekt sein will! Ich möchte von den Männern respektiert werden!“ (Emma 5/79)
Man kann das Kopftuch nicht als tragisches Symbol bezeichnen und auch nur mit erheblichen Einschränkungen als Symbol der tragischen Situation, in die sich viele der westlich gekleideten Gegnerinnen des Schah-Regimes in ihrer Revolutionsbegeisterung manövriert hatten. Ihren Pakt mit dem ganz und gar Bösen, unter dessen Folgen sie bis heute leiden, haben sie nämlich nicht aus unvermeidlicher Verkennung (das wäre tragisch) ihrer gar nicht westlichen Bündnispartner geschlossen, sondern wider besseren Wissens. Wie fassadenhaft die Geschlechterbeziehungen unter modern gestimmten Menschen damals im Iran auch gewesen sein mögen, jede berufstätige, studierende oder selbstbewusst unverheiratete Frau wusste im Jahr 1979 aus eigener Anschauung, dass dort, wo das Kopftuch vorherrscht, Frauen als ausschließlich sexuell bestimmte Objekte von den Männern unter keinen Umständen als gleichberechtigt respektiert werden würden. Die ihnen geltenden scheinbar nur zufällig hingezischten, meist nur halb verständlichen Flüche und die hasserfüllten Blicke der ihnen begegnenden Kopftuchfrauen wussten sie genauso zu deuten wie das herrische Auftreten der islamischen Männer, aus deren Augen Strafbedürfnis und Vergewaltigungsbereitschaft sprachen. In Wirklichkeit wussten sie genau, dass alles schlecht am Islam war und sie ahnten, dass der Durchmarsch seiner Anhänger und Anhängerinnen ihnen die Hölle bereiten würde.
Seit im Iran die Verwestlichung Ausdruck einer maßgeblich von Frauen getragenen revolutionären Bewegung geworden ist und nicht mehr als von außen aufgeherrschter Zwang empfunden wird, der das Bündnis zwischen Islamisten und Linksradikalen in den 1970er Jahren erst ermöglicht hatte, verfällt niemand mehr auf die perverse Idee, eine Schergin des Mullah-Staates über den Zusammenhang von Tschador und Emanzipation zustimmend oder auch nur unkommentiert zu zitieren. Vielmehr werden zum Beispiel in Deutschland die Berichte über Frauen, die unter lautem Jubel sich die hässlichen Tücher vom Kopf reißen und teilweise verbrennen mit Sympathie und Erleichterung rezipiert. Das ist gar keine Veränderung der Haltung, sondern Ausdruck der im eigenen Land gemachten Erfahrung, dass der Islam vor allem über Mädchen und Frauen nur Unglück verhängt und als Ausdruck dezidiert antiwestlicher Kultur ein gedeihliches Zusammenleben von Migranten aus islamisch dominierten Ländern und Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft planvoll untergräbt.
Doch was man sich einander über das herrische Auftreten islamischer Menschen in Schule und Kita zu berichten bereit ist, aber auch über die Erfahrungen der im Kindernotdienst Beschäftigten, denen die Polizei häufig gequälte „islamische“ Mädchen übergibt, führt noch nicht einmal im privaten kleinen Kreis zu grundsätzlichem Widerspruch zum System Islam. So wie die gequälten Mädchen durch die Familiengerichte in sehr vielen Fällen wieder zurück in die Obhut der Familie gegeben werden, wo dann eine vom Jugendamt finanzierte interkulturell versierte Familienhelferin dazu beiträgt, dass das Unheil sich verstetigt, so reproduziert sich die Unterwerfung unter den Islam noch bei denen, die die Proteste im Iran für unterstützenswert halten. Das hat zwei Gründe. Da ist zum einen die Angst vor der überdurchschnittlichen Gewaltbereitschaft bekennender Moslems, denen man zu Zwecken des Appeasements in immer mehr Wohnquartieren durch Nicht-Einschreiten das Sagen einräumt. Wichtiger aber ist der tief verinnerlichte Respekt vor der angeblich freiwillig getroffenen Entscheidung für das Kopftuch und damit die totale Sexualisierung von Frauen. Dafür, dass alles so bleibt und niemand öffentlich sich gegen das Kopftuch ausspricht, dass keine öffentlich finanzierte Treffpunkte entstehen, in denen ohne Kopftuch und ohne die Angst, als Huren diskreditiert zu werden, Mädchen lernen können, zu ihren gerade auch sexuellen Wünschen zu stehen oder sie überhaupt erst zu entdecken, sorgt ein vom Staat finanziertes Netzwerk authentischer Fachleute, deren Aufgabe es vor allem ist, die Identität islamischer Menschen als unveräußerliches Menschenrecht vor jeder Kritik zu schützen. Zur Diskreditierung eben doch vorhandener Zweifel warnen diese Propagandistinnen des Respektgebots aus Politik und Medien täglich vor antiislamischem Rassismus. Nicht alle diese Wächterinnen über die demokratische Tugend tragen ein Kopftuch, sie halten sich aber angeblich angeborene Wesensmerkmale zugute, die sie als „Muslima“ auszeichnen, als ob ihre Eltern aus Islamistan und nicht der Türkei eingewandert wären, und sie alle reden heute unwidersprochen so daher wie die vor 34 Jahren von Alice Schwarzer zitierte Tschador tragende Funktionärin der iranischen Frauenunion. Unter ihnen sind nicht mehr nur die Absolventinnen obskurer Studiengänge und im Kultur- oder Medienbetrieb gescheiterte Streberinnen, die für die Textproduktion zuständig sind. Inzwischen werden auch Frauen ohne höhere Schulbildung an die Front mobilisiert, die man zum Beispiel im Berliner Bezirk Neukölln als „Kiezmütter“, von denen gut 75 Prozent das Kopftuch tragen, gegen ein Taschengeld dazu empowert, ausgerechnet die weiblichen Opfer des Islam in den Problemvierteln zu beraten. Eine Beratung, die die im Islam einzig akzeptierte weibliche Existenzform des Mutterseins getreu eines allseits anerkannten Prophetenausspruches (Hadith), dass nur unter den Füssen der Mutter, nicht aber allgemein der Frauen das Paradies läge, zum Ausgangspunkt der Kiezhilfe macht.
Zwei, die es besonders gut verstehen, die Bösartigkeit der in Familie und Kiez sich ausbreitenden islamischen Herrschaftspraxis in Watte zu packen, sind das moslemisch-jüdische Traumehepaar Saba-Nur Cheema und Meron Mendel. Cheema ist deutsche „Muslima“ mit pakistanischen Eltern und berät die Bundesregierung in Sachen antimuslimischen Rassismus, Mendel ist jüdischer Israeli, der als Chef der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank amtiert. In der FAZ vom 28.12.2022 trugen die beiden zusammen, was seit Jahren als „Diskurs“ über Freiheit und Zwang herumgereicht wird, in Wirklichkeit aber die angebliche Freiheit, sich der Barbarei anpassen zu müssen, bejubelt. Da im Herbst 2022 ihr Monopol kurzzeitig erschüttert schien, reagierten Cheema und Mendel stellvertretend für die ganze Zunft auffällig aggressiv. Weil die „Kopftuchfrage“ im Iran „gewissermaßen symbolisch für die staatliche Repression“ stünde, fühlte sich die besonders unseriöse Spezies der „selbsternannten Islamkritiker“ in ihrer Position bestärkt, „dass das Kopftuch auch hierzulande ein Symbol der Unterdrückung sei. Allerdings ist der Unterschied zwischen hier und dort gewaltig. Unbenommen, das Kopftuch wurde jahrhundertelang den muslimischen Frauen von der patriarchalischen Gesellschaft aufgezwungen. Aus unserem Familienkreis kennen wir genug solcher Geschichten von Mädchen und Frauen, die dem Druck der Eltern oder der Religionsgemeinden nachgeben mussten. Doch gibt es in Europa auch Frauen, die das Tragen des Kopftuchs als emanzipatorischen Akt begreifen“.
Diese Zwei-Welten-Theorie unterschlägt sorgsam, dass hier wie dort die identische Ideologie und verwandte Praktiken Frauen und Mädchen unters Kopftuch zwingen. Im Iran bis 1979 war die Freiheit vom Kopftuch nur ein von einer Minderheit in Anspruch genommene Ausnahme für die Angehörigen der privilegierten Schichten, die allerdings vom Staat als Angebot für ausstiegswillige Mädchen und Frauen ausgedehnt wurde. Auch vor der islamischen Revolution war die Knechtung das genauso gott- wie naturgegebene Schicksal der überwiegenden Mehrheit der Frauen. Unter den Mullahs wurde das Ressentiment der Mehrheit zum Gesetz gegen eine gehasste Minderheit, was nach Jahrzehnten der Verzögerung im allgemeinen Protest gegen das abgewirtschaftete Regime heute die Ablehnung des Kopftuchzwangs als den von allen geteilten Ausdruck des Widerstands erscheinen lässt. Das ist Vorteil und Fluch zugleich. Zwar müssen sich Frauen, die das Kopftuch ablehnen, gegenüber ihren womöglich viel befangeneren Mitstreitern nicht mehr erklären und können ihre privaten Wünsche jederzeit mit dem allgemeinen Wunsch, das Mullah-Regime zu stürzen, begründen ohne als Hure disqualifiziert zu werden. Zugleich müssen weder sie noch ihre Mitstreiter sich zur islamischen Zwangsmoral äußern und können der Frage ausweichen, ob denn alles schlecht am Islam sei. Eine Revolution räumt nicht automatisch mit dem über viele Jahrhunderte tradierten falschen Denken und Fühlen auf. Erst dann wenn die Verheerungen im eigenen Seelenhaushalt Gegenstand von Kritik und Selbstkritik werden und das keineswegs staatlich organisierte System aus Familie und Nachbarschaft, Ehre und Respekt rücksichtslos verworfen wird, ist gewährleistet, dass neue Machthaber in einem nachrevolutionären Iran sich nicht Zustimmung organisieren, indem sie den Faschismus im religiösen Gewand zur Privatsache erklären und unter Naturschutz stellen.
In Deutschland, wo Verwestlichung ein Schimpfwort ist, weil jeder so frei ist, die Restbestände der notwendig universale Geltung beanspruchenden bürgerlichen Freiheit entweder als ohnehin abgeschafft zu verwerfen oder, was auf das gleiche hinausläuft, die Freiheit als einen beliebigen um partikulare Vorlieben erweiterbaren Katalog zu definieren, zu dem das Recht auf Faschismus unbedingt gehören soll wenn er denn als kollektives Bedürfnis indigener Gemeinschaften eingefordert wird, sollen endlich auch die letzten selbsternannten Islamkritiker, die ständig Geschichten von Mädchen und Frauen erzählen, die dem Druck der Eltern oder der Religionsgemeinden nachgeben mussten, akzeptieren, dass hier und heute das Tragen des Kopftuchs als emanzipatorischer Akt begriffen wird. Cheema und Mendel weiter: „Erst kürzlich trafen wir eine Bekannte, die neuerdings Kopftuch trägt. Unsere fragenden Blicke kommentierte sie damit, dass sie ,nach langer Zeit wieder einmal etwas nur für mich‘ machen wollte. Das Gefühl von Selbstbestimmung, Autonomie und Freiheit kann paradoxerweise beim Ablegen als auch beim Tragen eines Kopftuchs entstehen. Hauptsache, die Frauen entscheiden selbst.“ (FAZ, 28.12.2022) Wofür sich die Mehrheit der Frauen und immer kleinere Mädchen selbst entscheiden, kann man auf jedem Bürgersteig und in jedem Schulhof migrantisch geprägter Problembezirke bewundern, während von fröhlichen Feiern, auf denen Frauen sich ihren Hijab herunterreißen, nichts bekannt ist. Bekannt ist dagegen, dass die Entscheidung gegen das Kopftuch für Frauen und Mädchen in Deutschland mindestens mit Beleidigungen und Drohungen und häufig genug mit dem Ausschluss aus Familie und Community einhergeht und immer wieder auch ihre Ermordung durch Familienangehörige zur Folge hat.
Die Unterwerfung unter Allahs Willen ist nicht Ausdruck von Selbstbestimmung, sondern der Verzicht darauf. Die Autonomie des Denkens gibt man dann auf, wenn man sich Allahs Koran-Order in Sure 33 Vers 59 beugt, die lautet: „O Prophet, sag deinen Gattinnen und deinen Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie sollen etwas von ihrem Überwurf über sich herunterziehen. Das ist eher geeignet, dass sie erkannt und so nicht belästigt werden“. (islam.de) Das ist zugleich der Freibrief dafür, unbedeckte Frauen mit dem Segen des Propheten als Ungläubige zu definieren und jederzeit belästigen zu dürfen. Persönliche Freiheit endet dort, wo man selbst bei größter unerträglicher Sommerhitze nicht ein Stück Haut über dem Handknöchel zeigen und keine Haarsträhne sichtbar sein darf, weil es Allah im Namen von weiblicher Scham und Ehre so vorschreibt.
Die Verkehrung der Begriffe gegen ihren Sinn gipfelt bei Cheema und Mendel in der Pervertierung des Wortes emanzipatorisch. Denn wovon soll das Kopftuch „emanzipieren“? Vom unbeschwerten Haut- und Haarezeigen? Von einer nicht von Männern festgelegten Scham- und Ehrenhaftigkeit? Vom Recht auf freie Partnerwahl und selbstbestimmten Sex? Vom Verzicht auf den islamischen Jungfrauenkult? Von der Freiheit, auch ohne sozialen Druck der Sippe und deren Strafandrohung leben zu können? Oder vom Recht, dieselben Orte wie die Jungs und Männer aufsuchen zu dürfen?
Wenn die von Cheema und Mendel zitierte Bekannte meint, mit dem Anlegen des Kopftuches „nach langer Zeit wieder einmal etwas nur für mich“ getan zu haben, dann kommt darin das postmoderne Bedürfnis nach Wellness und gutem Gefühl zum Ausdruck, das im Diversity-Jargon Empowerment genannt wird. Zur Voraussetzung hat die Anerkennung einer solchen nachmodernen Form von Selbstermächtigung die gesellschaftlich fortgeschrittene Internalisierung buchstäblicher Gleich-Gültigkeit gegenüber reaktionärem Gedankengut und seinen Opfern. Man redet umso weniger vom sozialen Zwang zum Kopftuch je sicherer man sich ist, dass der Hijab eine Frau tatsächlich hässlich macht, worin dann gegen selbsternannte Islamkritiker, die den Befund aus anderen Gründen teilen, die frohe Botschaft liegen soll. Angeblich gegen einen Schönheitskult gerichtet, der die Frauen, die nicht mithalten können, häufig tief deprimiert, geht die Feier des Hijab immer mit einem scheinbar ganz westlichen Lob der körperlichen und mentalen Dürftigkeit einher, die die Tauglichkeit für die selbstredend ernsthafte Beschäftigung mit höheren Dingen als die Attraktivität für andere es sein kann, unterstreicht, die dann wahlweise in der Mutterschaft, dem Klimaschutz oder ernsthafter Forschung erkannt werden. Endlich mal etwas für sich zu tun bedeutet die Kapitulation nicht so sehr vor den Leitbildern des weiblichen Schönheitsideals, sondern vor den Herausforderungen eines aktiven, am Ende gar befriedigenden Lebens. Was unterm „freiwillig“ angenommenen Kopftuch sich vollzieht, gilt in „westlichen“ Augen häufig nicht etwa als abstoßend, sondern deshalb als attraktiv, weil es den von immer mehr Deutschen herbeigesehnten Abschied vom Ich bedeutet und damit die Unterwerfung unter eine keinen Widerspruch zulassende „natürliche“ Ordnung, der man sich hingebungsvoll widmet und die einen ganzheitlich erfüllt.
Von solchen regressiven Wünschen sind all jene befeuert, die sich so leidenschaftlich dem Kampf gegen Islamophobie verschreiben. Die Bekämpfung von Islamfeindlichkeit war das Hauptthema der Deutschen Islamkonferenz im Dezember letzten Jahres und unter Innenministerin Nancy Faeser wurde der bislang beim Bundesinnenministerium angesiedelte Arbeitskreis Politischer Islamismus aufgelöst um alle Kraft auf den Kampf gegen Rechts verwenden zu können. Ein Adnan Tabatabai, der dem als dem iranischen Regime nahestehend geltenden Bonner Thintank CARGO vorsteht, den das Auswärtige Amt mit jährlich 900.000 Euro bezuschusst, um sich über den Iran Expertise einzuholen, teilte seinen Auftraggebern mit: „Frauen, denen die Einhaltung des hedjab (der Verschleierung) besonders wichtig ist, fällt es nach der Revolution leichter, sich im öffentlichen Raum aufzuhalten, studieren zu gehen und einen Beruf in einer Gemeinschaft mit Männern auszuüben“. (FAZ, 31.10.2022) Das Gefühl von Selbstbestimmung, Autonomie und Freiheit zu beschreiben, das durch den emanzipatorischen Akt der Verschleierung unter iranischen Frauen aufgekommen sein muss, die dank der islamischen Revolution endlich etwas nur für sich tun konnten, ist hier-zulande die Aufgabe der zahlreichen Cheemas und Mendels, die in Berlin Lena Kreck heißen, die bis zur Wiederholungswahl linke Senatorin für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung war. Krecks Kommentar zur Anfang Februar erfolgten Abschaffung des Berliner Neutralitätsgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht gleicht bis in den Wortlaut hinein den Einlassungen Adnan Tabatabais – woran das von Kreck eingeschobene Wörtchen Einwanderungsgesellschaft nichts besser, sondern wegen des darin enthaltenen Bekenntnisses zur Gleich-Gültigkeit alles noch schlimmer macht. Kreck: „Über das Kopftuchverbot werden in der Einwanderungsgesellschaft Menschen ausgegrenzt und rassistisch konnotierte Zuschreibungen verstärkt“. (BZ, 2.2.2023) Mit emanzipatorischer Hand ist mit einem solchen Ausspruch vorab jeglicher kritische Gedanke selbsternannter Islamkritiker, wonach das Kopftuch womöglich selbst für Ausgrenzung und einen Rassismus ohne Rassen stehen könnte, vom Diensttisch gewischt.
Die einzig wahre Religion sein zu wollen, ist bei allem besonders hässlichem Überlegenheitsdünkel kein Alleinstellungsmerkmal des Islam, genausowenig wie der Anspruch, die Zahl der Gläubigen zu mehren. Dies aber nicht durch Überzeugung, sondern durch Eroberung bewerkstelligen zu wollen, beginnend beim Zwang gegen die „eigenen“ Frauen, fortgesetzt bei der wiederum gewalttätigen Arrondierung von Territorien, in denen er herrschen will, mithin wegen des autoritären Zugriffs aufs Weltliche, das unterscheidet Allahs mit echter Ehre und echtem Stolz ausgestattete Mannen von den Kündern anderer Religionen und macht sie in den Augen sensibler Seelen so anziehend. Weil der Islam die Trennung von öffentlich und privat, von Staat und Religion als stark verweltlichte Gesetzesreligion mit einem Rest an Spiritualität nicht kennen kann, ist es keine voluntaristische Zuschreibung selbsternannter Islamkritiker, sondern ein objektiver Tatbestand, dass das Kopftuch ein zutiefst antisäkulares Symbol ist, das aus öffentlichen und staatlichen Einrichtungen zu verbannen ist. Wer meint, nicht ohne Kopftuch im öffentlichen Dienst arbeiten zu können, der wird nicht ausgegrenzt, sondern grenzt sich selbst aus weil er es mit einer Religion hält, die keinen Unterschied zwischen Politik und Religion, zwischen öffentlich und privat kennt.
Das postmoderne Reframing-Geschäft der letzten Jahre, das aus dem Kopftuchtragen eine wahlweise emanzipatorische, supercoole oder -stylische Angelegenheit des guten Gefühls macht, präsentiert als Kronzeugen islamischen Empowerments hässliche Erscheinungen der Popkultur, die mit Namen wie „Hijabista“, „Mipster“ oder „Hijabi“ verbunden sind. Über das Phänomen Hijabista erfährt man auf Wikipedia, dass es sich um eine Wortschöpfung „aus Hijab und Fashionista“ handele und „eine Frau mit muslimischem Glauben bezeichnet, die aus ihrem Kopftuch eine Art modisches Accessoire macht“. Was man sich unter einer Mipster vorzustellen hat, erfuhr man bereits im Jahr 2013 aus dem Magazin Cicero. Mipster sei ein Kofferwort aus Muslima und Hipster. Mit ihrem „okzidentalen Pendant“ teilten die „Mipsterz“ vor allem die Ironie in Modefragen. Die Autorin des Artikels, die studierte Islamwissenschaftlerin und Modejournalistin Katharina Pfannkuch, die andernorts einbekannte, dass ihr nach und nach „die modische Dimension“ des islamischen Kopftuches „immer bewusster“ wurde (modekarriere.com), verabsäumte es nicht, die bekopftuchte Muslima und deutsche Bestsellerautorin Kübra Gümüsay zu zitieren. Die hatte das Mipster-Phänomen zum Anlass genommen, darauf hinzuweisen, wie „nicht einheitlich, sondern vielfältig wir Muslime sind. Das ist unser Kapital, das macht uns einzigartig.“ Dass Vielfalt ein muslimisches Alleinstellungsmerkmal sei, wird dort gerne gehört, wo die coolen Muslimas dafür herhalten sollen, die furchtbare Religion Islam mit ihrer alltäglich praktizierten frauenverachtenden Zwangsmoral buchstäblich schön zu reden. Die Cicero-Autorin Pfannkuch erwähnt wie beiläufig, dass das Outift der Hijabistas alle „Kriterien islamkonformer Mode“ erfüllten: „Arme und Beine sind stets bedeckt, ebenso das Dekolleté. Alles andere aber interpretieren die Hijabistas so frei, modern und kreativ, wie es nur geht.“ (11.12.2013) Es mag sein, dass die eine oder andere Mipster bzw. Hijabista aus Angst vor ihrer strengen Familie das Kopftuch demonstrativ zur Schau stellt, um sich partielle Freiheiten in Sachen westlicher Kleidung und Make-Up zu erkaufen. Gerade deshalb aber ist und bleibt es keine Lappalie, Haut und Haare nicht zeigen zu wollen. Wenn die Autorin Pfannkuch trotz des dahinter stehenden religiösen Verbots die Begriffe frei, modern und kreativ im Munde führt, dann pervertiert sie ähnlich wie Cheema und Mendel jede Vorstellung von Selbstbestimmung, Autonomie und Freiheit.
Wie man das Diversity-Reframing auf die Spitze treibt, demonstriert man auf dem öffentlich-rechtlichen Youtube-Kanal Datteltäter, der zum Online-Angebot Funk von ARD und ZDF gehört, das sich an 14- bis 29-jährige richtet. Datteltäter, deren Protagonisten alle bekennende Moslems sind, geht es laut eigener Darstellung um „Politische Satire, deutsch-muslimisches Selbstverständnis und Vorurteile gegen Muslime in Deutschland. (Mit) Fokus […] in eine Richtung: Gesellschaftskritik“. (funk.net/channel/datteltaeter) Die Macher von Datteltäter haben vor allem dafür gesorgt, den Begriff „Hijabis“ für Kopftuch tragende Frauen und Mädchen populär zu machen. Dafür tragen ihre produzierten Videos Titel wie „Fünf Arten von Hijabis“, „Dinge, die Hijabis nie sagen“, oder „Burkini-Probleme, die Hijabis kennen“. Was man öffentlich-rechtlich unter der Kritik an antimuslimischen Vorurteilen und der Förderung des deutsch-muslimischen Selbstverständnisses versteht, kann man völlig satire- und ironiefrei seit Anfang 2022 in einem programmatischen Video mit dem Titel „Mein Kopftuch, meine Wahl“ besichtigen. Darin posieren sieben unterschiedlich gestylte Hijabis zu einem aus dem Off eingesprochenen Text in der ersten Person, der keine Diversity-Wünsche offen lässt und so geht: „Was ist mein Hijab? Mein Hijab ist mehr als nur ein Kopftuch. Mein Hijab ist Teil von mir. Als Frau, als Tochter, als Muslima. Mein Hijab ist Feminismus, der für Freiheit und Würde steht, Nacktsein und Bedecktsein schützt. Mein Hijab ist Antirassismus. Weil mein Hijab nicht aussucht nach Sprache, Herkunft oder Hautfarbe. Klar ist mein Hijab auch Projektionsfläche für Deine Vorurteile. Aber was du machst mit Deinem Hass ist Dein Ding, nicht meins. Du und Deine Fragen, Du und Deine Einwände sind Dein Problem. Denn mein Hijab ist Glaube, Disziplin. Schutz. Gottesdienst. Kein Zwang. Sondern die freie Wahl, wie ich mich kleiden möchte. Die Kleidung oder Bedeckung eines Menschen sagt nichts über den Charakter aus. Mein Hijab ist Style, Selbstbewusstsein. […] Ich lass mich feiern.“ Das ist eine klare Kampfansage gegen jeden, der es unternimmt, die Diversity-Idylle zu stören. Kritik am Hijab wird als Ausdruck von Hass diffamiert, damit das antirassistische Opfernarrativ von Ausgrenzung und rassistisch konnotierten Zuschreibungen (Kreck) stimmt und die Lüge zündet, wonach feministische Freiheit und Würde mit dem Bedeckungszwang gegen Nacktsein vereinbar sei. Dass man im Grunde splitterfasernackt sei wenn man in der Öffentlichkeit nicht zur Komplettverhüllung als Schutz vor der bösen Männerwelt greift und zu sexuellen Belästigungen einlade, wenn man nackte weibliche Haut zeigt, diese ungeheuerliche Aussage geht seit Jahren von den zahllosen empowerten Hijabis und Datteltätern unwidersprochen auf staatlich geförderten zivilgesellschaftlichen Podien und Foren als Gesellschaftskritik durch. Dabei ist die Rede von Glaube, Disziplin und Schutz nur devote Übernahme der von den Hodschas und Imamen ständig verkündeten männlichen Sicht auf die schambesetzte Muslima, die in der Moschee strikt abgeschirmt und versteckt wird, damit sie vor Männerblicken geschützt ist.
In den Einwänden gegen stolze Hijabis wird nicht etwa Kritik an deren vorauseilendem Gehorsam gegen internalisierte Frauenverachtung erkannt, sondern die Vorurteile hasserfüllter Einzelner, die, von schwülen Haremsträumen erfüllt, empowerten Muslimas an die Wäsche gehen wollten. Es wird alles getan um zu verhindern, dass ein kritischer Begriff vom Islam und dessen Kultur gesellschaftsfähig werden könnte. Folgerichtig meinte Deutschlands erste feministische Außerministerin anlässlich der Ermordung Mahsa Aminis durch die iranische Sittenpolizei feststellen zu müssen, dass wenn eine Frau zu Tode geprügelt wird „weil sie aus Sicht der Sittenwärter ihr Kopftuch nicht richtig trägt“, das „nichts, aber auch gar nichts mit Religion oder Kultur zu tun“ habe (Bild 30.9.2022). Um zu verstehen was Annalena Baerbock da geritten hat, lohnt sich ein Blick auf eine Analyse der grünen Heinrich Böll-Stiftung mit dem Titel Eine deutsche feministische Außenpolitik gegenüber dem Iran. Die „3R+D“-Formel, die der feministischen Außenpolitik des Auswärtigen Amtes zugrundeliegt, erfährt man darin, fände auch im Fall des Iran Anwendung. Die drei R stehen für „Rechte, Ressourcen und Repräsentation plus Diversity“ von Frauen weltweit. Wohl um ihre Außenministerin gegen Kritik zu schützen, für die stellvertretend auf die Harvard Political Review verwiesen wird, in der die „die mangelnde Unterstützung für die Frauen im Iran“ schlicht „widerlich“ genannt wurde (harvardpolitics.com), heißt es in der Anfang 2023 nur auf Englisch veröffentlichten Analyse: Die „inzwischen häufig zu hörende Kritik, dass der feministische Ansatz die Frauen im Iran im Stich lässt, greift zu kurz, wenn sie von Akteuren kommt, die feministische Werte im Inland ablehnen. Feministische Außenpolitik fängt zu Hause an, was bedeutet, dass man legitimerweise nicht die Unterdrückung von Frauen in einem anderen Teil der Welt anprangern kann, während man gleichzeitig die tatsächliche Gleichberechtigung, einschließlich der körperlichen Autonomie von Frauen, in der eigenen Gesellschaft verweigert“. (boell.de)
Solche Sätze zielen auf alle, die es nicht mit den Datteltätern dieser Republik halten und der „3R+D“-Regel skeptisch gegenüberstehen, weil deren Verfechter insinuieren, die Unterdrückung der iranischen Frauen wäre unter feministischen Gesichtspunkten gar nicht so weit entfernt von der Unterdrückung von Frauen in der eigenen Gesellschaft. Wer sollen eigentlich diejenigen sein, die hierzulande Frauen die Gleichberechtigung verweigern wenn nicht die Anhänger einer Religionsgemeinschaft, die sich laut ihrem Propheten als die beste aller Gemeinschaften versteht? Das bleibt das Geheimnis der Böll-Autoren Barbara Mittelhammer und Cornelius Adebahr, die als Feinde der Gleichberechtigung Anhänger und Sympathisanten einer hässlichen Partei ausmachen, die mit Alice Weidel eine Vorsitzende vorzuweisen haben, die in einer lesbischen Beziehung lebt, ohne dass ihr die Inanspruchnahme ihres Rechtes auf körperliche Autonomie parteiintern auch nur ansatzweise zum Schaden gereichen würde.
Die Distanziertheit gegenüber den für ihre Freiheit vom Kopftuch kämpfenden iranischen Frauen, die die Protagonisten feministischer Außenpolitik wahren, hängt im Kern damit zusammen, dass man ihren Kampf als bedrohlich für die Essentials des seit Jahren immer erfolgreicher statthabenden Diversity-Diskurses wahrnimmt. Allein die zentrale iranische Protestlosung „Frau, Leben, Freiheit“ löst hierzulande in einschlägigen Kreisen Unbehagen aus, wittert man doch, dass hier die Kategorie Frau mindestens durch die Hintertür dem Diskurs über stets fluide Geschlechteridentitäten irreversiblen Schaden zufügen könnte. Wenn dann auch noch fast dreitausend vornehmlich iranische Exil-Akademikerinnen, -Künstlerinnen und -Schriftstellerinnen die Proteste im Iran in einer gemeinsamen Erklärung von Anfang Januar diesen Jahres eine „feministische Revolution“ nennen (en.radiozamaneh.com), dann erkennt man in ihnen weniger Bündnispartnerinnen als vielmehr unangenehme Konkurrenz, die zum Leidwesen der feministischen Außenpolitik von Baerbock und Co. darauf beharrt, dass der Tod Mahsa Aminis sehr wohl von einer bestimmten Religion zu verantworten ist und Islamkritik und Feminismus sich nicht nur nicht ausschließen, sondern gegenseitig bedingen. Weil man hierzulande dank fehlender Empathie für die Iranerinnen kaum mehr versteht, dass die Liedzeile „Für die Mädchen, die sich wünschten, als Jungen geboren zu sein“ aus der inoffiziellen iranischen Protesthymne „Baraye“ kein künstlerisch wertvoller Beitrag zum hiesigen Transgenderdiskurs ist, sondern die islamische Ungleichbehandlung von Mädchen und Frauen zum Thema hat, hat man auch kein Gespür dafür, wie sehr man mit dem Hochjubeln des Kopftuchtragens zum coolen emanzipatorischen Akt Mahsa Amini aufs Grab spuckt. Die Begeisterung für Hijabistas und Hijabis hierzulande erfolgt zu einem Zeitpunkt, in dem überall in der islamischen Welt einschließlich der hiesigen sogenannten Communities der soziale Druck zum Kopftuchtragen immens zunimmt – und mit ihm das Leiden unter der von Männern bestimmten islamischen Zwangsmoral. Schon weil man es den protestierenden Iranerinnen schuldig ist, hätte man allen Vertretern des staatsnahen Diversity-Milieus bei jeder passenden Gelegenheit die Wahrheit entgegenzuhalten, dass auch jedes noch so kreativ und cool gebundene Kopftuch das antisäkulare Symbol für die Verfestigung der Unfreiheit ist, das dazu beiträgt, dass die „islamischen“ Frauen im Iran allein gelassen werden.
Sabine Schulzendorf (Bahamas 91 / 2023)
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